Für Michael Sandel steht fest: „Wir
leben heute in einer Zeit, in der fast alles ge- und verkauft werden kann. Im
Lauf der letzten drei Jahrzehnte haben es die Märkte – und die damit
verbundenen Wertvorstellungen – geschafft, unser Leben wie nie zuvor zu
beherrschen. Nicht, dass wir uns bewusst dafür entschieden hätten. Es scheint
einfach über uns gekommen zu sein.“
Das Problem für Sandel liegt vor allem
darin, dass sich die allumfassende Kommerzialisierung des Lebens mit einer
zunehmenden Ungleichheit verbindet, so dass z.B. Arme und Reiche zunehmend
getrennte Leben führen. „Wir arbeiten und kaufen und spielen an verschiedenen
Orten. Unsere Kinder besuchen verschiedene Schulen, unsere Lebenswelten
schotten sich voneinander ab. Das dient weder der Demokratie noch unserer
Lebensqualität.“
Natürlich erfordere Demokratie keine vollkommene
Gleichheit, aber sie erfordere, dass Bürger an einer gemeinsamen Lebenswelt
teilhaben. „Es kommt darauf an, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund
und Sozialstatus miteinander in Kontakt kommen und im Alltag auch einmal
zusammenstoßen. Denn nur so lernen wir, wie wir unsere Unterschiede aushandeln
und wie wir gemeinsam dem Gemeinwohl dienen können.“
Besonders krass haben sich
Kommerzialisierung und soziale Ungleichheit im Bereich des Massensports entwickelt,
u.a. durch die Verwandlung des Sportes in ein Handelsgut, das immer stärker in
die Abhängigkeit von Sponsoring und Werbung gerät.
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Die Allianzarena in München
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Es geht schon längst nicht mehr allein um
den Verkauf von Sportartikeln oder Autogrammen, auch die Namen von Stadien sind
käuflich zu erwerben. Obwohl manche Stadien noch ihre historischen Namen tragen,
verkaufen die meisten Vereine der ersten Liga die Namensrechte der Stadien an
den Meistbietenden. Banken, Energieunternehmen, Fluglinien,
Technologieunternehmen und andere Firmen zahlen bereitwillig eine Menge Geld
für die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, wenn ihr Name die Stadien und Arenen
großer Teams schmückt.
Dabei sind vor
allem Massensportarten wie Fussball und Basketball wie nur wenige andere
Institutionen eine Quelle sozialen Zusammenhalts und kollektiven Stolzes bzw.
kollektiver Identität. Sportarenen sind „die Kathedralen unserer säkularen
Religion dar – öffentliche Räume, in denen Menschen unterschiedlichster
Herkunft in Ritualen von Niederlage und Hoffnung, Profanem und Gebet
zusammenkommen.“
Bedauerlicherweise hat das im Sport
umlaufende Geld den Gemeinschaftsgeist in den letzten Jahrzehnten stark verdrängt.
Denn die Bedeutung eines öffentlichen Ortes wird für seine Bewohner verändert,
wenn er den Namen wechselt.
Natürlich sind Stadien in erster Linie
Orte, an denen sich Menschen versammeln, um sich Sportveranstaltungen
anzusehen. Wenn Fans ins Stadion gehen, machen sie das nicht hauptsächlich
wegen eines Gemeinschafts-erlebnisses. Sie wollen bestimmte Fussballspieler Tore
schießen sehen oder erleben, wie ein Basketball-Star in den letzten Sekunden
eines Spiels den entscheidenden Korb wirft.
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Das Volksparkstadion in Hamburg ist das erste Bundesligastadion, das - 14 Jahre nach der ersten Umbenennung - 2015 seinen ursprünglichen Namen zurückerhalten hat. |
Der öffentliche Rahmen, in dem das alles
stattfindet, vermittelt eine gemeinschaftliche Erfahrung: „Zumindest für ein
paar Stunden sind wir zusammen am selben Ort und teilen dasselbe Erlebnis. Wenn
Stadien allmählich diesen Charakter verlieren und eher zu Reklametafeln werden,
verschwindet damit auch ein öffentlicher Raum – und mit ihm die sozialen Bindungen
und gemeinschaftlichen Gefühle, die sich dort artikulieren.
Noch stärker zersetzt werden die vom
Sport vermittelten Gemeinschafts-erfahrungen durch die Ausbreitung der
Luxuslogen. Noch in den 60er Jahren betrug der Preisunterschied zwischen den
teuersten und den billigsten Plätzen in den Fußballstadien umgerechnet etwa 5 Euro.
Tatsächlich waren Stadien fast während des gesamten 20. Jahrhunderts Orte, wo
Führungskräfte Seite an Seite mit einfachen Arbeitern saßen, wo alle in den
gleichen Schlangen anstanden, um Bratwurst oder Bier zu kaufen, und wo Reiche
wie Arme gleichermaßen nass wurden, wenn es regnete.
Doch in den letzten paar Jahrzehnten hat
sich das geändert. Das Aufkommen von VIP-Logen hoch über dem Spielfeld hat eine
Trennlinie zwischen den Begüterten und Privilegierten und dem gemeinen Volk auf
den Rängen darunter eingezogen.
Zwar tauchten die ersten Luxuslogen in
den USA schon 1965 im futuristischen Houston Astrodome auf, doch spätestens in
den 80er Jahren bezahlten immer mehr Firmen Hunderttausende Dollar, um
Führungskräfte und Kunden im piekfeinen Rahmen über den Köpfen der Massen zu
unterhalten.
Für die Teams waren die Einnahmen aus
den Luxussuiten natürlich ein finanzieller Segen, allerdings machten die Logen
einen Aspekt des Sports, die Aufhebung von Klassenunterschieden, völlig zunichte:
„VIP-Logen mit ihrer kuscheligen Frivolität stehen für eine zentrale
Fehlentwicklung im gesellschaftlichen Leben (…): den fast schon verzweifelten
Eifer, mit dem die Elite bestrebt ist, sich von der übrigen Masse abzusetzen …
der Profisport, einst ein Gegengift gegen Statusängste, ist schwer von dieser
Krankheit befallen.“
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Das neue Stadion des spanischen Fussball-Clubs Real Madrid - benannt nach dem Spieler, Trainer und langjährigem Präsidenten "Santiago Bernabeu" |
Durch die Kommerzialisierung wird die Magie
der populären Sportarten zerstört, die gerade aus ihrer wesentlich
demokratischen Grundstrukturbesteht: „Die für eine große öffentliche
Zusammenkunft gebaute Arena, eine Art Dorfanger des 20. Jahrhunderts, war ein
Ort, an dem alle zusammenkamen.“ Die neuen Luxuslogen haben jedoch „die feine
Gesellschaft so sehr vom gemeinen Volk isoliert, dass man wohl mit Recht sagen
darf, dass die Sitzordnung der (…) Sportarena die soziale Schichtung
reproduziert.“ Früher dagegen seien die Stadien Orte gewesen, „an dem
Fließbandarbeiter und Millionäre gemeinsam für ihr Team jubeln können.“
Natürlich geht es für Sandel nicht nur
um Werbung im Sport und anderen Bereichen unseres Lebens. Am Ende geht es um
die die Frage, wie wir zusammen leben wollen. „Wünschen wir uns eine
Gesellschaft, in der alles käuflich ist? Oder gibt es gewisse moralische und
staatsbürgerliche Werte, die von den Märkten nicht gewürdigt werden – und die
man für Geld nicht kaufen kann?“
Zitate aus: Michael J.
Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des
Marktes, Berlin 2012 (Ullstein)