Friedrich Schiller |
Jeder Dichter kennt die Anfechtungen durch die Prosa der
bürgerlichen Verhältnisse nur zu gut. Solange er in sein Werk vertieft ist,
mögen ihn der eigene Enthusiasmus und die fiebernde Atmosphäre des produktiven Schaffens
schützen. Sobald aber die poetische Produktion stoppt oder auch, wenn
finanzielle Probleme ihn belasten, kommen die Zweifel hoch, die in der Frage
gipfeln, warum man nicht einen soliden bürgerlichen Beruf gewählt hat.
Auch Friedrich Schiller kannte diese Anfechtungen, wie
Rüdiger Safranski anschaulich beschreibt. Solange Schiller „in seiner Kunst
lebt und webt, versteht sie sich von selbst, in den Augenblicken des Kleinmutes
aber gerät die Schönheit unter Rechtfertigungszwang.“
Bei der Überwindung der Krise seines Künstlertums, die ihm
um das Jahr 1788 erfasste, half ihm jedoch die Entdeckung der Antike. Er las
Homer und die antiken Tragiker. In einem Augenblick, da Schiller am Wert der
Kunst zweifelt, beginnt er, wie Goethe zur selben Zeit in Italien, von einer
griechischen Antike zu träumen, wo der Sinn für Schönheit angeblich
unangefochten triumphiert hatte.
Im Frühjahr 1788 schrieb Schiller »Die Götter
Griechenlands«. Das Gedicht beginnt mit den Versen:
Da ihr noch die schöne Welt regiertet,
An der Freude leichtem Gängelband
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Schiller knüpft hier, wie übrigens Goethe auch, an Winckelmann
an, der mit seinem epochalen Werk `Gedanken über die Nachahmung der
griechischen Werke´ (1755) den Vorbildcharakter der Antike hervorgehoben hatte.
Die Idee des schönen und freien Menschen sei in ihr auf vollkommene Weise
verwirklicht worden. In diesem Sinne heißt es bei Schiller:
Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher.
Glücklicher Götterhimmel ... |
Die so verklärte Antike wird zum Ansporn: „Vielleicht kann
Kunst doch wieder zum tragenden Element der Kultur werden. Gegenwärtig, so
Schiller, ist sie es nicht. In der Moderne dominieren rationale Wissenschaft,
Materialismus und Nützlichkeit. Die Welt ist zum Arbeitshaus geworden, mit der
Kunst als Dekorum.“
Schiller deutet diese Entwicklung als späte Folge des
christlichen Monotheismus, mit dem die große Entzauberung begonnen haben soll.
Die Götter hätten sich zugunsten des einen Gottes aus der Welt zurückgezogen.
Eine Verarmung. „Die Sphäre, wo einst Helios und die Oreaden am Himmelsgewölbe
strahlten, ist jetzt ein leerer Raum, worin seelenlos ein Feuerball sich dreht.
Darüber thronte zuerst ein Gott, dann nur noch die wissenschaftliche Vernunft.“
Ob christlicher Gott oder der moderne Gott der Wissenschaft, von beiden gilt:
Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder,
Holdes Blüthenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.
Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes winterlichem Wehn.
Einen zu bereichern, unter allen,
Mußte diese Götterwelt vergehn.
Der Kunst zuliebe gerät Schiller ins Neuheidentum, der
christliche Gott ist für Schiller „ein ziemlich unangenehmes Phantasma aus
Angst und Schuld-gefühlen.“ Kein Gott der Heiligung des diesseitigen Lebens wie
die griechischen Götter:
Näher war der Schöpfer dem Vergnügen,
Das im Busen des Geschöpfes floß.
Will man den unsichtbaren Gott verehren, muß man die
Sinnenwelt verlassen:
Wohin tret ich? Diese traur’ge Stille
Kündigt sie mir meinen Schöpfer an?
Finster, wie er selbst, ist seine Hülle,
Mein Entsagen – was ihn feiern kann.
Aber Schillers „Götter Griechenlands beschreiben nicht nur die
Lebens- und Naturauffassung der als glückliches und harmonisches Zeitalter
charakterisierten Antike und schildern im Gegenzug dazu das christliche
Zeitalter als ein Stadium des Verlusts, der Freudlosigkeit, der Entfremdung und
Entzweiung.
"Schöne Welt, wo bist du?"
Friedrich Schillers
Gedicht als Lied von Franz Schubert
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Das Gedicht gilt auch als wichtiges Beispiel der
Antikenbegeisterung in der deutschen Geistesgeschichte, wie Safranski schreibt:
„An die Stelle einer nationalen Klassik, die in Deutschland aus politischen
Gründen nicht möglich zu sein schien, sollte also eine Kultur des stilbewußten
Anknüpfens an die Antike treten“ – das war die gemeinsame Vision von Goethe und
Schiller
Für Goethe und Schiller war es gleichwohl selbstverständlich,
daß der antike Geist sich mit dem modernen zu verbinden habe, „in den Begriffen
Schillers: es sollte das Naive, also das Antike, mit sentimentalischen, also
modernen, Mitteln erneuert oder es sollten moderne Inhalte in antiken Formen
verdichtet und gesteigert werden. Wie auch immer, an eine Synthese, eine neue
Klassizität, war gedacht, und sie sollte nicht nur gefordert, sondern in Werken
ausgeprägt werden.
Zitate
aus: Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft,
München 2009 (Hanser)