Philosophie verlangt eine ausgesprochen
bescheidene und selbstkritische Haltung, die jede Form von Rechthaberei und
Dogmatismus ausschließt.
Wer philosophiert, darf sich nicht nur auf
seine eigenen Gedanken verlassen, sondern muss immer wieder das Gespräch und die
Diskussion mit anderen suchen und sich mit den Ideen, Argumenten und Theorien anderer
Menschen auseinander setzen.
In der Philosophie kommt es in ganz
besonderem Maße darauf an, sich um eine
möglichst klare sprachliche Darstellung zu bemühen und eine „logische“, d.h.
folgerichtige und widerspruchsfreie Argumentation zu verwenden.
Gerade weil es in der Philosophie so leicht
ist, in einen unverständlichen Code zu verfallen, den nicht einmal Eingeweihte
verstehen, ist es wichtig, dass sie sich selbst über ihre methodischen
Grundlagen Gedanken macht.
Wesley Charles Salmon (1925 – 2001) |
In der modernen Philosophie hat sich vor allem
Wesley Charles Salmon (1925 – 2001) darum bemüht, zu mehr Klarheit und Präzision
des philosophischen Fragens, Denkens und Reden zu gelangen.
In einem seiner bekanntesten Werke, der „Logik“
(1963), versucht Salmon, die Logik als ein Werkzeug der Philosophie zu entwickeln,
mit dessen Hilfe man Begriffe und Argumente widerspruchsfrei und eindeutig
gebrauchen lernt.
Am Beginn seines Buches erzählt Salmon ein interessantes
Beispiel für die Notwendigkeit schlüssige Argumente zu verwenden:
„In einem seiner berühmten Abenteuer bekommt
Sherlock Holmes einen alten Filzhut in die Hände. Obwohl Holmes den Eigentümer
des Hutes nicht kennt, teilt er Dr. Watson eine Menge Einzelheiten über diesen
Mann mit – unter anderem, dass er sehr intelligent ist. Diese Behauptung ist,
für sich gesehen unbegründet. Holmes mag Gründe für seine Aussage haben, bisher
hat er sie aber nicht angegeben.
Wie gewöhnlich sieht Dr. Watson keinerlei
Grund für Holmes´ Behauptung und bittet um eine Erklärung. Als Antwort setzt Holmes den Hut auf. Er reichte ganz über die Stirn
und saß auf seiner Nasenwurzel auf. `Es ist eine Frage des Rauminhaltes´, sagte
er; `ein Mensch mit einem so großen Gehirn kann nicht dumm sein.´ Jetzt ist
die Aussage, dass der Eigentümer des Hutes sehr intelligent ist, keine
unbegründete Behauptung mehr. Holmes hat einen Grund angegeben und damit seine Aussage
begründet. Sie ist die Konklusion eines Arguments.“
Logik (1963) |
Salmon geht davon aus, dass wir Behauptungen
so lange als unbegründet ansehen, bis Gründe zu ihrer Stützung angegeben worden
sind. Genau damit beschäftigt sich die Logik, denn „ein Argument besteht aus
mehr als nur einer Aussage: Es besteht aus einer Konklusion und den Gründen,
die zu ihrer Stützung angegeben werden. Solange die Gründe nicht angegeben
worden sind, liegt uns kein Argument zur Analyse vor.“
So können wir auch ein Argument so lange
nicht beurteilen, bis die Begründung, die einen unverzichtbaren Bestandteil des
Arguments bildet, vorgebracht wurde. Dabei ist es relativ unerheblich für die Analyse des Arguments
und seiner Qualität und Stichhaltigkeit, von wem die Gründe vorlegt
werden, ob von Holmes, Watson oder auch dem Leser. In einer Diskussion wird
aber natürlich von demjenigen, der eine Behauptung aufstellt, auch die
Begründung eingefordert werden.
Bei der Untersuchung der Argumente, also der Behauptung
und ihrer Begründung(en) muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass ein
einzelnes Wort verschiedene Bedeutungen haben kann. Dies ist normalerweise
nicht weiter schlimm, denn gewöhnlich geht schon aus dem Kontext hervor, welche
Bedeutung gemeint ist. So besitzt der Begriff „Masse“ in der Physik und der
Soziologie sehr unterschiedliche Bedeutungen, aber diese Mehrdeutigkeit wird
nur sehr schwerlich zu Verwechslungen führen.
In anderen Fällen können wir gleichwohl nicht
zweifelsfrei feststellen, in welcher Weise das Wort gebraucht wird. In dem Satz
„Joachim hat von Andrea einen Korb bekommen“ wird das Wort „Korb“ offensichtlich
mehrdeutig und damit missverständlich gebraucht, denn die Aussage, in der es
vorkommt, kann auf wenigstens zwei Arten interpretiert werden.
Für Salmon führt die Vielfalt der Bedeutungen
immer wieder zu logischen Problemen, „wenn dasselbe Wort in ein und demselben
Argument in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird.“ Stattdessen muss
darauf geachtet werden, dass die Gültigkeit des Arguments davon abhängt, dass
das Wort an jeder Stelle des Arguments denselben Sinn besitzt – zumindest aber,
dass bei den diskutierenden Personen ein gleiches Begriffsverständnis vorliegt
oder hergestellt wurde. Ansonsten erliege man in solchen Diskussionen dem
Fehlschluss der Mehrdeutigkeit.
Die Folgen des Fehlschlusses der Mehrdeutigkeit ... Gegenseitiges Unverständnis |
Um dies zu erläutern gibt Salmon folgendes
Beispiel:
„Der normale
College-Neuling ist lebhaft an Sport und Alkohol interessiert und den größten
Teil seiner Zeit beschäftigt er sich mit Sex. Diese Dinge nehmen ihn ganz in
Anspruch, Gedichte zum Beispiel lassen ihn kalt.
Hin und wieder begegnet man jedoch einem
Neuling, der vollkommen anders ist. Er verbringt einen großen Teil seiner Zeit
mit Lesen und möglicherweise schreibt er Gedichte. Er tut dies, weil es ihm
gefällt. Er ist ein anormaler Fall.
Häufig hat er einen ungewöhnlich hohen IQ. Er ist nicht an den Dingen
interessiert, für die sich die normalen
Jungen in seinem Alter interessieren. Von den anderen Jungen ist er
abgesondert. Wenn wir auf derartige Jungen stoßen, dann fragen wir uns `Wie
kann man ihnen helfen?´ Es muss doch einen Weg geben, um ihnen zu einer normalen Einstellung dem Leben
gegenüber zu verhelfen.“
In diesem Beispiel ändert das Wort „normal“
seine Bedeutung. Am Anfang bedeutet „normal“ einfach so viel wie „durchschnittlich“,
am Ende aber bedeutet es „gesund“. Während „durchschnittlich“ ein rein
statistischer und damit vollkommen wertfreier Ausdruck ist, enthält „gesund“
unter anderem eine Wertung.
Untersuchte man den Beispieltext auf das
darin enthaltene – unausgesprochene – Argument, dann köme man zu folgendem
Ergebnis (in der Form des logischen Syllogismus):
- Prämisse 1: Ein College-Neuling, der Gedichte mag, ist ein anormaler Junge.
- Prämisse 2: Ein anormaler Junge ist zu bedauern.
- Konklusion: Ein College-Neuling, der Gedichte mag, ist zu bedauern.
Das Problem ist, dass dieses Argument nun
eine Mehrdeutigkeit enthält, die auf das Wort „normal“ zurückgeht. Das größere
Problem jedoch ist, dass solche Argumente heute immer noch vorgebracht und von
vielen geglaubt werden …
Zitate
aus: Wesley Charles Salmon: Logik, Stuttgart 1983 (Reclam)