Donnerstag, 7. März 2013

Karl Raimund Popper und das Elend der Geschichtsprophetie

Der aus Österreich stammende Begründer des Kritischen Rationalismus, Karl Raimund Popper, ist der breiten Öffentlichkeit vor allem als Wissenschaftstheoretiker und politischer Denker bekannt geworden.


Karl Raimund Popper (1902 - 1994)
Poppers Anliegen war es stets, die Fehlbarkeit menschlichen Erkennens und Handelns sowie die Bedeutung der Kritik als Motor des wissenschaftlichen und sozialen Fortschritts herauszustellen. 

Seine Schrift „Logik der Forschung“ (1934) gilt mittlerweile als Klassiker der modernen Wissenschaftstheorie. Sein zweibändiges Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" (1945), das die westliche liberale Demokratie gegen den Marxismus und gegen jede Art totalitärer Weltanschauung verteidigt, hat ihm 1965 die Verleihung des Adelstitels durch die englische Königin eingebracht. 

Popper ist auch einer der schärfsten Kritiker der von Hegel und Marx geprägten Geschichtsphilosophie. In seiner Schrift „Das Elend des Historizismus“ (1944/45) hat er sich gegen den Anspruch des Historizismus gewandt, den Verlauf der Geschichte wissenschaftlich voraussagen zu können.

Entscheidend ist, dass es für Popper einen grundsätzlichen Unterschied zwischen angeblich wissenschaftlichen Voraussagen politischer Ereignisse und wissenschaftlichen Voraussagen von Naturereignissen gibt.

Nach Popper lassen sich die zentralen Ideen der historizistischen Methode folgendermaßen beschreiben:

„(a) Es ist eine Tatsache, dass wir Sonnenfinsternisse mit großer Genauigkeit und auf lange Zeit voraussagen können. Weshalb sollten wir nicht im Stande sein, Revolutionen vorauszusagen? Hätte ein Sozialwissenschaftler im Jahre 1780 nur halb so viel von der Gesellschaft verstanden wie die alten babylonischen Astrologen von der Astronomie, so hätte er die Französische Revolution voraussagen können.“

Diese Idee, dass die Voraussage von Revolutionen ebenso gut möglich sein sollte wie die Voraussage von Sonnenfinsternissen, führe den Historizisten laut Popper nun zu folgender Ansicht von der Aufgabe der Sozialwissenschaften:

„(b) Die Aufgabe der Sozialwissenschaften ist grundsätzlich die gleiche wie die der Naturwissenschaften – Prognosen aufzustellen, und im besonderen historische Prognosen, also Prognosen über die soziale und politische Entwicklung der Menschheit.“

„(c) Sobald solche Prognosen einmal aufgestellt sind, kann man die Aufgabe der Politik festlegen. Diese besteht in der Linderung der „Geburtswehen“ (wie Marx es ausdrückte), die notwendigerweise mit den als unmittelbar bevorstehend vorausgesagten politischen Entwicklungen verknüpft sind.“

Die Idee – aber vor allem den Anspruch, dass die Aufgabe der Sozialwissenschaften in der Aufstellung historischer Prognosen wie Prognosen über soziale Revolutionen besteht, bezeichnet Popper als die „historizistische Lehre der Sozialwissenschaften.“

Die Idee, dass es die Aufgabe der Politik ist, die Geburtswehen unmittelbar bevorstehender politischer Entwicklungen zu lindern, nennt Popper die „historizistische Lehre der Politik.“

Für Popper sind diese beiden Lehren Teile des größeren philosophischen Systems des Historizismus, also der allgemeinen Vorstellung, dass der Menschheitsgeschichte ein Plan zugrunde liegt und „dass wir den Schlüssel zur Zukunft in der Hand haben, wenn uns die Aufdeckung dieses Plans gelingt.“


Während Prophezeiungen bei Sonnenfinsternissen möglich sind ...


Das offensichtliche Problem des Historizismus aber liegt nach Popper darin, dass Prophezeiungen über Sonnenfinsternisse und alle auf Regelmäßigkeit gegründeten Abläufe der Jahreszeiten nur möglich sind, „weil unser Sonnensystem ein stationäres und zyklisch ablaufendes System ist; und dies ist deshalb der Fall, weil es zufällig durch ungeheure Weiten leeren Raumes gegen Einflüsse seitens anderer mechanischer Systeme isoliert und deshalb relativ frei von exogenen Einwirkungen ist.“

Für die Politik und die Sozialwissenschaften ist die Perspektive ein vollkommen andere: „Die Gesellschaft verändert sich, sie entwickelt sich, und diese Entwicklung ist im Wesentlichen nicht zyklisch.“

Zwar könne man durchaus gewisse Prophezeiungen aufstellen – „so lässt sich zum Beispiel ein gewisser Zyklus in der Entstehung neuer Religionen oder auch neuer Tyrannensysteme beobachten; und ein Geschichtsforscher mag zu der Ansicht gelangen, dass er solche Entwicklungen bis zu einem gewissen Grad voraussehen kann, wenn er sie mit früheren Fällen vergleicht, also durch das Studium der Bedingungen, unter denen sie entstehen“ – aber diese Methode trifft schnell an ihre Grenze, denn: „Die auffallendsten Aspekte der historischen Entwicklung sind nicht zyklisch. Die Bedingungen ändern sich und es ergeben sich Situationen, die sich sehr stark von allem unterscheiden, was jemals zuvor geschehen ist.“


... ist dies bei Revolutionen noch lange nicht der Fall !

Die Tatsache also, dass wir Sonnenfinsternisse voraussagen können, ist daher kein gültiger Beweis für die Erwartung, dass wir Revolutionen voraussagen können. Mögen sich diese Erkenntnis alle „elenden Geschichtspropheten“ ein für alle Mal hinter die Ohren schreiben !!!

Zitate aus: Karl Raimund Popper: Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Teilband II, Tübingen 1997 (Mohr Siebeck)

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