Es ist eine bekannte Tatsache, dass im Kalten Krieg auch Kunst und Kultur im politischen Machtkampf zwischen Ost und West standen. Eine führende westliche Organisation war der Kongress für Kulturelle Freiheit.
Trotz eines nach außen hin gezeigten
kämpferischen Antikommunismus konzentrierte sich Führung des CCF in der Folge
eher darauf, den Europäern und der restlichen Welt ein positives Bild eines
liberalen Amerika zu vermitteln quasi als Gegenentwurf zum Kommunismus. Dies
geschah vor allem, als Nicolas Nabokov 1951 neuer Generalsekretär des
Kongresses für kulturelle Freiheit wurde.
Nicolas Nabokov (1903 - 1978) |
Nabokov stammte aus einer weißrussischen
Familie, die in den 1920er Jahren vor den stalinistischen Säuberungen nach
Deutschland floh und 1933 nach Amerika emigrierte. Er versuchte in Amerika zunächst
vergeblich, als Komponist Fuß zu fassen und musste sich als Musiklehrer an amerikanischen
Mädchen-Colleges durchschlagen.
1945 meldete er sich zur Propagandaabteilung
der amerikanischen Armee. Die schickte ihn nach Berlin, wo er für die
Entnazifizierung zuständig war und den kulturellen Wiederaufbau der Stadt
vorantrieb. Nabokov war vielseitig interessiert, charmant, amüsant und
weltoffen. Er sprach fließend vier Sprachen und war mit vielen einflussreichen
Persönlichkeiten befreundet, auch mit dem späteren Berliner Bürgermeister und
Bundeskanzler Willy Brandt.
Nabokovs erstes großes Projekt war die
Organisation eines vierwöchigen Festivals in Paris mit dem Titel „Meisterwerke
des 20. Jahrhunderts“. Dafür reist er durch halb Amerika und Europa, führt
Verhandlungen mit Künstlerinnen und Künstlern und organisiert Kooperationen mit
Orchestern und Ballettkompanien. Das Ziel ist, dem Pariser Publikum einen Kanon
westlicher Kunst zu präsentieren, in dem Amerika als Kulturland einen zentralen
Platz einnimmt.
Der CCF verstand sich nun vorwiegend als
Institution, die die Werte des Westens vertritt. Und weil Amerika der
Hauptprotagonist, d.h. der mächtigste Staat im Westen war, wollte Nabokov
zeigen, dass die Amerikaner über eine ähnlich hohe Kultur verfügen wie die
alten europäischen Kulturnationen. Es ging also darum, den liberalen Westen,
seine „Kernideen“ von Liberalismus bzw. Sozialliberalismus zu verteidigen, auch
gegen Konservative zum Beispiel.
In den vier Pariser Festivalwochen 1952 war
alles vertreten, was in der Musik-, Literatur- und Kunstszene Amerikas und
Europas Rang und Namen hatte: die Wiener Philharmoniker, das Westberliner RIAS
Orchester, das Orchestre de la Suisse romande aus Genf und
das New York City Ballet. Auf dem Programm standen v. a. Werke, die von den
Nazis und von den Kommunisten verboten worden waren: Werke von Arnold
Schönberg, Alban Berg, und Benjamin Britten; von Hindemith, Debussy oder
Bartok. Und natürlich von amerikanischen Komponisten, von Aaron Copland oder
Samuel Barber oder vom Exilanten Igor Strawinsky, der extra aus Hollywood anreiste.
Er war der Star des Pariser Festivals.
Igor Stravinsky 1952 in Paris |
Ein wichtiger Teil des Pariser Festivals von
1952 war auch eine große Ausstellung, in der Werke von Chagall, Matisse,
Mondrian und vielen anderen Vertretern der klassischen Moderne gezeigt wurden.
Hierfür hatte Nabokov seine Verbindungen zum New Yorker Museum of Modern Art
aktiviert. Idee der Ausstellung war, Gemälde zu zeigen, die von den
Nationalsozialisten als „entartet“ verunglimpft worden waren und nun von den
Kommunisten erneut als „formalistische Kunst“ abgelehnt wurden. Vor allem aber
wollte er dem Pariser Publikum mit dem Einbezug des Museum of Modern Art
demonstrieren, dass Amerika nicht hinter Europa zurücksteht.
Als Generalsekretär des
Kongresses für kulturelle Freiheit war Nikolas Nabokov insgesamt sehr umtriebig:
In über 35 Ländern wurden Lokalredaktionen gegründet, die eigene Zeitschriften
herausgaben. Das publizistische Netz reichte bis in den Nahen Osten, nach
Indien, Australien, Lateinamerika und Afrika. Das Flaggschiff war der britische
Encounter, der von allen
Publikationen des CCF die höchste Auflage erreichte. Überall in der Welt
organisierte der CCF Tagungen und Kongresse. Man knüpfte enge Kontakte zu den
Künstler-und Schriftstellerverbänden in den jeweiligen Ländern und organisierte
Ausstellungen und Dichterlesungen.
Der CCF versuchte nun zunehmend, auch in den
Ländern des Ostblocks Einfluss zu gewinnen. Sein Ziel war es, oppositionelle
Intellektuelle zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass deren Werke im Westen
erschienen. Er rief studentische Austauschprogramme ins Leben und schrieb
Stipendien für Künstlerinnen und Künstler aus Ländern hinter dem Eisernen
Vorhang aus. Wenn es irgendwo auf der Welt galt, den Einfluss des Kommunismus
zurückzudrängen, dann war der Kongress für Kulturelle Freiheit zur Stelle. Auch
als es 1956 nach dem Aufstand in Ungarn darum ging, eine Gruppe von geflohenen
ungarischen Musikern wieder in Lohn und Brot zu bringen. Mithilfe des CCF gründeten
sie kurzerhand die Philharmonia Hungarica, ein Orchester, das über viele
Jahrzehnte existierte und zeitweilig unter der Leitung des berühmten Geigers
Yehudi Menuhin stand.
Natürlich drängte sich irgendwann die Frage
auf, woher das Geld kam, das die Aktivitäten des Kongresses für Kulturelle Freiheit
möglich machte – die Veröffentlichung von über 1000 Büchern, die weltweit
erscheinenden Zeitschriften, die Kongresse und Tagungen und nicht zuletzt das
Pariser Festival. Offiziell hieß es, dass amerikanische Gewerkschaften und
Stiftungen für die Finanzierung sorgen würden.
Doch Anfang 1966 veröffentlichten das
kalifornische Magazin Ramparts und wenig später die New York Times eine Serie
von Artikeln über die finanziellen Machenschaften und Verstrickungen des
amerikanischen Geheimdienstes CIA. Die Artikel enthielten detaillierte
Informationen darüber, mit welchen kriminellen Methoden die CIA Gelder in
Umlauf brachte, um Organisationen, Projekte, Kampagnen, aber
auch einzelne Personen zu finanzieren und auf diese Weise politisch Einfluss zu
gewinnen. Dazu zählte auch der Kongress für kulturelle Freiheit.
Karikatur von Steve Hamann (2015) |
Das Vorgehen der CIA war im Grunde immer
dasselbe: Entweder kooperierte der Geheimdienst mit renommierten Stiftungen wie
der Rockefeller-, Carnegie- oder Ford-Foundation, indem man über deren Konten
CIA-Gelder weiterleitete. Oder man gründete kurzerhand eigene Scheinstiftungen,
über die die Gelder weitergeleitet wurden. Im Mai 1967 gab der CIA-Agent Thomas
Braden der Saturday Evening Post ein
Interview und machte erstmals öffentlich, wie die CIA dabei vorging:
„Wir sind einfach zu irgendeinem bekannten oder
reichen New Yorker gegangen und haben gesagt: ‚Wir wollen eine Stiftung
einrichten‘. Dann haben wir ihm erklärt, wie wir uns die Sache vorstellten, und
baten ihn um Diskretion. Darauf sagte der Betreffende gewöhnlich. ‚Selbstverständlich
mache ich das‘. Dann haben wir einfach einen Briefkopf mit seinem Namen
gedruckt, und fertig war die Stiftung.“
Heute weiß man, dass die CIA ein riesiges Netz
von über 170 Stiftungen und Scheinstiftungen aufbaute, um Geldströme zu verschleiern.
Sie schuf ein von außen fast undurchschaubares Geflecht aus Strohmännern und
Tarnorganisationen, das die Finanzierung der weltweiten Geheimprojekte der CIA
sicher stellte. Auch die Aktivitäten des Kongresses für Kulturelle Freiheit
wurden überwiegend von der CIA finanziert.
Nach den Enthüllungen übte sich das
Exekutivkomitee des CCF in Schadensbegrenzung. Denn auf dem Spiel stand nichts
weniger als die Glaubwürdigkeit und damit die Existenz des CCF. Also versuchte
man zu retten, was noch zu retten war und gab eine offizielle Erklärung an die
Presse:
„Die Generalversammlung drückt ihr tiefes
Bedauern darüber aus, dass die ihr vorliegenden Informationen die Berichte über
eine Finanzierung durch den CIA bestätigt haben […] und dass der
Geschäftsführende Direktor es für notwendig hielt, diese Mittel ohne Wissen
seiner Kollegen anzunehmen. Sie gibt der Überzeugung Ausdruck, dass die
Aktivitäten des Kongresses frei von jeder Beeinflussung und jedem Druck durch
finanzielle Unterstützer gewesen seien, und sie zweifelt nicht an der
Unabhängigkeit und Integrität seiner Mitarbeiter. Sie verurteilt die Art, wie
die CIA die Betreffenden getäuscht und ihre Anstrengungen ins Zwielicht gerückt
hatte, aufs Schärfste. Ein solches Handeln schädigt den intellektuellen
Diskurs. Die Versammlung lehnt die Anwendung solcher Methoden in der Welt des
Geistes strikt ab.“
In Deutschland nahm man von den
CIA-Verstrickungen des CCF in der Presse kaum Notiz. Die Mitstreiter des
Kongresses zogen es vor, einen Mantel des Schweigens darüber zu legen und die
Sache in der Öffentlichkeit nicht weiter zu thematisieren. Vielleicht auch, weil die Nähe führender Sozialdemokraten zum Kongress für kulturelle Freiheit möglicherweise eine ernste politische Krise heraufbeschworen hätte.
Schon Anfang der 1960er Jahre hatten sich erste
intellektuelle Ermüdungserscheinungen im CFF gezeigt. Doch nach dem
Bekanntwerden der Geheimdienst-Verstrickungen stürzte das System „CCF“ zusammen.
Encounter (Ende der 60er Jahre) |
Mit dem Ausbleiben der CIA-Gelder konnten keine
Kongresse finanziert, keine Festivals veranstaltet und keine Publikationen mehr
unterstützt werden. Die Zeitschriften kämpften vergeblich um ihr Überleben, nur
dem britischen Encounter gelang es,
bis in die 1990er Jahre weiter zu existieren. Der Niedergang des CCF ließ sich
nicht mehr aufhalten, auch nicht durch seine Umbenennung in International
Association for cultural freedom. Bis Mitte der 1970er Jahre versuchte diese
Nachfolgeorganisation noch zu überleben, dann war auch sie Geschichte.
Man hat sich natürlich die Frage gestellt, warum
ausgerechnet ein hochrangiger CIA-Agent dem Kongress für kulturelle Freiheit
den Todesstoß versetzte, indem er mit den Einzelheiten an die Presse ging. Wahrscheinlich
ist, dass das Interview mit Thomas Braden nicht zufällig erschien, sondern dem altbewährten
Muster der CIA folgte, ein unliebsames Projekt loszuwerden, indem man es
auffliegen lässt, vielleicht, weil der CCF schlicht zu teuer geworden war.
Quelle und Zitate: Ellen Freyberg, Kulturkampf
im Kalten Krieg. Der Kongress für Kulturelle Freiheit, swr2 Wissen, Sendung vom
18. Mai 2018