Donnerstag, 8. August 2013

Karl Jaspers und der Ursprung der Philosophie

Karl Jaspers ist einer der Hauptvertreter der Existenzphilosophie, die das philosophische Denken in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in Deutschland und Frankreich beherrschte. Das Grundanliegen dieser philosophischen Auffassung ist es, dem Menschen das volle Bewusstsein seiner Freiheit zu vermitteln.

Karl Jaspers (1883 - 1969)
Der Existenzialismus zeichnet sich dadurch aus, dass er einen bedeutsamen Unterschied zwischen „Existieren“ und „Sein“ zeichnet, zwei Begriffe, die zwei völlig verschiedene Dinge bezeichnen. Während Pflanzen nur „sind“, d.h. sich um ihre Existenz nicht zu kümmern brauchten, „existiert“ der Mensch, d.h. er muss aktiv sein Leben gestalten.

Existieren bedeutet letztlich, dass die Menschen die Freiheit haben, sich zu entscheiden – oder in den Worten von Jaspers: „Freiheit ist das ursprüngliche Wesen des Menschen.“ Aus der Freiheit selbst entscheiden zu können, leitet Jaspers nun die Pflicht zur  Selbstverwirklichung ab, d.h. die Fähigkeit des Menschen, sich Lebensziele zu setzen und diese zu verwirklichen zu versuchen: „Der Mensch ist das, was er aus sich macht.“

Auch der Ursprung der Philosophie bzw. des Philosophierens (beides ist eben nicht identisch!) wird von Jaspers existenzphilosophisch beschreiben.

Zwar ließe sich der historische Anfang der Philosophie als methodisches Denken relativ eindeutig auf das 5. Jh. v.u.Z. datieren, jedoch dürfe man den historischen Anfang nicht mit dem individuellen Ursprung gleichsetzen: „Der Anfang ist historisch und bringt für die Nachfolgenden eine wachsende Menge von Voraussetzungen durch die nun schon geleistete Denkarbeit. Ursprung aber ist jederzeit die Quelle, aus der der Antrieb zum Philosophieren kommt.“

Dieses Ursprüngliche wird für Jaspers auf dreifache Weise sichtbar: „Aus dem Staunen folgt die Frage und die Erkenntnis, aus dem Zweifel am Erkannten die kritische Prüfung und die klare Gewissheit, aus der Erschütterung des Menschen  und dem Bewusstsein seiner Verlorenheit die Frage nach sich selbst.“

Im Anschluss an Platon und Aristoteles ist auch für Jaspers der Ursprung der Philosophie das Staunen: „Denn die Verwunderung ist es, was die Menschen zum Philosophieren trieb“ (Aristoteles). Damit ist nun eine Bewegung angestoßen, die strenggenommen kein Ende kennt. Zunächst drängt das Staunen zur Erkenntnis: „Im Wundern werde ich mir des Nichtwissens bewusst. Ich suche das Wissen, aber um des Wissens selber willen, nicht `zu irgendeinen gemeinen Bedarf´.“

Es ist die Philosophie in ihrem Ursprung also nichts anderes als ein Erwachen, in dem sich ein zweckfreier Blick auf die Dinge, den Himmel und die Welt vollzieht. Ein zweckfreier Blick, in den auch die „Fragen: was das alles und woher das alles sei – Fragen, deren Antwort keinem Nutzen dienen soll, sondern an sich Befriedigung gewährt“, eingeschlossen sind.

Aus dem Staunen erwächst jedoch bald der Zweifel: „habe ich Befriedigung meines Staunens und Bewunderns in der Erkenntnis des Seienden gefunden, so meldet sich bald der Zweifel“, denn „bei kritischer Prüfung ist nichts gewiss.“

Der Zweifel ist zunächst den Erkenntniswerkzeugen geschuldet, denn sowohl unsere Sinne können uns täuschen, aber auch „unsere Denkformen sind die unseres menschlichen Verstandes. Sie verwickeln sich in unlösbare Widersprüche.“ Hier sei es gerade die Aufgabe der Philosophie, den Zweifel zu ergreifen, ihn radikal durchzuführen, entweder „mit der Lust an der Verneinung“ oder „mit der Frage, wo denn Gewissheit sei, die allem Zweifel sich entziehe und bei Redlichkeit jeder Kritik standhalte.“

12 Radiovorträge über Philosophie (1950)
So wird der Zweifel als methodischer Zweifel die Quelle kritischer Prüfung jeder Erkenntnis. Daher könne es nach Jaspers auch kein wahrhaftiges Philosophieren ohne radikalen Zweifel geben.

Schließlich führt der Zweifel in die Erschütterung des Menschen, „wenn ich meiner selbst in meiner Situation mir selbst bewusst werde.“ So wie der Stoiker Epiktet meinte, „der Ursprung der Philosophie ist das Gewahrwerden der eigenen Schwäche und Ohnmacht“, so müsse sich der Mensch auch Jaspers zufolge stets der eigenen menschlichen Lage vergewissern.

Diese menschliche Lage zeichnet sich nun dadurch aus, dass wir „immer in Situationen sind. Die Situationen wandeln sich, Gelegenheiten treten auf. Wenn sie versäumt werden, kehren sie nicht wieder.“ Jeder Mensch könne zwar an der Veränderung der Situation arbeiten, aber es gäbe Situationen, „die in ihrem Wesen bleiben, auch wenn ihre augenblickliche Erscheinung anders wird und ihre überwältigende Macht sich in Schleier hüllt: ich muss sterben, ich muss leiden, ich muss kämpfen, ich bin dem Zufall unterworfen, ich verstricke mich unausweichlich in Schuld.“

Diese Grundsituationen des menschlichen Daseins nennt Jaspers Grenzsituationen, also Situationen, „über die wir nicht hinaus können, die wir nicht ändern können. So ist es für das Gelingen (oder für das Scheitern) der Selbstverwirklichung von entscheidender Bedeutung, wie der einzelne Mensch mit den im Leben unvermeidlichen „Grenzsituationen“ umgeht.

Daher ist nach dem Staunen und dem Zweifel das Bewusstwerden dieser Grenzsituationen der tiefere, weil existentielle Ursprung der Philosophie.

Zitate aus: Karl Jaspers: Was ist Philosophie?, München 1980 (dtv)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen