Donnerstag, 27. Februar 2014

Karl Raimund Popper und der kritisch-rationale Mensch

Karl Raimund Popper
Poppers Menschenbild gründet auf der evolutionstheoretischen These, dass „alles Leben Problemlösen“ bedeutet. Insofern kann er auch behaupten: „Zwischen der Amöbe und Einstein ist in dieser Hinsicht kein prinzipieller Unterschied: Alle Organismen sind Problemlöser!“

Weil aber die Geschichte der Evolution nun nicht als ein abgeschlossener Prozess zu betrachten ist, müssen wir davon ausgehen, dass auch die Fähigkeit des Menschen, die vorhandenen Probleme zu lösen, ebenfalls noch nicht perfekter Form ausgebildet ist. Vielmehr kommt Popper zur Einsicht, dass das menschliche Erkenntnisvermögen prinzipiell fehlbar und irrtumsanfällig ist.

So ist jede Erkenntnis für Popper letztlich „ein hypothetisches Vermutungswissen, das es stets von neuem zu prüfen und zu verbessern gilt. (…) Es gibt kein absolut sicheres Fundament und keine letzte Begründungs- oder Rechtfertigungsinstanz, von der aus man Erkenntnisse absolut rechtfertigen und ein für allem als wahr erweisen könnte.“ Jede Dogmatisierung von Wissen ist somit nicht möglich.

In besonderem Maße wird diese Dogmatisierung des Wissens bei einem Blick in die Geschichte offenbar. Politische Weltanschauungen und Ideologien, die auf der Idee einer absolut gesicherten Welterkenntnis aufbauen, münden meist in autoritären und diktatorischen Systemen, die elitäre und undemokratische Erkenntnisansprüche vertreten.

So viel wir auch denken, wir machen Fehler!
Solche Gesellschaften bezeichnet Popper als „geschlossene Gesellschaften“, in denen der „Kollektivgeist des Stammes“ dominiert, in denen es keine individuelle Freiheit gibt, in denen Sitten und Gebräuche als von Natur aus gegeben gelten, in denen es also keine Trennung zwischen natürlichen und normativen Gesetzen gibt.

Gegen die geschlossene Gesellschaft setzt Popper die Idee einer „offenen Gesellschaft“. Damit sind bei Popper eine Reihe von moralisch-politischen Werthaltungen verbunden, von denen die wichtigste die liberale Idee ist, die größtmögliche Freiheit des einzelnen Individuums zu fördern und durch Institutionen abzusichern. Daraus abgeleitet ist selbstverständlich die Einschränkung, dass die Freiheit der einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft nicht die individuelle Freiheit anderer beeinträchtigen darf. Dies zu garantieren ist die Aufgabe des Staates.

Auch wenn Popper das Konzept einer negativen Freiheit – als Freiheit von Unterdrückung und Zwang – vertritt, darf man Popper keinen schrankenlosen Laissez-faire-Liberalismus oder ungehemmten Neoliberalismus unterstellen. Auch hier liegt die Aufgabe des Staates darin, die Freiheit des Einzelnen und zugleich das Gemeinwohl durch eine begrenzte und immer wieder kritisch zu hinterfragende Intervention zu sichern.

Das wichtigste Merkmal einer offenen Gesellschaft aber ist eine institutionalisierte öffentliche Kritik. In einer Gesellschaft muss es notwendigerweise eine politisch-weltanschauliche Pluralität geben. Gesellschaftliche Konflikte, politische Diskussionen und Entscheidungsfragen sollten daher möglichst in der Öffentlichkeit durch transparente, kritisch-rationale Diskussionen ausgetragen werden.

Transparente und kritisch-rationale Diskussion

Auch hier gilt, dass es keine „Totalansichten“ in gesellschaftliche Entwicklungen gibt. Auch hier zeigt sich die Begrenztheit und Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis. Gegen einen auf utopischen Idealen gegründeten revolutionären Umsturz der setzt Popper die Idee einer schrittweisen Lösung von konkreten Einzelproblemen und damit vorsichtigen Umbau der Gesellschaft.

Popper will mit der Zielvorstellung einer offenen Gesellschaft keinesfalls ein Heilsversprechen verbinden. „Auch in einer offenen Gesellschaft vermag sich der Mensch von der Last der Zivilisation, dem damit verbundenen bedrückenden Bewusstsein seiner Mängel und Grenzen … nie endgültig zu befreien.“

Erst wenn die Menschen bereit sind – ganz im Sinne des sokratischen „ich weiß, dass ich nichts weiß“ -, der menschlichen Unvollkommenheit und Beschränktheit bewusst ins Auge zu sehen, können sie mit der Planung von humanitären Institutionen beginnen und so zumindest graduelle Fortschritte bei der Abschaffung vermeidbaren Leids und Elends erzielen.

Diese „gradualistische Idee der Weltverbesserung, die durch Aufklärungsoptimismus und das Vertrauen in die kritische Vernunftfähigkeit des Menschen fundiert ist, bildet den Kernpunkt der offenen Gesellschaft und von Poppers Menschenbild. Dieses Menschenbild gründet auf kritische Rationalität und eine Reihe von moralischen Prinzipien.“

Zu diesen moralischen Prinzipien gehört die Tugend der intellektuellen Bescheidenheit, die nicht die „Allmacht der Vernunft“ propagiert und damit zu einem fanatischen Vernunftglauben, einem „Terror des Rationalismus“ führt. „Die Leitwerte seiner humanitären Ethik sind das Toleranzprinzip und das Prinzip des negativen Utilitarismus, welche anstelle der Forderung nach Glücksmaximierung die Forderung nach Leidminimierung in den Mittelpunkt des praktischen Denkens und Handelns stellt. Eng damit verknüpft ist ein Verantwortungsprinzip, das die individuell zurechenbare Verantwortung im Gegensatz zu anonymisierten Verantwortlichkeit eines Kollektivsubjekts betont.“

Popper ist schlicht der Auffassung, dass es einen Prozess der „Selbstbefreiung durch das Wissen“ gibt, ohne deswegen gleich zu behaupten, Wissen allein führe schon zu richten Wertentscheidungen.
 
Was wir brauchen ist Problemlösungswissen!
Für Popper ist schon ausreichend, „wenn das behauptete als hypothetisches, oder `konjekturales Wissen´ (Vermutungswissen) aller bisherigen Kritik standgehalten hat. Dieses Wissen gilt es im praktischen Lebensprozess zur Lösung von Problemen einzusetzen, jedoch stets im Bewusstsein, dass es jederzeit revidiert und verbessert werden kann.“

So ist nicht das Begehen von Fehlern ein schwerwiegender Defekt, sondern die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, aus einmal gemachten Fehlern zu lernen, um sie nicht wieder zu begehen.



Zitate aus: Kurt Salamun: Wie soll der Mensch sein? Philosophische Ideale vom `wahren´ Menschen von Karl Marx bis Karl Popper, Tübingen 2012 (Mohr Siebeck)

Donnerstag, 20. Februar 2014

Hannah Arendt und der "Massenmensch"

Hannah Arendt (1906 - 1975)
Ihr Ideal vom Menschen beschreibt Hannah Arendt in ihrem Werk „Vita activa. Vom tätigen Leben“. Darin erläutert sie überzeugend, dass die Grundtätigkeiten des Arbeitens und des Herstellens zwar notwendige Bedingungen des Menschseins sind, dass aber die Verwirklichung eigentlichen Menschseins erst durch das Handeln im öffentlichen Raum des Politischen geschieht.

Erst das Handeln ermöglicht die „höchste Erfüllung des Menschseins“. Handeln ist hier stets ein politisches Handeln. „Der `öffentliche Raum´ steht für jenen Lebensbereich, in dem Individuen einander aus persönlicher Freiheit begegnen und ein `Miteinander´ von Einzelpersonen konstituiert wird.“

Unter der Prämisse der von Arendt verteidigten Verschiedenheit und Pluralität menschlicher Entwürfe lässt sich politisches Handeln nur dann verwirklichen, wenn verschiedene Individuen ihre kreativen Gedanken in gemeinsame Bemühungen um das Gemeinwohl einbringen. Das Vorbild dafür entdeckt Arendt in der antiken griechischen Polis.
 
Politisches Handeln unter der Prämisse von Verschiedenheit und Pluralität

Für Arendts Ideal vom Menschen ist weiter entscheidend, dass Denken und persönliche Lebenspraxis miteinander verschränkt werden. „Der Mensch mit der erweiterten Denkungsart ist keine passive und konfliktscheue Person, die private Abkapselung oder Anonymität in der Masse einem aktiven Leben vorzieht. Er ist stets bereit, sich in seiner `personalen Einmaligkeit´ in das `Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten´ einzubringen. Er besitzt Mut, sich öffentlich zu engagieren und `sich selbst zu exponieren´. Im `öffentlichen Raum´ der Politik übernimmt er Aufgaben, weil er in der Politik kein ablehnenswertes, schmutziges Geschäft oder populistisches Showgeschäft sieht.“

So bietet Politik für Arendt vielmehr die Chance, bei der Gestaltung des Gemeinwohls mitzuwirken und einen Beitrag für die stets von neuem erforderliche Konstitution von individuellen Freiheitsspielräumen und gesellschaftlichen Gleichheitsbedingungen zu leisten.

In krassem Gegensatz zu diesem skizzierten Ideal steht die Feststellung Arendt, dass sich die Menschheit in einer tiefen Krise befindet. Im Rahmen ihrer Analyse der Strukturen totalitärer Herrschaftssysteme stößt sie auf einen Menschentyp, dessen Mentalität, Eigenschaften und Handlungen bei der Entstehung und beim zeitweiligen Funktionieren von totalitärer Herrschaft eine entscheidende Rolle spielen: das „vermasste Individuum“ oder der „Massenmensch“.
 
Die Masse - ein gesichtsloses Kollektiv

In ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ definiert Arendt den Begriff „Masse“ folgendermaßen: „Der Ausdruck `Masse´ ist überall da anzutreffen, und nur da, wo wir es mit Gruppen zu tun haben, die sich, entweder, weil sie zu zahlreich oder weil sie zu gleichgültig für öffentliche Angelegenheiten sind, in keiner Organisation strukturieren lassen, die auf gemeinsamen Interessen an einer gemeinsam erfahrenen und verwalteten Welt beruht (…) Potentiell existieren sie in jedem Lande und zu jeder Zeit; sie bilden sogar zumeist die Mehrheit der Bevölkerung auch sehr zivilisierter Länder, nur dass sie eben in normalen Zeiten politisch neutral bleiben und sich damit begnügen, ihre stimmen nicht abzugeben und den Parteien nicht beizutreten.“

Dieser sozial und ideologisch bindungslose  Massenmensch, der sich der Teilnahme am öffentlichen Geschehen der Politik verweigert, stellt für Arendt eine immense Gefahr für jedes pluralistisches und  demokratisches Gesellschaftssystem dar.

Es sind vor allem die mentalen Eigenschaften und Verhaltensweisen des „Massenmensches“, die ihn zu einer latenten Gefahr machen: „Der Glaube an Verschwörungstheorien, naiver Glaube an die Unfehlbarkeit von politischen Führungspersönlichkeiten, Bereitschaft zur Denunzierung von Mitbürgern und auch von Verwandten um der eigenen politischen Bewegung und Ideologie willen, die Bereitschaft zur Selbstaufopferung um der eigenen politischen Bewegung  willen, Spießermentalität, Radikalismus, Aktivismus und Kriegsenthusiasmus, die zynische Überzeugung, Politik sei ein Spiel des Betrügens und deswegen sei Lügen erlaubt, ja sogar gewünscht.“

Hinter diesen Einstellungen sieht Arendt die Sehnsucht nach der Flucht in eine fiktive Welt der Geborgenheit in einer „Massengemeinschaft“, wie sie beispielsweise durch politische Bewegungen repräsentiert wird.

So führen die anthropologischen Überlegungen Arendt direkt zu dem Kern des Problems, das sie mit folgenden Worten beschreibt: „Man hat immer wieder bemerkt, dass totalitäre Bewegungen sich der demokratischen Freiheiten bedienen, um dieselben abzuschaffen. Hinter diesem Spiel, das trotz aller Proteste immer wieder erfolgreich gespielt wird, sobald sich eine prätotalitäre Atmosphäre eines Landes bemächtigt hat und die totalitären Bewegungen eine gewisse Stärke erreicht haben, steckt weder eine überlegende Schlauheit auf seiten totalitärer Führer noch eine hoffnungslose, durch keine Erfahrungen zu belehrende Torheit und Schwäche demokratischer Politiker.

Prätotalitäre Atmosphäre in Katalonien (Spanien): Eine Nation (= die Països Catalans!) - Eine Sprache (= das Katalanische!) ... es fehlt nur noch der Führer ...

Demokratische Freiheiten gründen sich zwar auf der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz; aber diese Gleichheit hat nur dann einen Sinn und kann nur dort funktionieren, wo die Bürger zu bestimmten Gruppen gehören, in denen sie repräsentiert werden können, oder wo sie innerhalb einer sozialen oder politischen Hierarchie leben.“ Gleichheit vor dem Gesetz mache also nur dort Sinn, wo eine pluralistische Gesellschaft vorhanden ist, in der eben gerade nicht „gleiche“, sondern beispielsweise durch Geburt oder Beruf  „ungleiche“ Menschen leben.

Unter den Bedingungen einer Massengesellschaft jedoch verlieren die demokratischen Institutionen wie die demokratischen Freiheiten ihren Sinn.

Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)   -   Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 2009 (piper)   -   Kurt Salamun: Wie soll der Mensch sein? Philosophische Ideale vom `wahren´ Menschen von Karl Marx bis Karl Popper, Tübingen 2012 (Mohr Siebeck)



Donnerstag, 13. Februar 2014

Albert Camus und der Mensch in der Revolte

Albert Camus (1913 - 1960)
Albert Camus wurde am 7. November 1913 in Mondovi (damals Französisch-Nordafrika, heute Algerien) geboren. Er war einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts und herausragender Vertreter des philosophischen Existentialismus. 1957 erhielt er für sein episches, dramatisches, philosophisches und publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur.

Neben dem „Mythos von Sisypos“ (1942) ist es vor allem das zweite philosophische Hauptwerk „Der Mensch in der Revolte“ (1951), das Camus berühmt machte.

Ausgangspunkt von Camus Denken ist das Absurde. Damit beschreibt Camus eine unvermeidbare Grundgegebenheit des menschlichen Daseins: „Es ist die unüberbrückbare Zerrissenheit  und Gespaltenheit, die Ambivalenz und Sinnlosigkeit, die der Mensch im Verlauf seines Lebens immer wieder erlebt und von der er erschüttert wird.“

Obwohl in der menschlichen Natur das Streben nach Sinn und Einheit, nach Klarheit und dem Absoluten tief verankert ist, muss der Mensch bei der Suche nach einem weltimmanenten Sinn, der das Leben rechtfertigen könnte, permanent scheitern. „Alle an Vernunft orientierten Reflexionsprozesse erweisen sich als Scheinrechtfertigungen, die es im Sinne von Nietzsche zu destruieren gilt, um sich die paradoxe und absurde Daseinssituation bewusst vor Augen zu stellen.

Der Mensch kann sich nur darüber gewiss sein, dass er in der Welt existiert, die Frage warum er existiert, ist nicht zu beantworten, der tiefere Sinn der Existenz bleibt im Dunkeln.“

Die Absurdität des menschlichen Daseins

Nun könnte man natürlich die Frage stellen, ob es angesichts der Absurdität des Lebens nicht besser wäre, Selbstmord zu begehen. Camus gibt darauf in einem Tagebucheintrag eine klare Antwort: „Es gibt für den Menschen keine Freiheit, solange er seine Angst vor dem Tod nicht überwunden hat. Aber nicht durch Selbstmord. Um zu überwinden, darf man sich nicht aufgeben. Mit offenem Visier sterben, ohne Bitterkeit.“

Prometheus (Rubens, 1577 - 1640)
Es ist gerade das bewusste Standhalten und die permanente Auflehnung gegen das Absurde, in der sich die Würde des Menschen verwirklicht. Sich selbst zu töten, würde dem Menschen also gerade die Möglichkeit nehmen, sein wahres Menschsein zu verwirklichen. 

Diese ständige Auflehnung gegen das Absurde ist die Revolte, dessen mythische Symbolfigur Camus in Prometheus gefunden hat, dem ewigen Rebell, der sich um das Wohl der Menschen kümmert und sich deshalb mit den Göttern verfeindet. 

So besteht die metaphysische Revolte zunächst darin, „dass der Mensch an der transzendenten Sinngebung seiner Existenz zu zweifeln beginnt und gegen die transzendente Rechtfertigung des Leidens und des Sterbens revoltiert.“ 

Die Revolte gegen das Absurde und die Ungerechtigkeit kann jedoch auch ins Negative pervertieren, indem sie zur metaphysischen Revolution degeneriert. Aus der Einsicht, dass Gott keine gerechter Gott sein kann, erhebt sich nun der Mensch zur letzten Sinn-Instanz und zum Herrn über Tod und Leben. Am Beispiel des Caligula zeigt Camus auf, dass die zur metaphysischen Revolution verkommene Revolte nur zu diktatorischer Willkür und zur Legitimierung des Mordes führen kann.

Auch bei der historischen Revolution wird anstelle Gottes die Geschichte als Legitimationsinstanz für gewaltsamen, politischen und wirtschaftlichen Umsturz in einer Gesellschaft in Anspruch genommen.

Camus Gedanke der Revolte wendet sich also gerade gegen die revolutionären Ideologien, „in denen das Individuum um einer behaupteten höheren Einheit, Ganzheit oder Totalität willen instrumentalisiert und abgewertet wird."

Camus argumentiert gleichermaßen gegen die Verabsolutierung des Staates bei Hegel sowie der Geschichte bei Marx.

Es verwundert nicht, dass Camus´ Werk „„Der Mensch in der Revolte“ zum Bruch mit dem zweiten großen französischen Existentialisten, Jean Paul Sartre. Camus offenbart sich hier als klarer Anti-Kommunist und Totalitarismus-Kritiker. In klarem Gegensatz zu Sartre kritisiert Camus den Marxismus-Leninismus als inhumanen und freiheitsfeindlich und verurteilt das stalinistische Herrschaftssystem in der Sowjetunion.

Im Sinne der Totalitarismus-Theorie werden „Charakteristika dieser totalitären Ideologien und Herrschaftssysteme hervorgehoben: `Terror, utopischer, revolutionärer Messianismus, Führerprinzip, Unterwerfung des Individuums unter eine dogmatisierte ganzheitliche Zukunftsversion´.“

Camus unterstreicht, dass den revoltierenden Menschen ein elementares Streben nach Gerechtigkeit auszeichnet, ohne dass er jedoch einem Gerechtigkeitsfanatismus verfällt. Die konsequente Ablehnung von Extremismus, Absolutismus, Utopismus und Perfektionismus führt Camus zu einem gradualistischen Humanismus.

Die Begegnung mit dem Absurden bleibt das ständige Schicksal des Menschen. Trotzdem ist das Leben nicht sinnlos, „denn die Revolte ermöglicht es, trotz des unaufhebbaren Leidens, der Ungerechtigkeit und des Mordens in der Welt, zumindest ein gewisses Maß an Humanität in die Gemeinschaft der Menschen einzubringen.“


Sisyphos (Frans Stuck, 1863 - 1928)

Sisyphos wird auf diese Weise zum „Held des Absurden“, weil er „in Verachtung der Götter“, „Hass gegen den Tod“, „Liebe zum Leben“ und mit „menschlicher Selbstsicherheit“, Würde und Stolz sein eigenes Los auf sich nimmt

„Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache (…) Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Tage (…)

Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges! Seine Last findet man immer wieder. Sisyphos jedoch lehr uns die höhere Treue, die die Götter leugnet und Felsen hebt. Auch er findet, dass alles gut ist (…)

Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Zitate aus: Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos, Reinbek 2005 (Rowohlt)   -   Albert Camus: Der Mensch in der Revolte, Reinbek 1969 (Rowohlt)   -   Kurt Salamun: Wie soll der Mensch sein? Philosophische Ideale vom `wahren´ Menschen von Karl Marx bis Karl Popper, Tübingen 2012 (Mohr Siebeck)



Donnerstag, 6. Februar 2014

Ludwig Feuerbach und der Mensch


Ludwig Feuerbach
Wie viele andere Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte auch Ludwig Feuerbach (1804 – 1877) seine Ideen vom `wahren´ Menschen unter dem Einfluss der spekulativen Philosophie Friedrich Hegels.

Ausgehend von der spekulativen Grundannahme, dass der Weltgeist (auch „absoluter Geist“, „Weltvernunft“, „absolutes unendliches Sein“ oder „Gott“) die Welt in einem Akt schöpferischer Selbstentäußerung erschaffen hat, gelangt Hegel zu dem Gedanken, dass der Weltgeist nun im Lauf der Geschichte schrittweise wieder Zu-sich-selber-kommen oder Sich-selber-bewusst-werden muss. In diesem Zusammenhang interpretiert Hegel Kulturen, Religionen, wissenschaftliche Ideen und  Rechtsvorstellungen als Entwicklungsstufen des Weltgeistes – und zwar in einem aufsteigenden und zielorientierten Prozess. „Im Verlauf dieses Prozesses entfaltet der Mensch schließlich seine Anlagen und Wesenskräfte und erkannt an der nach seinen Ideen und Plänen gestalteten Welt seine Sonderstellung und Überlegenheit über die Natur.“

Feuerbach jedoch stellt Hegels Deutungsschema der Weltgeschichte als das Zu-sich-selber-kommen des absoluten Weltgeistes schlicht auf den Kopf: „Während es in Hegels geschichtsspekulativer Konzeption der absolute Geist oder Gott ist, der sich die Welt – und damit auch den Menschen als einen Teil der Welt – als ein Fremdes gegenübergestellt hat, ist es für Feuerbach der Mensch, der sich Gott oder den absoluten Geist Hegels als ein Fremdes gegenüberstellt.“

Die Konsequenz aus diesem Ansatz ist die bekannte Projektionshypothese, der zufolge die Idee von einem Gott und andere religiöse Vorstellungen wie göttlichen Wundern oder dem ewigen Leben der Seele lediglich das Ergebnis von Wunschprojektionen des Menschen sind: „Stellt er sich Gott als allwissend, unendlich, allmächtig, gütig und liebend vor, geschieht dies deswegen, weil die eigenen Wünsche und Sehnsüchte nach Vollkommenheit, Unendlichkeit, Unsterblichkeit, Allmacht, Glück und Geliebtwerden aufgrund von Schranken, die entweder von der Natur gesetzt sind oder von gesellschaftlichen Umständen her rühren, nicht in Erfüllung gehen.“

Das Ergebnis der Projektion

Gleichwohl könne man aus diesen Projektionen wertvolle Hinweise auf die Wesenstruktur des Menschen gewinnen. So erweitert sich die Religionskritik Feuerbachs zu einem Nachdenken über die Natur des Menschen mit dem Ziel einer realitätsgerechten Anthropologie.

Während Hegel aus dem Menschen also ein „abstraktes, seiner empirischen Realität entleertes Vernunft-Ich“ mache, betont Feuerbach die sinnliche Natur des Menschen: „Mit der Betonung der Sinnlichkeit wird der Mensch als ein Wesen gesehen, das bei der Selbstverwirklichung entscheidend von seiner Leiblichkeit, d.h. von Gefühlen, Affekten, Leidenschaften, Instinkten, Trieben, emotionalen Interessen usw. bestimmt wird.“

Gleichwohl verteidigt Feuerbach keinen dualistischen Gegensatz von Körper und Vernunft. Wenn er von „sinnlicher Vernunft“ oder „intelligenter Sinnlichkeit“ spricht, dann hat er dabei vielmehr die Vereinigung dieser beiden Seiten der menschlichen Existenz im Blick.

Weil nun der Mensch wie erwähnt beim seiner Suche nach Glück immer wieder an Grenzen stößt, die von der Natur oder der Gesellschaft gesetzt werden, schafft er sich mit Hilfe der Phantasie die religiösen Ideen „zum Zweck der illusionären Kompensationen seiner unbefriedigten Wünsche und Versagungen.“

Die Konsequenz daraus ist, dass die Wunscherfüllung allein in der bloßen Phantasie die realitätsgerechte Bewältigung des Alltags behindert. „Religiöse Ideen und Vorstellungen nehmen einen Teil der Aufmerksamkeit gefangen, die zur Verbesserung der physischen und sozialen Lebensbedingungen, besonders der zwischenmenschlichen Beziehungen, nötig wäre.“

Dies ist der Hauptgedanke von Feuerbachs Menschenbild: Weil sich das Wesen des Menschen nur in der Beziehung zum Mitmenschen verwirklichen kann, müssen „alle Bemühungen und emotionalen Kräfte, die bisher in die Verehrung von Göttern investiert wurden, auf die zwischenmenschlichen Beziehungen konzentriert werden.“ In den Worten Feuerbachs: „Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber auf die Realität des Unterschieds von Ich und Du stützt“ (Grundsätze zur Philosophie der Zukunft).
 
Das Wesen des Menschen kann sich nur in der Beziehung zum Mitmenschen verwirklichen.

Feuerbach vertritt hier einen konsequenten und kompromisslosen Anthropozentrismus, indem er jede metaphysische Instanz auf der Vorstellung vom wahren Menschen ausschließt: „Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muss auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe zum Menschen sein. Homo homini Deus est – dies ist der oberste praktische Grundsatz – dies ist der Wendepunkt der Weltgeschichte“ (Das Wesen des Christentums).

Anstatt also seine emotionalen Fähigkeiten, sein „Humankapital“ in der Verehrung eines Gottes zu vergeuden, soll der Mensch seine Liebe ausschließlich auf das mitmenschliche Du konzentrieren: „Wir sollen den Menschen um des Menschen willen lieben. Der Mensch ist dadurch Gegenstand der Liebe, dass er Selbstzweck, dass er ein vernunft- und liebesfähiges Wesen ist“ (ebd.).

Die Liebe stellt somit neben der Vernunft ein grundlegendes Wesensmerkmal des Menschen dar, das ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Diese Liebe darf darum „weder über einen Gott vermittelt sein, wie die christliche Nächstenliebe, noch durch Vernunft gebotene Fernstenliebe oder eine bloß im rationalen Sinn verstandene, platonische Liebe sein.“ Eine bloße individuelle Selbstverwirklichung ohne Beziehung zu anderen Menschen könne ebenfalls nicht dem wahren Menschsein entsprechen, denn ein einsames Individuum ist „mangelhaft, unvollkommen, schwach und bedürftig.“

Das wahre Menschsein lässt sich also nur in der spezifisch menschlichen Beziehung verwirklichen. Nur in der Liebe zwischen Menschen, in der Ich-Du-Beziehung kann zugleich auch die Verschiedenheit des Dialog-Partners respektiert werden.


Zitate aus: Kurt Salamun: Wie soll der Mensch sein? Philosophische Ideale vom `wahren´ Menschen von Karl Marx bis Karl Popper, Tübingen 2012 (Mohr Siebeck)