Die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges sind über
Jahrhunderte im kollektiven Gedächtnis präsent geblieben. Millionen von
Menschen kamen ums Leben, manche Gegenden im heutigen Deutschland und seinen
Nachbarstaaten wurden regelrecht entvölkert. Ausgehend vom Schicksal eines
schwedischen Zeitgenossen schildert Peter Englund, wie der Krieg die Kultur,
die Gesellschaft und die Geschichte in Europa geprägt hat und wie er die
Menschen formte, die in seinen Mahlstrom hineingezogen wurden.
Pieter Meuleneer - Reiterschlacht im 30-jährigen Krieg |
Englund versucht dabei auch, die Ereignisse dieses ersten
europäischen Krieges von den Staubwolken zu befreien, um sie dem Leser fast
greifbar nahezubringen. Ein gutes Beispiel ist seine Auseinandersetzung mit den
Ideen der zahlreichen militärischen Reformer und Neudenker des 17. Jahrhunderts, die den Traum von der Armee als einer perfekt
funktionierenden und in allen ihren Einzelteilen lenkbaren Maschine hatten.
Zwischen Ideal und Wirklichkeit lag allerdings meistens eine
meilenweite Kluft; davon zeugten die chaotischen Schlachten, die alle Generale
verabscheuten, weil sie praktisch unmöglich zu lenken waren; davon zeugten die
ruckhaften Kriegsbewegungen, die mehr von dem verfügbaren Unterhalt, vom
Wetter, von politischen Rücksichten und der schlechten Disziplin der Truppen
bestimmt wurden als von eventuell genialen Plänen. Doch auch wenn man die Heere
nicht als fehlerfreie Uhrwerke bezeichnen kann, gab es einige Teilbereiche, in
denen sich ein hohes Maß an Verfeinerung, ja sogar so etwas wie Meisterschaft
entwickelt hatte.
Zu den hochentwickelten kollektiven Fertigkeiten der Heere
gehörte unter anderem das Marschieren. Die Armeen hatten im 17. Jahrhundert an Umfang erheblich zugenommen – vielleicht der
wichtigste Grund dafür, dass die Kriege so schrecklich teuer und so schrecklich
zerstörerisch geworden waren. Zwischen dem Beginn des 16. und dem Ende des 17.
Jahrhunderts verzehnfachte sich die Heeresgröße! Es handelte sich schlicht um
enorme Mengen von Soldaten und Material, die nun während der Kampagnen vor-und
zurückbewegt werden mussten.
„Dies war etwas Neues und Unerprobtes, aber rasch lernten
die hohen Militärs, auch die Schwierigkeiten der großen Märsche zu bewältigen
(und hätten sie das nicht gekonnt, wären diese Kriege eine Unmöglichkeit
gewesen). Viele Waffen waren zwar einfach, aber die Mechanismen des Krieges
kompliziert und schwer zu beherrschen. Eine Streitmacht mit Zehntausenden von
Soldaten, Pferden und Wagen, Proviant und schwerem Material zu bewegen, stellte
höchste Ansprüche an die logistischen Fähigkeiten der hohen Militärs. Ein
solcher Marsch wurde nicht nach dem Zufallsprinzip durchgeführt, sondern erfolgte
[...] nach genau ausgearbeiteten Plänen
und mit einer Präzision, die zumindest in diesem Punkt nahezu maschinenmäßig
war.
Im Lager |
Ein normaler
Marschtag konnte folgendermaßen aussehen: In der Dunkelheit, eine Stunde
vor der Morgendämmerung, schlugen die Trommler des Fußvolks Vergatterung –
Sammlung und Aufstellung –, während die Trompeter der Reiterei boute-selle bliesen.
Oft ging es zu diesem Zeitpunkt im Lager bereits sehr lebhaft zu. Das
Stallpersonal war auf und striegelte und tränkte die Pferde und sammelte das
übriggebliebene Futter ein. In der Stunde bis Tagesanbruch sollte sich der Rest
der Mannschaften ankleiden, die Zelte abbrechen, alles Zubehör auf die
Trosswagen laden und schließlich seinen Platz im Glied einnehmen.
Bei Sonnenaufgang begann der Marsch. An der Spitze gingen
Führer und eine Patrouille, dicht gefolgt von einem Brückenmeister mit
Handlangern und Zimmerleuten; sie sollten alle Hindernisse aus dem Weg räumen
und die Fahrwege und Brücken ausbessern oder sogar, wenn dies nötig sein
sollte, neue anlegen. Die schlechten Wege und die Tatsache, dass die Armeen
nicht selten gezwungen waren, sich ihren Weg durch das Terrain zu graben und zu
hauen, erklären, warum die Tagesetappen so kurz waren, in der Regel fünf bis
sechs Kilometer. Deshalb kamen die Heere oft nur ruckhaft voran: Immer wieder
kam es zu Zwangspausen, wenn Hindernisse aus dem Weg geräumt oder Staus
aufgelöst werden mussten.
Dann folgte ein großer Teil der kämpfenden Verbände in
dichten Marschkolonnen: die Glieder der Reiterei, mit den verschiedenen
farbenfrohen Standarten der Schwadronen geschmückt; die dichten Reihen der
Bataillone des Fußvolks, gekrönt von einem klappernden Wald von langen,schwankenden
Piken und schaukelnden Musketen. Gleichzeitig wurden Patrouillen nach den
Seiten ausgeschickt. Sie sollten auf den Flanken des vorrückenden Heeres
marschieren, teils als Sicherung gegen feindliche Überfälle, teils um die
eigenen Soldaten daran zu hindern, sich aus dem Staub zu machen oder auf eigene
kleine Plünderungszüge zu gehen.
Trosswagen |
Danach folgte der Teil der Armee, der transporttechnisch die
größten Probleme bereitete, nämlich der Tross. Die Überwachung des Trosses
oblag einem Generalwagenmeister, der an der Spitze ging und von Profossen
unterstützt wurde, die an den Wagenkolonnen entlangpatrouillierten und jeden
handgreiflich zurechtwiesen, der gegen die vorgegebene Zugfolge verstieß oder
wegzulaufen versuchte. [...].
Die Wagen oder Karren standen meistens in langen,
hintereinander angeordneten Reihen – wie ein riesiger Autoparkplatz –, die
sich, wenn der Marsch begann, langsam auseinanderzogen, Wagen an Wagen, um sich
zu einem unüberschaubaren Zug von Fuhrwerken und Zugtieren zu strecken. Wagen
und Karren waren von jeder denkbaren Art: zwei-und vierrädrige, zweispännige,
dreispännige und vierspännige, oft schwer beladen, die Ladung unter groben, mit
Tauen festgezurrten Persenningen verstaut, unter denen Zeltstangen und Fourage
nach hinten herausragten.
Der Tross bestand jedoch keineswegs nur aus den Wagen, den
Pferden und ihren Kutschern. Mit ihm folgten auch alle zivilen Handlanger des
Heeres, außerdem Frauen und Kinder – sie gingen in der Regel neben den Wagen,
schneller ging es ja meistens nicht voran –, aber auch zahlreiche Ersatzpferde
und Vieh, das alle Armeen als wandernden Essensvorrat mitführten und das von
Viehtreibern und Hütejungen beaufsichtigt wurde.
Die Feldschlange - Kleine Kanonen im 30-jährigen Krieg |
Die Artillerie folgte meistens direkt hinter dem Tross.
Besonders die großen Geschütze waren schwer beweglich, verursachten aber
dennoch geringere Probleme als die Tausende von Trosswagen, eben weil sie so
wenige waren und oft von großen Gruppen eigens dafür zuständiger Handlanger
fortbewegt wurden. Die Artillerie bestand indessen nicht nur aus den von
Pferden gezogenen Geschützen; da rollten auch Ersatzlafetten, Kugel-und
Pulverkarren, Kranwagen, mobile Feldschmieden, Kohlenwagen, Rüstwagen mit
Werkzeug – Winden, Spaten, Faschinenmessern und so weiter – und Fahrzeuge mit
Pontons für größere Brückenbauten.
Mit der Artillerie marschierte im Allgemeinen auch eine
besonders abgeteilte Feldwache von ein paar hundert Musketieren. Und als
Letztes folgte die bewaffnete Nachhut, deren Größe und Zusammensetzung sich
danach richtete, ob man gegen den Feind marschierte oder von ihm fort.
Zitate aus: Peter Englund: Verwüstung. Eine
Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1998.