Donnerstag, 26. Juli 2012

Konfuzius und die Pflichten in Staat und Gesellschaft

Konfuzius, der großen Lehrer der chinesischen Philosophie, vertrat eine an der „Goldenen Regel“ orientierte Wohlwollensethik (Agapismus).

Konfuzius (551 - 479 v. Chr.)

Das Ziel im Leben eines jeden Menschen bestehe nach Konfuzius darin, ruhig und besonnen leben, um auf diese Weise sein inneres Gleichgewicht zu finden, das wiederum mit dem Gleichgewicht in der Natur und im Kosmos korrespondiert.

In diesem Zusammenhang spielt die Lehre von den Pflichten bei Konfuzius eine entscheidende Rolle. Er unterscheidet hier zwischen den Pflichten des Einzelnen sich selbst gegenüber, den Pflichten in der Familie und den Pflichten in Staat und Gesellschaft.

Dem Konfuzianismus ist immer wieder angekreidet worden, dass er eine restaurative und reaktionäre Staats- und Gesellschaftstheorie verkünde, die bestehendes Unrecht legitimiere, jeder Veränderung aber entgegenstehe. Insbesondere die Funktion der Vergangenheit als politisches und soziales Vorbild auch für die Gegenwart wird als fortschrittsfeindlich verdammt.

Trotz mancher eindeutig konservativer Züge ist dies Kritik am Konfuzianismus jedoch als zu pauschal zurückzuweisen. Konfuzius stellt sehr strenge Anforderungen an Herrscher und Minister.

Der Herrscher solle durch die Kraft seiner Tugend und seines Vorbildes wirken. Konfuzius sieht eine auf Gesetzen beruhende Herrschaft durchaus kritisch, denn Gesetze würden auch dazu verleiten, sie irgendwie zu umgehen.

Den idealen Herrscher charakterisiert Konfuzius etwa wie folgt:

„Der Meister sprach: Wer kraft seines Wesens und kraft seiner Vernunft herrscht, gleicht dem Nordstern. Der verweilt an seinem Ort und alle Sterne umkreisen ihn.“ (42)

„Wer selbst recht ist, braucht nicht zu befehlen: und es geht. Wer selbst nicht recht ist, der mag befehlen: doch es wird nicht gehorcht.“ (132)

Konfuzius im Gespräch mit seinen Schülern

In den Gedanken des Konfuzius drückt sich sehr großes Vertrauen in den Eigenwert der Tugend aus, das dem Konfuzianismus einen etwas utopischen Zug verleiht.

„Dsi Gung fragte nach der rechten Art der Regierung: Der Meister sprach: Für genügende Nahrung, für genügende Wehrmacht und für das Vertrauen des Volkes zu seinem Herrscher sorgen. Dsi Gung sprach: Wenn man aber keine Wahl hätte, als etwas davon aufzugeben: auf welches von den drei Dingen könnte man am ehesten verzichten? Der Meister sprach: Auf die Wehrmacht. Dsi Gung sprach: Wenn man aber keine Wahl hätte, als auch davon eines aufzugeben: auf welches der beiden Dinge könnte man am ehesten verzichten? Der Meister sprach: Auf die Nahrung. Von alters her müssen alle sterben; wenn aber das Volk keinen Glauben hat, so lässt sich keine Regierung aufrichten.“ (123)

Für Konfuzius ist daher klar, dass Herrscher, die keinen Widerspruch und keine Kritik zulassen, früher oder später ihren eigenen Untergang herbeiführen.

„Der Meister sprach: Wenn einer durch sein Wissen ein Amt erreicht hat, aber es nicht durch seine Sittlichkeit bewahren kann, so wird er es, obwohl er es erlangt hat, verlieren. Wenn einer durch sein Wissen es erreicht hat, durch seine Sittlichkeit es bewahren kann, aber bei seiner Ausübung keine Würde zeigt, so wird das Volk ihn nicht ehren. Wenn einer durch sein Wissen es erreicht hat, durch seine Sittlichkeit es bewahren kann, bei seiner Ausübung Würde zeigt, aber es nicht entsprechend dem Gesetz der schönen Form bewegt, so ist er noch nicht tüchtig.“ (160)

Auch wenn Konfuzius damit rechnet, dass ein Herrscher aus eigener Schuld und damit zu Recht die Herrschaft verlieren kann, so verteidigt er gleichwohl kein aktives Widerstandsrecht oder – als ultima ratio – den Tyrannenmord.

Das Ideal des konfuzianischen Staates beschreibt Konfuzius mit folgenden Worten:

„Wenn die Oberen die Ordnung hochhalten, so wird das Volk nie wagen, unehrbietig zu sein. Wenn die Oberen die Gerechtigkeit hochhalten, so wird das Volk nie wagen, widerspenstig zu sein. Wenn die Oberen die Wahrhaftigkeit hochhalten, so wird das Volk nie wagen, unaufrichtig zu sein. Wenn es aber so steht, so werden die Leute aus allen vier Himmelsrichtungen mit ihren Kindern auf dem Rücken herbeikommen.“ (131f)

Die Gedanken des Konfuzius haben auch heute nichts von ihrer Kraft eingebüßt: Welcher der heutigen Politiker kann schon als „Vorbild“ gelten? Könnte es sein, dass es ebenso wie vor 2500 Jahren auch heute nicht gerade die „Edelsten“ sind, die in Staat und Politik das Sagen haben …?
  
Zitate aus: Zitate aus: Kungfutse: Gespräche. Lun Yü, übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm, München 1994 (Diederichs)

Donnerstag, 19. Juli 2012

Leonhard Frank und der revolutionäre Geist


„Es gibt Menschen, die sich in ihrem Leben nicht auf einen, oder vielleicht auf zwei Stühle setzen, um einen festen Standpunkt oder Lebensmittelpunkt zu gewinnen“ (Hans Steidle).

Leonhard Frank
Diese Worte beziehen sich auf den Würzburger Schriftsteller Leronhard Frank (1882 – 1961), einem der bedeutendsten sozialkritischen und pazifistischen Erzähler Deutschlands. Nach Meinung Steidles setzte sich Frank vielleicht deshalb immer zwischen die Stühle, weil die Anzahl der Stühle, die das Leben ihm anbot, einfach nicht ausreichte, weil die angebotenen Stühle nicht passten oder vielleicht weil Frank ein fränkischer Querkopf war.

Dieses Leben „zwischen den Stühlen“ lässt sich wunderbar ablesen an der Tatsache, dass Frank im Jahre 1955 mit dem Nationalpreis der DDR I. Klasse für Kunst und Literatur und zwei Jahre später mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet wurde.

Über alle ideologischen Zuordnungen hinweg sind Franks Werke unzweideutig geprägt von seiner politischen Vorstellung eines solidarischen und humanen Zusammenlebens der Menschen. Was sein Werk auszeichnet, ist nicht nur seine sozialkritische Perspektive, sondern vor allem auch die eindringliche Darstellung der gesellschaftlichen und vor allem psychischen Abhängigkeiten seiner Figuren. So scheut er sich nicht, die eigene Schuld und Verantwortung für den Ausbruch des Krieges sowie die Gleichgültigkeit während der Kämpfe, das Versagen der Parteien – auch der linken Parteien – immer wieder zu betonen

Ein gutes Beispiel dafür ist der Erzählband „ „Der Mensch ist gut“ aus dem Jahre 1917, für den Frank 1918 den angesehenen Kleist-Preis erhielt. In fünf kurzen Erzählungen beschreibt er an fünf Einzelschicksalen nicht nur die Schrecken des Ersten Weltkrieges, sondern auch die Gefahren von Nationalismus und Militarismus.

„Wir haben zugesehen, wie Kampfparteien gebildet wurden; wir haben Kanonen, Schiffe, gewaltige Menschenmordmaschinen erfunden, gebaut. Bezahlt. Bewundert! Trotzdem wir hatten wissen können, daß die von uns bezahlten, bewunderten Massenmordmaschinen eines Tages sich gegen die Menschheit und auch gegen die Brust unserer Männer, Söhne, Väter richten würden. Das war unausbleiblich.

Dann wird gesagt und geglaubt, von den meinungslosen, gedankenlosen, von den immer noch gedankenlosen Volksmassen geglaubt: wir sind angegriffen worden und müssen das Vaterland verteidigen, unsere Kultur schützen. Es wird von Heldentum und von einem Felde der Ehre gesprochen. War alle Ehre nicht schon tot, noch bevor der Krieg begonnen hatte? Ist es eine Ehre, ist es Heldentum, um Besitz und Macht und für falsche Ideale Menschen zu erschlagen? (…)

Man spricht von Zivilisation. Ist das Zivilisation, daß ganz Europa schon vor dem Kriege ein einziger großer Fabriksaal war, in dem nicht Menschen lebten, sondern Maschinen automatisch sich bewegten? Maschinen aus Fleisch und Blut, die nicht mehr denken, keine Meinung haben, keine Erinnerung mehr daran haben, daß sie einmal Menschen waren, sondern wie die Maschinen aus Stahl, die sie bedienen, betrieben werden? Betrieben werden von der Notdurft, von dem Verlangen nach Achtung der Mitmaschinen, vom Verlangen nach Besitz, betrieben von Gewohnheit, Egoismus und Lüge. Lüge, in der die europäische Menschheit ertrunken ist, so daß es keinen Europäer mehr gibt, der eine eigene Meinung hätte, keinen, der das Feuer der Wahrheit in den Augen trüge.“ (Der Mensch ist gut).

Deutsche Infanteristen beim Angriff auf französische Stellungen (Verdun 1916)
  
Leonhard Frank ist um 1930 einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller, neben Heinrich und Thomas Mann Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Er ist politisch engagiert, schreibt Drehbücher und Theaterstücke über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die wachsende Ratlosigkeit der Menschen angesichts der Krise und des Elends der verheerenden Massenarbeitslosigkeit.

Die Ursache für die Mehrzahl der Probleme der Menschen sieht Frank in der Abwesenheit eines selbständigen und kritischen Denkens:

‚Für eine Gemeinschaft zu handeln, deren Geist die Mitglieder zwingt, nicht zu denken, kein eigenes Leben, kein eigenes Ich, kein warnendes Gewissen zu haben, sondern seelenlose, unverantwortliche Automaten zu sein, die, wenn sie nicht jede befohlene Schandtat willenlos ausführen, eingesperrt oder erschossen werden, für eine solche Gemeinschaft zu handeln, ist ein Verbrechen wider den Geist, das nicht vergeben werden kann.

Es bleibt die sittliche Pflicht gegen Gott, gegen unser reines Ich, diese Gemeinschaft zu bekämpfen und damit für die Möglichkeit zu arbeiten, daß einmal eine Gemeinschaft entstehe, in welcher der Mensch gut sein darf, in welcher der Mensch er selbst, ein Ich, ein für seine Handlungen moralisch verantwortliches Ich und als solches gut, das bedeutet: für die Gemeinschaft sein kann.‘ (ebd.)

Frank sieht die Wirklichkeit und das Weltgeschehen zwischen zwei entgegengesetzten Polen: Einerseits „das korrumpierte, krummgenagelte Weltgeschehen“ und andererseits „das höchste, herrlichste Ziel: das ‚Reine Ich‘ und eine menschliche Gemeinschaft, für die er als Reines Ich handeln, leben und auch sein Leben hingeben kann.“

„Diesem Ziele kann der Mensch nur so lange zustreben, solange er mit der Korruption, der Lüge, dem Zwange, dem Ungeiste unablässig kämpft. In dem Moment, da er eine Handlung begeht, die zu diesem Streben im Widerspruche steht, ist die Linie gebrochen. Der Mensch, der für eine, für seine Idee kämpft und stirbt, ist groß, denn er kämpft und stirbt auf dem Wege zu sich, stirbt im Kampfe um sein Reines Ich. Der Mensch, der sich zwingen läßt, zu handeln, zu kämpfen, zu sterben für eine Idee, die zu dem Streben nach seinem Ich im Widersprüche steht, ist der Ärmste der Armen; denn er verliert das Kostbarste, das einzige, das der Mensch in Wahrheit besitzen kann: verliert sein Ich, verliert sich, ist nicht mehr, wird von den andern, die selbst nicht sind, besessen.“

Seine politischen Visionen nähern sich den Vorstellungen einer radikaldemokratischen, sozialistischen Revolution an, die sich 1918 kurzfristig in der Rätebewegung andeutete, an der sich Frank aktiv beteiligt.

Allerdings gibt sich Frank auch hier keinen Illusionen hin – und wie so viele andere auch sieht Frank die Verlogenheit und Doppelmoral auf Seiten der „revolutionären Kräfte“:

„Das Schaufenster war eingeschlagen; der Lebensmittelladen leergeplündert. Frauen hatten die Gelegenheit, daß Polizei und Truppen auf dem Platze beschäftigt waren, schnell benutzt. „Das ist nackter Hunger. Kein revolutionärer Geist“, sagte der Philosoph. Und hob einen geräucherten Fisch von der Straße auf …

Dieses rapid ins Geldverdienen hineingeratene Volk hat, aus einem öden Materialismus heraus, vor dem Kriege ‚Hoch‘ geschrien, bei Kriegsausbruch nichts, als ‚Hoch‘ geschrien. Und jetzt schreit es nur deshalb nicht mehr ‚Hoch‘, weil der Magen schreit.

Wenn aber in jenem entscheidenden Moment unsere Führer nicht abgeschwenkt wären, in das Lager, das sie bis dahin bekämpft hatten? Dann würden wenigstens die organisierten Massen schon lange in den Protest hineinmarschiert sein, ebenso geschlossen, wie sie in den Krieg marschiert sind.“

Es ist eben nicht nur „die Gesellschaft“, die – geprägt von Materialismus, Nationalismus und Militarismus – verantwortlich dafür ist, dass die Menschen, „zu eigenem Denken, zu eigenem Leben, zu sich selbst nicht kommen dürfen“, sondern auch die selbstgerechten Kräfte des „revolutionären Geistes“: 

„Daran können Sie das menschenunwürdige und überaus gefährliche System einer Organisation erkennen, die ihre Mitglieder nur für den Klassenkampf um materielle Vorteile drillt, sie in allen Städten jährlich in dreihundertfünfundsechzig Parteiversammlungen nur zum Durchbringen von Resolutionen im politischen Parteiinteresse benutzt, anstatt sie geistig zu befreien, sie zu denkenden Menschen eigener Entschlußfähigkeit für das Gute zu machen.

Da braucht sich im entscheidenden Moment nur der Hauptführer als Dummkopf zu erweisen, braucht nur der Hauptführer zum Verräterchen zu werden, und die organisierten, denkunfähigen Massen schwenken mit ab, folgen ihm in den Krieg, ebenso geschlossen, wie sie ihm in den Protest gefolgt wären.

Gedenkkarte - für die Angehörigen des gefallenen Soldaten Georg Thiel
Die Geistigkeit ist verurteilt, untätig am Rande dieses Krieges zu verharren. Denn zwischen ihr und dem Volke besteht nicht der geringste bewußte Kontakt. Und selbst der Tod der Millionen konnte bei den Hinterbliebenen nicht den geringsten geistesverwandten Gefühlsprotest auslösen. Nur der Magen protestiert. Das ist Materialismus.

Christus und Kant, Schiller und Goethe sind vor dem Kriege für eine Leberwurst, für drei Mark Wochenlohn mehr, für eine Wohnung mit Dampfheizung, für das Aufrücken in die ungeistige bürgerliche Lebenshaltung, oder für das Verharren in ihr hingegeben worden. Materialismus: angefangen beim entseelten, maschinierten Fabrikarbeiter, über den vor Bequemlichkeit stinkenden Kanapeebürger und über den Kapitalisten, den modernen Philosophen und Dichter weg, bis hinunter zum ersten Diener des Staates.

Hier haben Sie die Ursache des Krieges . . . Dieser gewaltige Block von Egoismus, Gemeinheit und granitener Dummheit kann schwerlich von heute auf morgen gesprengt werden.“

Nach dem 2. Weltkrieg kehrte Frank aus dem Exil in den USA wieder nach Deutschland zurück. Er gehörte zu denen, die über den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen nicht vergessen und nicht schweigen wollten. Auch wenn er zunehmend als „Nestbeschmutzer“ diffamiert wurde, dachte er nicht daran in die DDR umzuziehen, wo seine Bücher verlegt wurden - letztlich weil er auch um die politische und künstlerische Unfreiheit im SED-Staat wusste …


Zitate aus: Leonhard Frank: Der Mensch ist gut, als Online-Text im Projekt Gutenberg  -  Hans Steidle: Zwischen allen Stühlen. Der Würzburger Romancier Leonhard Frank  -  Weitere Hinweise zu Leonhard Frank auf der Homepage der Leonhard-Frank-Gesellschaft


Donnerstag, 12. Juli 2012

Martin Luther und die Handelsgesellschaften


Martin Luther um 1520 (Lucas Cranach d.Ä.)
Unmittelbar nach der reformatorischen Entdeckung des gnädigen Gottes und der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 beginnt Martin Luther mit der Ausarbeitung eines reformatorischen Programms, mit dem er das kirchlich-religiöse Leben neu gestalten will.

Unweigerlich berührt er dabei auch wichtige Themen des weltlichen Alltags, insbesondere aber aktuelle ökonomische Fragen. Das Thema des Zinsnehmens behandelt „Sermonen von dem Wucher“ (1519 / 1520).

In seiner dritten Schrift zu wirtschaftlichen Fragen, die den Titel „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524) trägt, behandelt Luther das Thema des pretium iustum, also des gerechten Preises. In der gleichen Schrift kritisiert Luther auch die Handlungsweise der großen Handelsgesellschaften.

Die Entstehung der Schrift steht eng im Zusammenhang mit der Antimonopolbewegung im Reich, die ihren Höhepunkt zwischen 1520 und 1530 erreichte und dabei „von nahezu allen Schichten des Volkes getragen wurde“ (Blaich).

Schließlich sahen sich die höchsten Instanzen des Reiches gezwungen, dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht auf dem Wege der Antimonopolgesetzgebung zu begegnen. Die durch die Monopolwirtschaft der großen Handelsgesellschaften hervorgerufenen Schädigungen wurden auf den Reichstagen von Köln/Trier (1512), Worms (1521) und Nürnberg (1522-1524) ausgiebig diskutiert.

In Köln wurden im Reichsabschied Strafvorschriften gegen Monopole erlassen, auf den beiden folgenden Reichstagen richteten sich die Maßnahmen gegen die großen Handelsgesellschaften als solche.

Kaiser Karl V. (Lucas Cranach d.Ä.)

Neben der auf den Reichstagen geführten Diskussion über die Monopole erfolgten die ersten Monopolklagen durch den Reichsfiskal. Im Zentrum stand dabei der Prozess gegen die Augsburger Handelshäuser, allen voran die Fugger. Als die Angeklagten sich daraufhin direkt an Karl V. wandten, befahl dieser am 15.09.1523 dem Reichsfiskal „bei vermeidung unser schweren ungnad“, das Gerichtsverfahren einzustellen. Zwar sei auch der Kaiser „des willens und endtlicher meinung“, keine Monopole im Reich zuzulassen, dass er aber trotzdem „aus etlichen trefflichen und wolgegrünten ursachen ein verfahren wider obgemelt kaufleut“ zulassen könne.

Man kann wohl davon ausgehen, dass Luther sowohl von den unwirksamen Beschlüssen der Reichstage als auch von der inkonsequenten Haltung des Kaisers enttäuscht war. So sah er sich wohl gezwungen, das Thema des Wuchers im Hinblick auf den gesamten Kaufhandel aufzugreifen.

Lutherfordert, den Preis „nach Recht und Billigkeit“ festzusetzen und es eben nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu überlassen, ihn zu regulieren. Konsequent verlangt Luther von den Kaufleuten, bei der Preisbildung immer auch das Wohl des Nächsten im Blick zu haben.

Luther macht in dem Verhalten der Handelsgesellschaften eine Haltung aus, die über den Weg monopolistischer Marktbeherrschung höchste Profite zu erzielen versucht. Es geht Luther dabei gar nicht so sehr um den Tatbestand des Monopols als solchem, sondern um den Zweck, der mit ihm verfolgt wird.

Anstelle des durch „Billigkeit“ und mit Blick auf den Mitmenschen geregelten Preises würden die Monopole einen künstlichen, durch Eigennutz bestimmten Preis festsetzen: „Denn solche Kauffleut tun gerade, als wären die Creaturen und Güter Gottes allein für sie geschaffen und gegeben, und als möchten sie dieselben den anderen wegnehmen und nach ihrem Mutwillen festsetzen“ (WA 15,305,28ff).

Auch der Antimonopolbewegung ging es darum, die Missstände zu beseitigen, die sich aus dem monopolistischen Verhalten ergaben. Ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele bestanden im wesentlichen in der Wiederherstellung der Preisgerechtigkeit, der Verhinderung einseitiger Vermögenskonzentration und der Existenzsicherung der „kleinen“ Kaufleute.

Jakob Fugger (rechts) mit seinem Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz in der „Goldenen Schreibstube“ der Fugger, dem Fuggerkontor

Luther erkannte jedoch sehr genau, dass Kirche und Staat in der Praxis durch ihren ungeheuren Finanzbedarf auf den kapitalistischen Kaufmann angewiesen, ja von ihm abhängig waren. Auf diesem Weg drangen die Handelsgesellschaften immer stärker in die Wirtschaftsordnung ein. So schreibt Luther: „Die Fürsten sind der Diebe Gesellen geworden. Derweil lassen sie die Diebe hängen, die einen oder einen halben Gulden gestohlen haben, aber hantieren mit denen, die alle Welt berauben und mehr stehlen als alle anderen zusammen“ (313,5ff)

Luthers Kritik stand nicht nur im Einklang mit den Forderungen der Antimonopolbewegung im Reich, sondern auch mit der kirchlichen Tradition. In der Scholastik sah man in den Monopolen schlichten Betrug, der sich aus der Forderung ungerechter Preise ergab und zu Verzerrungen der üblichen Marktpreise führte: "Sie unterdrücken und verderben alle geringen Kaufleute, gleich wie der Hecht die kleinen Fische im Wasser" (312,4).

Weil die die Entstehens- und Existenzbedingungen der Handelsgesellschaften auf Eigennutz und auf Schädigung des Nächsten abzielen, fordert Luther ihre Abschaffung: "Sollen die Gesellschaften bleiben, so muss Recht und Redlichkeit untergehen. Soll Recht und Redlichkeit bleiben, so müssen die Gesellschaften untergehen. Das Bett ist zu enge, spricht Jesaja, eines muss herausfallen" (313,19 - Jes 28,20).

Luther will in seinen Schriften „Unterricht geben für jedermann“, jedoch nicht im Sinne einer neuen wirtschaftlichen Programmatik. Dies sei eindeutig die Aufgabe der Obrigkeit (311,23). Luther geht es um Aufklärung und Gewissensbildung. So wendet er sich an die, die „Christo gehorchen und lieber wollten mit Gott arm als mit dem Teufel reich sein“ (293,24f).

Luther ging es nicht um eine grundsätzliche Kritik des Handels, den er als für das Gemeinschaftsleben notwendig anerkannte. Aber er verlangt, das der Kaufmann vor allen anderen normativen Erwägungen – dazu gehören auch die eigengesetzlichen Mechanismen der Wirtschaft – die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat:

„Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, dass frei in deiner Macht und deinem Willen steht ohne alles Gesetz und Maß, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasset sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).
  
Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)

Weitere Literatur:  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Fritz Blaich: Die Reichsmonopolgesetzgebung im Zeitalter Karls V. Ihr ordnungspolitische Problematik, in: Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, hg. von Prof. Dr. K. Paul Hensel und Prof. Dr. Klemens Pleyer, Stuttgart 1967 (Gustav Fischer Verlag)

Donnerstag, 5. Juli 2012

Konfuzius und die Pflichten in der Familie

Konfuzius (551 - 479 v. Chr.)
Konfuzius, der großen Lehrer der chinesischen Philosophie, vertrat eine an der „Goldenen Regel“ orientierte Wohlwollensethik (auch Agapismus genannt).

Das Ziel eines jeden Menschen bestehe nach Konfuzius in einem ruihigen und besonnenen Leben, um auf diese Weise sein inneres Gleichgewicht zu finden, das wiederum mit dem Gleichgewicht in der Natur und im Kosmos korrespondiert.

In diesem Zusammenhang spielt die Lehre von den Pflichten bei Konfuzius eine entscheidende Rolle. Er unterscheidet hier zwischen den Pflichten des Einzelnen sich selbst gegenüber, den Pflichten in der Familie und den Pflichten in Staat und Gesellschaft.

Wahrscheinlich ist aber kein anderer Teil der konfuzianischen Lehre heutzutage so bekannt wie der Kanon der fünf menschlichen Grundbeziehungen.

Danach ist das Kind dem Vater zu „kindlicher Pietät“ verpflichtet und der der jüngere dem älteren Bruder Gehorsam und Respekt. Beide Beziehungen stehen eindeutig im Zusammenhang mit der Loyalität, die der Untertan (hier vor allem der Beamte) dem Herrscher schuldig ist.

Darüber hinaus soll Harmonie herrschen zwischen Ehemann und Ehefrau und zwischen Freunden. Männer und Frauen sollen den ihnen gemäßen Rollen gerecht werden, Freundschaften durch Treue und Zuverlässigkeit gekennzeichnet sein.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Konfuzius der „kindlichen Pietät.“

„Der Freiherr Mong Wu fragt nach dem Wesen der Kindespflicht. Der Meister sprach: Man soll den Eltern außer durch Erkrankung keinen Kummer machen.“ (43f)
  
Die Achtung der Kinder gegenüber den Eltern ist für Konfuzius zugleich der Ursprung der Ordnung im Staat.

„Dass jemand, der als Mensch pietätsvoll den Eltern gegenüber und gehorsam den Älteren und besonders dem älteren Bruder gegenüber ist, doch es liebt, seinen Oberen zu  widerstreben, ist selten. Dass jemand, der es nicht liebt, seinen Oberen zu widerstreben, Aufruhr macht, ist noch nie dagewesen. Der Edle pflegt die Wurzel, steht die Wurzel fest, so wächst der Weg. Pietät und Gehorsam: das sind die Wurzeln des Menschentums.“ (37)

Konfuzius erteilt Unterricht

Der Familie wird von Konfuzius eine besondere Rolle innerhalb seiner Staats- und Gesellschaftstheorie eingeräumt. Die Familie gilt als Kerngruppe des Staates und die Beziehungen in der Familie gelten als Muster für die Beziehung zwischen Regierten und Regierenden.

„Der Meister sprach: Die Schwierigkeit bei der Erfüllung der Pflichten in der Familie besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollen und freundlicheren Betragen, dass man es vermeidet, sich im Laufe der Jahre in seinem Manieren den Eltern gegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllung der Pflichten versteht, dass die Kinder die Mühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, dass sie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und für ihren Lebensunterhalt sorgen: das alles sind nur die selbstverständlichen Voraussetzungen“ (43f)

Wenn in der Familie keine Ordnung besteht, dann – davon ist Konfuzius fest überzeugt – könne Ordnung auch unmöglich im Staat herrschen. Dies bezieht Konfuzius zunächst auf alle Familien, in besonderem Maße jedoch auf die Herrscherfamilie!

„Wenn die erste Familie human ist, so wird das ganze Land human werden; wenn die erste Familie höflich ist, so wird das ganze Land höflich werden. Ist aber der erste Mann habgierig oder verbrecherisch, so gerät das ganze Land in Unordnung.“ (53)

Zitate aus: Kungfutse: Gespräche. Lun Yü, übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm, München 1994 (Diederichs)