tag:blogger.com,1999:blog-50061484985714863852024-03-28T15:30:31.580+01:00PaideiaDer Blog für Philosophie, Politik und KulturPaideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.comBlogger372125tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-58885057651910715172024-03-28T15:30:00.042+01:002024-03-28T15:30:00.133+01:00Michael Lüders und die Gefahr des betreuten Denkens - Teil 5<p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><span><i><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/02/lueders4.html" target="_blank">Fortsetzung vom 21.03.2024</a></i></span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">„Der Moralismus ist das Schwert der Unvernunft, das
die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet eine der zentralen Thesen des langjährigen
Nahost-R</span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">edakteurs der ZEIT, Michael Lüders, die er in seinem Buch „Moral über
alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen.“ ausführt. </span></span></p><p style="text-align: justify;">
<span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Die politisierte Moral enthält
einen totalitären Bodensatz, der unsere Kultur eher früher als später vor die
Wahl stellen dürfte, falls nicht bereits geschehen: entweder Aufklärung und
universalistische Menschenrechte oder aber eine Rück-kehr der Stämme in neuem
Gewand.</span></span>
<style><font size="4" style="font-family: verdana;">@font-face
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</p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Insbesondere in jenem der <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2022/02/Identitatspolitik1.html" target="_blank">Identitätspolitik</a>, dem neuen Label und Bannerträger eines missionarisch
veranlagten Gutmenschentums. Der Begriff `Identitäts-politik´ bezeichnet
zunächst ein ideologisiertes Handeln, bei dem die Bedürfnisse einzelner
gesellschaftlich benachteiligter Gruppen, in Deutschland vornehmlich von Frauen
und sexuellen Minderheiten, in den Vordergrund rücken. Mit der Absicht, ihren
jeweiligen Einfluss zu stärken und einen privilegierten Zugang bei der
Verteilung von Macht und Ressourcen zu gewährleisten. </span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Die Anfänge
der Identitätspolitik reichen zurück in die <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;"><span style="hyphenate-character: "-";">USA</span></span></span> der
1960er und 1970er Jahre und haben ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung.
Insbesondere der Aktivismus von Frauen, Schwarzen, Indigenen und Homo-sexuellen
wurde zu deren Motor und erzielte große Resonanz in der Öffentlichkeit.</span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt" style="-webkit-text-stroke-width: 0px; break-after: auto; break-before: auto; hyphenate-character: "-"; layout-grid-mode: char; margin: 0cm; orphans: 1; text-align: justify; widows: 1; word-spacing: 0px;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">In Europa
begann der Siegeszug der Identitätspolitik im gesellschaftlichen Kontext der
Postmoderne. Zu dieser ideengeschichtlichen Strömung gehören Skepsis gegenüber
äußeren Formen von Realität, die Infragestellung von Vernunft, die Wahrnehmung
von Sprache als ein Instrument, das Wissen und Herrschaft konstruiere, der
Verlust von Weltanschauungen und Gewissheiten, die Suche nach Identität. </span></p><p class="gt" style="-webkit-text-stroke-width: 0px; break-after: auto; break-before: auto; hyphenate-character: "-"; layout-grid-mode: char; margin: 0cm; orphans: 1; text-align: justify; widows: 1; word-spacing: 0px;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="gt" style="-webkit-text-stroke-width: 0px; break-after: auto; break-before: auto; hyphenate-character: "-"; layout-grid-mode: char; margin: 0cm; orphans: 1; text-align: justify; widows: 1; word-spacing: 0px;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhIhSo4jY0jAhvJN3iZzLVWcEjz4h27DoMAxnsW1-NJIHgoO2UVkizYiQQYuKDguFu5G_4p-SHMLNsPccdAIsrQvl9upE_hA4vcdK6Wv0gskonio6j38gMS_MiMe4TIHYH6CpvB7ExJglQOWNYdHZBJxlhRuT9wF06BjKx1-n2yvrXbYOR5OFXFqWWHng9f/s624/Michael%20Lu%CC%88ders%205%20-%20Kulturelle%20Apartheid.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="312" data-original-width="624" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhIhSo4jY0jAhvJN3iZzLVWcEjz4h27DoMAxnsW1-NJIHgoO2UVkizYiQQYuKDguFu5G_4p-SHMLNsPccdAIsrQvl9upE_hA4vcdK6Wv0gskonio6j38gMS_MiMe4TIHYH6CpvB7ExJglQOWNYdHZBJxlhRuT9wF06BjKx1-n2yvrXbYOR5OFXFqWWHng9f/w640-h320/Michael%20Lu%CC%88ders%205%20-%20Kulturelle%20Apartheid.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Kulturelle Apartheid - "Immer schön auf die anderen zeigen ...!"<br /></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span><p></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Die
Postmoderne (…) entfaltete sich parallel zum Übergang von einer mehr oder
weniger gemeinwohlorientierten Marktwirtschaft in Richtung auf einen weitgehend
deregulierten Finanz-Kapitalismus. Die Privatisierung staatlicher
Daseinsfürsorge unter <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;"><span style="hyphenate-character: "-";">US</span></span></span> -Präsident
Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher bereitete
in den 1980er Jahren wiederum dem globalisierten Neoliberalismus den Weg. So
gut wie alles stand in der Folgezeit zum Verkauf, auch das Bildungssystem oder
das Gesundheitswesen. Die Folge waren und sind prekäre Arbeits- und
Lebensverhältnisse für viele. Gewerkschaften gerieten zunehmend in die
Defensive, die letzten Reste einer klassenbewussten Arbeiterschaft haben sich
in Luft aufgelöst.”</span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Die Folge
war ein gestig-spirituelles Vakuum bei vielen Menschen, begleitet von der
wachsenden Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg. Postmoderne und
Identitätspolitik füllten dieses Vakuum und wurden im europäischen Kontext
eins – auf Kosten der Postmoderne, von der heute kaum noch jemand spricht.
Seit den 1990er Jahren entstand unter dem gemeinsamen Dach gruppen-bezogener
Identitäten eine breite Palette hochgradig ideologisierter neuer Theorien.
Darunter etwa die postkoloniale Theorie, die <i style="hyphenate-character: "-";">Queer</i>-Theorie, die <i style="hyphenate-character: "-";">Critical-Race</i>-Theorie.
</span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Sie alle
versuchen, Geschichte, Identität oder gesellschaftliche Wirklichkeit aus der
Perspektive der jeweiligen Gruppe zu `dekonstruieren´. Auf der der Grundlage
subjektiver Befindlichkeiten und Moralismen. Mit dem Ziel, die jeweils eigene,
hochgradig fokussierte Wahrnehmung von Realität für allgemeingültig zu
erklären. Sie allein sei die Wahrheit. Gesichertes Wissen dagegen gilt als
verdächtig, steht im Ruf elitärer Aneignung.</span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Die Aussage
»die Erde ist eine Kugel« ist demzufolge erst einmal dahingehend zu überprüfen,
ob der alte weiße Mann, der diese Behauptung erstmals aufgestellt hat, nicht
möglicherweise queer- oder frauenfeindlich eingestellt war. Sollte dem `gefühlt´
so sein, wäre der Wahrheitsgehalt seiner Aussage insgesamt infrage zu stellen,
wenn nicht hinfällig. Käme hingegen der Angehörige einer bislang
benachteiligten oder diskriminierten Gruppe zu dem Ergebnis, die Erde sei eine
Scheibe, wäre dessen Aussage mindestens so valide wie die des alten weißen
Mannes. Denn nicht die Faktenlage ist im Zweifel entscheidend, sondern die
Authentizität der eigenen Empfindung, der moralisierende Impuls. Warum finden
Fake News eine so große Resonanz? Hier liegt eine der Antworten.”</span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Damit kein Missverständnis aufkommt. Nach Lüders gibt
es Identitätspolitik im linken wie im rechten politischen Lager, unter
Trump-Anhängern beispielsweise. “Meist ältere heterosexuelle Männer fordern für
sich denselben `Milieuschutz´, dieselben Privilegien, die auch Frauen, Latinos,
Schwarze oder Schwule für sich in Anspruch nehmen. </span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Was letztendlich das
ursprüngliche Anliegen von Identitätspolitik ad absurdum führt, da diese
Bevölkerungsgruppe der »White Old Men« ein Hauptadressat ihrer Kritik war und
ist. Das Pendant in Deutschland ist die »identitäre Bewegung«, ein
Sammelbegriff für mehrere aktionistische, völkisch gesinnte Gruppierungen. Sie
sehen in der `Islamisierung´ Europas eine Gefahr für die `Identität´ einer als
ethnisch homogen wahrgenommenen europäischen Kultur.” Dabei ist “Kultur”
niemals homogen, insbesondere wenn sie absurderweise auch noch in engen
nationalen bzw. nationalstaatlichen Grenzen definiert wird.</span></p>
<p style="text-align: justify;"><style><font size="4" style="font-family: verdana;">@font-face
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aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023</span></span></span></span></p><span style="font-size: x-small;"><span style="font-family: verdana;"><span><span><span><i></i></span></span></span></span></span><p></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-14797346366433798852024-03-21T15:30:00.034+01:002024-03-21T15:30:00.134+01:00Michael Lüders und die Gefahr des betreuten Denkens - Teil 4<p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/02/lueders3.html" target="_blank">Fortsetzung vom 14.03.2024</a></i></span></span></span> </p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">„Der Moralismus ist das Schwert der Unvernunft, das
die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet eine der zentralen Thesen des langjährigen
Nahost-R</span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">edakteurs der ZEIT, Michael Lüders, die er in seinem Buch „Moral über
alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen.“ ausführt. </span></span></p><p style="text-align: justify;">
</p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;">
<span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">Die Differenz
zwischen Politik und Moral kollabiert im politischen Moralismus von heute. Das ist der
Grund für den Niedergang der Debattenkultur und die Ohnmacht der Argumente. Einer politisierten Moral entspricht eine totalitäre Politik.</span> <br /></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><style><font size="4" style="font-family: verdana;"> </font></style></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><style><font size="4" style="font-family: verdana;"> </font></style></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><style><font size="4" style="font-family: verdana;">@font-face
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{page:WordSection1;}</font></style><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Das Problem
ist allenthalben zu beobachten: “Wo Gefühle die Debatte be</span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">stimmen, nicht
Argumente, kommt es unvermeidlich zur Verteufelung Andersdenkender, sind
Verständigung, Kompromiss oder gegenseitiger Respekt kaum möglich. Wer
moralisch Position bezieht, wähnt sich im Besitz einer höheren, wenn nicht
unumstößlichen Wahrheit und kann schwerlich nachgeben, allein schon aus Gründen
der Selbstachtung. Es geht dabei weniger um die Sache selbst, als vielmehr um
die Zugehörigkeit zu einer identitätsstiftenden Gruppe, um die Eigenwahrnehmung
der jeweiligen `Konsensgemeinschaft´. Wer ihr nicht angehört, riskiert
Ablehnung und Ausgrenzung. Nicht selten gefolgt vom Shitstorm und dem sozialen
Boykott, neudeutsch `Othering´. Anders gesagt: vorwärts zurück in eine modern
verstandene Clan- und Stammeskultur.”</span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Für Lüders
ist die Moralisierung in Staat und Gesellschaft ist “gleichbedeutend mit
betreutem Denken. Das Ergebnis ist Anpassung, ein nivellierender Mainstream,
der Gesinnung über Sachkenntnis oder Inhalte stellt und Abweichung ahndet.
Bevorzugt mit Status- und Karriereverlust. Im Vordergrund steht der emotionale
Reflex, das verinnerlichte Wissen um Gut und Böse. Nicht Fakten oder Analyse
sind gefragt, sondern Gefühlskino. Entsprechend gerinnt Meinungsfreiheit zur
Bejahung des Status quo, wird die Moral zur Keule. </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhS2uVbw0GXy1UFYmzz8ITvDERipwMvbBVouxK3FX-pCdooKTCF1dnMbPcUrM7XOY-ppGlsGebMV-5h21-Qv6XECl0rMJCdVf0W3oFZN486N83FP5NJGnxZby2VCCXxl_28PautYeRPXIcdXX7snGtyyHQ3HCMZqoRyzy2S7nYfUy9FFnLO3CEopPlAMgpE/s640/Michael%20Lu%CC%88ders%204%20-%20Identita%CC%88t.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="360" data-original-width="640" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhS2uVbw0GXy1UFYmzz8ITvDERipwMvbBVouxK3FX-pCdooKTCF1dnMbPcUrM7XOY-ppGlsGebMV-5h21-Qv6XECl0rMJCdVf0W3oFZN486N83FP5NJGnxZby2VCCXxl_28PautYeRPXIcdXX7snGtyyHQ3HCMZqoRyzy2S7nYfUy9FFnLO3CEopPlAMgpE/w640-h360/Michael%20Lu%CC%88ders%204%20-%20Identita%CC%88t.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">"<span style="text-align: justify;">Die Ideale von Differenz und Vielfalt ersetzten das der menschlichen </span><span style="text-align: justify;">Solidarität.“</span></span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span><p></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Verstärkt
durch das Internet, insbesondere die `sozial´ geheißenen Medien. Sie
begünstigen die `Instagramisierung´ der öffentlichen Meinung und verlangen nach
einer Urteilsfindung nötigenfalls im Minutentakt. Auf der Strecke bleiben das
sachlich fundierte Abwägen, der Austausch im Gespräch, die Kraft der Argumente.
Die wohlorchestrierte Empörung, das Vordergründige und Laute, das Halbwissen
haben die letzten Reste `diskursiver Ethik´ im öffentlichen Raum weitgehend
geschreddert.</span></span></p>
<p class="gt" style="-webkit-text-stroke-width: 0px; break-after: auto; break-before: auto; hyphenate-character: "-"; layout-grid-mode: char; margin: 0cm; orphans: 1; text-align: justify; widows: 1; word-spacing: 0px;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Wir
erinnern uns: Die von den Philosophen Karl-Otto Apel und <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2022/01/Teil-1.html" target="_blank">Jürgen Habermas</a> in den
1970er Jahren entwickelte Diskursethik</span><span style="color: black;">, suchte die Richtigkeit
ethischer Aussagen mit Hilfe eines auf Vernunft gründenden gemeinschaftlichen
Diskurses zu entwickeln. “Dieser intersubjektive Ansatz, ausgehend von einem
sachorientierten Austausch auf Augenhöhe, galt auch unter Entscheidern in
Politik und Wirtschaft als zielführend. </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Heute dagegen sind die Leitplanken der
öffentlichen Meinungsfindung eng gesetzt: Politik und Medien sorgen für einen
gleichförmigen Erregungspegel im Rahmen sogenannter `Debatten´. Bist du für
Waffenlieferungen an die Ukraine – oder etwa nicht? (…) Wie viele Panzer /
Kampfjets / U-Boote sollten wir liefern? Übermorgen erst oder besser morgen
schon? Im Alleingang oder gemeinsam mit unseren Wertepartnern?” Solche Scheinkontroversen,
die so gut wie nie das große Ganze beleuchten verlieren <span> </span>sich schnell in einem gesinnungsethischen
Klein-Klein.</span></span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">Längst hat
sich die »Staatsräson« im Wohlfahrtsstaat verpuppt, der gesellschaftliche
Härten zwar abfedert – wenn auch immer weniger nachhaltig erfolgreich, im
Gegenzug aber die Loyalität seiner Bürger einfordert. Wer dieses Narrativ nicht
annehmen will, stellt sich selbst ins Abseits. “Die politisierte Moral enthält
einen totalitären Bodensatz, der unsere Kultur eher früher als später vor die
Wahl stellen dürfte, falls nicht bereits geschehen: entweder Aufklärung und
universalistische Menschenrechte oder aber eine Rückkehr der Stämme in neuem
Gewand.</span></span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Insbesondere in jenem der <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2022/02/Identitatspolitik1.html" target="_blank">Identitätspolitik</a>, dem neuen Label und Bannerträger eines missionarisch
veranlagten Gutmenschentums. Der Begriff `Identitäts-politik´ bezeichnet
zunächst ein ideologisiertes Handeln, bei dem die Bedürf-nisse einzelner
gesellschaftlich benachteiligter Gruppen, in Deutschland vornehmlich von Frauen
und sexuellen Minderheiten, in den Vordergrund rücken. Mit der Absicht, ihren
jeweiligen Einfluss zu stärken und einen privilegierten Zugang bei der
Verteilung von Macht und Ressourcen zu gewährleisten.</span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: #4472c4;"> </span></span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/02/lueders5.html" target="_blank">Fortsetzung folgt</a></i></span></span></span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i> </i></span></span></span></p><p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><span style="font-family: verdana;"><span><span lang="DE" style="color: black;">Zitate
aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023</span></span><span><span><span><i> </i></span></span></span></span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i> <br /></i></span></span></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-25292581764935621302024-03-14T15:30:00.033+01:002024-03-14T15:30:00.131+01:00Michael Lüders und die Gefahr des betreuten Denkens - Teil 3<p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/02/lueders2.html" target="_blank">Fortsetzung vom 07.03.2024</a></i></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">„Der Moralismus ist das Schwert der Unvernunft, das
die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet eine der zentralen Thesen des langjährigen
Nahost-Redakteurs der ZEIT, Michael Lüders, die er in seinem Buch „Moral über
alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen.“ ausführt. </span></span>
<style><font size="4" style="font-family: verdana;">@font-face
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<span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">Der entscheidende Impulsgeber
für den Bruch des Politischen mit der Moral war der Florentiner Philosoph
und Politiker Niccolò Machiavelli (1469–1527). </span></span></p><p>
</p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">Nun hat sich der „Fürstenstaat“ vor allem seit dem Ende
des 2. Weltkrieges zunehmend in einen Fürsorgestaat verwandelt, „der den
Menschen vor sich selbst und den Unwägbarkeiten des Lebens zu schützen sucht.
Aus dem Krieger im Dienst der Staatsräson wurde ein Homunculus, ein
Staatsdiener im Räderwerk des Absurden, der Bürokratie wie von Franz Kafka
beschrieben. (…) Der technisch-rationale Staat erschafft eine verwaltete Welt
ohne Jenseitsbezug, vermag jedoch die Sinnfrage nicht zu beantworten – jenseits
eines bloßen Verfassungspatriotismus. Der Nationalismus füllt teilweise diese
Lücke, ist aber ein schwer zu bändigendes Tier.“</span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">In diesem Kontext sieht Lüders nun die Rückkehr der Moral
in die Politik. „Sie bietet Halt in unsicheren Zeiten. Der Philosoph und
Medienwissenschaftler <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2014/05/norbert-bolz-und-die-soziale-tyrannei.html" target="_blank">Norbert Bolz</a> datiert diese Rückkehr auf den Ersten
Weltkrieg: Mit dessen Ende `setzt ein politischer Moralismus ein, der … radikal
mit dem neuzeitlichen Begriff des Politischen bricht. Nun gibt es wieder
gerechte Kriege und ungerechte Feinde, die eigentlich schon als Verbrecher
behandelt werden. Mit anderen Worten: Wenn man den Krieg aufgrund seines
unvergleichlichen Ausmaßes nicht mehr als politische Möglichkeit akzeptieren
kann, setzt die Moralisierung durch einen diskriminierenden Kriegsbegriff ein.
Das impliziert auch, dass Staatsräson und Realpolitik ein negatives Vorzeichen bekommen.
Das gilt bis zur Gegenwart.´</span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgHdxGs7QeRebnfdbq2qC8oaaNA4vdMvSOT1dwPsMfbQuKwZVxEoHxSo4r_hAt5iorVLINae8IiwpcG6tZkx6K5hcZVXtWVIk7mjLPW800dByOQsvs-gCFMFc2wQS3DqbdOAdH9cHOgmWCv-BShgAnaJuWMG7EZTKDdu9di_0BGrVoSePsgLgKH869Sq_CC/s940/Michael%20Lu%CC%88ders%203%20-%20Bolz.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="528" data-original-width="940" height="225" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgHdxGs7QeRebnfdbq2qC8oaaNA4vdMvSOT1dwPsMfbQuKwZVxEoHxSo4r_hAt5iorVLINae8IiwpcG6tZkx6K5hcZVXtWVIk7mjLPW800dByOQsvs-gCFMFc2wQS3DqbdOAdH9cHOgmWCv-BShgAnaJuWMG7EZTKDdu9di_0BGrVoSePsgLgKH869Sq_CC/w400-h225/Michael%20Lu%CC%88ders%203%20-%20Bolz.jpg" width="400" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Norbert Bolz (* 1953)<br /></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"><br /></span></span><p></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">Unter der Maßgabe von Vernunft gebietet die `Staatsräson´,
keine entfesselten (Welt-)Kriege zu führen. Sieht sich eine imperiale Macht
veranlasst, es dennoch zu tun, geht es nicht länger, wie in früheren Zeiten, um
Beutezüge oder regional begrenze Scharmützel, auch nicht um die Geburt einer
Nation. Sondern um Vorherrschaft oder wenigstens doch einen bevorzugten Platz
im globalen Machtgefüge. Die Notwendigkeit, die eigene Bevölkerung hinter einem
Banner zu versammeln und zu einen, verlangt nach einer klaren Unterteilung der
Welt in Gut und Böse.“</span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;">Dies
wiederum ebnet der Moral den Weg in die Politik: “Sie dient der Legitimation
staatlichen Handelns. Auf Kosten von Realpolitik und Pragmatismus, zu Lasten
nationaler Interessen. Die (vermeintliche) Moral gebietet den Cut mit Russland.
Der allerdings führt in eine politische Sackgasse.” Die Staatsräson dagegen
schreie förmlich nach Diplomatie. “Die aber gilt geradezu als anrüchig, unter
Berufung auf `Werte´: Denn mit den Bösen reden die Guten nicht. Diese, der
eigenen Seligsprechung dienenden Werte allerdings sind wenig mehr als
Camouflage. Vor allem geht es um Macht und Einfluss in der Weltpolitik.” Nach
außen aber gehe es um eine Wehrhaftigkeit von Demokraten im Kampf gegen den
Totalitarismus!</span></span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span style="color: black;">“Was aber
die Politik als Tatsache oder moralisches Gebot behandelt, sind immer
Konstruktionen von interessierter Seite. Deswegen hat Max Weber Augenmaß und
Verantwortung gefordert. Fehlen sie auf Führungsebene, ist es um deren
Urteilskraft schlecht bestellt. Ein guter Politiker handelt demzufolge
sachorientiert und problemlösend, nicht moralisch. In Deutschland ist das
mittlerweile die Ausnahme: `Die Geschichte der Bundesrepublik war bis zur Jahrtausendwende
von einem verantwortungsbewussten Reformismus geprägt. Davon kann heute nicht
mehr die Rede sein. Nicht nur die Protestbewegungen, sondern auch
öffentlich-rechtliche Medien und Gesinnungspolitiker wollen den gordischen
Knoten gesellschaftlicher Komplexität mit Moral durchhauen. So kollabiert die
Differenz zwischen Politik und Moral im politischen Moralismus von heute. Das
ist der Grund für den Niedergang der Debattenkultur und die Ohnmacht der
Argumente. Denn das Moralisieren macht jede Verständigung unmöglich´, so
Norbert Bolz. Mehr noch: `Der politisierten Moral entspricht eine totalitäre
Politik.´”</span></span></p><p><style><font size="4" style="font-family: verdana;">@font-face
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aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023</span></span><span><span><span><i> </i></span></span></span></span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span><span><i> </i></span></span></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-67624136333342238352024-03-07T15:30:00.005+01:002024-03-07T15:30:00.127+01:00Michael Lüders und die Gefahr des betreuten Denkens - Teil 2<p><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"><i><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/02/lueders1.html" target="_blank">Fortsetzung vom 29.02.2024</a></i></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"><span lang="DE">„Der Moralismus ist das Schwert der Unvernunft, das
die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet eine der zentralen Thesen des langjährigen
Nahost-Redakteurs der ZEIT, Michael Lüders.</span></span></span> <style><font size="4"><span style="font-family: verdana;">@font-face
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{page:WordSection1;}</span></font></style></p><p style="text-align: justify;"><style><font size="4"><span style="font-family: verdana;"> </span></font></style><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">“Im Grunde handelt es sich bei der Fama `werteorientierte
Politik´ um ein modernes Märchen, das Menschen und Völkern auf der Suche nach
Orientierung und Sinn eine Art Gebrauchsanweisung an die Hand zu geben sucht.
Denn den Geschichtenerzählern an den Schaltstellen der Macht fehlt es nicht an
propagandistischen Möglichkeiten, um ganze Staaten in den Ruin zu treiben,
Kriege zu führen oder den Frieden zu verlieren, auch den sozialen, innerhalb
ihrer eigenen Gesellschaften. Sie müssen dennoch darauf achten, die
Unterstützung der Bevölkerung nicht zu verlieren, Unruhen oder gar Aufstände zu
vermeiden. Nicht die Suche nach Ausgleich oder Gerechtigkeit treibt indessen
die obersten Entscheider um. Wichtiger sind Machterhalt und Elitenkonsens. Für `Werte´
einzutreten ist ein rhetorisches Placebo, dem schwer zu widersprechen ist, das
emotionale Zustimmung verheißt und hilfreich vermeidet, das zu benennen, worum
es eigentlich geht.”</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">In einem
ethischen Kontext bezeichnen Werte oder Wertvorstellungen moralische Qualitäten,
sittliche Ideale, die dem eigenen Handeln idealerweise zugrunde liegen und
Ausdruck von Charaktereigenschaften sind. “Ein gla</span><span style="color: black; font-family: verdana;">ubhaft werteorientiertes
Handeln ist nicht allein verhaftet im Hier und Jetzt, sondern strebt nach
Transzendenz und stellt das Gemeinwohl über die Interessen Einzelner. Obwohl
Werte und Wertvorstellungen seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten rhetorisch
und propagandistisch missbraucht werden, sind sie doch ein hohes Gut und
keineswegs geringzuschätzen. Im Gegenteil: Wer die Frage nach Moral und Ethik
stellt, fragt gleichzeitig nach dem richtigen Leben.”</span></span></p><p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Damit eng
verbunden ist – vor allem seit Platon – die Frage nach gerechter Herrschaft. “Wie
kann das Gute, ursprünglich das Göttliche, Eingang finden in politisches
Handeln, in die Regierungsführung? Hier die richtigen Antworten zu finden,
waren ganze Generationen von Staatsphilosophen, Kirchenvertretern und Denkern
bemüht, seit der griechischen Antike, seit Sokrates.”</span></span></p><p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p><p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Im
Mittelalter waren Politik, Religion und Moral miteinander verschmolzen. Mit
Beginn der Neuzeit, im Zuge der Renaissance vollzog sich in Europa sukzessive
die Trennung der Politik von der Moral, die die Voraussetzung war für die
Konstruktion des modernen, von der Religion sich emanzipierenden Staates, der
schließlich die Staatsräson über die Tugend und die Moral stellte.</span></span></p>
<p class="gt" style="-webkit-text-stroke-width: 0px; break-after: auto; break-before: auto; hyphenate-character: "-"; margin: 0cm; text-align: justify; word-spacing: 0px;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">“Der
entscheidende Impulsgeber für diesen Bruch des Politischen mit der Moral war
der Florentiner Philosoph und Politiker <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2017/11/niccolo-machiavelli-und-die-macht-teil-1.html" target="_blank">Niccolò Machiavelli</a> (1469–1527).
Nachgerade traumatisiert von der Zersplitterung Italiens in zahlreiche
Kleinststaaten, beschwor er ein vereintes Land unter Führung des von ihm
idealtypisch beschriebenen `Fürsten´, italienisch `il Principe´. Das
gleichnamige Buch, 1513 verfasst, gilt als das erste Werk politischer
Philosophie. Machiavelli beschreibt darin die Grundsätze der Staatsräson, frei
von moralischen und religiösen Vorstellungen. </span></span></p><p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh_R0bVoVyegQ_E86M1KAiAtjPfFQl2lchse1CiyJVNdBAAMKexQ4fEvVOYSyyG6Ta7WUPiQqPogWlRG9_nFkamhHQtTWFfBAENpJ2BNKcWzSG1uWArB8N5iBwpI8M7IiN3aSF_qttG2Nw5PMP5vzizsYVLLE7YQ1w-5VviFlXEZOtVpPlgOXT0q1NIjdCF/s389/Michael%20Lu%CC%88ders%202%20-%20Machiavelli.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="389" data-original-width="300" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh_R0bVoVyegQ_E86M1KAiAtjPfFQl2lchse1CiyJVNdBAAMKexQ4fEvVOYSyyG6Ta7WUPiQqPogWlRG9_nFkamhHQtTWFfBAENpJ2BNKcWzSG1uWArB8N5iBwpI8M7IiN3aSF_qttG2Nw5PMP5vzizsYVLLE7YQ1w-5VviFlXEZOtVpPlgOXT0q1NIjdCF/w309-h400/Michael%20Lu%CC%88ders%202%20-%20Machiavelli.jpg" width="309" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Machiavelli (1469 - 1527)<br /></td></tr></tbody></table><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"><br /></span></span><p></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Anders als
im christlichen Denken des Mittelalters, das von einem göttlichen Heilsplan
ausging, erwuchsen in der Renaissance die geistigen Grundlagen für
Weltanschauungen diesseits von Gott, hielt das Säkulare Einzug in Staat und
Gesellschaft. Für Machiavelli, obgleich er durchaus den Nutzen der Religion für
den Herrscher erkannte, folgt die Politik ihren eigenen Regeln und Gesetzen.
Das Primat des `Fürsten´ seien der Machtgewinn und der Machterhalt. </span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Eine
moralische Haltung vermöge in einem Umfeld aus Habgier, Hinterlist und
Heuchelei nur von Nachteil zu sein. Der Fürst, ein autokratischer Herrscher,
wisse sich dabei nur einem Ziel verpflichtet: der Sicherung und dem Erhalt des
Staates.”</span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Die
Trennung der Politik von der Moral sei Machiavelli zufolge jedoch kein Plädoyer
für Sittenverfall. Politisches Handeln ist gleichwohl nur dann sinnvoll, wenn
die eingesetzten Mittel dem Staat oder den Staaten zum Vorteil gereichen. </span><span lang="DE" style="color: black; font-family: verdana;">„Machiavellismus ist heute ein negativ besetzter Begriff,
der für eine skrupellose Machtpolitik steht (und im Bereich der Psychologie für
psychopathische Charakterzüge narzisstisch veranlagter Menschen). Diese
Wahrnehmung hat sich jedoch erst lange nach Machiavellis Tod durchgesetzt und
wird ihm nur teilweise gerecht.“ </span><br /></span></p>
<p style="text-align: justify;"><style><font size="4"><span style="font-family: verdana;">@font-face
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{page:WordSection1;}</span></font></style></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"><span><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/">(<a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/03/lueders3.html" target="_blank"><i>Fortsetzung folgt</i></a>) <br /></span></span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/"> </span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><span style="font-family: verdana;"><span lang="DE" style="color: black;">Zitate
aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023</span></span><span style="font-family: verdana;"><span><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/"> <br /></span></span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/"> </span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/"> </span></span></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"><span class="w4txWc oJeWuf" id="c92" role="region"><span class="MUhG4e OGjyyf" data-blogurl="https://diepaideia.blogspot.com/"> </span></span></span></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-13724375922242627112024-02-29T15:30:00.016+01:002024-03-03T10:25:32.795+01:00Michael Lüders und die Gefahr des betreuten Denkens - Teil 1<p>
</p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">„Der Moralismus
ist das Schwert der Unvernunft, das die Welt in Gut und Böse teilt.“ So lautet
eine der zentralen Thesen des langjährigen Nahost-Redakteurs der ZEIT, Michael
Lüders, die er in seinem Buch „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen.“ ausführt. Insbesondere der Krieg gegen die
Ukraine ist geeignet, das Feld von Moral und Politik in all seiner Komplexität darzustellen.</span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Um eines von
Anfang an klarzustellen: <span style="color: black;">Der russische Angriff auf die
Ukraine ist völkerrechtswidrig, falsch, zerstörerisch und menschenverachtend! Die
Antwort “des Westens” aber ist einzig und allein ein vollständiger Bruch mit
Russland “auf allen Ebenen, politisch, wirtschaftlich und letztendlich auch
kulturell.” Nur: Nach über zwei Jahren Krieg haben die westliche Politik der militärischen
Unterstützung der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland weltweit zu schwerwiegenden
Folgen geführt, ohne jedoch den Krieg zu beenden. </span></span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"><span style="color: black;"><br /></span></span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"><span style="color: black;"></span></span></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-size: medium;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbBUiNTu-DAQNIu0MW35U-BtpKe5vGrtIEth8UWVlazuOSBEAxMMLVsIKPxFT2hd2OPsZLceqokQHcqNoj7q5YbWzJUQQtaFdQIIgLNhfgK5p_R3u-eRUI2nBGeLljGHCM8b699VwkiOPTMWEli042lg1tU9uQCucxmiWs2kJU74GNpTwSJUzyKMJ9z66b/s1500/Michael%20Lu%CC%88ders%201%20-%20Buch.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1500" data-original-width="942" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhbBUiNTu-DAQNIu0MW35U-BtpKe5vGrtIEth8UWVlazuOSBEAxMMLVsIKPxFT2hd2OPsZLceqokQHcqNoj7q5YbWzJUQQtaFdQIIgLNhfgK5p_R3u-eRUI2nBGeLljGHCM8b699VwkiOPTMWEli042lg1tU9uQCucxmiWs2kJU74GNpTwSJUzyKMJ9z66b/w251-h400/Michael%20Lu%CC%88ders%201%20-%20Buch.jpg" width="251" /></a></span></div><span style="font-size: medium;"><br /></span><p></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Aber es
geht, Lüders zufolge, nicht nur darum, ob der vollständige Bruch mit Russland unrealistisch
und politisch fragwürdig ist, sondern auch darum, dass er mit Symbolik überladen
ist: “Das absolute Gute, verkörpert vom Westen, sucht sich vom absolut Bösen zu
befreien. Moralische Selbsterhöhung geht leider in den meisten Fällen einher
mit Realitätsverleugnung und Heuchelei.” </span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">Denn auch das
Beispiel des Überfalls auf die Ukraine macht deutlich, dass “die Tugendhaften
nicht etwa Bannerträger einer universellen humanistischen Gesinnung wären.
Vielmehr verkörpern sie ein überaus selektives Gerechtigkeitsempfinden. Genau
deswegen ist die Politisierung von Moral und die Moralisierung von Politik auch
so fragwürdig. In beiden Fällen handelt es sich um eine moderne, säkulare Form
des Sakralen, in der nicht Papst und Antichrist miteinander ringen, wohl aber
Freiheit und Totalitarismus.”</span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">So fragt
Lüders – und legt damit den Finger in die Wunde selbstgerechter Moralität -,
warum diejenigen, die vehement Sanktionen gegen Russland einfordern, niemals
auch vergleichbare Boykottmaßnahmen gegenüber den <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;"><span style="hyphenate-character: "-";">USA</span></span></span> erhoben
haben. “Das hätte sich doch angeboten, im Vietnam- oder im Irak-Krieg
beispielsweise. Beide waren nicht weniger völkerrechtswidrig und skrupellos wie
der jetzige in der Ukraine. Natürlich gibt es viele gute Gründe, den russischen
Präsidenten anzuprangern. Warum aber greifen bei ihm offenbar andere Maßstäbe
als bei westlichen Akteuren? Wieso suchen westliche Entscheider Wladimir Putin
vor einem internationalen Strafgerichtshof anzuklagen, nicht aber George W.
Bush oder Tony Blair, die beiden Drahtzieher des auf Lügen und Manipulationen
fußenden Irak-Krieges?” Starke Thesen! </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black; font-family: verdana;">Das
Problem ist jedoch, dass das moralische Empfinden sehr schnell dort endet, wo
es eigenen Interessen weniger dienlich ist. Dagegen fordert Lüders, „ganzheitlich
zu denken, auch andere Perspektiven einzunehmen oder gar Fakten in Erinnerung
zu rufen“. Das sei kein Manko, sondern „die Voraussetzung, um globale Probleme
pragmatisch lösen und vom Ende her denken zu können, anstatt sie zu
ideologisieren und damit zu verschärfen. Es ist nicht zuletzt eine
propagandistische Leistung (…) Die eigene, die westliche Politik gilt
dementsprechend als gut und werteorientiert, nichtwestliche als böse und
demokratiefeindlich.</span><span style="font-family: verdana;">“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt-stumpf" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">“Kurzum:
Die Welt läuft rund, solange `wir´ sie dominieren. Die Amerikaner nennen das,
wie erwähnt, eine `regelbasierte Ordnung´ und meinen damit die Fortschreibung
ihrer Vorherrschaft. (…) In der hiesigen Politik und den Medien ist stets die
Rede vom `russisch geführten Angriffskrieg in der Ukraine´. Das ist sachlich
nicht falsch und dennoch propagandistisch unterlegt. Oder hat man je vom <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;">US</span></span></span><span style="font-family: verdana;">
-geführten Angriffskrieg im Irak gehört? Dem <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;">NATO</span></span>-geführten
Angriffskrieg in Serbien (1999), in Afghanistan (2001–2021)?” Ist der
eigentliche Skandal vielleicht, dass Russland nun auch versucht, seine
imperialen Ansprüche mit militärischen Mitteln zu erzwingen – und “damit
ebenjenes `Geschäftsmodell´” kopiert, “auf das der Westen ein Monopol zu haben
glaubt. Namentlich die <span class="xx-grepversal"><span style="text-transform: uppercase;"><span style="hyphenate-character: "-";">USA</span>”?</span></span></span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;">“Warum
gilt, vor diesem Hintergrund, der zweifelsohne verbrecherische Überfall
Russlands auf die Ukraine als unvergleichlich verabscheuungswürdig, mit allen
sich daraus ergebenden Konsequenzen, während sich der amerikanische
Imperialismus bisweilen höchster Wertschätzung erfreut?”, fragt Lüders. Dabei
dient die Gegenüberstellung amerikanischer und russischer Politik keinesfals
der “Exkulpierung Putins und keineswegs der Relativierung jenes Leids, das
heute die Ukrainer erfahren wie gestern die Iraker.” Man könne aber das eigentlich
Selbstverständliche nicht deutlich und oft genug hervorheben: Politik und Moral
sind zweierlei. Wer also das eigene politische Handeln unter Verweis auf höhere
Werte zu legitimieren sucht, ist in der Regel kein Humanist, sondern lediglich
ein Gesinnungsethiker. Der Moral sagt und die Durchsetzung eigener hegemonialer
Interessen meint.”</span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="color: black; font-family: verdana;"> </span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">“Im Grunde handelt es sich bei der Fama `werteorientierte
Politik´ um ein modernes Märchen, das Menschen und Völkern auf der Suche nach
Orientierung und Sinn eine Art Gebrauchsanweisung an die Hand zu geben sucht.
Denn den Geschichtenerzählern an den Schaltstellen der Macht fehlt es nicht an
propagandistischen Möglichkeiten, um ganze Staaten in den Ruin zu treiben,
Kriege zu führen oder den Frieden zu verlieren, auch den sozialen, innerhalb
ihrer eigenen Gesellschaften. Sie müssen dennoch darauf achten, die
Unterstützung der Bevölkerung nicht zu verlieren, Unruhen oder gar Aufstände zu
vermeiden. Nicht die Suche nach Ausgleich oder Gerechtigkeit treibt indessen
die obersten Entscheider um. Wichtiger sind Machterhalt und Elitenkonsens. Für `Werte´
einzutreten ist ein rhetorisches Placebo, dem schwer zu widersprechen ist, das
emotionale Zustimmung verheißt und hilfreich vermeidet, das zu benennen, worum
es eigentlich geht.”</span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><i><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">(<a href="https://diepaideia.blogspot.com/2024/03/lueders2.html" target="_blank">Fortsetzung folgt</a>)</span></span></i></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><i><span style="font-family: verdana;"><br /></span></i></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><br /></span></p><p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;">
</p><p class="MsoNormal" style="layout-grid-mode: char; text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="DE" style="color: black; font-family: verdana;">Zitate
aus: Michael Lüders: Moral über alles?: Warum sich Werte und nationale
Interessen selten vertragen. München 2023</span><span style="font-family: verdana;"><b><span style="color: black;"></span></b></span></span></p>
<p class="gt" style="layout-grid-mode: char; margin: 0cm; text-align: justify;"><style><font size="2"><span style="font-family: verdana;">@font-face
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<p style="text-align: left;"><style><font style="font-family: verdana;" size="2">@font-face
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{page:WordSection1;}</font></style><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"> </span><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><br /></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-43616143710948606032024-01-14T13:01:00.005+01:002024-01-14T17:07:49.882+01:00Josef Kraus und die Fallgruben und Verirrungen der Bildungspolitik<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Das Buch „Wie man eine Bildungsnation an
die Wand fährt“ von Josef Kraus ist nach eigenen Angaben eine „eine – bisweilen
grimmige – Untersuchung der Trümmer und Ruinen, die deutsche Bildungspolitik
und deutsche Bildungswissenschaften hinterlassen haben.“, denn aus den seit den
60er Jahren vollmundig angekündigten Reformen sind schlechthin Deformationen
geworden – ob diese Bildung nun einem „radikalen Egalisierungswahn“ unterwarfen
oder später den „Neugründungsmythen deutscher Bildungspolitik“, die unter den
Namen „Pisa“ und „Bologna“ bekannt wurden. </span></span></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjGOIcLLHSvhSkmnvkAr_pqUmvmWW6kLsD7gHO6CTsUjomOAUY2UcUtvmezFs1smKjWHYGzlJ_sY6uS8kCpWAt41GMf09AhSWFnB-IQ8LBJUBEZ2R-SrtNuTlpul7pdW0RT2biMuKEyq-bn_y5NoTCD7k7DmVj_ZntrIWwEgriNb4p3AQcR09OjpSS6p_9x/s1600/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Portrait.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="765" data-original-width="1600" height="306" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjGOIcLLHSvhSkmnvkAr_pqUmvmWW6kLsD7gHO6CTsUjomOAUY2UcUtvmezFs1smKjWHYGzlJ_sY6uS8kCpWAt41GMf09AhSWFnB-IQ8LBJUBEZ2R-SrtNuTlpul7pdW0RT2biMuKEyq-bn_y5NoTCD7k7DmVj_ZntrIWwEgriNb4p3AQcR09OjpSS6p_9x/w640-h306/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Portrait.jpg" width="640" /></a></span></p></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div><span style="font-family: verdana; font-size: small;">Josef Kraus (*1949): Lehrer, Psychologe und von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbands</span></div></td></tr></tbody></table><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Während diejenigen, die mit der
Pisa-Flagge durch die Bildungslandschaften tapsen, weiterhin – und scheinbar völlig
unbeeindruckt von gegenteiligen Ergebnissen der Bildungsforschung – die Einheits-
und Gesamtschule anpreisen und zugleich das „gegliederte, begabungs- und
leistungsorientierte Schulwesen“ auf den Müllhaufen der Geschichte verdammen
wollen, so verkündigen diejenigen, die im Namen von „Bologna“ unterwegs sind,
dass nun – mit Bachelor, Master, Workloads und Credit Points - endlich
Effizienz, Mobilität, Modularisierung, Kompatibilität, Praxistauglichkeit,
»Employability« Einzug in das Bildungssystem Eingang gefunden hat.</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Für Kraus ist es eine wirklich
verblüffende Situation: „Da können Bildungsexperimente, die immer zugleich
Experimente an Schutzbefohlenen sind, noch so völlig scheitern, sie werden
dennoch durchgezogen oder – wie etwa im Fall der Gesamtschule mit ihrer
durchschlagenden Erfolglosigkeit – in neuem Gewand unter dem Etikett `Gemeinschaftsschule´
präsentiert. Damit und mit kuriosen Lehrplanreformen kann man ein Schulwesen
innerhalb (…) von fünf Jahren an die Wand fahren (…) Hier scheint zu gelten,
was Peter Sloterdijk feststellte: `Macht ist das Vermögen, die Tatsachen in die
Flucht zu schlagen.´“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Für Kraus sind es vor allem fünf
Fallgruben, in die die „bildungspolitischen Schlaumeier“ stets hineintapsen:</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine dieser Fallen ist die
Egalitäts-Falle. „Das ist die Ideologie, dass alle Menschen, Strukturen, Werte
und Inhalte gleich bzw. gleich gültig seien. Das ist auch die Ideologie, dass
es keine verschiedenen Schulformen, keine verschiedenen Begabungen, keine
verschiedenen Fächer sowie keine bestimmten Werte geben dürfe.“ </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEixjZa0SgL7pylw0Yqx_mkHYXtq5X-WNoumYMS7Tj3YYoxVtnE8nQLCyU6QiIdShH3P9fp3Qty74V_g1NGpar66TDOiXJuc2C3NXQC2kZrtKYzxqKKoQ96EuETenK4a_G_ncmyzQQbtxGMUGutjKsMRT_fZRL_eeNgL8CUTRzh_ETFPzsnBGGATfFMgaGVf/s574/Josef%20Kraus%20und%20die%20Verirrungen%20der%2068er%20-%20Gleichheit.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="250" data-original-width="574" height="278" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEixjZa0SgL7pylw0Yqx_mkHYXtq5X-WNoumYMS7Tj3YYoxVtnE8nQLCyU6QiIdShH3P9fp3Qty74V_g1NGpar66TDOiXJuc2C3NXQC2kZrtKYzxqKKoQ96EuETenK4a_G_ncmyzQQbtxGMUGutjKsMRT_fZRL_eeNgL8CUTRzh_ETFPzsnBGGATfFMgaGVf/w640-h278/Josef%20Kraus%20und%20die%20Verirrungen%20der%2068er%20-%20Gleichheit.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: small;">Gleichheit oder Gleichmacherei?</span><br /></td></tr></tbody></table></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine zweite Falle sei die Hybris-Falle,
also der „aus dem Marxismus (`Der neue Mensch wird gemacht´) und dem
Behaviorismus (`Der neue Mensch ist konditionierbar!´) abgeleitete Wahn, jeder
könne total gesteuert und zu allem `begabt´ werden.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine dritte Falle wäre die „Falle der
Spaß-, Erleichterungs- und Gefälligkeits-pädagogik. Diese tut – angestrengt und
sehr bemüht – so, als ob Schule immer nur cool sein könne und ja alles tun
müsse, dass sich Kinder doch ja nicht langweilen.“ </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine vierte Falle schließlich ist die
Quoten-Falle. „Das ist die planwirtschaftliche Vermessenheit, es müssten
möglichst alle das Abiturzeugnis bekommen und es dürften möglichst wenige oder
gar keine Schüler sitzenbleiben. Dabei müsste doch eigentlich klar sein: Wenn
alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur!“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Schließlich die fünfte, die Beschleunigungs-Falle.
„Das ist die Vision, man könne mit einer immer noch früheren Einschulung in
immer weniger Schuljahren und mit immer weniger Unterrichtsstunden zu besser
gebildeten jungen Leuten und zu einer gigantisch gesteigerten Abiturienten- und
Akademikerquote kommen.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Natürlich sind diese Fallgruben je nach
Bundesland unterschiedlich stark ausgeprägt, aber in jedem Fall drohen durch
diese falschen Maßstäbe „Individualität, Leistung, Anstrengungsbereitschaft,
natürliche Reifung und Qualität zu versinken.“ Und dennoch würde munter „drauflos
re- und deformiert. Reformen über Reformen werden in den Sand gesetzt, ohne
Produkthaftung von Seiten derjenigen, die all dies inszeniert haben. Dass die
allermeisten Reformen eben gerade denen schaden, denen sie zugutekommen
sollten, nämlich den sozial Schwächsten, wird verdrängt. Die Kinder aus `gutem´
Hause bekommen die Verirrungen der Schulpolitik durch elterliches Zutun
kompensiert, die Kinder aus `b</span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">ildungsfernen Elternhäusern aber bleiben in
ihren `restringierten Codes´, in ihren Herkunftsmilieus eingekerkert.“ </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> <br /></span></span></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhteHCGvkhXWmvJ7ikFuBOfihJPHBtjQyoJ1nmb18z2xuUKyDm7ToDiH_WPRb5oeeV5kblqni_r19w6pRKkLE2JSFyn25fmlb1vr4yM_wG7H-yxW8SNstTfIegCvWyMXE5QyDTYIGYurkmPABx0R-VBbp_RPS9X08D860YGqLtplRXp0y8dQeGcQMwxptfr/s1654/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Pisa.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="926" data-original-width="1654" height="358" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhteHCGvkhXWmvJ7ikFuBOfihJPHBtjQyoJ1nmb18z2xuUKyDm7ToDiH_WPRb5oeeV5kblqni_r19w6pRKkLE2JSFyn25fmlb1vr4yM_wG7H-yxW8SNstTfIegCvWyMXE5QyDTYIGYurkmPABx0R-VBbp_RPS9X08D860YGqLtplRXp0y8dQeGcQMwxptfr/w640-h358/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Pisa.png" width="640" /></a></span></p></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div><span style="font-family: verdana; font-size: small;">So richtig gut sieht der Turm <i><b>f</b></i>on Pi<i><b>e</b></i>sa auch nicht aus ...</span></div></td></tr></tbody></table><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Die Folge ist eine unfruchtbare und
verödete Bildungslandschaft, „weil ihre Grundl</span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">age erodiert. Die misslungenen,
aber offiziell dennoch für erfolgreich erklärten Reformen sind wie ein Eingriff
in die Ökologie von Bildung mit all ihren Folgen bis hin zum Verlust an
Artenvielfalt, zum Beispiel Schularten-Vielfalt. Man könnte auch sagen: Diese
Bildungsnation wird von den einen willentlich, von anderen naiverweise an die
Wand gefahren – brav assistiert von den meisten Parteien, von den meisten
Bildungsforschern, von moralisierenden Schwätzern, von diversen Stiftungen
sowie von manch karriereorientiertem Lehrer und Schulleiter.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span>
</p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Solch eine Entwicklung fällt nicht vom
Himmel. Hinter der dargestellten Entwicklung und ihren Fallgruben erkennt Kraus
verschiedene Grundhaltungen – er nennt sie „mentale und intellektuelle
Verirrungen“, die sich fatal auf die Bildungspolitik auswirken: </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine solche Verirrung ist
beispielsweise: „Deutsche sind gerne Gesinnungs-ethiker. Gleichheit,
Gerechtigkeit, Kuscheligkeit – so lauten die pädagogischen Glaubens- und
Gesinnungsbekenntnisse. Immer und immer wieder werden sie mantramäßig
vorgebetet, ohne Rücksicht auf die Folgen solcher Haltungen.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Wie Max Weber in seiner Unterscheidung
zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik herausgearbeitet hat, fühle sich der
Gesinnungs-ethiker nur dafür verantwortlich, „dass die Flamme der reinen
Gesinnung nicht erlösche. Der Verantwortungsethiker dagegen bedenke stets die
Motive und Ergebnisse seines Handelns.“ So gehe es vielen in der deutschen
Bildungsdebatte nicht um „eine rationale Verantwortungsethik, nicht um das qua
Bildung und Erziehung behutsam Machbare, sondern um die reine Gesinnung.
Jedenfalls gehören die Deutschen zu den Weltmeistern der `political correctness´
und der `educational correctness´ mit ihren Denkverboten, Denkgeboten, Tabus,
mit ihren Euphemismen, mit ihren Hui- und Pfui-Begriffen gerade in der
Pädagogik.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Eine weitere Verirrung ist für Kraus das
egalitäre Denken, wenngleich dieses nicht einer gewissen Paradoxie entbehrt: „Dieselben
Leute, die ständig von Gleichheit, Gerechtigkeit, Kindgemäßheit reden,
betreiben unter Einflüsterung der Wirtschaft und der OECD eine Ökonomisierung
von Bildung. Alles an `Bildung´ soll messbar, nützlich, verwertbar sein. Der
Mensch wird zum `Humankapital´ und damit verdinglicht.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><p><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTRGlv-_SsQTyxfNRhWsErwKrIc3YdmAQMhpASWDbFEwRk8JIZZhPb11Ipgn-ftVKEFyQBRHxz227jKnmgNAWglCfMm8067mdJhxpXe_0mZcM27aQVClL8yoZF4dE-RDkHfcqwTVLMRL10ufi1RSpvcVLEv659GB0wja-FXE1Kp24UyhwtK72lbiYgmwRr/s1920/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Bologna.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1080" data-original-width="1920" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTRGlv-_SsQTyxfNRhWsErwKrIc3YdmAQMhpASWDbFEwRk8JIZZhPb11Ipgn-ftVKEFyQBRHxz227jKnmgNAWglCfMm8067mdJhxpXe_0mZcM27aQVClL8yoZF4dE-RDkHfcqwTVLMRL10ufi1RSpvcVLEv659GB0wja-FXE1Kp24UyhwtK72lbiYgmwRr/w640-h360/Josef%20Kraus%20und%20die%20Fallgruben%20und%20Verirrungen%20der%20Bildungspolitik%20-%20Bologna.png" width="640" /></a></span></p></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div><span style="font-family: verdana; font-size: small;">"Heute versteht es sich von selbst, dass auch das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft gehört ..."</span></div></td></tr></tbody></table><p style="text-align: left;"></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Schon 1961 hatte die OECD, „die ja auch
für die Pisa-Testerei verantwortlich zeichnet, in einem Grundsatzpapier
festgehalten: `Heute versteht es sich von selbst, dass auch das
Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft gehört, dass es genauso notwendig
ist, Menschen für die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen. Das
Erziehungswesen steht nun gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und
Kunstdüngerfabriken. Wir können nun, ohne zu erröten und mit gutem ökonomischen
Gewissen versichern, dass die Akkumulation von intellektuellem Kapital der
Akkumulation von Realkapital an Bedeutung vergleichbar – auf lange Dauer
vielleicht sogar überlegen – ist.´“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Ein weiterer Kardinalfehler des
aktuellen Diskurses über Bildung sei schließlich deren „Infantilisierung durch
Psychologisierung“ – wobei das, was in die Pädagogik hereingenommen wird, „triviale
Alltagspsychologie und damit Banalisierung von Psychologie“ ist. „Alle
Pädagogik soll offenbar vom zerbrechlichen Kind, dessen permanenter
Traumatisierbarkeit, dessen Gegenwartsperspektive und dessen unmittelbaren
Bedürfnissen her gedacht werden. Dem Kind, dem Schüler soll bloß nichts
zugemutet werden, es könnte ja frustriert, demotiviert, ja traumatisiert
werden. Dass man Kinder damit in einer Käseglocke und in einer ewigen Gegenwart
einschließt und ihnen die Zukunft raubt, scheint nicht zu zählen. Statt ihnen
ein bisschen etwas zuzumuten, weil man ihnen ja eigentlich mehr zutrauen kann,
werden unsere Kinder von einem Teil der Eltern, von den `Helikoptereltern´,
rundum `gepampert´.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Josef Kraus geht es mit diesem Buch „um
Diagnosen und Analysen. Für abgehobene Visionen, die nicht schulreif sind und
es nicht werden können, bin ich nicht zu haben. Auch deshalb nicht, weil
Visionen mit ihren Perfektionismusvorstellungen etwas Destruktives an sich
haben; sie verhindern nämlich, dass das real (!) Beste aus einer Situation
gemacht wird.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dass sich Kraus sich da und dort „einer
durchaus kräftigen Rhetorik“ bedient, hat seinen Grund darin, dass es ihm auch
darum geht, „Misstrauen zu säen gegenüber vermeintlichen bildungspolitischen
Göttern. Die wollen ihr Ding drehen, und sie scheren sich nicht um den Willen
des Volkes. Sie mögen Runde Tische einbestellen. Aber es ist oft nur eine
Inszenierung, die nach Demokratie ausschauen soll (…) Das muss man sich nicht
gefallen lassen.“</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dafür braucht es Mut, wie schon vor
zweieinhalb Jahrtausenden „Perikles gesagt hat: `Zum Glück brauchst du
Freiheit, zur Freiheit brauchst du Mut.´“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span lang="DE" style="color: black;">Zitate aus: Josef Kraus: Wie
man eine Bildungsnation an die Wand fährt. Und was Eltern jetzt wissen müssen, München
2017 (Herbig)</span></span></p>
<p><style>@font-face
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Zeiten. Man verstand noch zu lesen. Man konnte noch laut nach-denken. All das
scheint endgültig vorbei zu sein."<span lang="DE"> </span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dieser Satz stammt aus dem Buch „Humanismus
und Terror“ des französischen Denkers </span>Maurice Merleau-Ponty aus
dem Jahr 1947. Die glücklichen Zeiten, von denen Merleau-Ponty sprach, beziehen
sich gleichwohl auf die 1930er Jahre!</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjNTyIGeT2iFm9XCgT-1eqNju0_TVvkyhYwQH2SPxYh_lW2Zqd2rD4NNeLQgrc7B5uEKsmsnHcovbSNZMQxQ2RRBT7lSZyYY_WGfd-ffIZYF6PIrsQxFLmmxlMIc2hA_TKmUzimvhMVoloHNnM8XMyQUyxOmdIUZb-JqsD-pbIpC0wXFJ0fuQHtAv4lIlST/s1200/Marlon%20Grohn%20-%20Marleau-Ponty.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="628" data-original-width="1200" height="334" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjNTyIGeT2iFm9XCgT-1eqNju0_TVvkyhYwQH2SPxYh_lW2Zqd2rD4NNeLQgrc7B5uEKsmsnHcovbSNZMQxQ2RRBT7lSZyYY_WGfd-ffIZYF6PIrsQxFLmmxlMIc2hA_TKmUzimvhMVoloHNnM8XMyQUyxOmdIUZb-JqsD-pbIpC0wXFJ0fuQHtAv4lIlST/w640-h334/Marlon%20Grohn%20-%20Marleau-Ponty.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: large;">Maurice Merleau-Ponty (1908 - 1961)</span></td><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><br /></td><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><br /></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Dass ein Philosoph in
der Mitte des 20. Jahrhunderts davon ausging, es hätte in den 30er Jahren bessere
Bedingungen fürs laute Nachdenken bestanden, mag heute verwundern. Das Buch, in
dem Merleau-Ponty die Sätze schrieb, und in dem er nebenbei einige alberne
linke Meinungen zum Sowjet-Sozialismus korrigierte, hieß "Humanismus und
Terror" und muss heute selbst als Paradebeispiel dieses lauten Nachdenkens
gelten. Diese These zumindest vertritt Marlon Grohn in seinem Artikel “`Vom Denken zum
Schweigen: Wie die Cancel Culture die Philosophie tötet!´” </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Was das freie Denken
angeht, so dürfte sich die Situation mittlerweile deutlich verschlechtert haben.
Nicht zuletzt, weil die Kernfrage des Buches von Merleau-Ponty, “nämlich die
des Verhältnisses von humanistischer Verbesserung des Staatswesens und der
dafür eventuell erforderlichen Gewalt, (…) schließlich inzwischen von allen
politischen Parteien und Richtungen lieber unreflektiert gelassen und auf ein
Übermorgen verschoben <span>[</span>wird<span>]</span>."</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Der Philosoph Jacob
Taubes schlug in die gleiche Kerbe, als er 1967 in einer Rede vor deutschen
Studenten erklärte, “`Mündig sein´ heiße, dass `jeder von uns den Mund
aufmachen darf, ohne dass ihm gedroht wird´.” 200 Jahre nach der Aufklärung ließen
sich überall Tendenzen zur Entmündigung einer mündigen Gesellschaft ablesen,
auch wenn die mündig gewordene Jugend sich in “verzweifelten, manchmal grotesken
Formen” dagegen wehren würde.</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Und heute? Grohn behauptet,
dass das “Nachdenken (…) zu einem bloß stillen geworden <span>[</span>ist<span>]</span>, das höchstens
noch in den Nischen geschlossener Chat-Gruppen oder Privatgesprächen vor sich
hindümpelt. Man könnte sich damit zufriedengeben und die Philosophie eben als
abgeschafft, das Ende der Geschichte der Vernunft als eingeläutet betrachten
und Ruhe geben.” Nur: Kann das jemand wirklich wollen?</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Interessant sei es in
jedem Fall, dass sich zwei Philosophen in den Jahren 1947 und 1967 ganz ähnliche
Gedanken äußern wie heutzutage Akademiker, die die Cancel Culture vehement
kritisieren.</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Für Grohn steht fest, dass
in unserer Zeit das Nachdenken folgerichtig längst als Unsitte in Verruf
geraten sei: “Wer laut nachdenken will, begibt sich damit auf eine Ebene mit
Drogendealern, Bankräubern und Bankmanagern – und zwar über alle politischen
Sphären und Parteien hinweg.</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Denn lautes Nachdenken,
eben weil es vernünftig und logisch ist, widerspricht dem Prinzip demokratisch
ausgewogener Politik und zieht folgerichtig deren Zorn auf sich: `Die Logik
lässt keinen Kompromiss zu. Das Wesen der Politik ist Kompromiss.´ (John Locke).”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Auch wenn lautes
Nachdenken in den meisten gesellschaftlichen Bereichen noch nie sonderlich
beliebt war, “ist doch beachtlich, dass es heute gerade in den intellektuellen
Berufen und den Geisteswissenschaften, wo das Nachdenken doch
Selbstverständlichkeit sein sollte, nur noch das Relikt einer vergangenen Zeit
darstellt.</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Wobei sich hier die
grundsätzliche Frage stellt, ob das laute Nachdenken deshalb verschwunden ist,
weil sich das Denken generell nicht mehr allzu großer Beliebtheit erfreut. Die Intellektuellen
kämpfen sich heute philologisch betrachtend durch die Schriften der Denker
anderer Zeiten, während sie selbst all ihre Kraft dafür aufbringen, bloß nichts
Ähnliches mehr zustande zu bringen.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Die bittere Wahrheit Grohn
zufolge ist, dass das “Denken nicht nur in politisch interessierten Kreisen,
sondern selbst von Leuten, denen eigentlich an einer Änderung der
gesellschaftlichen Verhältnisse und im Zuge dessen an Aufklärung qua lautem
Nachdenken gelegen sein müsste, begafft <span>[</span>wird<span>]</span>
wie ein Verkehrsunfall, dessen protokollierte Daten dann in den Hochschulen
forensisch untersucht werden.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Auf diese Weise aber
würde “das Denken, der Diskurs, die Öffentlichkeit zunehmend notwendig auf ein
Minimum von Floskeln und Nettigkeiten reduziert werden, damit sich bloß nichts
ändert.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Gegen die Kunst des sich
entfaltenden Gedanken, gegen das laute Nachdenken manifestiert sich eine
mediale Öffentlichkeit als globales Spektakel, “der das Verweilen bei
Schein-Ereignissen wichtiger ist als begriffliche Einsicht in die Verhältnisse
(…) In solchen
Gesellschaften wird tatsächliche denkerische wie politische Aktivität durch
Aktivismus ersetzt, indem mittels (…) fragmen-tarischem Gebrauch das Denken aus
der großen Öffentlichkeit verschwindet.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgrpQzHbTXjQs-irQ2FGYOW-hgEkgiu1HUyFzEpXMK6OMk_ZNPKYCu420RpWnquLvYy76ebjt8II24oOMTxxVN2TLp-j79OPOX65QCBpKx2xe6faJgCme9Vvhr_Wmz3z4pYJGuhLdeR9rRuqKflBcVI13ia1iw77s8QcNYgmYTbKkUrAN2f_LJGzyWvBltY/s1368/Marlon%20Grohn%20-%20Empo%CC%88rung.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="734" data-original-width="1368" height="344" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgrpQzHbTXjQs-irQ2FGYOW-hgEkgiu1HUyFzEpXMK6OMk_ZNPKYCu420RpWnquLvYy76ebjt8II24oOMTxxVN2TLp-j79OPOX65QCBpKx2xe6faJgCme9Vvhr_Wmz3z4pYJGuhLdeR9rRuqKflBcVI13ia1iw77s8QcNYgmYTbKkUrAN2f_LJGzyWvBltY/w640-h344/Marlon%20Grohn%20-%20Empo%CC%88rung.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: large;">Leben im <i>Empörium</i>: Wenn das Verweilen bei Schein-Ereignissen wichtiger ist als begriffliche Einsicht in die Verhältnisse </span><br /></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><br /></span><p></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Wenn man nur noch redet,
"um sich gegenseitig Ohnmacht, Schmiegsamkeit und Harmlosigkeit zu
bescheinigen ("Ich mein ja bloß, bin gleich wieder still"), wird das Schreiben
schnell zum Akt bewusster Abwendung von der mit diesen Gräueln zugerichteten
Öffentlichkeit.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Grohn fragt, woher die
nicht nur die Scheu vor dem lauten Nachdenken kommt, sondern auch die Angst der
Verantwortungsträger, den Diskurs zu öffnen? “Es ist doch klar, dass jemand,
der denken kann und denken will, dies gerne laut tun würde (…) Wer bloß `innerlich´
denkt, kreist nur im eigenen Hirn, denkt nicht in der Wirklichkeit.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Nur “im Austausch mit
anderen Denkenden, kann aus einem ungenauen Gedanken oder einer bloßen Ahnung
ein fundierter Standpunkt werden (…) kann eine unüberlegte Äußerung korrigiert
und zum vernünftigen Gedanken werden. Gerade aber das wird verhindert, wenn das
laute Nachdenken eingestellt wird.”</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Grohn zitiert den
Schriftsteller und Journalisten Dietmar Dath, der sagt: "Schuld ist
niemand an irgendetwas; jeder ist sich selbst das Nichts. Lebt und schreibt man
in einer Gesellschaft, die sich so sieht, gibt es eigentlich kaum etwas zu
sagen. Würde man aber in einer Gesellschaft leben, die nicht naturwüchsig,
blind für sich selbst bleiben will, sondern geplant sein soll, ausgefochten, in
der alles alle angeht, dann käme es sehr wohl darauf an, was die Leute denken,
reden und schreiben."</span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Der erste Schritt hin
zu einer solchen Gesellschaft wäre nach Grohn daher das “Erlernen des lauten
Nachdenkens als einer selbstverständlichen Gewohnheit.”</span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> <br /></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"> </span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQCMuBGIk7Et3fKME9tFLkgBeWHkPF2HIQVvHid0hyphenhyphen1xWtIKk6hgH3no2TGvYddPltcAOOIrnGaP_HO6Aqt9EUkvpbE07PoxlZgVVP6EGam4JniJw94FKvfvx4hF8hpceLtcvvBLxQVseCACEgWRYy0B54SA2uFJtXQWRBmkouTqS2h7JNSBSN-bstAuIz/s2140/Marlon%20Grohn%20-%20Kant.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="904" data-original-width="2140" height="270" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiQCMuBGIk7Et3fKME9tFLkgBeWHkPF2HIQVvHid0hyphenhyphen1xWtIKk6hgH3no2TGvYddPltcAOOIrnGaP_HO6Aqt9EUkvpbE07PoxlZgVVP6EGam4JniJw94FKvfvx4hF8hpceLtcvvBLxQVseCACEgWRYy0B54SA2uFJtXQWRBmkouTqS2h7JNSBSN-bstAuIz/w640-h270/Marlon%20Grohn%20-%20Kant.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: large;">Sapere aude!, oder: Das laute Nachdenken lernen!</span><br /></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><br /></span><p></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><br /></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span lang="DE" style="color: black;">Zitate aus: Marlon Grohn: "Vom
Denken zum Schweigen: Wie die Cancel Culture die Philosophie tötet", in:
Telepolis vom 26. Dezember 2023, im Netz unter: <a href="https://www.telepolis.de/features/Vom-Denken-zum-Schweigen-Wie-die-Cancel-Culture-die-Philosophie-toetet-9582799.html?view=print">https://www.telepolis.de/features/Vom-Denken-zum-Schweigen-Wie-die-Cancel-Culture-die-Philosophie-toetet-9582799.html?view=print</a>
– zuletzt aufgerufen am 28.12.2023.</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: xx-small;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p>
<p><style>@font-face
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gleich sein sollen, galt die längste Zeit in der Menschheitsgeschichte als vollkommen
absurd. In ihrem Buch „Demokratie – Eine deutsche Affäre“ erzählt die
Historikerin Hedwig Richter, wie diese revolutionäre Idee aufkam, allmählich
Wurzeln schlug, auch in Deutschland, und gerade hier so radikal verworfen und
so selbstverständlich wieder zur Norm wurde wie nirgends sonst. </span></span><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">In der
Einleitung zu ihrem Buch beschreibt sie den Begriff und das Phänomen „Demokratie“ mit Hilfe
von vier Thesen.</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"><i>Demokratiegeschichte ist häufig ein Projekt von Eliten (These 1)</i></span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Demokratie lässt sich nicht notwendig
beschreiben als ein Anliegen des „Volkes“, als eine „von unten“ erkämpfte
Herrschaftsform. „Demokratie-geschichte ist nicht immer, aber häufig ein Projekt
von Eliten. (…) In ihrem Alltag um 1800 hatten die Menschen der unteren
Schichten meistens wenig Muße und kaum Ressourcen, um über Gleichheit und
Mitbestimmung nachzudenken. Das änderte sich erst im Verlauf des 19.
Jahrhunderts.“ Richter warnt deshalb davor, Demokratiegeschichte einseitig als Revolutionsgeschichte
zu interpretieren und den Reformbewegungen zu wenig Beachtung zu schenken,
nicht zuletzt, weil gewaltförmige Wandlungsprozesse eher zu Diktaturen führen
und friedfertige Reformen mehr Potential zur Demokratisierung aufweisen.
Demokratie-geschichte ist daher wesentlich „eine Geschichte der Reformen, die
oft von diesen Eliten angestoßen werden.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"><i>Demokratiegeschichte ist immer auch die
Geschichte ihrer Einschränkung (These 2)</i></span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Auch wenn es vorrangig die Eliten waren,
die sich für Demokratisierung eingesetzt haben, so waren es nicht nur ethische Beweggründe
oder gar ein aufklärerischer Impuls, der sie angetrieben hat, sondern durchaus
auch ein egoistisches Interesse. „Demokratie kann beispielsweise der
Disziplinierung der Bürger dienen. Von Anfang an achteten Eliten zudem darauf,
dass es nicht zu einer `Tyrannei der Mehrheit´ kam.“ In der liberalen
Demokratietradition steht daher der Gedanke im Mittelpunkt, dass möglichst eine
stabile „Balance der Mächte erreicht wird, ein System von checks and balances,
in dem die Freiheit des Individuums geschützt und sein Streben nach Glück
möglich ist.“ </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"><br /></span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhCC58W2rQ5fbKlwguqhPqFi_0X3KfsXvmXjF8lk6wO0Jl3b0VhJwEIh0oD30kjA6TqgHQyS34YBD5KxeITY9CAhFHRMJesaz1vfhn7cwFVSfKZx9XjFtITVa_WIL036mIZfrnxZf2qLAnbzaGVuO070ofAXqSl1qdzU3XXZ1XAki4Pyl9qv8mYnhbGCLi_/s1440/Hedwig%20Richter%20-%20Verfassung%20USA.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="959" data-original-width="1440" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhCC58W2rQ5fbKlwguqhPqFi_0X3KfsXvmXjF8lk6wO0Jl3b0VhJwEIh0oD30kjA6TqgHQyS34YBD5KxeITY9CAhFHRMJesaz1vfhn7cwFVSfKZx9XjFtITVa_WIL036mIZfrnxZf2qLAnbzaGVuO070ofAXqSl1qdzU3XXZ1XAki4Pyl9qv8mYnhbGCLi_/w640-h426/Hedwig%20Richter%20-%20Verfassung%20USA.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div><span style="font-family: verdana; font-size: small;">Im Sommer 1787 handeln Vertreter der Einzelstaaten in Philadelphia - unter dem Vorsitz des späteren Präsidenten George Washington - eine revolutionäre Verfassung aus. Sie beginnt mit den Worten "Wir, das Volk ...!"</span></div></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span><p></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><i><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Demokratiegeschichte ist wesentlich eine
Geschichte des Körpers, seiner Misshandlung, seiner Pflege, seines Darbens –
und seiner Würde (These 3)</span></span></i></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Gleichheit und Freiheit lassen sich nur so
lange verkündigen, solange Menschen – und damit eben auch und vor allem deren
Körper – nicht misshandelt werden. Demokratisierung wird damit zu einer „politische
Geschichte des Körpers, die analysiert, wie Erfahrungen mit dem Körper und
Vorstellungen vom Leib Macht und Herrschaft durchdringen und verändern, wie
sich Demokratisierung durch Körper und an Körpern zum Ausdruck bringt (…) Menschen,
die nicht über ihren eigenen Körper herrschten, etwa Sklaven oder Frauen,
wurden von Gleichheitsvorstellungen in der Regel ganz selbstverständlich
ausgeschlossen.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Richter weist unmissverständlich darauf
hin: „Für die „Internalisierung einer Vorstellung wie Gleichheit reicht eine
abstrakte Idee nicht aus; damit die universale Gleichheit `self-evident´ wurde,
wie in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung festgehalten, musste sie
inkorporiert und gefühlt werden.“ Demokratiegeschichte wird damit unweigerlich auch
zu einer Geschichte der Gefühle und der Vorstellungswelten</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Natürlich behauptet Richter damit nicht,
dass die Geschichte der Demokratie selbstverständlich auch Ideengeschichte und
Politik- und Parteiengeschichte sei, doch öffne der „Fokus auf die
Gefühlswelten und auf den Körper“ einen neuen Blick für die Komplexität der
Demokratiegeschichte: „Diese Perspektive schließt ökonomische und
demographische Entwicklungen mit ein, die große Masse der Menschen wird
sichtbarer, die hungernden Bauern etwa oder die schuftenden Frauen.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Denn entscheidend für die Entwicklung
von Demokratie war immer auch deren „Fähigkeit zur Skandalisierung: dass Armut
nicht mehr als gottgegeben und unvermeidbar galt, dass Foltern und Quälen
Gefühle der Abscheu hervorriefen, dass Ungleichheit als Unrecht empfunden
wurde.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> <br /></span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"><i>Demokratiegeschichte ist eine
internationale Geschichte (These 4)</i></span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Für Richter ist offensichtlich, dass die
„nationalen Erzählungen“ nicht aus-reichen, um die Entwicklung der Demokratie zu
beschreiben. Vielmehr entstand die moderne Demokratie im internationalen,
genauer, im nordatlantischen Raum.</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dabei ist die Beziehung zwischen Demokratie,
Nation und Internationalität durchaus spannungsreich: „Der Nationalgedanke war
für die Popularisierung der Gleichheitsidee ausschlaggebend, und seit
Demokratie zum globalen Heilsversprechen geworden ist, bildet sie den Kern
nationaler Identitäten.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">So sei es nicht verwunderlich, dass die meisten
westlichen Staaten ihre Geschichte als nationale Demokratiewerdung erzählen, in
enger Verbindung mit nationalen Schlüsselereignissen und Mythen. </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dies werde in besonderer Weise am Beispiel
Deutschlands mehr als deutlich: „Die Transnationalität von Demokratie und die
selbstverständliche Einbettung Deutschlands in diese Geschichte wird an dem
Diktum deutlich, das der amerikanische Präsident Abraham Lincoln 1863
aufgegriffen hat und das bis heute als prägnante Formel von Demokratie gilt: `government
of the people, by the people, and for the people´. Bereits ein halbes
Jahrhundert vorher hatte Ernst Moritz Arndt, der wie viele Intellektuelle am Beginn
des 19. Jahrhunderts die Zukunft in der `Demokratie´ sah, 1814 erklärt: `Die
besten Kaiser und Könige und alle edlen Menschen haben ja auch immer nur
bekannt, daß sie für das Volk da sind und für das Volk und mit dem Volke
regieren.´</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Die Formel selbst hat weitere Vorläufer,
darunter die 1791 von Claude Fauchet formulierte Sentenz: „Tout pour le peuple,
tout par le peuple, tout au peuple“ (dt. „Alles für das Volk, alles vom Volk,
alles für das Volk“), oder auch den Satz „Rex per populum et propter populum
existat, nec absque Populo consistere possit“ (dt. Der König existiert durch
das Volk und für das Wohl des Volkes und kann nicht ohne das Volk existieren“) aus
dem Traktat „Strafgericht wider die Tyrannen“ (lat. Vindicae contra tyrannos),
erschienen 1575 unter dem Pseudonym Stephanus Iunius Brutus Celta.</span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgUTTRLtI065d3s2fAuP3-8IY2GMzZrW64JTbL0FTCYDswjLxp_7pJScBWGNACk1ie8Lpqk7xKaEnH9f2A9w5AKfmjEWUFCy6aFaO_F3tJeepvDRX89mrbeCtnMeDhTyaUYqTsxJ_3mDqvvQrOMkUJ8cjbaL_YGv41bw_O0uZh9SYKugIdi0tANotF0enw4/s1339/Hedwig%20Richter%20-%20VindiciaeContraTyrannos.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1339" data-original-width="846" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgUTTRLtI065d3s2fAuP3-8IY2GMzZrW64JTbL0FTCYDswjLxp_7pJScBWGNACk1ie8Lpqk7xKaEnH9f2A9w5AKfmjEWUFCy6aFaO_F3tJeepvDRX89mrbeCtnMeDhTyaUYqTsxJ_3mDqvvQrOMkUJ8cjbaL_YGv41bw_O0uZh9SYKugIdi0tANotF0enw4/w253-h400/Hedwig%20Richter%20-%20VindiciaeContraTyrannos.jpg" width="253" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: small;">Ausgabe des Vindicae von 1579</span><br /></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span><p></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">Dennoch: Intellektuelle und
Wissenschaftler haben immer wieder auf den utopischen und fiktiven Charakter
von Demokratie hingewiesen. Gerade weil Demokratie auch Wirklichkeiten erzeugt
und (nationale) Identitäten stiftet, deshalb sei jede vermeintlich historische
Darstellung letztlich nur Erzählungen, „für die wir einen Plot wählen und in
denen wir Bösewichte und Heldinnen auftreten lassen; wir setzen einen Anfang
und schreiben auf ein Ende hin – ein geglücktes oder ein böses, in diesem Fall
ein offenes.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE"> </span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE">So sei die Geschichte der Demokratie „eine
Modernisierungserzählung, deren Stoff Fiktionen, Wahrheiten und auch Zufälle
sind. Sie ist eine leidenschaftliche, optimistische Chronologie von Fehlern und
Lernprozessen, in deren Herz der Zivilisationsbruch des Holocaust steckt. Es
ist keine geradlinige Geschichte, deren Ende feststeht. Ganz im Gegenteil. Die
Affäre geht weiter. Die nächste Staffel folgt.“</span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;"><span lang="DE" style="color: black;"> </span></span></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><span lang="DE" style="color: black;">Zitate aus: Hedwig Richter: Demokratie:
Eine deutsche Affäre, München 2023 (C.H. Beck)</span></span></p>
<p><style>@font-face
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{page:WordSection1;}</style></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-24668289765528981352023-10-29T12:00:00.115+01:002023-12-06T08:31:51.656+01:00Michael Sandel und die moralischen Grenzen des Marktes<p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Für Michael Sandel steht fest: „Wir
leben heute in einer Zeit, in der fast alles ge- und verkauft werden kann. Im
Lauf der letzten drei Jahrzehnte haben es die Märkte – und die damit
verbundenen Wertvorstellungen – geschafft, unser Leben wie nie zuvor zu
beherrschen. Nicht, dass wir uns bewusst dafür entschieden hätten. Es scheint
einfach über uns gekommen zu sein.</span><span style="font-family: verdana;">“</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">Das Problem für Sandel liegt vor allem
darin, dass sich die allumfassende Kommerzialisierung des Lebens mit einer
zunehmenden Ungleichheit verbindet, so dass z.B. Arme und Reiche zunehmend
getrennte Leben führen. „Wir arbeiten und kaufen und spielen an verschiedenen
Orten. Unsere Kinder besuchen verschiedene Schulen, unsere Lebenswelten
schotten sich voneinander ab. Das dient weder der Demokratie noch unserer
Lebensqualität.“</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">Natürlich erfordere Demokratie keine vollkommene
Gleichheit, aber sie erfordere, dass Bürger an einer gemeinsamen Lebenswelt
teilhaben. „Es kommt darauf an, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund
und Sozialstatus miteinander in Kontakt kommen und im Alltag auch einmal
zusammenstoßen. Denn nur so lernen wir, wie wir unsere Unterschiede aushandeln
und wie wir gemeinsam dem Gemeinwohl dienen können.“</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span style="font-family: verdana;">Besonders krass haben sich
Kommerzialisierung und soziale Ungleichheit im Bereich des Massensports entwickelt,
u.a. durch die Verwandlung des Sportes in ein Handelsgut, das immer stärker in
die Abhängigkeit von Sponsoring und Werbung gerät. <br /></span></span></p><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: small;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg16mN3cKjg_pmtxutBkVp-x9flIWc-dzSScmNs-eFXKXS6YN75zu2oIj8ZJMKN3raxNaCamblL9xaxqgdBrmrPWC3nnsNRaNcFD6hyGYcWuuHUDmclqEbi2Tr3vqXmbvdo0uMcvgqVraUUtkBQtYFlFMmTmbYJUcEDqA9Q4Pl-u3Lp5qZ9ma6L7l9B4mWj/s850/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20AllianzArena.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="450" data-original-width="850" height="338" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg16mN3cKjg_pmtxutBkVp-x9flIWc-dzSScmNs-eFXKXS6YN75zu2oIj8ZJMKN3raxNaCamblL9xaxqgdBrmrPWC3nnsNRaNcFD6hyGYcWuuHUDmclqEbi2Tr3vqXmbvdo0uMcvgqVraUUtkBQtYFlFMmTmbYJUcEDqA9Q4Pl-u3Lp5qZ9ma6L7l9B4mWj/w640-h338/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20AllianzArena.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: medium;">Die Allianzarena in München</span><br /></td></tr></tbody></table><p></p><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Es geht schon längst nicht mehr allein um
den Verkauf von Sportartikeln oder Autogrammen, auch die Namen von Stadien sind
käuflich zu erwerben. Obwohl manche Stadien noch ihre historischen Namen tragen,
verkaufen die meisten Vereine der ersten Liga die Namensrechte der Stadien an
den Meistbietenden. Banken, Energieunternehmen, Fluglinien,
Technologieunternehmen und andere Firmen zahlen bereitwillig eine Menge Geld
für die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, wenn ihr Name die Stadien und Arenen
großer Teams schmückt</span></span><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"><br /></span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Dabei sind vor
allem Massensportarten wie Fussball und Basketball wie nur wenige andere
Institutionen eine Quelle sozialen Zusammenhalts und kollektiven Stolzes bzw.
kollektiver Identität. Sportarenen sind „die Kathedralen unserer säkularen
Religion dar – öffentliche Räume, in denen Menschen unterschiedlichster
Herkunft in Ritualen von Niederlage und Hoffnung, Profanem und Gebet
zusammenkommen.“</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Bedauerlicherweise hat das im Sport
umlaufende Geld den Gemeinschaftsgeist in den letzten Jahrzehnten stark verdrängt.
Denn die Bedeutung eines öffentlichen Ortes wird für seine Bewohner verändert,
wenn er den Namen wechselt.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Natürlich sind Stadien in erster Linie
Orte, an denen sich Menschen versammeln, um sich Sportveranstaltungen
anzusehen. Wenn Fans ins Stadion gehen, machen sie das nicht hauptsächlich
wegen eines Gemeinschafts-erlebnisses. Sie wollen bestimmte Fussballspieler Tore
schießen sehen oder erleben, wie ein Basketball-Star in den letzten Sekunden
eines Spiels den entscheidenden Korb wirft</span>. </span><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiYYSksNRQbV2K5e8S2RubmtK-6XOs-eQ9I6u23AVfe9iUbTmb17CHDlYMZwySyU2KDyOxGXJxi8pqC5hxq0mFO73uY2zNZABXFh48TAXJkRdezpo-gyJgZsjXM6A0jkb1slva0avyniATApNDmeK3y7SfRYRmxllC6ve3X0ra8nyYcPJhNI7WvJnCiuCiD/s1920/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20Volkspark.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1080" data-original-width="1920" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiYYSksNRQbV2K5e8S2RubmtK-6XOs-eQ9I6u23AVfe9iUbTmb17CHDlYMZwySyU2KDyOxGXJxi8pqC5hxq0mFO73uY2zNZABXFh48TAXJkRdezpo-gyJgZsjXM6A0jkb1slva0avyniATApNDmeK3y7SfRYRmxllC6ve3X0ra8nyYcPJhNI7WvJnCiuCiD/w640-h360/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20Volkspark.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: inherit;"><span>Das Volksparkstadion in Hamburg ist das erste Bundesligastadion, das - 14 Jahre nach der ersten Umbenennung - 2015 seinen ursprünglichen Namen zurückerhalten hat.</span></span></span></td></tr></tbody></table><p></p><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Der öffentliche Rahmen, in dem das alles
stattfindet, vermittelt eine gemeinschaftliche Erfahrung: „Zumindest für ein
paar Stunden sind wir zusammen am selben Ort und teilen dasselbe Erlebnis. Wenn
Stadien allmählich diesen Charakter verlieren und eher zu Reklametafeln werden,
verschwindet damit auch ein öffentlicher Raum – und mit ihm die sozialen Bindungen
und gemeinschaftlichen Gefühle, die sich dort artikulieren.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Noch stärker zersetzt werden die vom
Sport vermittelten Gemeinschafts-erfahrungen durch die Ausbreitung der
Luxuslogen. Noch in den 60er Jahren betrug der Preisunterschied zwischen den
teuersten und den billigsten Plätzen in den Fußballstadien umgerechnet etwa 5 Euro.
Tatsächlich waren Stadien fast während des gesamten 20. Jahrhunderts Orte, wo
Führungskräfte Seite an Seite mit einfachen Arbeitern saßen, wo alle in den
gleichen Schlangen anstanden, um Bratwurst oder Bier zu kaufen, und wo Reiche
wie Arme gleichermaßen nass wurden, wenn es regnete.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Doch in den letzten paar Jahrzehnten hat
sich das geändert. Das Aufkommen von VIP-Logen hoch über dem Spielfeld hat eine
Trennlinie zwischen den Begüterten und Privilegierten und dem gemeinen Volk auf
den Rängen darunter eingezogen.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Zwar tauchten die ersten Luxuslogen in
den USA schon 1965 im futuristischen Houston Astrodome auf, doch spätestens in
den 80er Jahren bezahlten immer mehr Firmen Hunderttausende Dollar, um
Führungskräfte und Kunden im piekfeinen Rahmen über den Köpfen der Massen zu
unterhalten.</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Für die Teams waren die Einnahmen aus
den Luxussuiten natürlich ein finanzieller Segen, allerdings machten die Logen
einen Aspekt des Sports, die Aufhebung von Klassenunterschieden, völlig zunichte:
„VIP-Logen mit ihrer kuscheligen Frivolität stehen für eine zentrale
Fehlentwicklung im gesellschaftlichen Leben (…): den fast schon verzweifelten
Eifer, mit dem die Elite bestrebt ist, sich von der übrigen Masse abzusetzen …
der Profisport, einst ein Gegengift gegen Statusängste, ist schwer von dieser
Krankheit befallen.“</span></span></div><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: small;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"></span></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgX4WoL4-9aH41M7bwOtSjEcwqscv2idJKxcOaHm4BKgAbyqt0bWmTErTFlB7Qi_q3ZANUgGjWUjEV6tUUa1qxA86B6MxjpRcNSRSmQsewIEWT81mccIm6EHMiOjIpmRPMaA4ggb1YQ9vrg3N05SaXCppc_MgUXHF5bP6l_HEqSjaEhS0FHvj-xO1_2m3y5/s1200/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20Bernabeu.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="675" data-original-width="1200" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgX4WoL4-9aH41M7bwOtSjEcwqscv2idJKxcOaHm4BKgAbyqt0bWmTErTFlB7Qi_q3ZANUgGjWUjEV6tUUa1qxA86B6MxjpRcNSRSmQsewIEWT81mccIm6EHMiOjIpmRPMaA4ggb1YQ9vrg3N05SaXCppc_MgUXHF5bP6l_HEqSjaEhS0FHvj-xO1_2m3y5/w640-h360/Michael%20Sandel%20und%20die%20moralischen%20Grenzen%20des%20Marktes%20Bernabeu.jpg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-size: medium;">Das neue Stadion des spanischen Fussball-Clubs Real Madrid - benannt nach dem Spieler, Trainer und langjährigem Präsidenten <span lang="DE">"Santiago Bernabeu"</span></span></td></tr></tbody></table><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Durch die Kommerzialisierung wird die Magie
der populären Sportarten zerstört, die gerade aus ihrer wesentlich
demokratischen Grundstrukturbesteht: „Die für eine große öffentliche
Zusammenkunft gebaute Arena, eine Art Dorfanger des 20. Jahrhunderts, war ein
Ort, an dem alle zusammenkamen.“ Die neuen Luxuslogen haben jedoch „die feine
Gesellschaft so sehr vom gemeinen Volk isoliert, dass man wohl mit Recht sagen
darf, dass die Sitzordnung der (…) Sportarena die soziale Schichtung
reproduziert.“ Früher dagegen seien die Stadien Orte gewesen, „an dem
Fließbandarbeiter und Millionäre gemeinsam für ihr Team jubeln können.“</span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;"> </span></span></div><div class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: medium;"><span lang="DE" style="font-family: verdana;">Natürlich geht es für Sandel nicht nur
um Werbung im Sport und anderen Bereichen unseres Lebens. Am Ende geht es um
die die Frage, wie wir zusammen leben wollen. „Wünschen wir uns eine
Gesellschaft, in der alles käuflich ist? Oder gibt es gewisse moralische und
staatsbürgerliche Werte, die von den Märkten nicht gewürdigt werden – und die
man für Geld nicht kaufen kann?“</span></span></div><p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><br /></p>
<p class="MsoNormal" style="text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><span lang="DE" style="color: black; font-family: verdana;">Zitate aus: Michael J.
Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des
Marktes, Berlin 2012 (Ullstein)</span></span></p>
Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-71282436290152016932023-01-12T16:30:00.006+01:002023-01-12T16:30:00.152+01:00Michael Esfeld, die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde - Teil 2<p style="text-align: justify;"> </p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><i>(<a href="https://diepaideia.blogspot.com/2023/01/Teil1.html" target="_blank">Fortsetzung vom 05.01.2023</a>)</i></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nach Ansicht von Michael Esfeld, Professor für Philosophie an der Universität Lausanne, stehen wir wie schon nach dem zweiten Weltkrieg auch heute wieder vor einer Weichenstellung zwischen Freiheit und Totalitarismus – zwischen einer offenen Gesellschaft, die jeden Menschen bedingungslos als Person anerkennt, und einer geschlossenen Gesellschaft, die die Gewährung von Grundrechten an bestimmte Bedingungen knüpft.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Die neuen Feinde der offenen Gesellschaft kommen wieder aus dem Inneren der Gesellschaft mit Wissensansprüchen, die zugleich kognitiver und moralischer Art sind und die wiederum eine technokratische Gestaltung der Gesellschaft zur Folge haben, die sich über Menschenwürde und Grundrechte hinwegsetzt. Allerdings operieren die neuen Feinde der offenen Gesellschaft nicht mit dem Trugbild eines absolut Guten, sondern mit gezielt geschürter Angst vor Bedrohungen, die angeblich unsere Existenz gefährden.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Bedrohungen, sei die Ausbreitung des Coronavirus oder der Klimawandel, werden nun zum Anlass genommen, bestimmte Werte <i>absolut</i> zu setzen, wie Gesundheitsschutz oder Klimaschutz. Eine Allianz aus Experten, Politikern und manchen Wirtschaftsführern nimmt für sich in Anspruch, das <i>richtige</i> Wissen zu haben, wie man das gesellschaftliche bis hin zum familiären und individuellen Leben steuern muss, um diese Werte zu sichern. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDwJakWX9_DhlajH90jhEKRacTMU2dPTZ1oojxYnCuCyjSLOTLRZ9w6OsgbURoGRkVRPhIh6CUAuMxbHvDeUobzeOTkhr0CndF285xO824GlhE7DqLBifZFzFFPSe2dyRBTFyaP1pr1XZTB_vzlHKJsAtCXkZSRekPNhJziMk9WFB72LBToHCY20CviA/s1000/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Totalitarismus2.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="500" data-original-width="1000" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhDwJakWX9_DhlajH90jhEKRacTMU2dPTZ1oojxYnCuCyjSLOTLRZ9w6OsgbURoGRkVRPhIh6CUAuMxbHvDeUobzeOTkhr0CndF285xO824GlhE7DqLBifZFzFFPSe2dyRBTFyaP1pr1XZTB_vzlHKJsAtCXkZSRekPNhJziMk9WFB72LBToHCY20CviA/w640-h320/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Totalitarismus2.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">Die neuen Feinde der offenen Gesellschaft: "Wiederum geht es um ein höheres gesellschaftliches Gut – Gesundheitsschutz, Lebensbedingungen zukünftiger Generationen –, hinter dem individuelle Menschenwürde und Grundrechte zurückzustehen haben."</span></td></tr></tbody></table><br /><span style="font-family: verdana;"><br /></span><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der eingesetzte Mechanismus besteht darin, diese Herausforderungen so ins Rampenlicht zu stellen, dass sie als existenzielle Krisen erscheinen – ein Killervirus, das umgeht, eine Klimakrise, welche die Existenzgrundlagen unserer Kinder bedroht. Die Angst, die man auf diese Weise schürt, ermöglicht es dann, Akzeptanz dafür zu erhalten, die Grundwerte unseres Zusammenlebens beiseitezuschaffen – genau wie in den von Popper kritisierten Totalitarismen, in welchen das angeblich Gute sehr viele Menschen zu de facto verbrecherischen Handlungen motivierte.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das Problem ist, dass es ja nicht in erster Linie „böse“ Menschen sind, die das Böse tun, sondern häufig solche, die sich selbst als „gute“ Menschen bezeichnen und die aus Sorge um einen ihrer Überzeugung nach bedrohten und existenziell wichtigen Wert Dinge tun, die letztlich verheerende Folgen haben. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Dieser Mechanismus trifft die offene Gesellschaft ins Mark, weil man ein bekanntes Problem ausspielt, nämlich das der negativen Externalitäten. Damit ist Folgendes gemeint: Die Freiheit des einen endet dort, wo sie die Freiheit anderer bedroht. Handlungen des einen – einschließlich der Verträge, die er eingeht – haben Auswirkungen auf Dritte, die außerhalb dieser Beziehungen stehen, deren Freiheit zur Gestaltung ihres Lebens aber durch diese Handlungen beeinträchtigt werden kann. Die Grenze, jenseits welcher die freie Lebensgestaltung des einen der freien Lebensgestaltung anderer einen Schaden zufügt, ist nicht von vornherein festgelegt. Man kann sie eher weit oder eher eng fassen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der genannte Mechanismus besteht nun darin, mittels Erzeugens von Angst und unter dem Deckmantel von Solidarität diese Grenze so eng zu fassen, dass de facto kein Spielraum mehr für die freie Lebensgestaltung bleibt: Jede freie Lebensgestaltung des einen kann so ausgelegt werden, dass mit ihr negative Externalitäten einhergehen, die potenziell eine Bedrohung für die freie Lebensgestaltung anderer darstellen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So schüren die neuen Feinde der offenen Gesellschaft die Angst vor der Ausbreitung einer angeblichen Jahrhundertseuche – aber natürlich kann jede Form physischen Kontaktes zur Ausbreitung des Coronavirus (ebenso wie anderer Viren und Bakterien) beitragen. Sie schüren die Angst vor einer drohenden Klimakatastrophe – aber natürlich kann jede Handlung Auswirkungen auf die nicht-menschliche Umwelt haben und dadurch zur Veränderung des Klimas beitragen. Folglich soll und muss jeder nachweisen, dass er mit seinem Handeln nicht unabsichtlich zur Ausbreitung eines Virus oder zur Schädigung des Klimas beiträgt usw. – die Liste könnte man beliebig erweitern. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„So stellt man alle Menschen unter Generalverdacht, letztlich mit allem, was sie tun, andere zu schädigen. Man kehrt die Beweislast um: Es muss nicht der konkrete Nach- weis geführt werden, dass jemand mit bestimmten seiner Handlungen andere schädigt. Vielmehr muss jeder nachweisen, dass er andere nicht schädigt, einschließlich der Mitglieder zukünftiger Generationen. Dementsprechend können sich die Menschen von diesem Generalverdacht nur dadurch befreien, dass sie ein Zertifikat erwerben, durch das sie sich reinwaschen – wie einen Impfpass, einen Nachhaltigkeitspass oder generell einen sozialen Pass. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das ist eine Art moderner Ablasshandel. Damit ist Freiheit abgeschafft und ein neuer Totalitarismus installiert; denn die Ausübung von Freiheit und die Gewährleistung von Grundrechten hängt dann von einer Genehmigung ab, die eine Elite von Experten erteilt – oder eben verweigert.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Weichenstellung, vor der wir stehen, ist somit diese: eine offene Gesellschaft, die jeden bedingungslos als Person mit einer unveräußerlichen Würde und Grundrechten anerkennt; oder eine geschlossene Gesellschaft, „zu deren sozialem Leben man Zutritt erhält durch ein Zertifikat, dessen Bedingungen bestimmte Experten definieren, wie einst die Philosophen-Könige Platons. Genau wie letztere, deren Wissensansprüche von Popper entlarvt wurden, haben auch ihre heutigen Nachfahren kein Wissen, das sie in die Position versetzen würde, solche Bedingungen ohne Willkür festzusetzen.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjncfD-3w1JuJqGqG09k-hj_VwGR9-WSx5PCHAg6enll3g8r6IQHAfxj7HKo7-Sc5JnC8DY4PLWaadttAqyhw97H-KZVxZHTJaByrr_jJvNzXUj1J2OQU9bxQbr5673DIThg6BvnNp0A7-Xrgcd_SDjrmRNmrRjZejll98gecKna4zHW3dStcQsaONxnw/s1000/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Technokratie.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="428" data-original-width="1000" height="274" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjncfD-3w1JuJqGqG09k-hj_VwGR9-WSx5PCHAg6enll3g8r6IQHAfxj7HKo7-Sc5JnC8DY4PLWaadttAqyhw97H-KZVxZHTJaByrr_jJvNzXUj1J2OQU9bxQbr5673DIThg6BvnNp0A7-Xrgcd_SDjrmRNmrRjZejll98gecKna4zHW3dStcQsaONxnw/w640-h274/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Technokratie.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">Für viele Wissenschaftler und Intellektuelle ist es offenbar schwer einzugestehen, kein normatives Wissen zu haben, das die Steuerung der Gesellschaft ermöglicht. Sie erliegen dann der totalitären Versuchung, die bereits Popper kritisierte.</span></td></tr></tbody></table><br /><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Für viele Wissenschaftler und Intellektuelle ist es offenbar schwer einzugestehen, kein normatives Wissen zu haben, das die Steuerung der Gesellschaft ermöglicht. Sie erliegen der Versuchung, die bereits Popper bei den von ihm kritisierten Intellektuellen und Wissenschaftlern ausmachte. Für Politiker ist es wenig attraktiv, am besten nichts zu tun und das Leben der Menschen seinen Gang gehen zu lassen. Da kommt die Gelegenheit recht, altbekannte, aber in neuer Form auftretende Herausforderungen zu existenziellen Krisen hochzureden und Angst zu schüren mit pseudo-wissenschaftlichen Modellrechnungen, die in Katastrophen-Prognosen münden. Dann können Wissenschaftler sich mit politischen Forderungen ins Rampenlicht stellen, denen durch den angeblichen Notstand keine rechtsstaatlichen Grenzen gesetzt sind. Politiker können durch wissenschaftliche Legitimation eine Macht erhalten, in das Leben der Menschen einzugreifen, die sie auf demokratischem, rechtsstaatlichem Wege nie erlangen könnten. Bereitwillig hinzu gesellen sich diejenigen wirtschaftlichen Akteure, die von dieser Politik profitieren und die Risiken ihrer Unternehmen auf den Steuerzahler abwälzen können. (…) </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aber gerade die Wissenschaftstheorie Poppers lehrt uns, dass kein Individuum oder Gruppe von Individuen die Entwicklung der Gesellschaft mittels eines vorbereiteten Planes (…) bestimmen kann“: „Sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten, vermag er diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen für ihre Mitmenschen bereiten“ (Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde).</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Michael Esfeld: Die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde, LI-Paper, Liberales Institut Zürich, April 2021</span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-12339992832992711312023-01-05T16:30:00.010+01:002023-01-05T16:30:00.159+01:00Michael Esfeld, die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde - Teil 1<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">"Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" ist der Titel von Karl Poppers Hauptwerk in politischer Philosophie, geschrieben im Exil in Neuseeland während des zweiten Weltkriegs und 1945 veröffentlicht.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dieses Buch schuf eine der intellektuellen Grundlagen für die Bildung einer west-lichen Staatengemeinschaft, die auf Rechtsstaat und Menschenrechten basierend sich dem Sowjetimperium entgegenstellt. „Dadurch wurde der eiserne Vor- hang nicht nur zu einer physischen, sondern vor allem auch zu einer weltanschaulichen Grenze – die Behauptung von Freiheit gegen den Machtanspruch des Totalitarismus.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg_cDFZPQ-M8Fdgi2OY_m9HC4i6Pq5Zm2WgAyASZmVVMuQHtnlndcZZdFiXm57SDavqf0cXVulLl_8O9oh4fC5pJ_1MP1_iwjKGRtFwtdUcsP0i_0zqnKYa18uLjyEOkTKdF3Rj37Cau1_Wib9Jjvhrhx95WPY8R9jidJOzVIA4g_UxVDiWnNm2ULa2sg/s769/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Popper.jpeg" style="clear: right; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="769" data-original-width="600" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg_cDFZPQ-M8Fdgi2OY_m9HC4i6Pq5Zm2WgAyASZmVVMuQHtnlndcZZdFiXm57SDavqf0cXVulLl_8O9oh4fC5pJ_1MP1_iwjKGRtFwtdUcsP0i_0zqnKYa18uLjyEOkTKdF3Rj37Cau1_Wib9Jjvhrhx95WPY8R9jidJOzVIA4g_UxVDiWnNm2ULa2sg/w313-h400/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Popper.jpeg" width="313" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Karl Raimund Popper (1902 - 1994)</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Weichenstellung setzte den Rahmen für nahezu alle wesentlichen gesell-schaftlichen Gruppen und politischen Parteien im Westen: „Was auch immer für verschiedene Interessen und unterschiedliche parteipolitische Programme bestanden, der auf Grundrechten basierende freiheitliche Rechtsstaat im Gegensatz zum Totalitarismus des Sowjetimperiums stand nicht zur Disposition.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Weichenstellung prägte Politik und Gesellschaft über vier Jahrzehnte. 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, schien keine neue Weichenstellung erforderlich: Freiheit und Rechtsstaat hatten sich durchgesetzt. <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2013/05/francis-fukuyama-und-das-ende-der.html" target="_blank">Francis Fukuyama</a> sprach sogar vom Ende der Geschichte. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das war ein Irrtum, so Michael Esfeld, Professor für Philosophie an der Universität Lausanne. Die Weichenstellung erfolgt jetzt, im Jahre 2021. „Auch heute geht es um eine Weichenstellung zwischen Freiheit und Totalitarismus, die wiederum unser Leben für die kommenden Jahrzehnte prägen könnte. Und es geht wieder um einen Trend, der alle wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien umfassen könnte, was auch immer ansonsten ihre Unterschiede sein mögen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nach Popper zeichnet sich die offene Gesellschaft dadurch aus, dass sie jeden Menschen als Person anerkennt: „Die Person hat eine unveräußerliche Würde. Sie hat die Freiheit, ihr Leben nach eigenem Ermessen zu gestalten, ebenso wie die Verantwortung, für ihr Handeln auf Verlangen Rechenschaft abzulegen. Freiheit ist die `condition humaine´. Wenn wir denken und handeln, sind wir frei. Das ist deshalb so, weil man für Gedanken und Handlungen – und nur für diese – Gründe und damit Rechtfertigungen verlangen kann. Für Verhalten, das eine Reaktion auf biologische Reize und Begierden ist, ergibt es hingegen keinen Sinn, Gründe zu verlangen. Frei sind wir, weil die Spezies Mensch sich in der Evolution von dem Zwang befreit hat, einer bloßen Reaktion auf Reize unterworfen zu sein.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aus dieser Freiheit ergeben sich Grundrechte. „Das sind Rechte der Abwehr gegen äußere Eingriffe in die eigene Urteilsbildung darüber, wie man sein Leben gestalten will. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In der Philosophie werden diese Grundrechte so gedacht, dass sie mit der Existenz von Personen als solcher gegeben sind. Sie hängen also nicht vom positiven Recht eines Staates und kontingenten historischen Umständen ab. So zum Beispiel im Naturrecht seit der Antike; in der Aufklärung, die universelle <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2011/11/noberto-bobbio-und-die-menschenrechte.html" target="_blank">Menschenrechte</a> politisch einforderte, die für alle Menschen in gleicher Weise gelten und unter anderem zur Abschaffung der Sklaverei führten; bei <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2015/06/karl-popper-und-immanuel-kant-teil-2.html" target="_blank">Kant</a>, dessen kategorischer Imperativ fordert, Menschen stets als Zweck an sich selbst und nie nur als Mittel zu einem Zweck zu behandeln; im 20. Jahrhundert unter anderem auch in der Diskursethik von Karl-Otto Apel oder der <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2011/11/john-rawls-und-die-fairness.html" target="_blank">Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls</a>. Der Staat ist ein Rechtsstaat, der diese Rechte schützt; er lenkt die Gesellschaft nicht, sondern lässt den Menschen freien Lauf, ihre sozialen Beziehungen zu gestalten.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Popper zufolge sind die intellektuellen Feinde der offenen Gesellschaft diejenigen, die für sich reklamieren, das Wissen um ein gemeinschaftliches Gut zu besitzen. „Aufgrund dieses Wissens nehmen sie in Anspruch, die Gesellschaft technokratisch steuern zu können, um dieses Gut zu verwirklichen. Dieses Wissen ist sowohl faktisch-naturwissenschaftlicher als auch normativ-moralischer Art: Es ist mora-lisches Wissen um das höchste Gut zusammen mit naturwissenschaftlichem bzw. technokratischem Wissen darüber, wie man die Lebenswege der Menschen steuern muss, um dieses Gut zu erreichen. Deshalb steht dieses Wissen über der Freiheit der einzelnen Menschen, nämlich über deren eigener Urteilsbildung darüber, wie sie ihr Leben gestalten möchten.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Feinde kommen aus dem Inneren unserer Gesellschaft. Popper macht das am Übergang von Sokrates zu Platon und dann von Kant zu Hegel und Marx fest. Sokrates und Kant legen den intellektuellen Grund für die offene Gesellschaft; Platon, Hegel und Marx zerstören diesen, indem sie die Suche nach dem, was jeder als ein für sich gelingendes Leben ansieht, durch den Wissensanspruch um ein absolutes Gutes ersetzen, auf das die Geschichte zusteuert. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dieses Wissen berechtigt sie dazu, sich über Grundrechte und Menschenwürde hinwegzusetzen; denn es geht um das Ziel des menschlichen Daseins. Deshalb handelt es sich um einen Totalitarismus: Die gesamte Gesellschaft bis hin zum Leben der Familien und der Individuen wird auf die Verwirklichung des angeblichen absoluten Guten ausgerichtet, ohne dass durch Menschenwürde und Grundrechte Schranken gesetzt sind.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjY890zPJAq6WQi2G0dfMWq7and_lRgDfd1T2LsF5zCRc0XfJMjzcENzxzDmyD4_-5sXuou56GtWKjIzKFAf_dcRneWX2U3MW4R2njEbsekvxRMnmdR7A-eoxm8RhQta8hpG4u98YPo3xwbAxqLdjTEjPNVLBtbnekegoMVDvSt58J8WeNJ8m-8faGMRQ/s640/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Totalitarismus.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="405" data-original-width="640" height="406" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjY890zPJAq6WQi2G0dfMWq7and_lRgDfd1T2LsF5zCRc0XfJMjzcENzxzDmyD4_-5sXuou56GtWKjIzKFAf_dcRneWX2U3MW4R2njEbsekvxRMnmdR7A-eoxm8RhQta8hpG4u98YPo3xwbAxqLdjTEjPNVLBtbnekegoMVDvSt58J8WeNJ8m-8faGMRQ/w640-h406/Michael%20Esfeld,%20die%20offene%20Gesellschaft%20und%20ihre%20neuen%20Feinde%20-%20Teil%201%20und%202%20-%20Totalitarismus.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Experten nehmen für sich in Anspruch, ein moralisch-normatives Wissen</span><br style="font-family: verdana;" /><span style="font-family: verdana;">zur Steuerung der Gesellschaft zu haben - wie einst die Philosophen-Könige Platons<br /></span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Feinde der offenen Gesellschaft sind durch die Massenmorde entlarvt worden, die sich im 20. Jahrhundert auf dem Weg zur Verwirklichung des angeblich Guten als unumgänglich erwiesen haben. „Auf diesem Weg wurden nicht nur Menschenwürde und Grundrechte beseitigt, sondern zugleich auch ein schlechtes Resultat in Bezug auf das absolut gesetzte, angebliche Gute erzielt.“ So haben die kommunistischen Regimes auf dem Weg zu einer klassenlosen, ausbeutungsfreien Gesellschaft wesentlich schlimmere wirtschaftliche Ausbeutungsverhältnisse geschaffen als der Kapitalismus. Und im Nationalsozialismus hat der Weg zu einer reinrassigen Volksgemeinschaft eben dieses Volk an den Rand des Untergangs geführt. Diese Ideen und ihre politischen Folgen gehören in der Tat der Geschichte an. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><i>(<a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/12/Teil2.html" target="_blank">Fortsetzung folgt</a>)</i></span></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Michael Esfeld: Die offene Gesellschaft und ihre neuen Feinde, LI-Paper, Liberales Institut Zürich, April 2021</span></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><br /><p></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-58194798858409183332022-12-28T18:36:00.001+01:002022-12-28T18:43:17.204+01:00Mao Zedong und die Polygamie<p style="text-align: justify;"><span style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Irgendetwas an den Brüdern Mao war dem Familienleben nicht zuträglich. Weder Mao noch seine Brüder können kaum als vorbildliche Ehemänner oder Väter gelten, auch wenn sie nicht die einzigen waren, die sich ausgesprochen herzlos verhielten.</span></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Polygamie war in China weit verbreitet, und selbst die vermeintlich glühendsten Verfechter der Frauenemanzipation unter den männlichen Mitgliedern der Kommunistischen Partei sahen in den Frauen eher Sexualobjekte als Genossinnen. </span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Und wer dachte schon an die Kinder? Unter den Ärmsten und den ländlichen Lumpenproletariern, deren Interessen die Kommunistische Partei vertrat, galten Kinder und vor allem Töchter oft als Last. Anders als bei den armen Bauern war die Gefühllosigkeit der kommunistischen Führer gegenüber ihren Sprösslingen allerdings nicht ausschließlich eine Frage der Ökonomie. Sie hatten einfach keine Zeit für Kinder. Sie mussten sich auf ihre `Hauptaufgabe´ konzentrieren – die Revolution, den Bürgerkrieg, die Befreiung der unterdrückten Massen. Angesichts ihres großen Projekts waren die Tränen der Kinder und selbst die ihrer eigenen nicht weiter bedeutsam.“</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhZJqT7hkaiXMgyPQR8fPIAOqKHvU-6ut2yo-FFiEN_nQBkRm8YsUer8z_28KerjKy3JIDk8V2EHsxte6ajD50HzhQo_NfR_TT-_pTculfcpKyzqzm0a9ghl1fuSe7l_HahsXFfBY26mejcUQF_TCU5zep8WpK5HEyJKJhnzi6_B_HkH3ZRwbQbOe2rOQ/s960/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20Mao.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="539" data-original-width="960" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhZJqT7hkaiXMgyPQR8fPIAOqKHvU-6ut2yo-FFiEN_nQBkRm8YsUer8z_28KerjKy3JIDk8V2EHsxte6ajD50HzhQo_NfR_TT-_pTculfcpKyzqzm0a9ghl1fuSe7l_HahsXFfBY26mejcUQF_TCU5zep8WpK5HEyJKJhnzi6_B_HkH3ZRwbQbOe2rOQ/w640-h360/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20Mao.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Mao Zedong (1893 - 1976)</span></td></tr></tbody></table><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die von Alexander Pantsov und Steven I. Levine in ihrer großen Mao-Biographie erzählte Episode aus dem Leben von Mao Zedong eignet sich hervorragend, das rücksichts- und verantwortungslose Verhalten der chinesischen Parteiführer und marxistisch-leninistischen Theoretiker gegenüber ihren Familien zu veranschau-lichen.</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Herbst 1927 flüchtete sich Mao nach einem verunglückten Aufstand in der Provinz Hunan in die Bergregion von Jinggang (wörtlich: „Brunnen und Bergrücken“). Die dortige Macht lag in den Händen zwei Bandenchefs namens Yuan Wencai und Wang Zuo. Sechshundert mit alten Pistolen, Gewehren und Schwertern bewaffnete Halsabschneider beherrschten etwa 150 000 Menschen. Sie verlangten Tribut von der örtlichen Bevölkerung und bestraften grausam alle, die Widerstand leisteten. Sie enthaupteten Widerspenstige und stellten deren Köpfe auf Pfählen zur Schau.</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Um zu überleben, musste Mao erst einmal freundschaftliche Beziehungen zu den Banditen aufnehmen, die das Gebiet ausplünderten. Das gelang ihm, und er wurde, wie er selbst es ausdrückte, „König der Berge“.</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiiKhH-r1pmoWhFm0SVPBcMTNeXn2-TQxAJHm-UYiwzq7zJ8PDe4VTUeM6QNLOJtaoUHIlDu8tlpL2r4Y4lWjv2y1vX27mHCGG576i4uqHoIO-7OjhLgk6w-i_zfCCRaN81NxJtUIZwzgxOD76dfjo_iuEO78EWfhjVFYBc4RwqE_9bCgyJAylDtxbbXg/s400/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20He%20Zizhen.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="285" data-original-width="400" height="456" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiiKhH-r1pmoWhFm0SVPBcMTNeXn2-TQxAJHm-UYiwzq7zJ8PDe4VTUeM6QNLOJtaoUHIlDu8tlpL2r4Y4lWjv2y1vX27mHCGG576i4uqHoIO-7OjhLgk6w-i_zfCCRaN81NxJtUIZwzgxOD76dfjo_iuEO78EWfhjVFYBc4RwqE_9bCgyJAylDtxbbXg/w640-h456/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20He%20Zizhen.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Mao und He Zizhen</span></td></tr></tbody></table><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Yuan wiederum war gerissen genug und überlegte, wie er Mao an sich binden könnte. Er stellte ihm He Zizhen, die attraktive Tochter eines alten Freundes, vor und empfahl sie ihm als zuverlässige Dolmetscherin für den lokalen Dialekt. Das Mädchen war gerade achtzehn Jahre alt. „Sie war mit sechzehn Jahren in die Kommunistische Partei eingetreten, sie war belesen und politisch gebildet, aber vor allem attraktiv, tatkräftig, lebhaft und anmutig. Sie hatte ein süßes ovales Gesicht, große strahlende Augen und eine wunderschöne Haut. Nicht ohne Grund hatte ihr Kindheitsname Guiyuan gelautet (`Runder Mond im Goldregengarten´).“</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Sie machte einen positiven Eindruck auf Mao, den sie wiederum auch mochte, obwohl er sechzehn Jahre älter war als sie. Sie wusste, dass er verheiratet war und drei Söhne hatte; er hatte es ihr selbst erzählt. Aber nichts vermochte sie abzuhalten und Mao wusste, wie man den Frauen gefällt … </span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Zu dieser Zeit war er besonders unwiderstehlich – sehr schlank, mit langem Haar, einer hohen Stirn und traurigen dunklen Augen. Zizhen war hingerissen von ihm. Er strahlte gleichermaßen physische wie intellektuelle Kraft aus, war einfühlsam, schrieb Gedichte und kannte sich gut in der Literatur und im Volkstum aus. Die junge He Zizhen war noch nie jemandem wie ihm begegnet. War es gegenseitige Liebe? Oder nur sexuelle Anziehung? Menschen, die beide kannten, sind unterschiedlicher Ansicht.“</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Frühjahr 1928 bat Mao Zizhen, ihm bei der Arbeit an einem Manuskript zu helfen. Von da an lebten sie zusammen. „Ende Mai fand in Anwesenheit des Heiratsvermittlers Yuan Wencai und seiner Kumpane eine Art `Hochzeit´ statt. Sie aßen Süßigkeiten und Nüsse. Sie tranken Tee. Sie lachten, scherzten und waren vergnügt.“ </span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Natürlich dachte niemand an Maos eigentliche Ehefrau, Kaihui, die damals noch lebte. Durch Zufall erfuhr Kaihui vom Betrug ihres Mannes. Lange Monate hatte sie nichts von ihm gehört, und nun das! Der Schlag war so heftig, dass Kaihui beschloss, sich umzubringen, und wahrscheinlich hätte sie es getan, wären da nicht die Kinder gewesen. Sie ertrug diese Schmach zwei Jahre lang, bis ans Ende ihres Lebens.</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEii-hXLpBXqga4uMmqIyBkSM8jqxif-OeuUoDx0Fmz-eicfOrInA65UEoYFpsWm7d2JCwhNU5XjDb55j34Xo06JtHWpPVdUki2wVXmASJFnRPNjURLCBeEBvKiFSbhwtlmOhJkPmmGJ-mty2Zll8cYzJT3qZTaFpKpI2FWXdXuPwr6X_BmPhTHB9XygHQ/s602/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20Kaihui.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="602" data-original-width="350" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEii-hXLpBXqga4uMmqIyBkSM8jqxif-OeuUoDx0Fmz-eicfOrInA65UEoYFpsWm7d2JCwhNU5XjDb55j34Xo06JtHWpPVdUki2wVXmASJFnRPNjURLCBeEBvKiFSbhwtlmOhJkPmmGJ-mty2Zll8cYzJT3qZTaFpKpI2FWXdXuPwr6X_BmPhTHB9XygHQ/w372-h640/Mao%20und%20die%20Polygamie%20-%20Kaihui.png" width="372" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Kaihui und zwei ihrer Kinder</span></td></tr></tbody></table><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Oktober 1930 wurde Kaihui verhaftet. Ihr ältester Sohn, Anying, der gerade erst acht geworden war, wurde ebenfalls inhaftiert. Weil sie sich nicht von Mao lossagen wollte – sie hätte es als Verrat empfunden ! –, wurde sie vor ein Militärgericht gestellt. Die Verhandlung dauerte nicht einmal zehn Minuten. Der Richter stellte ein paar Fragen, dann tauchte er seinen Schreibpinsel in rote Tinte, machte ein Zeichen auf das Verhörprotokoll und warf es auf den Boden. Das war bei chinesischen Gerichten das Verfahren, das die Todesstrafe verkündete. </span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Am Morgen des 14. November 1930 holte man Kaihui aus der Zelle, um sie zur Hinrichtung zu führen. Sie wurde von einem Erschießungskommando auf einem Friedhof in Shiziling hingerichtet. Als sie, von zahlreichen Kugeln getroffen, zu Boden fiel, streifte einer aus dem Erschießungskommando ihr rasch die Schuhe ab und warf sie weg. Das tat man immer in China, damit die Verstorbenen nicht zurückkehrten und denen, die sie getötet hatten, nachgingen. Am Abend übergab man die Leiche ihren Verwandten, die sie nicht weit vom Haus ihrer Eltern begruben.</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Als Mao einen Monat später aus der Zeitung vom Tod seiner Frau erfuhr, schickte er seiner Schwiegermutter dreißig Silberyuan für einen Grabstein. Inzwischen lebte Mao jedoch schon seit 2 Jahren mit He Zizhen zusammen, nicht zuletzt, weil, wie er selbst sagte, „die Macht des menschlichen Bedürfnisses nach Liebe“ für ihn „größer als jedes andere Bedürfnis“. So waren denn die dreißig Silberstücke, die er für den Grabstein nach Bancang schickte, nur noch ein schaler und verlogener Akt seiner moralischen Schäbigkeit!</span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-size: x-small;"><span style="font-family: verdana;">Zitale aus: Alexander V. Pantsov und Steven I. Levine: </span><span style="font-family: verdana;">Mao. </span><span style="font-family: verdana;">Die Biographie, Frankfurt a.M. 2014 (Fischer)</span></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><br /></div></span></div></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-37175833833986668202022-08-11T16:30:00.042+02:002022-08-11T16:30:00.154+02:00Hannah Arendt und die Freundschaft<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Neben vielen Ehrungen und Preisen wurde Hannah Arendt im Jahre 1959 mit dem Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. In ihrer Rede mit dem Titel „Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten“, die sie am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Preises hielt, vertrat Arendt die Ansicht, Kritik sei stets das Begreifen und Beurteilen im Interesse der Welt, woraus gleichwohl niemals eine Weltanschauung werden könne, „die sich auf eine mögliche Perspektive festgelegt hat“. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgiiFKVz5hT7EFynroEpYGJkMKDA_A4j17gK1OBzgupVw5aGX6ClRzrZM1_EeQtSgBFAQEEH5z8sHgQca1qSs70M_5N1jIRavYoEbr4e4glnQQykOcY9CTpoSqIzrRw8CBOYb436ePjWBeOWUpna25e9uS6zyVShWpAccmmetFxiq0om6nSJbaUVj-VyA/s1600/Hannah%20Arendt%20und%20die%20Freundschaft%20-%20Portrait.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1600" data-original-width="1581" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgiiFKVz5hT7EFynroEpYGJkMKDA_A4j17gK1OBzgupVw5aGX6ClRzrZM1_EeQtSgBFAQEEH5z8sHgQca1qSs70M_5N1jIRavYoEbr4e4glnQQykOcY9CTpoSqIzrRw8CBOYb436ePjWBeOWUpna25e9uS6zyVShWpAccmmetFxiq0om6nSJbaUVj-VyA/w395-h400/Hannah%20Arendt%20und%20die%20Freundschaft%20-%20Portrait.jpeg" width="395" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Hannah Arendt</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Statt „Geschichtsbesessenheit“ und „Ideologieverschworenheit“ sieht Arendt das Ziel und die Aufgabe der Menschen darin, das freie Denken, mit Intelligenz, Tiefsinn und Mut, „ohne das Gebäude der Tradition“, zu wagen. Eine absolute Wahrheit existiere nicht, da sie sich im Austausch mit anderen sofort in eine „Meinung unter Meinungen“ verwandle und Teil des unendlichen Gesprächs der Menschen sei, in einem Raum, wo es viele Stimmen gibt. Jede einseitige Wahrheit, die auf nur einer Meinung beruht, sei „unmenschlich“.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im letzten Teil ihrer Rede konkretisiert Arendt ihre Vorstellung von Menschlichkeit am Beispiel der Freundschaft. Schon in der Antike galt die Auffassung, „dass ein menschliches Leben nichts weniger entbehren könne als Freunde, ha dass ein Leben ohne Freunde nicht eigentlich lebenswert sei.“ Man dürfe allerdings nicht den Fehler machen, „in der Freundschaft ausschließlich ein Phänomen der Intimität zu sehen, in der die Freund unbehelligt von der Welt und ihren Ansprüchen einander die Seelen öffnen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hannah Arendt erinnert daher im Rückgriff auf <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2013/05/aristoteles-und-die-freundschaft.html" target="_blank">Aristoteles</a> an die politische Relevanz der Freundschaft, demzufolge „die <i>philia</i>, die Freundschaft zwischen den Bürgern, eines der Grunderfordernisse des gesunden Gemeinwesens sei.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So mag es auch nicht verwundern, dass für die Griechen, „das eigentliche Wesen der Freundschaft im Gespräch“ lag, und „das dauernde Miteinander-Sprechen“ erst die Bürger zu einer Polis vereinige.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Im Gespräch manifestiert sich die politische Bedeutung der Freundschaft und der ihr eigentümlichen Menschlichkeit, weil dies Gespräch (im Unterschied zu den Gesprächen der Intimität, in welchen individuelle Seelen über sich selbst sprechen), so sehr es von der Freude an der Anwesenheit des Freundes durchdrungen sein mag, der gemeinsamen Welt gilt, die in einem ganz präzisen Sinne unmenschlich bleibt, wenn sie nicht dauernd von Menschen besprochen wird. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Denn menschlich ist die Welt nicht schon darum, weil sie von Menschen hergestellt ist, und sie wird auch nicht schon dadurch menschlich, dass in ihr die menschliche Stimme ertönt, sondern erst, wenn sie Gegenstand des Gespräches geworden ist.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgsRvw7XoWfw_e5q09TOqoHJ4UVMEgVeMoNZG_QRkjhjXACpyWOFTuHD5_o4e5gScSq8fp7efdaeMenNR1y8LbX1_Ta5G2X8rKtfX36_ZZfEtZD5Ui5fJ_OPSsYyYhQJYzfmUxQVxcz-HH-FF5QMkHALtexZA9F4x_QuGwQVZ5RATwvy4LbSJLlTYEenw/s720/Hannah%20Arendt%20und%20die%20Freundschaft%20-%20Gespra%CC%88ch.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="720" data-original-width="720" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgsRvw7XoWfw_e5q09TOqoHJ4UVMEgVeMoNZG_QRkjhjXACpyWOFTuHD5_o4e5gScSq8fp7efdaeMenNR1y8LbX1_Ta5G2X8rKtfX36_ZZfEtZD5Ui5fJ_OPSsYyYhQJYzfmUxQVxcz-HH-FF5QMkHALtexZA9F4x_QuGwQVZ5RATwvy4LbSJLlTYEenw/w400-h400/Hannah%20Arendt%20und%20die%20Freundschaft%20-%20Gespra%CC%88ch.jpeg" width="400" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Die Welt wird nur menschlich, wenn sie Gegenstand des Gespräches geworden ist.</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Darin liegt Arendt zufolge die Macht des Gespräches: „Was nicht Gegenstand des Gespräches werden kann, mag erhaben oder furchtbar oder unheimlich sein, es mag auch eine Menschenstimme finden, durch die es in die Welt hineintönt; menschlich gerade ist es nicht. Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir, was in der Welt ist, wie das, was in unserem eigenen Inneren vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Diese Form der Menschlichkeit bezeichneten die Griechen mit dem Begriff <i>philanthropia</i>, „eine `Liebe zu den Menschen´, die sich darin erweist, dass man bereit ist, die Welt mit ihnen zu teilen. In der römischen <i><a href="http://diepaideia.blogspot.com/2012/08/marcus-tullius-cicero-und-die.html" target="_blank">humanitas</a></i> habe die griechische Philanthropie zwar manche Änderung erfahren – u.a., dass Menschen verschiedener Herkunft und Abstammung das römische Bürgerrecht erhalten und so in das Gespräch zwischen Römern über die Welt und das Leben aufgenommen wurden -, aber der politische Hintergrund der griechischen Philanthropie blieb auch der römischen <i>humanitas</i> erhalten.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Hannah Arendt: Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1999 (EVA)</span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Bargas, Toledo, Spanien39.9399375 -4.02101890.18777998409008489 -74.3335189 79.692095015909914 66.2914811tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-21948241342409039302022-08-04T15:30:00.087+02:002022-08-10T19:02:25.024+02:00Irene Vallejo und die Forderung nach politisch korrekt erzählten Gute-Nacht-Geschichten<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In ihrem Buch „Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern“ nimmt Irene Vallejo ihre Leser mit auf eine abenteuerliche Reise durch die faszinierende Geschichte des Buches von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des Römischen Reiches. Dabei verknüpft sie die klassischen Werke mit der Gegenwart, unter anderem Platon mit der heute – vor allem <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2022/02/Identitatspolitik1.html" target="_blank">in Kreisen der identitären Bewegungen</a> – stärker werdenden autoritären Tendenz der politischen Korrektheit.</span></p><p style="text-align: justify;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgVfcVYoht58D7Pz-O95Ea3rxUKa6E-avRfq1pzVZx4Yoo67II8STNGX_3fPvIX-gTat_atrPOGXWue3kT_rYA23R6o54bBGE5lNVc0MVqJ9G51QkFYLyAPznXqHKgJO-UyMcYJGsqoepYmXdHGCwv0Hc4u6ph-1spDy-1TjmId9TRygdedhwA8VOeVKw/s500/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Buchtitel.jpeg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="500" data-original-width="316" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgVfcVYoht58D7Pz-O95Ea3rxUKa6E-avRfq1pzVZx4Yoo67II8STNGX_3fPvIX-gTat_atrPOGXWue3kT_rYA23R6o54bBGE5lNVc0MVqJ9G51QkFYLyAPznXqHKgJO-UyMcYJGsqoepYmXdHGCwv0Hc4u6ph-1spDy-1TjmId9TRygdedhwA8VOeVKw/s320/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Buchtitel.jpeg" width="202" /></a></div><span style="font-family: verdana;"><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Vallejos Erzählung beginnt mit der Neuausgabe der Romane „Tom Sawyers Abenteuer“ und „Huckleberry Finns Abenteuer“, bei der das Wort „nigger“ durch das Wort „Sklave“ ersetzt wurde. „Der Verantwortliche für diese literarische Vorbeugemaßnahme … erklärte, die schwierige Entscheidung gehe auf die Bitten zahlreicher High-School-Lehrer zurück: Deren Meinung nach sei Huck Finn in seiner ursprünglichen Form nicht mehr für die Schullektüre geeignet, da die `in anstößiger Weise rassistische Sprache´ vielen Schülern Unbehagen bereite. Aus dieser Sicht ist ein oberflächlicher Eingriff die beste Möglichkeit zu verhindern, dass die Klassiker der nordamerikanischen Literatur endgültig aus den Schulen verbannt werden.“</div></span><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ähnliches geschieht Vallejo zufolge auch in Europa: „Eine Legion von Eltern sorgt sich um die unheilbaren Traumata die Hans Christian Andersen oder die Brüder Grimm bei ihren fragilen Sprösslingen hinterlassen könnten (…) Viele von ihnen sähen die herkömmliche Literatur aus unserer unvollkommenen Vergangenheit gerne wenn nicht eliminiert, so doch zumindest an das gute postmoderne Gewissen angepasst.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So verwundert es nicht, dass Mitte der 1990er Jahre der Humorist James Finn Garner seinen komödiantischen Beitrag zum Thema unter dem Titel „Und wenn sie nicht gestorben sind. Gute-Nacht-Geschichten politisch korrekt erzählt“ veröffent-lichte.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Forderung kompromissloser Zensoren und sonstiger Anstandsprediger, die Erziehung der Jugend nicht dem Zufall oder gar dem eigenen Denken der jungen Menschen selbst zu überlassen, ist nicht neu. Ihr renommiertester Vertreter in der Antike war Platon, der als Leiter der von ihm gegründeten Akademie die zukünftige Machtelite der griechischen Poleis heranziehen wollte – nachdem sein Versuch, selbst politisch Karriere so kläglich gescheitert war. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhZh1kgnR-Vgu-z3pLFKIFODxrbc6in8-Dyn8-nAG09AshE7nz_-e2sjA69QI2a9WjTrdAw0k9vBVa2YMg9RxY4eeUKz9igf5X6U01GcLq0MVOtfPfKPOq3ki8rRi95UPZo6mVXOymXHyyA67ezlmjso6JLo9XUou2vFhqWa7RC-8m1IMDiPsU6X2cEAw/s600/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Akademie.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="600" data-original-width="586" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhZh1kgnR-Vgu-z3pLFKIFODxrbc6in8-Dyn8-nAG09AshE7nz_-e2sjA69QI2a9WjTrdAw0k9vBVa2YMg9RxY4eeUKz9igf5X6U01GcLq0MVOtfPfKPOq3ki8rRi95UPZo6mVXOymXHyyA67ezlmjso6JLo9XUou2vFhqWa7RC-8m1IMDiPsU6X2cEAw/w626-h640/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Akademie.jpeg" width="626" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="background-color: white; color: #202122; text-align: start;"><span style="font-family: verdana;">Platon und die Akademie von Athen (Mosaik aus Pompeji, um 50 v. Chr.) </span></span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Vallejo gibt zu, dass Platons Lehren „in ihrer explosiven Mischung aus freiem Denken und autoritären Impulsen schon immer verblüffend schizophren“ auf sie gewirkt haben. Besonders deutlich würde dies in Platons Hauptwerk „Der Staat“ deutlich.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So sei das in der Mitte des Werkes stehende Höhlengleichnis eine „wundervolle Einladung zum Zweifel, sich nicht mit den Erscheinungen zufriedenzugeben, sich von seinen Fesseln zu befreien und gegen alle Vorurteile der Wirklichkeit ins Gesicht zu blicken. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das dritte Buch des Werkes dagegen aber enthalte nicht nur „eine düstere Anti-these zu seiner aufgeklärten Botschaft“, sondern „könnte glatt als Praxishandbuch für den angehenden Diktator durchgehen.“ </span><span style="font-family: verdana;">In diesem Teil seines Werkes spricht Platon über die Erziehung, die vor allen Dingen Ernst, Anstand und Tapferkeit zu vermitteln habe. So spricht sich Platon konsequent „für eine strenge Zensur der Bücher und der Musik aus, die man den jungen Leuten zu lesen und zu hören gibt“. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So seien beispielsweise Homer und Hesiod ungeeignet, „weil sie die Götter als frivol, hedonistisch und mit Fehlern behaftet zeigen, was der Erziehung nicht dienlich ist …, weil einige Verse der Dichter die Angst vor dem Tod ansprechen, und das geht Platon gegen den Strich.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch das Theater steht bei Platon auf der Abschussliste, denn dort würden - in den tragischen und komischen Werken gleichermaßen - mehrheitlich schlechte Men-schen auftreten. „Die Identifikation mit deren Emotionen kann für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen nicht förderlich sein. Um geduldet zu werden, sollten Theaterwerke `tapfere, besonnene, frommer und freie Männer´ aufbieten.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch in seinem Spätwerk „Die Gesetze“ hält die Zensurlust Platons an. Dort heißt es: „Der Dichter soll nur das, was der Staat als gesetzlich, gerecht, schön und gut anerkennt, in seine Dichtungen aufnehmen, und ihm soll nicht gestattet werden, seine Werke vorzutragen, ehe sie den dazu eingesetzten Richtern und Gesetzesverwesern mitgeteilt sind und deren Billigung erhalten haben.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dichterische texte gehören Platon zufolge also einer strengen Zensur unterworfen, „manchmal müssen sie unterdrückt, manchmal gereinigt, berichtigt und, sooft es sich als nötig erweist – also sehr oft – auch neu geschrieben werden.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hier springt die geistige Verwandtschaft zwischen Platons Staat und Orwells Großem Bruder in seinem Roman <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2015/10/peter-bieri-und-die-selbststandigkeit.html" target="_blank">1984</a> geradezu ins Auge. Im Wahrheits-ministerium wird die gesamte Literatur der Vergangenheit, auch und vor allem die Klassiker, umgeschrieben. Ein Mitarbeiter des Ministeriums erklärt unumwunden – und ganz im Stile der Parole „Nicht-Wissen ist Stärke!“: „Chaucer, Shakespeare, Milton, Byron werden nur noch in Neu-Sprech-Ausgaben vorliegen. Sie werden etwas anderes geworden sein, das ihrer ursprünglichen Aussage jeglichen Boden entzieht (…) Das ganze Klima des Denkens wird anders sein. Genauer gesagt, ein Denken, wie wir es heute verstehen, wird es gar nicht mehr geben. Das richtige Bewusstsein heißt Nichtdenken – gar nicht mehr denken müssen. Das richtige Bewusstsein ist die Bewusstlosigkeit.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjIHicP6P40c5Ih1o0g4J9JeD7eBM1pHtapsBLjDrRwqcy7JwOxkcYTHxyn1yiFxVP8JHtS4fLYOyYXNqpcR2C7liSwoSi8U2slmKrhb5Ewvv5vvt_Ge9M5-Gd7zraeY42O4D85iOaOYNKTgDv2jPAqcDCtQiLwDBCxA1JtGFbP1v1PjHRw8cS0fC8j-Q/s1024/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%201984.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana;"><img border="0" data-original-height="789" data-original-width="1024" height="494" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjIHicP6P40c5Ih1o0g4J9JeD7eBM1pHtapsBLjDrRwqcy7JwOxkcYTHxyn1yiFxVP8JHtS4fLYOyYXNqpcR2C7liSwoSi8U2slmKrhb5Ewvv5vvt_Ge9M5-Gd7zraeY42O4D85iOaOYNKTgDv2jPAqcDCtQiLwDBCxA1JtGFbP1v1PjHRw8cS0fC8j-Q/w640-h494/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%201984.jpeg" width="640" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Das richtige Bewusstsein ist die Bewusstlosigkeit.“</span></div></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Platon - und mit ihm alle seine geistigen Nachfolger – wusste sehr gut, was er sagte. Es war keine „Überspitzung“, die Platon formulierte, weil er beim Formulieren ein wenig in Wallung geraten sei. Platon war kein Freund der athenischen Demokratie, die er für den Tod von Sokrates verantwortlich machte. Daher wollte Platon „eine unabänderliche Staatsform erschaffen, in der nie wieder ein Bedarf an gesellschaftlichem Wandel oder schamlosen Erzählungen die moralischen Grundfesten erschüttern könnte (…) Nun wünschte er sich Stabilität, eine Regierung der Weisen und nicht der tumben Mehrheit.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So wie die damalige Staatsform, so missfiel Platon auch das „Schulsystem“ seiner Zeit. Die Lehrer sollten Philosophen sein, nicht die Dichter mit ihren wenig erbaulichen Gedanken und Ideen, denn „die allzu große Belesenheit in der Dichtung ist gefährlich für die Jugend.“ Philosophen wie er selbst, die von sich behaupten konnten – wie Platon es in „Die Gesetze“ selbst schreibt: „Und vielleicht ist es gar kein Wunder, dass mir meine eigenen Reden, wenn ich sie mit im Ganzen ansehe, so ausgezeichnet gefallen. Denn unter allem, was ich in ähnlicher Weise in Versen oder in Prosa ausgedrückt gelesen oder gehört habe, ist mir nichts begegnet, was mir so passend und für junge Leute geeignet erschienen wäre.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Für Vallejo liegt genau hier der eigentliche Skandal: „Wie kann es sein, dass ein Philosoph von so unangepasster Intelligenz für ein Bildungssystem eintritt, das die Schüler dazu verdammt, sich auf sterilisierte Texte und Tugendfabeln zu beschränken? Sein Programm will der Literatur alle Nuancen nehmen, die Blicke in den Abgrund, den Zweifel, das Schmerzliche, das Paradoxe, die verstörenden Ahnungen. Dieses Zurechtstutzen hat etwas Schauriges.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nur: An der Kontroverse hat sich auch heute nicht grundsätzlich etwas geändert: „Sind Kinder- und Jugendbücher komplexe literarische Werke, oder sind die Verhaltenshandbücher? Ein bereinigter Huck Finn mag den jungen Lesenden vielen beibringen, er beraubt sie jedoch einer essentiellen Lektion: dass es einmal Zeit gab, in der fast alle ihre Sklaven `Nigger´ nannten dass das Wort aufgrund dieser Geschichte der Unterdrückung zum Tabu geworden ist.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Vallejo ist sich sicher, dass die jungen Menschen nicht vor schlechten Ideen bewahrt werden, wenn man alles „Ungeeignete“ als den Büchern tilgt. Die Kinder müssen lernen - und lesen -, dass das Böse existiert, dass „Bösewichter ein entscheidender Bestandteil traditioneller Geschichten“ sind.</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjcG1GWwjmylG96R_M6cQiGbDW6zaj4xiTSWtNkx0ZPEXIs82hibrFv3UZnaNFqAPWuiuj2haoGQcFe0uV_p8wFPgTvSKJotSgEPTZy0r9PJuS31xci8vjJwQH7KoDWMjSZrELuhRY7D9Ejstt475JraEnlEYJmAk_IBEoFnhvoTgf46EAICw7qMBEOjw/s1360/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Tom%20Sawyer.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1360" data-original-width="907" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjcG1GWwjmylG96R_M6cQiGbDW6zaj4xiTSWtNkx0ZPEXIs82hibrFv3UZnaNFqAPWuiuj2haoGQcFe0uV_p8wFPgTvSKJotSgEPTZy0r9PJuS31xci8vjJwQH7KoDWMjSZrELuhRY7D9Ejstt475JraEnlEYJmAk_IBEoFnhvoTgf46EAICw7qMBEOjw/w426-h640/Irene%20Vallejo%20und%20die%20Forderung%20nach%20politisch%20korrekt%20erza%CC%88hlten%20Gute-Nacht-Geschichten%20-%20Tom%20Sawyer.jpeg" width="426" /></a></td></tr></tbody></table><p></p><div style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">„Literatur, die beunruhigt, das wesentlich mehr Bildungspotenzial </span></div><div style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">als eine, die ihre Leser entlastet."</span></div><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Natürlich könne man nun – wie bei Orwell – die gesamte Literatur in den OP-Saal schieben und schönheitschirurgischen Maßnahmen unterziehen, „nur wird sie uns dann nicht mehr die Welt erklären. Wenn wir diesen Weg einschlagen, dürfen wir uns kaum darüber wundern, dass die jungen Leute nicht mehr lesen und sich stattdessen einer PlayStation zuwenden, auf der sie … einen Haufen Leute umlegen können, ohne dafür Ärger zu kriegen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ironie der Geschichte: Das Kapitel aus dem Buch von Vallejo über Platon schließt mit dem folgenden Hinweis: „Vor mir liegt hier noch ein Zeitungsartikel. An der University of London fordern die Studentenvertretung der School of Oriental & African Studies, Philosophen wir Platon, Descartes oder Kant vom Lehrplan zu nehmen – als Rassisten oder Kolonialisten … Platon, der Jäger, ist nun der Gejagte.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><span style="font-size: x-small;">Zitate aus: Irene Vallejo: Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern, Zürich 2022 (Diogenes)</span></span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Bargas, Toledo, Spanien39.9399375 -4.021018911.629703663821154 -39.1772689 68.250171336178852 31.1352311tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-21141986433442161152022-05-05T15:30:00.068+02:002022-08-01T12:35:13.802+02:00Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und der "Schlussstrich" - Teil 2<div style="text-align: left;"><i style="font-family: verdana; text-align: justify;"><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/04/NurnbergSchlussstrichTeil1.html" target="_blank">Fortsetzung vom 28.04.2022</a></i></div><p><span style="font-family: verdana; text-align: justify;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im März 1949 hatte der US-Oberkommandierende General Clay alle Todesurteile gegen die Angeklagten des sog. Einsatzgruppenprozesses bestätigt, auch das gegen Ohlendorf. „Doch die Vollstreckung am Landsberger Galgen wurde aufgeschoben. Das hatte zunächst eher bürokratische Gründe: Clays Amtszeit lief ab, und sein Nachfolger John McCloy, ein Jurist, ehemals Wallstreet-Anwalt, hatte sich die Entscheidung über Revisionsanträge der Todeskandidaten in Landsberg vorbehalten (…) Clay war ein Haudrauf, ein Militär eben; McCloy war ein Strippenzieher, ein Lobbyist und Spindoktor der amerikanischen Nachkriegspolitik. Er fand, dass man die Spitzen-kräfte des untergegangenen Reiches nicht einfach aufhängen konnte. Vielleicht brauchte man sie ja noch.“ </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhPewEKZPZKnCqND_wOaPkWl_YFnOk5jTo4REr8RkT3hBOmOHiyhGBpy37aseOg_SL4ij-7YTonUOW-v_4rskKvsxHW898f1FBQmDplqotjCeCbEice6szbi-DHqX9v7HkPGfc3zcsLbG1SvOAVJew-y876VSbPD93Gh2jGszGwKXnRDb6d3esih3vdQA/s800/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%202%20-%20McCloy.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="648" data-original-width="800" height="518" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhPewEKZPZKnCqND_wOaPkWl_YFnOk5jTo4REr8RkT3hBOmOHiyhGBpy37aseOg_SL4ij-7YTonUOW-v_4rskKvsxHW898f1FBQmDplqotjCeCbEice6szbi-DHqX9v7HkPGfc3zcsLbG1SvOAVJew-y876VSbPD93Gh2jGszGwKXnRDb6d3esih3vdQA/w640-h518/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%202%20-%20McCloy.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">John McCloy (1945 auf dem Weg zur Potsdamer Konferenz)</span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana;"><br /></span><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Im Land der Täter hatte eine bleierne Zeit begonnen. Der Blitzschlag von Nürnberg, die Verheißungen eines neuen Rechts des Friedens und der Menschlich-keit hatten ganz gegensätzliche Folgen: Die Deutschen fühlten sich in ihrer Mehrheit gekränkt und missverstanden. `Die Zeit war noch nicht reif für die Erkenntnis, dass den Deutschen durch die Nürnberger Verfahren ein großer Dienst erwiesen wurde´“. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Stattdessen begann eine beispiellose Strategie der Verharmlosung, Leugnung und Irreführung, die am Ende selbst ruchlosesten NS-Verbrechern zur Freiheit verhalf. Natürlich waren nicht alle Deutschen alte Nazis. Aber ein gemeinschaftliches Grund-gefühl einte die Besiegten: dass die Deutschen, als Nation, nun genug gelitten hätten. Ein Schlussstrich musste her!</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im „Heidelberger Kreis“ schlossen sich die Nürnberg-Verteidiger, sowie einfluss-reiche Juristen zusammen, um sich für eine Rehabilitierung der in Nürnberg Verurteilten stark zu machen, die mittlerweile im War Criminal Prison No. 1 in Landberg am Lech auf die Vollstreckung der Urteile warteten. Offizielles Ziel des Kreises war, „`die Auswirkungen der Kriegsverbrecherprozesse sowohl auf die unmittelbar Betroffenen wie auf das deutsche Volk insgesamt zu erkennen und zu begrenzen´. Erkennen und Begrenzen: Delegierte des Kreises, unter ihnen der Dönitzverteidiger und ehemalige Kriegsrichter Otto Kranzbühler, saßen des Öfteren beim Bundeskanzler Konrad Adenauer, um zu besprechen, was das heißen konnte.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgfHgY6ITexLh6hFs0IYFmRz-Inht-Vbn7pec9e5PFLp9DHqk22bGmilyH8nQDKssuMn2D9SQB2x6PYZ5y8N7eUIra6RDUmev4DOtuJp2f4UmbeEGrEvF5gUOnPmOC21jQWpfIYCxGdavVF_MOivGtyeuq19cykdn_rhnhrNHgQbPOQwh41soxtlQKaXA/s896/Bildschirmfoto%202022-04-17%20um%2012.55.59.png" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="621" data-original-width="896" height="444" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgfHgY6ITexLh6hFs0IYFmRz-Inht-Vbn7pec9e5PFLp9DHqk22bGmilyH8nQDKssuMn2D9SQB2x6PYZ5y8N7eUIra6RDUmev4DOtuJp2f4UmbeEGrEvF5gUOnPmOC21jQWpfIYCxGdavVF_MOivGtyeuq19cykdn_rhnhrNHgQbPOQwh41soxtlQKaXA/w640-h444/Bildschirmfoto%202022-04-17%20um%2012.55.59.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Mitglieder des Heidelberger Juristenkreises (Quelle: Wikipedia)</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch die Kirchen in Deutschland machten sich zu heftigen Fürsprechern der gefangenen Nazis. „Schon im September 1946 hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Theophil Wurm, einen Brief voll scheinheiliger Sorge an den Vorsitzenden des International Military Tribunal Lawrence geschrieben: `Es wäre etwas Furchtbares, wenn durch das Nürnberger Urteil die Meinung bestärkt würde, dass es auf Erden kein Recht mehr gibt, sondern dass das Recht nur von der Macht diktiert wird.´ (…) Fürsprache fanden die Massenmörder in der Landsberger Haft auch bei dem evangelischen Bischof Otto Dibelius, der in einem Appell an die Alliierten `Gnade für diejenigen´ forderte, `die mit dem Brandmal des Kriegsverbrechens gestempelt in Gefangenschaft gehalten werden´.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Wie die junge deutsche Republik ihre Vergangenheit zu bewältigen suchte, lässt sich gut an den ersten Gesetzes des neu konstituierten Deutschen Bundestages ablesen, darunter das „Straffreiheitsgesetz“, „das, mit großer Mehrheit im Eilverfahren verabschiedet, eine Generalamnestie für alle kleineren Delikte versprach, für Schwarzmarktvergehen nicht anders als für die minderschweren Fälle der NS-Kriminalität. (…)</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dass man die Vergangenheit lieber ruhen lassen sollte, bekräftigte der Bundestag ebenfalls nahezu einstimmig, als es 1951 darum ging, Hunderttausende deutscher Beamter, die wegen ihrer Naziverstrickung von den Alliierten aus dem Amt entfernt worden waren, wieder in ihre Rechte einzusetzen. Das Gesetz zur `Bereinigung der Rechtsverhältnisse von Personen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen´ kam einem Staatsstreich gleich: Der Beamtenapparat des Naziregimes durfte weitermachen, als wäre nichts geschehen. (…)</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In die obersten deutschen Gerichte zogen wieder die Spitzenjuristen der NS-Zeit ein, in Geheimdienst, Polizei, Auswärtiges Amt. Alte Naziseilschaften gaben überall den Ton an. Hans Globke war einst im NS-Innenministerium der Mitverfasser eines Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen gewesen. Schwamm drüber, nun leitete er Konrad Adenauers Kanzleramt.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hinzu kam die Erkenntnis, dass der gerade eben begonnene Kalte Krieg ganz schnell heiß werden könnte und man Westdeutschland dann als Partner eines Waffenganges gegen den Kommunismus an der Sollbruchstelle der neuen Blöcke unbedingt brauchen würde. So konnte Adenauer zum Kanzler der Westbindung werden, stets bemüht, den westlichen Siegern deutlich zu machen, dass alles seinen Preis hatte: „Wer die neue Bundesrepublik als militärischen Partner haben wollte, musste sie zunächst wieder in die Runde gleichberechtigter souveräner Staaten aufnehmen. Eine Wiederbewaffnung Deutschlands würde eine parlamentarische Mehrheit nur finden, so Adenauer zu McCloy, wenn zugleich das Besatzungsstatut abgelöst würde. Wenn aber die Westmächte ihre Kontrolle über die Bundesrepublik aufgaben – was sollte dann mit den Männern im War Criminal Prison No. 1 geschehen? Man konnte sie doch nicht einfach freilassen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch McCloy war von der Notwendigkeit einer Waffenbrüderschaft mit den Deutschen gegen den Kommunismus überzeugt. Nicht zuletzt hatte er alles vermieden, was die Stimmung der Deutschen gegen die US-amerikanischen Gerichtsherren von Nürnberg verschlechtern konnte. „Zunächst setzte der Hochkommissar auf Minimierung in Landsberg: Nach und nach sorgte er dafür, dass die Häftlinge mit Gefängnisstrafen lautlos entlassen wurden. Dann wandelte er einundzwanzig Todesurteile in Haftstrafen um. Sieben Männer allerdings – unter ihnen Otto Ohlendorf – mussten hängen. Mit der Vollstreckung am Galgen am 7. Juni 1951 war auch dieses Problem keines mehr, über das man weiter diskutieren konnte (…) </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Bis 1958 war der letzte in Nürnberg verurteilte Häftling wieder in Freiheit.“</span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgidzWNdBrc_0AtDQ1rZyT3jktmsRTuRa2sBn7qBgF5t39nZWswS9hJEkC4bCuIPGuFTsIFUXDmCoBCw0f-yOgzN1LcJMU6LvRVpEbQIhndwv8olPhkyq2DifCPC0KLxi3k_iwaQmAu6jUWSySHi0kURP_L4zXip4d4IXwf1-V1jLGesfA3vkzbUYOrbA/s1920/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%202%20-%20Dachau.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1080" data-original-width="1920" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgidzWNdBrc_0AtDQ1rZyT3jktmsRTuRa2sBn7qBgF5t39nZWswS9hJEkC4bCuIPGuFTsIFUXDmCoBCw0f-yOgzN1LcJMU6LvRVpEbQIhndwv8olPhkyq2DifCPC0KLxi3k_iwaQmAu6jUWSySHi0kURP_L4zXip4d4IXwf1-V1jLGesfA3vkzbUYOrbA/w640-h360/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%202%20-%20Dachau.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="background-color: white; text-align: left;"><span style="font-family: verdana;">Das Mahnmal an der KZ-Gedenkstätte in Dachau</span></span></td></tr></tbody></table><br /><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: small;">Zitate aus: Thomas Darnstädt, Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945, München 2015 (piper)</span></p><div style="text-align: justify;"><br /></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-7097947847633656072022-04-28T15:30:00.087+02:002022-04-28T15:30:00.144+02:00Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse und der "Schlussstrich" - Teil 1<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Als am 1. Oktober 1949 der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zu Ende ging - 12 der 24 Angeklagten wurden zum Tode verurteilt; sieben Angeklagte erhielten langjährige oder lebenslange Haftstrafen, drei Angeklagte wurden freigesprochen -, saßen immer noch Zigtausende Deutsche noch immer in alliierter Haft und warteten auf ihren Prozess. „Beseelt von der Idee, große Teile des Nazi-volkes zur Verantwortung zu ziehen, hatten die alliierten Besatzer in ihren Zonen große Internierungslager errichtet, wo sie jedermann einsperrten, der verdächtig war, ein größeres oder kleineres Rädchen im gewaltigen Unrechtsapparat der Hitlerdiktatur gewesen zu sein.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Mit dem vom Alliierten Kontrollrat verabschiedeten „Gesetz Nummer zehn“ sollten nun überall in den Zonen Richter der Besatzungsmächte die Nürnberger Prinzipien in kleiner Münze unters deutsche Volk bringen. Ein neues Jahrhundertprojekt, aber praktisch unmöglich zu realisieren!</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nach der Rückkehr von <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/04/robert-h-jackson-und-die-einleitung.html" target="_blank">Robert H. Jackson</a> nach Washington übernahm nun Jacksons ehemaliger enger Mitarbeiter Telford Taylor die Leitung der US-Anklagebehörde (OCCWC - Office of the U.S. Chief of Counsel for War Crimes). Unterstützt wurde Taylor von Benjamin Ferencz, der 1945 mit einem Artillerie-bataillon der US-Armee nach Deutschland kam und sich freiwillig zur Beweis-sicherung für Kriegsverbrechen im besiegten Deutschland gemeldet hatte. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Als Taylor in der Personalakte las, dass der Offizier Ferencz gelegentlich unge-horsam gewesen sei, habe Benjamin Ferencz geantwortet: „`Das ist nicht korrekt, ich bin nicht gelegentlich ungehorsam, sondern regelmäßig ungehorsam´, und zwar immer dann, wenn Befehle offensichtlich dämlich oder illegal seien.“ Ferencz wurde umgehend von Taylor engagiert!</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh9PNAAHXasuwy3Vy0ENMC_iduBx7DG3BcFMWkI1eZdmCzgh0feCAET4x_KBiS233jeXRAhdYs6dO10loi5PH9rA9iOpOdSbxebnIcw4RQdBB-PptX3_hzHG7ok0gwFzBjawotiv7g58nCfCjviYu7U2oh2aFpuB-q7UVXoSYT0NHR3VEbEwa-E6IOnHQ/s520/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Ferencz2.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="311" data-original-width="520" height="382" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh9PNAAHXasuwy3Vy0ENMC_iduBx7DG3BcFMWkI1eZdmCzgh0feCAET4x_KBiS233jeXRAhdYs6dO10loi5PH9rA9iOpOdSbxebnIcw4RQdBB-PptX3_hzHG7ok0gwFzBjawotiv7g58nCfCjviYu7U2oh2aFpuB-q7UVXoSYT0NHR3VEbEwa-E6IOnHQ/w640-h382/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Ferencz2.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Benjamin Ferencz beim Einsatzgruppenprozess</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Zum Garanten der neuen Gerichtsbarkeit wurde der US-Oberkommandierende General Lucius D. Clay, der am 03. Oktober 1949 die <i>Ordinance No. 7</i> unter-zeichnete, die Anordnung zur Bildung von US-Militärgerichten in Nürnberg. Mindestens fünf neue Gerichtssäle würde man brauchen.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Auswahl seiner Angeklagten habe Taylor später selbst mit einer Lotterie verglichen. Etwa 100 000 Verdächtige hatten die US-Besatzer in ihrer Gewalt, Taylor ließ sich aus den Gefangenenlagern Listen mit den Namen der Haupt-verdächtigen schicken. Das waren immer noch 2500 Personen. Höchstens zweihundert, so die Anweisung an die rund vierhundert Leute, die für Taylor im OCCWC zusammenarbeiten, durften übrig bleiben. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Die schließlich auf den Anklagebänken saßen, gehörten wahrscheinlich nicht alle zu den Schlimmsten, aber sie waren ein repräsentatives Panoptikum des Bösen. Die Verantwortungslosigkeit hatte ja alle Zweige der Gesellschaft vergiftet, bei den Schöngeistern ebenso wie bei den Wissenschaftlern, bei den Ökonomen wie bei den Juristen und Militärs: Überall hatten sie sich bereitwillig dem mörderischen Machtwillen Adolf Hitlers unterworfen.“ </span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFEokur1Nos5ifyyCMMP6CZBLSwF2Tn4RM4WoLGaTrUZk7uJWLtM4hJ2-1hkUC8nNmeh9JmB6Q2zRQ-Pzg0Yl3wHEq6IPIdvwFDNZQUV_0cYcuLTd5edqSn5mk09vqT-PP74pzer95Tv4WU0Z_Z2vhjo5jdVZNa9XiL6GLRPTwms84y26eX9PrI-um8g/s800/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Karl%20Brandt.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="639" data-original-width="800" height="512" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFEokur1Nos5ifyyCMMP6CZBLSwF2Tn4RM4WoLGaTrUZk7uJWLtM4hJ2-1hkUC8nNmeh9JmB6Q2zRQ-Pzg0Yl3wHEq6IPIdvwFDNZQUV_0cYcuLTd5edqSn5mk09vqT-PP74pzer95Tv4WU0Z_Z2vhjo5jdVZNa9XiL6GLRPTwms84y26eX9PrI-um8g/w640-h512/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Karl%20Brandt.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Nürnberger Ärzteprozess: Karl Brandt, Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Generalkommissar für Kampfstofffragen, Euthanasiebevollmächtigter und Begleitarzt Hitlers</span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Von besonderer Bedeutung war der sogenannte „Einsatzgruppenprozess“. Es war der erste Fall des siebenundzwanzigjährigen (!) Benjamin Ferencz. </span><span style="font-family: verdana;">Ferencz hatte sich in Berlin durch Hunderte von Aktenordners gewühlt, bis er schließlich den unleugbaren Beweis für den Völkermord der SS an Millionen Juden im europäischen Osten fand: In einer Außenstelle des Auswärtigen Amtes nahe dem Tempelhofer Flughafen fanden die Mitarbeiter des OCCWC „einen kompletten Satz geheimer Mord-berichte, die von der Gestapo-Zentrale an etwa hundert Topnazis weitergeschickt worden waren, alles Männer, die in Nürnberg behauptet hatten, von alledem nichts gewusst zu haben.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Berichte beschrieben von Tag zu Tag die Aktivitäten der „Einsatzgruppen“: vier Einheiten, jede zwischen fünfhundert und achthundert Leute stark, die keine andere Aufgabe hatten, als gleich hinter der Front in den eroberten Ländern alle „Juden, Zigeuner und politisch verdächtige Elemente“ umzubringen. „Die Tagesberichte mit dem harmlosen Namen `Bericht über Ereignisse in der Sowjetunion´ listeten über einen Zeitraum von zwei Jahren, beginnend mit dem Einmarsch in die UdSSR am 22. Juni 1941, die Erfolge der `Säuberungen´ auf.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ferencz holt sich aus dem Sekretariat eine kleine Rechenmaschine und tippt die Zahlen ein, die er beim Durchblättern liest. „Als er bei der Summe von einer Million angekommen ist, macht er die Akten zu und bestellt für den nächsten Morgen einen Flug nach Nürnberg zu Taylor: `General, ich habe klare Beweise für einen Völkermord.´“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Beim „größten Mordprozess der Geschichte“ gegen die vierundzwanzig angeklagten SS-Offiziere hieß Punkt eins der Anklageschrift schlicht „Völkermord“. „`Die schwärzeste Seite im Buch der menschlichen Geschichte´, so donnerte der kleine Mann hinterm Anklagepult, hätten diese Männer geschrieben: `Der Tod war ihr Instrument, das Leben anderer ihr Spielzeug. Sollten diese Männer nicht bestraft werden können, dann hätte das Gesetz seine Bedeutung verloren.´“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aber die Beweise waren so hieb und stichfest, dass Zeugen kaum gebraucht wurden. In zwei Tagen war Ferencz mit der Anklage durch. Vierzehn der Angeklagten, darunter Otto Ohlendorf, der Befehlshaber der `Einsatzgruppe D´, wurden zum Tode verurteilt. </span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh8sJB8sBJTMO_wvUP8OfEVjEPWdlMFmr7ICw6B811JBR4PlWIeDcUjdmdqdVMMw9LHbDPf5q3By-CXf5smuaOPabQf6Ur8-57BquyUggsAgLnKzE_KB-qjAMdFIQITmAccvZRfjZ9LB7FLFRRdDv35T8RJWFb3dh4ciR9aP2SoEl58i0REvQxZnsTPhA/s1067/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Ferencz.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1067" data-original-width="800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh8sJB8sBJTMO_wvUP8OfEVjEPWdlMFmr7ICw6B811JBR4PlWIeDcUjdmdqdVMMw9LHbDPf5q3By-CXf5smuaOPabQf6Ur8-57BquyUggsAgLnKzE_KB-qjAMdFIQITmAccvZRfjZ9LB7FLFRRdDv35T8RJWFb3dh4ciR9aP2SoEl58i0REvQxZnsTPhA/w300-h400/Die%20Nu%CC%88rnberger%20Kriegsverbrecherprozesse%20und%20der%20%22Schlussstrich%22%20-%20Teil%201%20-%20Ferencz.jpeg" width="300" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Benjamin Ferencz (*1920) - <br />Der letzte noch lebende Chefankläger <br />aller Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (Stand 2022)<br /></span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im März 1949 hatte der US-Oberkommandierende General Clay alle Todesurteile bestätigt, auch das gegen Ohlendorf. „Doch die Vollstreckung am Landsberger Galgen wurde aufgeschoben. Das hatte zunächst eher bürokratische Gründe: Clays Amtszeit lief ab, und sein Nachfolger John McCloy, ein Jurist, ehemals Wallstreet-Anwalt, hatte sich die Entscheidung über Revisionsanträge der Todeskandidaten in Landsberg vorbehalten (…) Clay war ein Haudrauf, ein Militär eben; McCloy war ein Strippenzieher, ein Lobbyist und Spindoktor der amerikanischen Nachkriegspolitik. Er fand, dass man die Spitzenkräfte des untergegangenen Reiches nicht einfach aufhängen konnte. Vielleicht brauchte man sie ja noch.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Im Land der Täter hatte eine bleierne Zeit begonnen. Der Blitzschlag von Nürnberg, die Verheißungen eines neuen Rechts des Friedens und der Menschlichkeit hatten ganz gegensätzliche Folgen: Die Deutschen fühlten sich in ihrer Mehrheit gekränkt und missverstanden. `Die Zeit war noch nicht reif für die Erkenntnis, dass den Deutschen durch die Nürnberger Verfahren ein großer Dienst erwiesen wurde´“. </span></p><p style="text-align: justify;"><i style="font-family: verdana;"><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/05/Nurnberg2.html" target="_blank">(Fortsetzung folgt)</a></i></p><p style="text-align: justify;"></p><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: small;"><br /></span></div><span style="font-family: verdana;"><div style="text-align: justify;"><span style="font-size: small;">Zitate aus: Thomas Darnstädt, Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945, München 2015 (piper)</span></div></span><p></p><div style="text-align: justify;"><br /></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-1735681304573272302022-04-21T15:30:00.053+02:002022-04-21T15:30:00.158+02:00Thukydides und die menschliche Natur<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Gegensatz zu Herodot wurde Thukydides zum Historiker der Niederlage seiner Heimatpolis Athen. In den 27 Jahren des Krieges hatte Thukydides erlebt, was Herodot über einen längeren Zeitraum beobachtete: Alles war dem Wechsel unterworfen, ständig veränderten sich Bedingungen und Voraussetzungen des Krieges. Zufälle (<i>týche, symphóra</i>) machten alle Vorausberechnungen zunichte, nichts war von Bestand. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aber Thukydides hatte seinen Lesern versprochen, sein Werk würde über den Augenblick hinaus von Nutzen sein. Um freilich von der „Erkenntnis des Vergangenen“ zu einer „Erkenntnis des Zukünftigen“ zu gelangen, bedurfte es einer Konstante im geschichtlichen Prozeß, und diese fand Thukydides in der menschlichen Natur (<i>anthropeía phýsis, anthrópinon</i>), die zum gemeinsamen Nenner der Analysen der Politik der Großmächte, aber auch einzelner Akteure wurde. </span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlGaHWhOATTgUQAAHaRyc9emy_Mb8AsKczzSEG8w_KeYuvYMv8BhJcLa336DmPVClXTZlqwbJ-Ur1FDevcdTvWU5XIjk1MtuJnKRCNjsNhmYSoQPEoeeXCf92VXIa6LR5WFYmEhvwDwphJtYMb2twUhZrJ0ownpZAdfb1k1vgh2NJab3Gsyqig6h32Uw/s640/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Portrait.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana;"><img border="0" data-original-height="306" data-original-width="640" height="306" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlGaHWhOATTgUQAAHaRyc9emy_Mb8AsKczzSEG8w_KeYuvYMv8BhJcLa336DmPVClXTZlqwbJ-Ur1FDevcdTvWU5XIjk1MtuJnKRCNjsNhmYSoQPEoeeXCf92VXIa6LR5WFYmEhvwDwphJtYMb2twUhZrJ0ownpZAdfb1k1vgh2NJab3Gsyqig6h32Uw/w640-h306/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Portrait.jpeg" width="640" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="background-color: white; color: #222222;"><span style="font-family: verdana;">Thukydides (454 - 399 v. Chr.)</span></span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Schon in der Debatte um das Schicksal von Mytilene formuliert der Demagogos Kleon eine Ansicht, von der wir annehmen können, daß Thukydides sie teilte: Armut bringe Not und erzeuge dadurch Verwegenheit, Macht führe durch Frevelmut und Stolz zu Habgier. Wie alle anderen Lebensfälle, die den Menschen beherrschten, trieben sie in wilder Leidenschaft, gleichsam mit übermächtiger Gewalt, zum Wagnis. Zeichen großer Einfalt sei es, wenn jemand glaube, man könne dem wilden Tatendrang der menschlichen Natur Einhalt gebieten durch die Kraft der Gesetze oder sonst etwas, das Furcht errege. In der Natur, sei es von Einzelnen oder von Staaten, liege nun einmal der Hang zum Verbrechen und es gebe kein Gesetz, das sie davon abhalte.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2020/09/thukydides-und-der-melierdialog.html" target="_blank">die Gesandten Athens in Melos</a> vertreten den gleichen Gedanken: „So haben auch wir nichts Verwunderliches getan, nichts wider die menschliche Natur, wenn wir eine uns angebotene Herrschaft annahmen und nicht aufgeben wollen, von den drei stärksten Beweggründen getrieben: Ehre, Furcht und Nutzen. Wir haben auch nicht als erste damit angefangen, es gilt vielmehr seit jeher, daß der Schwächere vom Mächtigeren niedergehalten wird …“.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Selbst der den Athenern prinzipiell feindlich gesinnte syrakusanische Staatsmann Hermokrates stimmt mit ein: „Daß die Athener ihre Macht erweitern und nur darauf sinnen, ist ihnen gar nicht zu verdenken, und ich tadle an niemandem den Willen zu herrschen, wohl aber allzu rasche Bereitschaft, sich zu ducken; denn so ist nun einmal Menschennatur: zu herrschen über alles, was nachgibt, aber sich abzusichern gegen alles, was angreift.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Kern des menschlichen Denkens und Ziel menschlichen Strebens ist also das Erringen von Herrschaft gemäß der menschlichen Natur. „Nichts Größeres gibt es für den Menschen als Freiheit - d.h. Herrschaft über sich selbst - oder Herrschaft über andere. Wer immer Schwäche zeigt, muß dem Stärkeren unterliegen, wer immer die Möglichkeit zu herrschen sieht, scheut kein Verbrechen. Es schrecken ihn weder Gebot, Gesetz noch Strafe.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Mit eigener Stimme hat sich Thukydides dazu in einem der wichtigsten Kapitel des gesamten Werkes geäußert, in der sogenannten Pathologie. Dieses Kapitel wurde von Thukydides erst gegen Ende des Krieges geschrieben und enthält das Resümee von Erfahrungen, die der Historiker in langen Jahren des athenisch-spartanischen Kampfes machte. „Thukydides nennt in der Pathologie die Sucht, den Trieb, ja den Zwang zum Herrschen <i>arché</i>“ (…) und faßt sie als die Ursache von Allem.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die arché selbst besitzt für Thukydides ihren tiefsten Grund in zwei Eigenschaften, die den Menschen unauslöschlich beherrschen, „der <i>pleonexia</i>, dem Mehrhabenwollen, zu der das Bemühen um den eigenen Vorteil oder Nutzen (<i>xymphéron, ophelía</i>) tritt, und der <i>philotimia</i>, der Ehr- und Ruhmsucht. Der Historiker hat diesen Zusammenhang in einem Satz von lapidarer Kürze hergestellt, der das Zentrum der Pathologie bildet. Dort drückt Thukydides ein Gefühl aus, an dem es ihm ansonsten gänzlich zu mangeln scheint: Empörung. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Wie er in der <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2020/04/thukydides-und-die-attische-seuche.html" target="_blank">Analyse der Pest</a> vom moralischen Verfall im Gefolge der Seuche berichtet, so legt Thukydides in der Pathologie die Deformation der menschlichen Physis durch den Bürgerkrieg bloß:</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Der Bürgerkrieg steigerte sich ins Unmenschliche, und er schien um so grausamer, als er der erste dieser Art war. Später ergriff die Erschütterung fast die gesamte griechische Welt. An jedem Ort herrschte Zwiespalt, so daß die Führer des Volkes die Athener, die Adligen die Spartaner für ihre Sache zu gewinnen suchten. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Solange noch Friede währte, besaßen sie keinen Vorwand und mangelte es ihnen auch an Willen, Hilfe zu holen. Sobald sie sich aber im Krieg befanden, leisteten zugleich beide Bündnisse, Athener wie Spartaner, zum Schaden des Gegners und eben dadurch zur eigenen Machtverstärkung leicht denen Unterstützung, die einen Umsturz planten. </span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgI1AAV3W9iiuEDBUjKHQqhbBsS4tosK4WD2EGHms4lWgZ3dRraQ2VOjyj4txHKpE2o5mZDpTQIBWHr-fEAyzULvfApVKYb5Vq49fsPpe41dwyYvDgS_YTs2fRZUKUkRSAFEiA3Tuc3pZ62rpeKXpse6bAZB_TXz39K5wdJXno-ZQbtIDd-WKLzpsCOzA/s1120/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Krieg.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="630" data-original-width="1120" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgI1AAV3W9iiuEDBUjKHQqhbBsS4tosK4WD2EGHms4lWgZ3dRraQ2VOjyj4txHKpE2o5mZDpTQIBWHr-fEAyzULvfApVKYb5Vq49fsPpe41dwyYvDgS_YTs2fRZUKUkRSAFEiA3Tuc3pZ62rpeKXpse6bAZB_TXz39K5wdJXno-ZQbtIDd-WKLzpsCOzA/w640-h360/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Krieg.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">"Wer immer die Möglichkeit zu herrschen sieht, scheut kein Verbrechen. Es schrecken ihn weder Gebot, Gesetz noch Strafe.“</span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Unter solchem Aufruhr brach viel Schweres über die Städte herein, wie es geschieht und immer wieder geschehen wird, solange die Natur des Menschen gleich bleibt, einmal schlimmer, einmal gemäßigter und in sich ändernden Erscheinungsformen, je nachdem der Wechsel der Umstände es mit sich bringt. In Zeiten des Friedens und des Wohlstandes erweisen sich Städte und Menschen von besserer Gesinnung, weil sie nicht in ausweglose Zwangslagen geraten. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der Krieg aber, der das leichte Leben des Alltags aufhebt, ist ein gewalttätiger Lehrmeister und lenkt die Stimmungen der Menge nach dem Augenblick. Und so ergriff der Zwist zwischen den Bürgern alle Städte, und diejenigen, die sich erst später entzweiten, überboten auf die Kunde des bereits Vorgefallenen hin jene an Erfindungsreichtum, da es galt, Anschläge mit heimtückischer List zu ersinnen oder auf scheußliche Weise Rache zu üben. (…)</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ursache von allem ist die Sucht (der Zwang) zu herrschen, erwachsen aus Habgier (</span><i style="font-family: verdana;">pleonexia</i><span style="font-family: verdana;">) und Ehrgeiz (</span><i style="font-family: verdana;">philotimia</i><span style="font-family: verdana;">). Und aus diesen entstand leidenschaftliche Begierde, wenn die Menschen in Streit gerieten. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die führenden Männer in den Städten nämlich verkündeten auf beiden Seiten mit schön klingenden Worten, sie träten ein für die politische Gleichheit aller Bürger oder die gemäßigte Herrschaft der Besten, doch sie machten das Gemeinwesen, dem sie sich dem Wort nach verpflichteten, zum Ziel persönlicher Belange, und in dem Bemühen, mit allen Mitteln einander auszustechen, wagten sie das Äußerste, übertrumpften einander in unversöhnlicher Rache, machten vor Recht und Staatswohl nicht Halt und taten, ohne eine Grenze zu stecken, was einem jeden gerade angenehm war. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ob sie nun durch unredliche Abstimmung oder mit Gewalt zur Herrschaft kamen, sie waren zu allem bereit, nur um ihre Streitwut zu sättigen. Mit ehrlichem Gewissen handelte keine der beiden Parteien, wem es aber gelang, abscheuliche Taten unter dem Deckmantel schöner Phrasen zu verbergen, der stand in besserem Ruf. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Parteilosen unter den Bürgern wurden von beiden Seiten umgebracht, sei es, weil sie sich niemandem anschließen wollten, sei es aus Neid, sie kämen vielleicht davon.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Aussagen über die Natur des Menschen formen sich in den Reden zu einem einheitlichen Bild. „Der Mensch gleiche dem Menschen, Erziehung verstärke oder schwäche nur Anlagen. Wer schmeichle, werde verachtet, wer sich widersetze, bewundert. Mehr als Gewalttat empöre ihn erlittenes Unrecht, da ihm jenes als Zwang eines Mächtigen, dieses aber als Übergriff des Gleichgestellten erscheine. Immer wieder stifteten Hoffnung und Begierde den größten Schaden, diese führend, jene folgend. Eine (vom Zufall) angebotene Herrschaft zu ergreifen und nicht wieder loszulassen, sei menschliche Natur.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Es sind die menschlichen Ziele und die Motive hinter dem menschlichen Handeln, die Thukydides am stärksten interessieren: „Pleonexia und philotimia treiben die Menschen zu Verbrechen aller Art. Das `Mehrhabenwollen´ beherrscht Einzelne und Staaten. Großmächte dehnen sich aus oder sie brechen zusammen. Perikles selbst darf dies bei Thukydides formulieren: `Glaubt ja nicht, der Kampf gelte nur der einen Entscheidung: Knechtschaft oder Freiheit; nein, es droht euch der Verlust des Reiches, und Gefahr bedeutet der Haß, den ihr euch durch eure Herrschaft zugezogen habt. Von ihr zurückzutreten steht euch nicht mehr frei, falls etwa jemand voll Angst über die Lage mit einem solchen Vorschlag den friedliebenden, biederen Bürger spielen will. Denn eine Art Tyrannis ist ja bereits die Herrschaft, die ihr ausübt; sie zu ergreifen mag ungerecht scheinen, sie loszulassen (ist) aber lebensgefährlich.´“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh3bY-mG2ybsnh-EJmkdWAZjbHT66h6d37pLPquq3GvbeTozKVc4Pp7zuCDa1vLWUnfZGl8rY10aQe0VjHuINA6G1Tj-B7-bUFNerIHNgFZqn9Nr40K7H-MMq6fWaP_FhtPtowDmVgMQX_KNFD8b_FOXgKvsi5ROepcrCiD1R_8QB6X9xgN1gdBUDyroQ/s1158/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Schlacht.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="768" data-original-width="1158" height="424" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh3bY-mG2ybsnh-EJmkdWAZjbHT66h6d37pLPquq3GvbeTozKVc4Pp7zuCDa1vLWUnfZGl8rY10aQe0VjHuINA6G1Tj-B7-bUFNerIHNgFZqn9Nr40K7H-MMq6fWaP_FhtPtowDmVgMQX_KNFD8b_FOXgKvsi5ROepcrCiD1R_8QB6X9xgN1gdBUDyroQ/w640-h424/Thukydides%20und%20menschliche%20Natur%20-%20Schlacht.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Schlachtszene im antiken Krieg</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Was hier und in der Pathologie noch als persönlicher Kommentar (des Autors und seines Personals) erscheint, verdichtet sich im <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2020/09/thukydides-und-der-melierdialog.html" target="_blank">Melier-Dialog</a> zum <i>nómos</i>, zur Gesetzmäßigkeit: </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Götter wie Menschen, Individuen wie Staaten unterliegen dem Zwang, wo immer sich Gelegenheit dazu bietet, zu Macht und Herrschaft zu drängen. Jeder Staat strebt nach Expansion, jede Großmacht entwickelt sich zur Tyrannis, zum Gewaltstaat. Nur Ausgreifen sichert das Überleben, mit dem Ende der Expansion bricht auch die Großmacht zusammen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Recht gilt nur, wo sich Gleichstarke paralysieren. Es ist ein bloßes Instrument der Mächtigen, um die Schwachen schwach zu halten, eine Spielregel, die allein für Untertanen gemacht ist. Der Schwache fügt sich oder versucht, der Stärkere zu werden. Sein Mittel ist wie das des Mächtigen die Gewalt und diese hat (…) viele Namen: <i>Tyrannis</i> oder <i>arché</i>, Befreiung oder Unterwerfung, Krieg oder Terror, doch nur einen Ursprung. Das gemeinsame Movens, das kein Gut und kein Böse kennt, jegliche moralische Wertung verbietet und keine Hoffnung zuläßt, ist die <i>anthropeía</i> <i>phýsis</i>, die menschliche Natur.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Wolfgang Will: Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte, München 2015 (C.H. Beck)</span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-28429542359744599432022-04-14T16:30:00.053+02:002022-04-17T12:40:05.501+02:00Robert H. Jackson und die Einleitung eines unrechtmäßigen Krieges<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der gelernte Rechtsanwalt Robert H. Jackson aus der Kleinstadt Jamestown konnte so gut reden, dass man irgendwann in New York auf den Provinzanwalt aufmerksam wurde. Seiner Nähe zur Demokratischen Partei war es wohl zu verdanken, dass er 1934 Chefjustiziar der New Yorker Finanzbehörde wurde. „Sein bestechendes Auftreten, sein Selbstbewusstsein – manche sagten: seine Eitelkeit – brachten ihm schnell die Sympathie der Politprominenz ein. Franklin D. Roosevelt und Henry Morgenthau wurden seine Förderer. 1938 war er schon Generalstaatsanwalt und 1940 Justizminister der USA, 1941 Richter am Supreme Court.“ Höher kann man als Jurist in den USA nicht kommen.</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_WBjxkt0_7vf3-hurqKd_Jlg8vT8pjHbQqw5-Z-xCVNMAxHTNGsqP0Ae4AT8AF3kXqhK7jfketc2VATnpbf3M6RIvILJpcEph1ag0VmVD7EUym9GGyNQC8WT2UEgDu5vzvSZbbewbBJoZkXqdfl20z5LtoKdp7XxM6ujD9N-vpf4gA1PWFYVEguyyxg/s991/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Portrait.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="991" data-original-width="800" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_WBjxkt0_7vf3-hurqKd_Jlg8vT8pjHbQqw5-Z-xCVNMAxHTNGsqP0Ae4AT8AF3kXqhK7jfketc2VATnpbf3M6RIvILJpcEph1ag0VmVD7EUym9GGyNQC8WT2UEgDu5vzvSZbbewbBJoZkXqdfl20z5LtoKdp7XxM6ujD9N-vpf4gA1PWFYVEguyyxg/w323-h400/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Portrait.jpeg" width="323" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Robert H. Jackson (1892 - 1954)</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Trotzdem hat Jackson die Welt verändert, denn ihm allein ist es zu verdanken, dass am 1. Oktober 1946 Hermann Göring zusammen mit achtzehn anderen führenden Mitgliedern des Hitlerregimes als Verantwortlicher eines verbrecherischen Staats- und Kriegsapparates verurteilt wurde. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Mit diesem Prozess wurde die bisher gültige juristische Weltordnung geradezu aus den Angeln gehoben, denn das Nürnberger Urteil bedeutete beschrieb eine radikale Wende „eines jahrhundertealten unmenschlichen Völkerrechts, das den Staaten das Recht garantierte, Kriege zu führen, und das Staatsführer und Kriegsherren freistellte von jeder Verantwortung für das Unheil, das sie über die Menschen gebracht hatten.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das Urteil von Nürnberg erschütterte diese alte Staatenordnung, die seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 den staatlichen Souveränen des Recht gab, das eigene Volk straflos zu unterdrücken oder sogar zu vernichten – wie eine deutsche Regierung es mit den Juden tat.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Die Erklärung der Menschenrechte, das Gewaltverbot der Vereinten Nationen, die weltweite Ächtung des Völkermordes als Verbrechen: Ohne diesen unglaublich ehrgeizigen und eloquenten Provinzanwalt aus Jamestown wäre es so weit nie gekommen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Dreh- und Angelpunkt für Jacksons Neuordnung der Welt war ein Straftatbestand, den das Völkerrecht bislang nicht kannte: `Das Verbrechen, welches alle geringeren Verbrechen einschließt´, sei die `Einleitung eines unrechtmäßigen Krieges´.“ Das war die Grundidee: „`Angriffskriege sind Bürgerkriege gegen die internationale Völkergemeinschaft´, hatte er schon im März 1941 in öffentlichen Reden erklärt. Und diese Idee war geeignet, ein völlig neues Kriegsrecht zu begründen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In der bisherigen Rechtstradition war es immer nur um das Recht im Kriege, das `ius in bello´ gegangen – also im Wesentlichen um jene humanitären völker-rechtlichen Verträge, die zwischen zwölf Staaten zuerst 1864 in Genf `betreffend die Linderung des Loses der verwundeten Militärpersonen´ geschlossen worden waren. „Dieses Kriegsrecht, das Disziplinlosigkeiten und Übertreibungen beim Geschäft des organisierten Tötens zur Strafsache machte, sollte dafür sorgen, dass es korrekt zuging im Krieg.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiEaclkqfoyy3_8BxJch5R8yaLwupq_bZJ5MQo2T1F7SKVAcB-RHL7q4rq2HCbAxsJN0WFCznXvNAcnrEwUxGbbBPRuEC85xuQl3fNwyb_vHgFWMscPSrlosSzv-AI23Ivj50iN2m2IL1JoTKOsIwkGD1T0eI7lbO0obC8GXg2VpXDRkKTZr6i4xwfGCg/s321/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Portrait%202.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana;"><img border="0" data-original-height="251" data-original-width="321" height="313" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiEaclkqfoyy3_8BxJch5R8yaLwupq_bZJ5MQo2T1F7SKVAcB-RHL7q4rq2HCbAxsJN0WFCznXvNAcnrEwUxGbbBPRuEC85xuQl3fNwyb_vHgFWMscPSrlosSzv-AI23Ivj50iN2m2IL1JoTKOsIwkGD1T0eI7lbO0obC8GXg2VpXDRkKTZr6i4xwfGCg/w400-h313/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Portrait%202.jpeg" width="400" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Jackson als Hauptankläger in Nürnberg</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Doch nun sollte Jackson zufolge alles anders werden. Nun wurde das `ius ad bellum´ in Frage gestellt, also das Recht, Kriege überhaupt führen zu dürfen. „Die `seltene Gelegenheit´ für den Umsturz der seit Generationen geltenden völkerrechtlichen Regel, am Ende eines Krieges zwischen Siegern und Besiegten `immerwährendes Vergessen und Amnestie´ zu gewähren, war tatsächlich der Zweite Weltkrieg. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Noch Hitler hatte am Vorabend des Überfalls auf Polen 1939 tönen können: `Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es nicht auf das Recht an.´ Doch was dann geschah, hatte nichts mehr von den Sitten und Gebräuchen des guten alten Krieges nach westfälischem Muster übrig gelassen, die eine Unterscheidung zwischen `Kriegskunst´ und Mord erlaubt hätten. Hitlers Krieg sollte im immerwährenden Gedächtnis der Menschheit bleiben: als mörderisches Verbrechen. `Aggression´ wurde zum Codewort für Jacksons Kriegsrecht: das Verbrechen des Angriffskrieges.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„`Die Amerikaner´, so resümierte viel später der US-Politologe Samuel Huntington, `neigen dazu, die Ideale ihrer Innenpolitik auf die Außenpolitik zu übertragen´, auf die Außenpolitik der ganzen Welt natürlich. Frieden durch Recht: So gesehen war das eine total amerikanische Idee. Die Weltpolitik sollte zur Rechtssache nach dem Selbstbild des Rechtsstaates Amerika werden, der ja auch in seinem Inneren die Definition von Gut und Böse unabhängigen Gerichten überließ.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">`Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zwischen den Nationen´, hatte Jackson gefordert, „müsse an die Stelle des alten westfälischen Gewaltprinzips der Fortsetzung der Politik mit den Mitteln des Krieges treten – und dazu gehöre auch, dass man die Verantwortlichen des besiegten Gegners vor ein faires Gericht stelle.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Jacksons Idee bestand darin, persönliche Verantwortlichkeit für staatliches Unrecht statuieren. Das implizierte, die diese Verantwortlichkeit im Einzelfall auch beweisen zu können: `Gerichte sprechen Recht über Fälle, aber Fälle richten auch Gerichte.´ „Doch könnte ein Gericht über die Besiegten glaubwürdig und rechtsstaatlich handeln, das aus den Siegern eines Krieges besteht?"</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Gerade um den Vorwurf der `Siegerjustiz´ zu vermeiden, bestand Jackson darauf, dass so ein Gerichtsverfahren keinesfalls zu einem Schauprozess verkommen dürfe: `Man soll keinen Menschen vor einer Institution, die sich Gericht nennt, unter Anklage stellen und das Ganze ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren nennen, sofern man nicht gewillt ist, ihn freizusprechen, wenn seine Schuld nicht erwiesen ist.´</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEghkrQNXB9pqvkULR_kqZyifjTVZJVI_p8L4B0WoedALcOxIuK4AcnxLUUiRV4vMmTrUDbXvWpxb7u_zBW8gEcg2qgVtt_CkzZ8fzFV4QfkqIBOb9cFKI4Twz5tOUB13uoLClsF1igihDjpLOBAkitxBxSQsF8oHn8I9ZzAeD19r_P8OVwAzP3ctFtw2A/s800/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Angeklagte.jpeg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="618" data-original-width="800" height="494" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEghkrQNXB9pqvkULR_kqZyifjTVZJVI_p8L4B0WoedALcOxIuK4AcnxLUUiRV4vMmTrUDbXvWpxb7u_zBW8gEcg2qgVtt_CkzZ8fzFV4QfkqIBOb9cFKI4Twz5tOUB13uoLClsF1igihDjpLOBAkitxBxSQsF8oHn8I9ZzAeD19r_P8OVwAzP3ctFtw2A/w640-h494/Robert%20H.%20Jackson%20und%20die%20Einleitung%20eines%20unrechtma%CC%88%C3%9Figen%20Krieges%20-%20Angeklagte.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;"><span style="background-color: white; color: #202122; text-align: start;">Acht der 24 Hauptangeklagten in Nürnberg: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach, Sauckel (hinten)</span></span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Natürlich war sich auch Jackson bewusst, dass einer wie Göring niemals freigesprochen werden könnte. „Doch seine Reden vom Rechtsstaat zeugten von Prinzipienfestigkeit – und sie überzeugten den soeben ins Amt gekommenen Präsidenten Harry S. Truman.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Für Truman war schnell klar, dass Jackson der richtige Mann für die Rolle als Hauptankläger war, um „die Naziführung anzuklagen `wegen der Einleitung eines Angriffskrieges´ und `der kriminellen Verschwörung´. Am 27. April 1945 notiert Robert Jackson in seinem Tagebuch: `Außerordentlich erfreut über das Angebot und herausgefordert von der Schwierigkeit der Aufgabe habe ich die Sache in meine Obhut genommen.´“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Jackson bekam von Truman persönlich freie Hand, sich die besten Juristen Amerikas für die Aufgabe auszusuchen. Die waren auch nötig. Denn nun ging es darum, ein Anklagekonzept zu entwickeln, das völkerrechtlich tragfähig war – und von den drei anderen Alliierten akzeptiert wurde.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><span style="font-size: x-small;">Zitate aus: Thomas Darnstädt, Nürnberg. Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945, München 2015 (piper)</span></span></p><div><br /></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.7037902-17.360199087061176 -144.3287902 90 136.9212098tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-40784459158088753602022-04-07T15:30:00.034+02:002022-04-07T15:30:00.169+02:00Herodot und die Verfassungsdebatte<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Einer der Höhepunkt in dem monumentalen Geschichtswerk Herodots ist die sogenannte Verfassungsdebatte, bis heute gefeiert als die „erste staatstheoretische Abhandlung der Weltgeschichte.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgRmwGBuYex5HKfhKI_pmM9VPFseNsMHYBoe99dbDJg96scyPEyjCRDECTQKwuJ-tH2G7EZlV1fQoNBTPxNdBblJkjUEx7fwpBBYHXEV_DJdTbd2N5ZThp-RenT_JMygI8Q68j-KUTdi1Rb5oiEFMb51AcxxsAWE7umQPmoWZQKxnvMGC0DhVZ0BRSKQA/s2000/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Herodot.jpeg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="857" data-original-width="2000" height="274" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgRmwGBuYex5HKfhKI_pmM9VPFseNsMHYBoe99dbDJg96scyPEyjCRDECTQKwuJ-tH2G7EZlV1fQoNBTPxNdBblJkjUEx7fwpBBYHXEV_DJdTbd2N5ZThp-RenT_JMygI8Q68j-KUTdi1Rb5oiEFMb51AcxxsAWE7umQPmoWZQKxnvMGC0DhVZ0BRSKQA/w640-h274/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Herodot.jpeg" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Herodot</span></td></tr></tbody></table></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Interessanterweise verlegt Herodot seinen Versuch einer Verfassungstypologie und die Diskussion, in der auch um die Staatsform der Demokratie geht, nach Persien, genauer in einen persischen Adelsrat, und dazu in das ferne 6. Jahrhundert, genauer ins Jahr 521 v. Chr. Gerade war die Herrschaft des Kambyses unter äußeren und inneren Schrecken zu Ende gegangen. Ein Mager, ein Angehöriger einer persischen Priesterkaste, hatte sich als Sohn des Kyros und Bruder des Kambyses ausgegeben und die Macht an sich gerissen. Sieben persische Adlige stürzten den Usurpator, der als „falscher Smerdis“ in die Geschichte einging, und drei von ihnen diskutieren nun angesichts des Machtvakuums, ob Persien eine neue Verfassung und gegebenenfalls welche erhalten soll.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Die Sprecher gehen nach einem festen Schema vor: Jeder von ihnen wirbt für eine Staatsform und weist eine andere zurück. Es lässt sich von These und Gegenthese sprechen, doch sie beziehen sich innerhalb einer Rede nicht auf dasselbe Objekt.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Die Debatte eröffnet ein Adliger namens Otanes. Er beleuchtet zunächst die Schattenseiten der Königsherrschaft. Dabei beginnt er mit der gegenwärtigen Situation – die Perser hätten mit der Monarchie, mit Kambyses und dem Mager, keine guten Erfahrungen gemacht –, um dann nach einer Aufzählung der allgemeinen Negativa der Monarchie zum Lob der Demokratie überzugehen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der nächste Redner, ein Mann namens Megabyzos, schließt direkt an und stellt nun die Argumente gegen die Demokratie vor. Danach spricht er der Oligarchie das Wort. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dareios, der als dritter Redner folgt, umkreist das Thema. Im Mittelteil seiner Rede argumentiert er gegen Oligarchie und Demokratie, am Anfang und am Schluß für die Monarchie.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Warum aber siedelt Herodot die Debatte überhaupt in Persien an? Vermutlich, weil er weiß, dass der neue Großkönig Dareios und sein Sohn Xerxes sind es, die Krieg gegen die Griechen führen werden. Hinzu kommt, dass die Alleinherrschaft in Griechenland nach dem Sturz der Tyrannenherrschaften keine Alternative mehr darstellte. Das machte es Herodot auch unmöglich, Griechen für diese Debatte zu wählen, z.B. Peisistratos (Alleinherrschaft), Isagoras (Oligarchie) und Kleisthenes (Demokratie).</span></p><p style="text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgWLMA_vstp5HLprFhxoUespZSo1kGGIzmBMOBgbZQd0FvX_yGAk1OGvChFUgBQc6S9o-aRRDTGAcinLrKPyiFcPN0zX7LXTI2hYy8YjMyfBG5Ixwqeudqae0ozIbywQ5XZp3Za1Lw6YkpAJlfZZoh0u5R7sZN56qicK4jl23g7N2eb5Tg-HPVwdKCS7A/s640/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Kleisthenes.jpeg" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana;"><img border="0" data-original-height="334" data-original-width="640" height="334" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgWLMA_vstp5HLprFhxoUespZSo1kGGIzmBMOBgbZQd0FvX_yGAk1OGvChFUgBQc6S9o-aRRDTGAcinLrKPyiFcPN0zX7LXTI2hYy8YjMyfBG5Ixwqeudqae0ozIbywQ5XZp3Za1Lw6YkpAJlfZZoh0u5R7sZN56qicK4jl23g7N2eb5Tg-HPVwdKCS7A/w640-h334/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Kleisthenes.jpeg" width="640" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Kleisthenes und die demokratischen Reformen in Athen</span></td></tr></tbody></table></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So verwenden die persischen Adligen, die bei Herodot miteinander diskutieren, „griechische Begriffe, verwenden typische Stilfiguren der griechischen Rhetorik wie Alliterationen, rhetorische Fragen oder Steigerungen, und sie denken griechisch. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Debatte spiegelt offenbar wider, was in Griechenland in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, beeinflußt von der Sophistik, über Staatsangelegenheiten reflektiert und diskutiert wurde“, denn hinter dem Aufbau der Debatte steht die berühmte Erkenntnis des Sophisten Protagoras, daß „es über jede Sache zwei Aussagen gebe, die einander entgegengesetzt seien.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Weil die Darstellung der Diskussion durch Herodot eben noch keine lange Tradition besitzt, ist die verwendete Begrifflichkeit noch nicht felxibel. „Für Alleinherrschaft gebraucht Herodots Personal ohne Differenzierung Termini wie Moúnarchos und Týrannos, die `Herrschaft der Wenigen´ wird gleichermaßen als Oligarchie und Aristokratie bezeichnet. Das Wort „Demokratie“ fällt in der Diskussion überhaupt nicht. Die Rede ist dagegen nur vom Dêmos oder von Plêthos (Menge) als Subjekt des Handelns und von Isonomía, der gleichen Zuteilung von Rechten und Pflichten bzw. später der Gleichheit vor dem Gesetz.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Herodot besaß sicherlich eine eigene Ansicht zum Thema, doch er versteckt sie. Die Form des Meinungsaustausches, die er wählt, bedeutet wohl auch, daß er sie nicht direkt äußern wollte. Er verstand sich als Historiker aller Griechen und nicht einer Gruppe von ihnen.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Gelichwohl ist die Liste der Gründe, die Alleinherrschaft abzulehnen, bei Herodot lang: „Ein Monarch brauche keine Rechenschaft abzulegen. Die unkontrollierte Machtfülle führe zur Überhebung. So kümmere sich der Alleinherrscher nicht um überlieferte Satzung, schalte nach Belieben, verübe, von Hybris und Neid getrieben, Untaten an Bürgern und Frauen, töte ohne Recht und ohne Urteil.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Während Argumente für die Herrschaft der Wenigen nahezu fehlen, spricht für die Demokratie bei Herodot eine Fülle von Argumenten. „Zunächst sei sie frei von all den Missständen, welche die Monarchie mitbringe (…). Zudem würden die Ämter durch Los vergeben, und deswegen herrsche Chancengleichheit. Alle Amtsinhaber seien rechenschaftspflichtig. Das beuge Amtsmißbrauch und Korruption vor. Schließlich würden alle Beschlüsse von der Gemeinschaft gefaßt.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Allerdings werden auch die negativen Seiten der Demokratie verschwiegen: „Nichts sei unverständiger, nichts überheblicher als der unnütze Haufen. Der Menge fehle das Wissen, das einen Monarchen auszeichne. Ohne Verstand stürze sie sich auf die Staatsangelegenheiten, vergleichbar einem Sturzbach im Frühjahr. Wo das Volk regiere, dränge sich das Schlechte ein, und das führe – eine Vorstufe zum Kreislauf der Verfassungen, wie er später von Platon bis Cicero diskutiert wird – in einer Spirale der Abwärtsbewegung wieder zu einer Alleinherrschaft.“</span></p><p style="text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhQ2rXzn6YK9Hnv9svm7R4VIUyOxWG_w_QEPxgn2YgWmz2HLDo080jGaiNbHYE0HUzO4BDkjdDE6hzBQ0nA4BBKThbyPTFsjI8fE_-XVJjisW7naeRUgTPt-PLWwC5lYHfrNFSrm1EF26mtHs6B_ABPD68j4Vfj2kYEe4WvP4m2wZV43aS7eCVHdcyS6g/s1408/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Demokratie.png" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="792" data-original-width="1408" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhQ2rXzn6YK9Hnv9svm7R4VIUyOxWG_w_QEPxgn2YgWmz2HLDo080jGaiNbHYE0HUzO4BDkjdDE6hzBQ0nA4BBKThbyPTFsjI8fE_-XVJjisW7naeRUgTPt-PLWwC5lYHfrNFSrm1EF26mtHs6B_ABPD68j4Vfj2kYEe4WvP4m2wZV43aS7eCVHdcyS6g/w640-h360/Herodot%20und%20die%20Verfassungsdebatte%20-%20Demokratie.png" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">"Ohne Verstand stürzt sich das Volk auf die Staatsangelegenheiten"</span></div></td></tr></tbody></table></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Verfassungsdebatte ist weit davon entfernt, die Demokratie zu preisen, wie es beispiels Perikles in der berühmten Leichenrede bei Thukydides tut. Die Vorzüge scheinen zu überwiegen, trotz der Schattenseiten.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Es läßt sich vermuten, daß Herodot für die politische Verfassung Athens Sympathien hegte, expressis verbis gesagt hat er dies – im Gegensatz zur Hervorhebung der Verdienste der Stadt im Perserkrieg – aber nirgends. Herodot ist jedoch der erste Historiker, der das Wort „Demokratia“ verwendet. „Gleichsam nebenbei, versteckt in der Genealogie der Familie der Alkmeoniden, erfährt die Nachwelt von der Geburt der Demokratie. Bei der denkwürdigen Freierwahl gewinnt der Alkmeonide Megakles aus Athen die Tochter des Tyrannen von Sikyon, Agariste, und Herodot fährt fort: `Der Sohn dieses Paares war jener Kleisthenes, der die Phylen in Athen schuf und die Demokratie einrichtete.´ Dieser Satz ist gleichsam die Taufurkunde der Demokratie.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Wolfgang Will: Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte, München 2015 (C.H. Beck)</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-12119781259790014142022-03-24T16:30:00.066+01:002022-03-24T16:30:00.163+01:00Herodot, Thukydides und die Begründung der abendländischen Geschichtsschreibung<p style="text-align: justify;"><br /><br /><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiFXZppT5YRUe4wddaFJfz7wZrRzM9hOyeiQULPdEpL_ZP8y7zUSXbLA3qFvCl-7AbsWkTE7cIS4oxVEHRN36wfjSFNsYHVmunyJJ04-rnBMuK1czh1T1jT04r5kyaaIFsqwBoanLH_Ix2rVxKtEItJFH19tzgjoAPpOrmPU-uPU5PvEFtC-B-duBP_cg=s724" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="380" data-original-width="724" height="336" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiFXZppT5YRUe4wddaFJfz7wZrRzM9hOyeiQULPdEpL_ZP8y7zUSXbLA3qFvCl-7AbsWkTE7cIS4oxVEHRN36wfjSFNsYHVmunyJJ04-rnBMuK1czh1T1jT04r5kyaaIFsqwBoanLH_Ix2rVxKtEItJFH19tzgjoAPpOrmPU-uPU5PvEFtC-B-duBP_cg=w640-h336" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Doppelherme: Thukydides (links) und Herodot (rechts)</span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das kurze Vorwort Herodots zu seinen <i>9 Büchern zur Geschichte</i> ist gleichsam die Gründungsurkunde der abendländischen Geschichtsschreibung. In nur vier Zeilen erklärt der <i>Pater historiae</i>, was ihn bewog, die Geschichte der Griechen und Barbaren, von Kroisos bis in seine eigene Zeit darzustellen:</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Des Herodot von Halikarnassos Darlegung der Erkundung (<i>Historíe</i>) ist diese, auf dass weder das von Menschen Geschehene (<i>Genómena</i>) durch die Wirkung der Zeit verblasse noch die großen und staunenswerten Werke (<i>Érga</i>), ob sie nun von Hellenen, ob von Barbaren aufgewiesen wurden, ohne Kunde würden; das andere, und insbesondere, aus welcher Verschuldung (<i>Aitía</i>) sie miteinander Kriege geführt haben.“</span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der zentrale Begriff in der Einleitung ist <i>Historíe</i>. Bei Herodot bedeutet er „Erkundung“ i.S. dessen, was Herodot antreibt, also ein Wissenwollen und Fragen, bevor daraus dann Kenntnis und Erkenntnis erwachsen. Für das, was seine Nachfolger mit dem einen Wort „Geschichte“ sagen werden, verwendet Herodot noch zwei Wörter: <i>Apódexis historíes</i>, d.h. „Darlegung der Erkundung.“</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Herodot möchte gleichermaßen verhindern, dass das Geschehene im Laufe der Zeit verschwindet und die großen Taten, also das, was sie <i>getan</i>, aber auch <i>erdacht</i> und <i>ersonnen</i> haben, ohne den verdienten Ruhm bleiben. „So begreift sich Herodot als Wahrer des Gedächtnisses, dessen Amt es ist, dem Vergessen entgegenzutreten.“</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjyqKiwJJpF-s9NZ-IEJjYmIvDx-HDO1FX9N5B_VFElETOAturlKorwpWsTCKNPsRdOh-Mobnq4Wr7YtxQCTScix7WrrZKr22mViBqV0C69C-i6aM_0iBWnMlCwNIx6pnTfqHF6nfPbwQlqCPaw1csnii-NBPYbY9Qr1tVy2EyeL8dMeesmm7d-1AmF_A=s599" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="599" data-original-width="496" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjyqKiwJJpF-s9NZ-IEJjYmIvDx-HDO1FX9N5B_VFElETOAturlKorwpWsTCKNPsRdOh-Mobnq4Wr7YtxQCTScix7WrrZKr22mViBqV0C69C-i6aM_0iBWnMlCwNIx6pnTfqHF6nfPbwQlqCPaw1csnii-NBPYbY9Qr1tVy2EyeL8dMeesmm7d-1AmF_A=w530-h640" width="530" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Herodot - Statue vor dem Wiener Parlament</span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Herodot ist kein kleingeistiger oder gar „nationalistischer“ Geschichtsschreiber, Barbaren wie Griechen stehen einander in ihren Leistungen nicht nach. Besonders interessieren Herodot die großen Auseinandersetzungen und Kriege zwischen Griechen und Persern, insbesondere deren </span><i style="font-family: verdana;">Aitía</i><span style="font-family: verdana;"> – „Veranlassung“ oder „Gründen“.</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Thukydides stellt sich - in dritter Person - und seinen Heimatort ebenfalls im ersten Satz des Werkes vor:</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Thukydides aus Athen hat den Krieg zwischen den Peloponnesiern und Athenern beschrieben, wie sie ihn gegeneinander geführt haben; er hat damit gleich bei seinem Ausbruch begonnen in der Erwartung, er werde bedeutend sein und denk-würdiger als alle vorangegangenen. Er schloß dies daraus, daß beide Konflikt-parteien in jeder Hinsicht auf dem Höhepunkt ihrer Macht in den Krieg traten, und weil er sah, daß sich das übrige Hellas jeweils einem der beiden Gegner anschloß, teils sofort, teils nach einigem Überlegen. Denn dies war die gewaltigste Erschütterung für die Hellenen und einen Teil der Barbaren, ja sozusagen für den größten Teil der Menschheit. Was sich nämlich davor und noch früher ereignet hatte, war wegen der Länge der Zeit zwar unmöglich zu erforschen, auf Grund von Anzeichen aber, von deren Richtigkeit ich mich bei der Prüfung eines langen Zeitraumes überzeugen konnte, bin ich der Meinung, daß es nicht bedeutend war, weder in Kriegen noch sonst.“ </span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch für Thukydides sind große Taten sind erinnerungswürdig. In seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg schlägt Thukydides in den Kapiteln der sog. <i>Archäologie</i>, die der Einleitung folgen, einen großen Bogen über die griechische Frühzeit, die Zeit der Wanderungen und Tyrannen bis zur Ankunft der Perser, um schließlich wieder zu seinem Ausgangspunkt zu kommen, der Hochrüstung der Kriegsgegner Sparta und Athen und dem Ausbruch des Krieges. </span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Gegensatz zu den Epen Homers, bei denen der Dichter auch das Unglaubwürdige und Sagenhafte „in hymnischem Glanz überhöhte“ und anschließend die Menschen alles ungeprüft übernähmen, glaubt Thukydides ein System von <i>Paradeígmata</i> (Beweisen), <i>Semeîa</i> (Zeichen) und <i>Tekméria</i> (Indizien) entwickelt zu haben, mit dem sich zumindest der Lauf der Geschichte als sicher erweisen lässt. So versucht Thukydides, mit historischen Analogien, archäolo-gischen und topographischen Zeugnissen oder einfachen rationalen Überlegungen aus dem Mythos das herauszuschälen, was historischen Bestand hat. </span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Explizit nennt Thukydides den Grund, der ihn veranlaßte, sich dem Krieg der Peloponnesier und der Athener zu widmen. „Wer aber klare Erkenntnis des Vergangenen erstrebt und damit auch des Künftigen, das wieder einmal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich eintreten wird, der wird mein Werk für nützlich halten, und das soll mir genügen. Als ein Besitz für immer, nicht als Glanzstück für einmaliges Hören ist es aufgeschrieben.“ </span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Thukydides setzt zwar voraus, daß der Mensch aus der Geschichte lernen kann, aber nicht in dem modernen Sinn, dass die Menschen in der Vergangenheit gemachte Fehler nicht wiederholen werden. Thukydides will keine Rezepte geben oder Vorschriften machen, er erwartet von seinen Lesern nur die Fähigkeit, die Gegenwart, ihre Gegenwart, mit der von ihm geschilderten Vergangenheit zu vergleichen, um eventuell auf Gemeinsames oder Ähnliches aufmerksam zu werden. </span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgYfh6IrTgVHzo4llRKxlEEUzMrjH3slXk72Qc63NuWFVrArEr41LSq82FQ4q2oiQ6XmXFi5BzOSLx__oXRK-Mjtxv95JcEqlfaaoH_Y4lGqYsWaAVqGowQbio1wvGa2SfFNiq34Ia77fQUYb7mWPEwctcyR490ebcdFOs9jRPUdpZ1NZtA8l0yf2kZaw=s1016" imageanchor="1" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1016" data-original-width="768" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgYfh6IrTgVHzo4llRKxlEEUzMrjH3slXk72Qc63NuWFVrArEr41LSq82FQ4q2oiQ6XmXFi5BzOSLx__oXRK-Mjtxv95JcEqlfaaoH_Y4lGqYsWaAVqGowQbio1wvGa2SfFNiq34Ia77fQUYb7mWPEwctcyR490ebcdFOs9jRPUdpZ1NZtA8l0yf2kZaw=w484-h640" width="484" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Thukydides - Statue vor dem Wiener Parlament</span></td></tr></tbody></table><br /></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Daß das überhaupt möglich ist, liegt für ihn in der einzigen Konstante begründet, welche die Geschichte der Menschen besitzt, in der <i>anthropeía phýsis</i> oder dem <i>anthrópinon</i>, also der menschlichen Natur.“ Weil sie auch über größere Zeiträume gleichbleibe, könnten Vergleiche zwischen verschiedenen Abschnitten der Geschichte angestellt werden, um so ein Lernen aus der Geschichte zu ermög-lichen.</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Am Beispiel der <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2020/04/thukydides-und-die-attische-seuche.html" target="_blank">Darstellung der Pest in Athen zu Beginn des Peloponnesischen Krieges</a> wird deutlich, wie Thukydides sein Werk verstehen möchte: „Es möge nun jeder, Arzt oder Laie, über sie seine Meinung sagen, woher sie wahrscheinlich ihren Ursprung genommen hat und welche Krankheitskeime die Kraft zu so tiefgreifenden Veränderungen bergen; ich will nur beschreiben, wie sie verlief; die Merkmale, bei deren Beachtung man die Krankheit bei einem neuerlichen Auftreten sicher erkennen könnte, wenn man schon etwas von ihr weiß, die will ich darstellen, der ich selbst krank war und andere leiden sah.“</span></p><p style="clear: both; text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Thukydides weist also alles, was nicht auf Anschauung beruht, als Spekulation zurück. „Er selbst will einzig das niederschreiben, was er mit eigenen Augen sah. Er tut das, weil er späteren Generationen die Möglichkeiten geben will, Vergangenes zu erkennen, so es sich wiederholt. Was für die Pestsequenz gilt, gilt aber auch für das Gesamtwerk, nämlich darzustellen, `was wieder einmal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich eintreten wird´. Das ermöglicht Wieder-erkennen und sogar begrenzte Voraussage, aber kaum Heilung.“</span><span style="font-family: verdana;"><br /></span><span style="font-family: verdana;"><br /><br /></span><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Wolfgang Will: Herodot und Thukydides. Die Geburt der Geschichte, München 2015 (C.H. Beck)</span><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><br /></div></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-51884756844213269502022-03-17T19:47:00.001+01:002022-03-17T19:47:00.175+01:00Jason D. Hill und die kulturelle Apartheid<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Jason D. Hill (*1965) ist ein jamaikanisch-amerikanischer Philosophieprofessor an der DePaul-Universität in Chicago. In seinem Buch „We Have Overcome: An Immigrant’s Letter to the American People“ verteidigt er gegen den identitäts-bewegten politischen Diskurs den „amerikanischen Traum”. </span><span style="font-family: verdana;">Die USA sei schon lange kein Land mehr, das die Überlegenheit von Weißen propagiere. „Es gibt keine offizielle Ideologie mehr, die die Überlegenheit der weißen Rasse vertritt.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjvf4D_h8kTVCfLxUHDhDVB8Gl8iGFQ14WTPMd6NyBEPH3ILsfuxZwtUQB4FfiBjnZiW2HMtN-W1KpHBzupuXgm8UojHaSuaIpkSlgM7nX880kkjgGn2pe6OnDnV4B_3TRfK25nwiKV2SkdY0XFDK73-5BPI1RGlWkpu9ozNpdNx9QYpgHmfhLMiPSTGw=s1857" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1857" data-original-width="1238" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjvf4D_h8kTVCfLxUHDhDVB8Gl8iGFQ14WTPMd6NyBEPH3ILsfuxZwtUQB4FfiBjnZiW2HMtN-W1KpHBzupuXgm8UojHaSuaIpkSlgM7nX880kkjgGn2pe6OnDnV4B_3TRfK25nwiKV2SkdY0XFDK73-5BPI1RGlWkpu9ozNpdNx9QYpgHmfhLMiPSTGw=w266-h400" width="266" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Jason D. Hill (* 1965)</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hill lebt seit 32 Jahren in den USA. Da er gemischter Abstammung ist, wird er in den USA als Schwarzer wahrgenommen, „und wie jeder in den USA lebende Farbige habe auch ich genug Rassismus erfahren. Aber ich sehe die USA nicht als hochgradig intolerantes Land an. Ich halte die USA vielmehr für ein außerordentlich selbstreflexives Land. In den drei Jahrzehnten, in den ich hier lebe, habe ich ein Amerika erlebt, das seine Beziehungen zwischen den Ethnien beachtlich verbessert hat. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Darüber hinaus bin ich, auch wenn ich Rassismus erfahren habe, kein Opfer. Ich glaube nicht an diesen Kult, der um die Opferrolle betrieben wird und auf dem so viele herumzureiten scheinen. Wenn man auf Rassismus trifft, setzt man sich mit ihm auseinander, spricht ihn an und macht dann weiter. </span><span style="font-family: verdana;">Die Opferrolle für sich als Identität zu übernehmen ist gefährlich, weil es die eigene Handlungsfähigkeit und das eigene Vermögen einschränkt, seine verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um mit diesem Problem umzugehen.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die immer noch tradierte Vorstellung „von den hilflosen Schwarzen“ sei fatal, „weil sie in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft den Eindruck hinterlässt, dass Schwarze die Mündel des Staates seien und es ihnen nie gelungen sei, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um sich selbst aus unterdrückerischen Lebenslagen zu befreien.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hinter dieser Sicht steht nach Hill ein Verständnis eines identitären Multi-kulturalismus, der das Individuum auf gruppenspezifische Merkmale reduziert und es damit in seiner Selbstbestimmung einschränkt. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So basiere Identitätspolitik „auf einer Logik der Anti-Assimilation, die, wie ich meine, wiederum auf einer Logik der `Ansteckungsgefahr´ basiert. Die multi-kulturelle Weltsicht basiert auf der essentialistischen Idee, wonach wir eine bestimmte ethnische und kulturelle Identität besitzen, Teil einer monolithischen Gruppe sind und eine Identität mit uns herumtragen, die sich ohne Abstriche auf unsere Herkunft zurückführen lässt.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjAS478WhVCxL9-F2dN6K9HQdaPlqIjj9WdBOYkJCsrEfwEqDoCnncgzmvP-MP1W3qcn8Gk6ZawIEcYDy51tdJ6u36rmsVgBL7EuNFfVLM6LEVzaRSwjuszvNnn79gP4cUvVLonZYjXO-BX6CfREA508jdMu6HUzDOrZ3xd7xqkKC1oYl4-yIpE0ciGmg=s768" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="576" data-original-width="768" height="480" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjAS478WhVCxL9-F2dN6K9HQdaPlqIjj9WdBOYkJCsrEfwEqDoCnncgzmvP-MP1W3qcn8Gk6ZawIEcYDy51tdJ6u36rmsVgBL7EuNFfVLM6LEVzaRSwjuszvNnn79gP4cUvVLonZYjXO-BX6CfREA508jdMu6HUzDOrZ3xd7xqkKC1oYl4-yIpE0ciGmg=w640-h480" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">Polygenismus, oder: Der unveränderliche <br />ethnische bzw. kulturelle Wesenskern in uns</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dies entspräche einer Art „Polygenismus, demzufolge wir alle einen unveränderlichen ethnischen oder kulturellen Wesenskern in uns tragen, der sich auf unsere Ursprünge zurückführen lässt. Und die Interaktion mit unseren Mitmenschen, die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitbürgern sozialisiert werden, können demnach in keiner Weise diese Grundstruktur, diesen Ursprungshintergrund verändern.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dies sei in den Augen von Hill nicht nur empirisch falsch. Menschen sind vielmehr „ein Gemisch aus verschiedenen Subkulturen und Gruppen. (…) Das macht sie zu heterogenen Individuen und kulturell gesehen weniger authentisch, zum Beispiel weniger karibisch.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Genau damit aber haben die Anhänger des Multikulturalismus ihre Schwierigkeiten, weil sie die Menschen als „komplett ursprüngliche, klar unterscheidbare Mitglieder einer Gruppe“ begreifen. Selbst jenen, die sich in der Gesellschaft und ihrer Kultur zurechtgefunden haben, rufen sie zu, dass sie sich die ethnischen und kulturellen Vorgaben, die ihr Sein bestimmen, zu halten haben, denn bei einem Abweichen würde man „die eigene Authentizität und die Autonomie als ethnisches Subjekt“ verlieren.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Für Hill ist diese Haltung eine Form der „kulturellen Apartheid“: „Sie ist unhaltbar und geht in die Irre; sie verhindert, dass sich bei den Menschen ein kosmopolitisches Moment einstellt, in dem wir frei sind, einen Teil unserer Sozialisation unseren Mitmenschen in die Hände zu legen und zu etwas anderem werden, als wir ursprünglich waren.“ Die Anhänger aber des identitären Multikulturalismus favorisieren Gruppen und stellen die Vergangenheit über die Zukunft. Sie können eine auch nur partielle Umwandlung der bzw. Abkehr von den eigenen Wurzeln nicht ertragen, „weil sie kulturelle und ethnische Monisten sind.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die große Gefahr derartiger kultureller Apartheid liege Hill zufolge darin, dass Menschen Angst vor dem kritischen Austausch mit anderen Menschen haben, weil dadurch vielleicht ihre Geschichte und ihre Lebensweise beeinflusst werden könnten, d.h. „ihre eigene nationale, ethnische und kulturelle Identität in Frage gestellt wird, die sie für den unveränderlichen Wesenskern ihrer Identität halten.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEggqjEL_m7QXqLR-4vJ-T9XYd_iQ7fBZGis4aZFqr_7mUOXTdDMkIWOqQNA7fMw4P3s1iJ3e5HyJkd7rLuaiazGkL9VzrRVrG11RQohwSXixjuqUIBf5Fi8gXNj8xEOqkg6bJtO2S1a5LpVL4COy6SdUWoaHjtgI82HQ1eYFMJfiKMMcVl8W5Z4OfWCaQ=s624" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="312" data-original-width="624" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEggqjEL_m7QXqLR-4vJ-T9XYd_iQ7fBZGis4aZFqr_7mUOXTdDMkIWOqQNA7fMw4P3s1iJ3e5HyJkd7rLuaiazGkL9VzrRVrG11RQohwSXixjuqUIBf5Fi8gXNj8xEOqkg6bJtO2S1a5LpVL4COy6SdUWoaHjtgI82HQ1eYFMJfiKMMcVl8W5Z4OfWCaQ=w640-h320" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Kutlurelle Apartheid - Immer schön auf die anderen zeigen ...</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Hill dagegen ist der Ansicht, „dass wir Individuen sind und wir für uns selbst eine Vorstellung unseres Lebens erschaffen müssen und darüber hinaus eine Vorstellung für unser Leben, die wir in die Welt hinaustragen wollen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das habe aber mit einem atomistischen Menschenbild wenig zu tun, das dem Liberalismus stets vorgeworfen werde. „Ich kenne nicht einen Liberalen, der beim Individuum an Selbstverwirklichung auf einer einsamen Insel denkt. Wir entwickeln uns zusammen mit anderen, mit Fremden, mit unseren Mitbürgern, Freunden und Angehörigen. In dem Sinne bin ich ein Intersubjektivist. Ich denke, dass dieses waghalsige Unter-nehmen zusammen mit anderen Menschen angegangen werden muss. Manchmal geht man es mit Menschen an, deren Werte man teilt, und manchmal mit Menschen, mit denen man wenig gemein hat. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auf unserer Reise aber schreiben wir unser Drehbuch immer wieder selbst. Und das halte ich für das kosmopolitische Moment. Im Laufe dieses Prozesses sind wir gezwungen, eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Vokabular zu finden, das uns auf unserer Reise hilft. Man mag die Reise mit anderen angetreten sein, aber die Verantwortung dafür hat man selbst in der Hand. Man kann diese Verantwortung an keinen anderen abtreten. Ich käme nie auch nur auf die Idee zu sagen, jemand anderes sei für mein Leben verantwortlich. Die Entscheidungen, die ich treffe, sind einzig und allein meine eigenen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Damit setzt Hill der identitären Denkweise – seien es nun rechte Ethnopluralisten oder fundamentalistische Islamisten - das Bekenntnis zum Universalismus der Aufklärung entgegen. Die Probleme der Welt lassen sich schon längst nicht mehr auf der Ebene einzelner Nationen lösen. Im Partikularismus aber drohe die Gefahr einer negativen Aufhebung der Aufklärung. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Das Projekt eines selbstreflexiven Fortschritts darf nicht aufgegeben werden. Dabei meine ich keine naive Hymne auf den Westen und die technologische Entwicklung. Die Mahnung, die destruktiven Seiten der hochtechnisierten Zivilisation nicht aus den Augen zu verlieren, gilt heute schon aus ökologischer Perspektive mehr denn je. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aber die notwendige Kritik von Universalismus und Aufklärung kann nicht heißen, in Stammesstrukturen und magisches Denken zurückzukehren. Es wird kein einfaches „Zurück“ geben, vor allem nicht zu Identitäten, die so ohnehin nie existiert haben.“</span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik, Frankfurt 2018</span></p><div><br /></div>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-55222939294844782092022-03-10T15:30:00.001+01:002022-03-13T08:26:45.164+01:00Paul Nolte und die multiple Demokratie<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Demokratie ist aktuell wie kaum zuvor – und wirft wie nie zuvor Fragen auf. In seinem Buch „Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart“ verknüpft Paul Nolte die historischen Perspektiven und grundsätzlichen Fragen mit den aktuellen Problemen und zeigt auf, dass die Geschichte der Demokratie nie nur von Wachstum, Fortschritt und Erfüllung handelte. Sie war immer zugleich eine krisenhafte Suche nach der Auflösung von Konflikten und Widersprüchen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Während sich manche Etappen in der Geschichte der Demokratie klar benennen ließen – beispielsweise beim Wandel von Regierungsformen oder auch mit Blick auf die Ausweitung politischer Rechte der Bürger (Abschaffung eines Wahlzensus, Einführung des Frauenstimmrechts), so gibt es seit den 70er Jahren zunehmend Demokratisierungsprozesse, die nicht gradlinig verlaufen, sondern in denen viele verschiedene, auseinanderlaufende und sich überkreuzende Wege eingeschlagen werden, deren Ziele mithin unsicher geworden sind. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgGUSif6ivk6zk5OU12xH2Kb25ApPE2RdwyoS6HzUe-dXI95dx8CoLsJOsodAKk3ZDkmwAEU5SGb5OZ1sha_zo-c4xW4KvnqHUmdBO3lvH9l6leVXjJIhapVO0vvcSL-MxExUfYDNlCSp3gH1qova111TmGQO16XPhBPyf7l9sH-IJ58627jeHDyZcTaQ=s490" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="276" data-original-width="490" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgGUSif6ivk6zk5OU12xH2Kb25ApPE2RdwyoS6HzUe-dXI95dx8CoLsJOsodAKk3ZDkmwAEU5SGb5OZ1sha_zo-c4xW4KvnqHUmdBO3lvH9l6leVXjJIhapVO0vvcSL-MxExUfYDNlCSp3gH1qova111TmGQO16XPhBPyf7l9sH-IJ58627jeHDyZcTaQ=w640-h360" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Zivilgesellschaft</span></td></tr></tbody></table><br /><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dennoch, trotz Vielfalt und zuweilen auch Unübersichtlichkeit des jüngsten demokratischen Wandels, die „Entdeckung der `<i>Zivilgesellschaft</i>´ hat den scheinbar saturierten westlichen Demokratien Impulse aus dem spätkommu-nistischen Osteuropa vermittelt – und umgekehrt die westliche Protest- und Bürgerdemokratie dort als subversive Kraft etabliert.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Zwar hinke die europäische Einigung mit ihren Institutionen dem Muster einer nationalstaatlichen Demokratie hinterher, wirke aber gleichzeitig als mächtige Triebkraft im Ausbau von Grundrechten, für bürgerliche Freiheitsrechte gegenüber dem Staat und für die justizielle Demokratie. „Die neue Rolle des Konsumbürgers ist nicht auf die ökonomische Sphäre des privaten Verbrauchs begrenzt, sondern hat die gesamte Existenz des politischen Bürgers neu eingefärbt, der seine politischen Ansprüche viel mehr als früher aus der persönlichen Lebenswelt und privaten Lebensführung definiert.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auch die <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/01/Teil-1.html" target="_blank"><i>deliberative Demokratie</i></a> </span><span style="font-family: verdana;">sei nicht nur ein theoretisches Konzept, „viel-mehr finden sich wichtige Spuren ihrer Praxis in neuen Formen der außerparlamentarischen Aushandlung und Konsensbildung, an `Runden Tischen´, in Schlichtungs- oder Mediationsverfahren.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Über einen Kamm scheren lassen sich die verschiedenen Trends jedoch nicht ohne weiteres. Sie laufen öfters parallel oder konkurrieren miteinander. Engagierte Bürgerinnen und Bürger kämpfen für mehr direkte Demokratie in Volksinitiativen und Abstimmungen; viele andere halten das nicht für die Arena, in der sich demokratische Zukunft überwiegend entscheidet. Internet-Aktivismus und «face-to-face»-Politik können sich gegenseitig befeuern, aber auch in Konkurrenz zueinander treten; von der Ambivalenz des Internets als Freiheitstechnologie zu schweigen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Das Besondere an dieser Entwicklung all dieser Facetten der „neuen“ Demokratie ist sicherlich ihr Verhältnis zu den Regeln und Institutionen des repräsentativen Systems und der verfassungsmäßigen Demokratie. „Die neuen Trends haben sich zu einem erheblichen Teil informell herausgebildet, sie spiegeln soziale und kulturelle Veränderungen und neue politische Praxisformen, ohne in der Verfassung verankert zu sein. Möglicherweise lässt sich das nachholen, und man könnte sich ein Grundgesetz vorstellen, das zivilgesellschaftlichen Aktivismus, NGOs oder neue Institutionen der außerparlamentarischen und außergerichtlichen Konflikt-regulierung ausdrücklich in seine Artikel aufnimmt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Verfassungsdemokratie und außerkonstitutionelle Demokratie nebeneinander bestehen bleiben, so wie das auch für die Europäische Union gilt.“</span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhgHPZkAEyPA_sMFVjVPinGvHd8l-L9IBhw7gVAgIRCUQCZ_yq8vcUsFFp2OUNuelYbhkPZ6AVc26iDZYmLLJ68sty-I-7x35LCjnviGSbHlLC8632APKqdTwo8GPUi2g2E-uiKpcS6zVdgCRJO8qHPyREQmkHYfON-cNa4owlQs3x6yDXilaoasW484A=s570" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="380" data-original-width="570" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhgHPZkAEyPA_sMFVjVPinGvHd8l-L9IBhw7gVAgIRCUQCZ_yq8vcUsFFp2OUNuelYbhkPZ6AVc26iDZYmLLJ68sty-I-7x35LCjnviGSbHlLC8632APKqdTwo8GPUi2g2E-uiKpcS6zVdgCRJO8qHPyREQmkHYfON-cNa4owlQs3x6yDXilaoasW484A=w640-h426" style="cursor: move;" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Partizipation und Mitsprache</span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Gleichwohl aber werde die klassische Demokratie der individuellen Freiheitsrechte, der Gewaltenteilung und des parlamentarischen Regierungssystems durch die neuen Entwicklungen keinesfalls abgelöst, denn wo es noch keine Demokratie gibt - in Diktaturen oder in autoritären Regimen -, steht ihre Etablierung ganz oben auf der Wunschliste der Menschen. Eine der klassischen Demokratie überlegene Form der Sicherung von Grundrechten, Rechtsstaatlichkeit und legitimer Regierung auf Zeit ist bisher jedenfalls noch nicht gefunden worden.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Angesichts postmoderner Auflösung von Hierarchien und Zentren, angesichts der kulturellen Prägekraft digitaler Netzwerkarchitekturen mag es umstritten sein, noch von einem Zentrum oder Fundament der Demokratie zu sprechen. Aber anders wird man der fortwirkenden Bedeutung des demokratischen Verfassungsstaates, wie er sich spätestens in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa und Nordamerika etabliert hatte, kaum gerecht.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Ein freies Wahlregime und Grundrechte stehen im Mittelpunkt der `<i>eingebetteten Demokratie</i>´, die ohne die sie umgebende Zivilgesellschaft ärmer wäre – umgekehrt macht die Zivilgesellschaft aber noch keinen demokratischen Staat. Auch sollte man nicht vergessen, dass schon die klassische Demokratie (…) in ein zivilgesellschaftliches Leben eingebettet war und sich aus ihm speiste: mit <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/01/tocqueville-und-die-demokratie-in.html" target="_blank">Vereinen und Verbänden, Parteien und wohltätigen Organisationen</a>, die bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts florierten.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Während aber in der klassischen Theorie der liberalen, pluralistischen Demokratie die Vereine, Parteien, Verbände Als `intermediäre Institutionen´ zwischen dem Individuum und dem Staat standen, und auf diese Weise eine Sicherung gegen die unmittelbare Vereinnahmung der Individuen durch einen alles umgreifenden Staat bildeten, wird die Zivilgesellschaft heute eher als eine „Veranstaltung vergemein-schafteter Individuen gegenüber dem Staat, als Kontrollinstanz und Stachel in dessen Fleisch“ verstanden. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In diesem Sinn sei der demokratische Staat weniger ein unmittelbarer Ausdruck der pluralistischen Gesellschaft, sondern vielmehr ihr Gegenüber, „in zugespitzter Sichtweise und Kritik auch: eine schon nicht mehr demokratische Herrschafts-ordnung, die durch den gesellschaftlichen Protest `<i>radikaler Demokratie</i>´ ständig herausgefordert werden muss, um Freiheitsspielräume noch zu wahren. In der neueren linken Theorie spricht man sogar von `<i>insurgent democracy</i>´, von einer rebellischen oder aufständischen Demokratie, mit der sich Bürgerinnen und Bürger gegen einen Staat wehren, der selber durch den neoliberalen Kapitalismus seines demokratischen Gehalts beraubt sei.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj4kqIgD59fqLRzOxsLRx8iHwpqbTJ_adQH7vJlG6FrXL-6OAq7RRl_do2xrlbKy_6Ba2daUM_24HE0G0kijLIWSQZxdRwWDuJG-b5Gh6C9VJ-W_ic9dCHl8ROaIrxCzWTzJpP8s2vNYTxy_kcFR8phI5QFisU_QQczL6LL2fqvsdxeve9bd6wDr2KcoA=s660" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="440" data-original-width="660" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj4kqIgD59fqLRzOxsLRx8iHwpqbTJ_adQH7vJlG6FrXL-6OAq7RRl_do2xrlbKy_6Ba2daUM_24HE0G0kijLIWSQZxdRwWDuJG-b5Gh6C9VJ-W_ic9dCHl8ROaIrxCzWTzJpP8s2vNYTxy_kcFR8phI5QFisU_QQczL6LL2fqvsdxeve9bd6wDr2KcoA=w640-h426" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; font-size: medium;">Radikale Demokratie</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Politikwissenschaft bietet mittlerweile eine Vielzahl von Begriffen und Konzepten für die neuen Entwicklungen an, von denen sich aber noch keiner recht durchgesetzt hat. Zu den etablierteren Termini gehört sicherlich der Begriff der `</span><i style="font-family: verdana;">partizipatorischen Demokratie</i><span style="font-family: verdana;">´, „der auf die vielfältigen Formen des unmittel-baren Bürgerengagements und der politischen Teilhabe an der Basis abhebt, jenseits der klassischen Rolle des Wahlbürgers.“ Ging man etwa in den 70er Jahren davon aus, „dass nach der erreichten politischen Demokratie dasselbe formale Prinzip nun in andere Lebensbereiche – die Wirtschaft, die Bildung, die Religion, die Familie usw. – getragen werden müsse“, geht es heute „weniger um die `Demokratisierung aller Lebensbereiche´, sondern um die `Demokratisierung der Demokratie´ (Claus Offe).“ Der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber hatte im Zusammenhang mit den Formen einer par partizipatorischen Politik schon 1984 von einer `starken Demokratie´ gesprochen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Wenn also heutzutage nicht mehr ein „Aggregatzustand der Demokratie“ von einem anderen abgelöst wird, sondern Vielfalt und Überlagerungen von klassischer und neuer Demokratie die Wende zum 21. Jahrhundert bestimmen, könnte man mit Nolte durchaus von einer `<i>multiplen Demokratie</i>´ sprechen.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Wenn man berücksichtigt, dass sich Demokratie immer dreifach verstehen lässt – „als Erfüllung von Erwartungen, als Suche nach neuen Möglichkeiten und als Krise in politischer Realität und Selbstreflexion“ - dann stünden die neuesten Entwick-lungen am ehesten unter der Überschrift einer Suchbewegung, eines Experimentierens mit unsicherem Ausgang. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die „großen Erwartungen“ mögen noch nicht überall auf der Welt – wenn auch innerhalb der westlichen Länder – erfüllt sind, aber die „große Krise“ des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts scheint überwunden, auch wenn manche Intellektuelle heute wieder „den Stern der Demokratie sinken sehen“. Aber trotz manchen Missbehagens und lebhafter Kritik spiegelt sich dies sicher nicht in den Einstellungen einer breiten Bevölkerung der demokratischen Länder wider. „Die Suche aber geht weiter.“</span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Zitate aus: Paul Nolte: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München 2012 (C.H. Beck)</span></p><p style="text-align: justify;"><br /></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-46351375683786574492022-03-03T13:59:00.084+01:002022-03-04T09:22:51.856+01:00Frank Furedi und die verborgene Geschichte der Identitätspolitik (Teil 2)<p><br /></p><p><a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/02/Identitatspolitik1.html" target="_blank"><i><span style="font-family: verdana;">Fortsetzung vom 24.02.2022</span></i></a></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auf den ersten Blick erscheint Identitätspolitik (engl. identity politics) sympathisch. Laut gängiger Definition hilft sie marginalisierten Gruppen, negative Fremdzu-schreibungen der Mehrheitsgesellschaft zurückzuweisen und ihnen eine positive Selbstbestimmung entgegenzusetzen. Die Anliegen von Gruppen, z.B. Farbige, Homosexuelle oder Frauen, die sich diskriminiert fühlen, sollen für den Rest der Gesellschaft hörbar und sichtbar gemacht werden. Es geht darum, Anerkennung und Respekt für ihr spezifisches Anderssein einzufordern. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die in dem von Johannes Richardt herausgegebenen Sammelband „Die sortierte Gesellschaft“ versammelten Autoren sind jedoch skeptisch gegenüber dieser Auffassung. Der Sammelband ruckt die Schwächen des Konzepts in den Fokus, übt Kritik und bezieht klar Position gegen Identitätspolitik. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Denn unabhängig von der persönlichen politischen Orientierung gibt es gute Gründe, ein Denken abzulehnen, „das kulturelle Fragen politisiert und gleichzeitig politische Fragen kulturalisiert. Ein Denken, das Menschen anhand gruppen-spezifischer Merkmale in Schubladen einsortiert und so nicht nur zwischen-menschliche Solidarität, sondern auch substanzielle politische Debatten erschwert.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Frank Furedi gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die „verborgene Geschichte der Identitätspolitik“, deren Verlauf er in vier Phasen einteilt. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Eine der folgenreichsten Entwicklungen in der Geschichte der Identitätspolitik, so Furedi, war ihr Verschmelzen mit der Strategie der Viktimisierung der eigenen Gruppe. So veränderte sich in den 1970er Jahren das Verständnis davon, wie man zum „Opfer“ wird (Viktimisierung). </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgLBlN4h-WWVF6d5-QEC4dG8OaZxn8I6Awlsv9pz64ATqX1IEs-HfbKuxo0Hm1k4H00gHDX7egDqSSe88Q9ZOXHyts3jYoOWeA7zSeL0rdze0i9RX8YLc2jksqkdiry-eC-hXwZ0ACVKu3d3nDY3-TPErP6sHxnNUOmvop0Y5W7Qbgg3UBmQvXGr5avJA=s320" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="279" data-original-width="320" height="279" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEgLBlN4h-WWVF6d5-QEC4dG8OaZxn8I6Awlsv9pz64ATqX1IEs-HfbKuxo0Hm1k4H00gHDX7egDqSSe88Q9ZOXHyts3jYoOWeA7zSeL0rdze0i9RX8YLc2jksqkdiry-eC-hXwZ0ACVKu3d3nDY3-TPErP6sHxnNUOmvop0Y5W7Qbgg3UBmQvXGr5avJA" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">Die Erziehungswissenschaftlerin <a href="http://diepaideia.blogspot.com/2020/09/levent-tezcan-und-die-malosigkeit-in.html" target="_blank">DiAngelo</a> behauptet: Wer nicht Schwarz/PoC ist, ist unvermeidlich <span style="background-color: white; color: #222222;">ein Rassist aufgrund seiner privilegierten Geburt!"<br /></span></span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Wurden anfänglich Menschen als Opfer beschrieben, wenn sie eine spezifische Erfahrung – zum Beispiel als Opfer von Gewalttaten - gemacht hatten, weitete sich in den 1970er Jahren das Verständnis der Viktimisierung auf kollektive Gruppenerfahrungen aus. Nun ging es nicht mehr um eine individuell erlittene Schädigung als Voraussetzung dafür, als Opfer angesehen zu werden. „Stattdessen wurde der Opfer-Status als integraler Bestandteil einer ungerechten Gesellschaft angesehen. Durch die Neudefinition und Ausweitung der Opfererfahrung erklärten verschiedene Gruppen den Status als Opfer der Gesellschaft zu einem Kern-bestandteil ihrer Identität.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Auffassung, dass nahezu jeder außerhalb der herrschenden Elite ein potentielles Opfer ist, suggeriert, dass Viktimisierung nicht eine Ausnahme, sondern die Regel in der existentiellen Realität unserer Gesellschaften darstellt. „Ein alles durchdringendes Gefühl von Viktimisierung bildet wohl die bedeutendste kulturelle Hinterlassenschaft dieser Ära.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Interessanterweise wurde die „Autorität des Opfers“ und der „Legitimität des Opferstatus“ gleichermaßen von Aktivisten des rechten und des linken Spektrums verteidigt. "Die Opferrolle wurde so zur wichtigen kulturelle Quelle für Identitätskonstruktion. Zeitweise schien es, als wolle jeder das Opfer-Label für sich beanspruchen. Konkurrierende Opferrollen führten schnell zu Versuchen, Opfer zu hierarchisieren.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Darstellung des Opfers als schuldlos – der Beginn der letzten Phase der Geschichte der Identitätspolitik - war die Schlüsselinnovation bei der Konstruktion der Opferrolle ab den 70er Jahren. „Die Wahrnehmung des `schuldlosen Opfers´ stattete selbsternannte Opfer mit moralischer Autorität aus. In der Folge wurde die Opferidentität beinahe zur heiligen Kuh.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„Opfer“ wurde zunehmend als moralischer Begriff verwendet. „Ein Opfer zu sein impliziert einen gewissen Grad an Unschuld und Schuldlosigkeit, wodurch das Opfer nicht für sein Schicksal verantwortlich gemacht werden kann“ und „Fürsprecher der Opferkultur behaupteten nicht nur, dass Opfer keine Verantwortung trügen, sondern auch, dass ihnen geglaubt werden müsse.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj0CcVqbQfZwpaUpZwfVXsgf_Gb4olqTC1X9azDjIg8kqprXJ7BE5W8hru4VN4LfmCLBzV9vbBr0TSTa_-Jad8H5lMTOWbP830XY5H_rqOzl6i7h9bT8hAFtV00ZrsZ7dklEoMbPzdpF6pS3xt5WKcf0fUY-3z35lhHdlEKmZPs0GU-d34oEiejRq7cMA=s489" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="489" data-original-width="400" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj0CcVqbQfZwpaUpZwfVXsgf_Gb4olqTC1X9azDjIg8kqprXJ7BE5W8hru4VN4LfmCLBzV9vbBr0TSTa_-Jad8H5lMTOWbP830XY5H_rqOzl6i7h9bT8hAFtV00ZrsZ7dklEoMbPzdpF6pS3xt5WKcf0fUY-3z35lhHdlEKmZPs0GU-d34oEiejRq7cMA=s320" width="262" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">Die Wahrnehmung des `schuldlosen Opfers´<br />stattete selbsternannte Opfer mit moralischer Autorität aus.</span></td></tr></tbody></table><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">„In den letzten Jahrzehnten wurde das Dogma „Glaubt dem Opfer“ derart institutionalisiert, dass - gegen jede liberale und aufklärerische Rechtstradition – die eines Verbrechens Beschuldigten solange als schuldig gelten, bis sie ihre Unschuld bewiesen haben. So gehe es heutzutage eher darum, vor Gericht festzustellen, ob das „Opfer“ sich viktimisiert fühlt und nicht darum, ob eine tatsächliche Handlungsabsicht des Beschuldigten vorliegt.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">All dies führt zu einer bis heute wirkmächtigen psychologischen Wende in der Identitätspolitik. „<a href="http://diepaideia.blogspot.com/2020/09/levent-tezcan-und-die-malosigkeit-in.html" target="_blank">Opferschaft hat die Identitätspolitik mit moralischer Autorität versehen.</a> (…) Die Behauptung von der Schuldlosigkeit der Opfer sollte nun verhindern, dass die Realitätssicht einer bestimmten Identitätsgruppe hinterfragt oder diskutiert wird.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In dieser Sichtweise verleiht Identität das Patent darauf, sich exklusiv zu Angelegenheiten äußern zu dürfen, die eine bestimmte – meist die eigene - Kultur betreffen. So können auch nur diejenigen, die sich einer Kultur zugehörig fühlen, diese überhaupt verstehen. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">So haben sich mittlerweile auf Kultur und Identität bezogene Grenzen verfestigt und „werden nun intensiv kontrolliert. Wer das Monopol der kulturellen Ingenieure über das Verständnis ihrer Identität in Frage zu stellen droht, stößt oft auf ein „Zutritt verboten“-Schild. Wer es trotzdem wagt, in einen abgegrenzten kulturellen Raum einzudringen, wird der ausbeuterischen kulturellen Aneignung (cultural appropiation) bezichtigt.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Und vor allem: „Das Dem-Opfer-glauben-Dogma wurde zum Argument recycelt, um Diskussionen zu jeglichen Themen zu unterbinden, die Identitätsbewegte als anstößig empfinden. Von deren Standpunkt aus ist jede Kritik an identitäts-politischen Anliegen ein Kulturverbrechen (…) Das Ergebnis ist Zensur und Illiberalität. Deshalb ist es in der Gesellschaft, und vor allem an Universitäten, oft unmöglich, bestimmte Themen zu debattieren.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die zeitgenössischen Formen der Identitätspolitik verwenden Furedi zufolge viel Energie darauf, Anerkennung und Respekt einzufordern. Die Tendenz zur Fragmentierung und Individualisierung ist zugleich eines der wichtigsten Merkmale der aktuellen Identitätspolitik. „Ein deutlicher Trend geht dahin, dass Identitätsgruppen ausufern und sich separieren. Überdies will jeder ein Stück vom Kuchen abhaben. Seit die Kontroverse über Cultural Appropriation hochkochte, beanspruchen alle möglichen Akteure ein Patent auf ihre Kultur. Gruppen, die bisher am Rande der Kulturpolitisierung gestanden haben, über- nehmen aktuell Sprache und Praktiken der Identitätspolitik.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiOBGejnmbUvhF5EVEKY4kI0_UMRdByXwIy-YR0Kz1Dwb61R1xtn9ytunuPFLE5abDJbRdgnjSPT9HmLUGgFc7TiJYdg2DgNyz4hl6XR-wvE_1QsNhnfOf3Kur0F17HNaOaZeZ_A10yDoNoxCn-61CFBjnFlqtRKw6zEmgGMybSPmOXIXB1xDJm-P91HA=s960" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="395" data-original-width="960" height="264" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiOBGejnmbUvhF5EVEKY4kI0_UMRdByXwIy-YR0Kz1Dwb61R1xtn9ytunuPFLE5abDJbRdgnjSPT9HmLUGgFc7TiJYdg2DgNyz4hl6XR-wvE_1QsNhnfOf3Kur0F17HNaOaZeZ_A10yDoNoxCn-61CFBjnFlqtRKw6zEmgGMybSPmOXIXB1xDJm-P91HA=w640-h264" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">"Ein deutlicher Trend geht dahin, <br />dass Identitätsgruppen ausufern und sich separieren"</span></span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die Forderung nach „Safe Spaces“ breitet sich aus und erfasst auch solche Bereiche, die früher als Hort kritischen Denkens galten. Eine allgemeine zwischen-menschliche Solidarität wird damit zum Opfer der heutigen Identitätspolitik. „Sobald sich verschiedene Gruppen in ihre `Safe Spaces´ zurückgezogen haben, bleibt kaum noch Platz für diejenigen, die sich der Politik der Solidarität und dem Ideal des Universalismus verschrieben haben.</span></p><p><br class="Apple-interchange-newline" /><span style="font-size: x-small;"><span style="font-family: verdana; text-align: justify;">Zitate aus: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. </span><span style="font-family: verdana;">Zur Kritik der </span><span style="font-family: verdana;">Identitätspolitik, Frankfurt 2018</span></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.7037902-36.773314904120788 -144.3287902 90 136.9212098tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-91129653822291993192022-02-24T15:30:00.051+01:002022-02-24T15:30:00.140+01:00Frank Furedi und die verborgene Geschichte der Identitätspolitik (Teil 1)<p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Auf den ersten Blick erscheint Identitätspolitik (engl. identity politics) sympathisch. Laut gängiger Definition hilft sie marginalisierten Gruppen, negative Fremdzu-schreibungen der Mehrheitsgesellschaft zurückzuweisen und ihnen eine positive Selbstbestimmung entgegenzusetzen. Die Anliegen von Gruppen, z.B. Farbige, Homosexuelle oder Frauen, die sich diskriminiert fühlen, sollen für den Rest der Gesellschaft hörbar und sichtbar gemacht werden. Es geht darum, Anerkennung und Respekt für ihr spezifisches Anderssein einzufordern. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Die in dem von Johannes Richardt herausgegebenen Sammelband „Die sortierte Gesellschaft“ versammelten Autoren sind jedoch skeptisch gegenüber dieser Auffassung. Der Sammelband ruckt die Schwächen des Konzepts in den Fokus, übt Kritik und bezieht klar Position gegen Identitätspolitik. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjZ3yIpZdq1zXbbxWWKNfcevfHzVwDD-0Yl8voVM5zACClLflY4GTaZTu18GglxEpEmik6vH_Qe3fpJsh54iRA648b5rDB24jM-2jXbQJA1Gvr0SvCZw7aDaQj2SaQO087Ur6A9EvusvHm_sUf30-29O80vCpzzgxEV8FBxdvzmWDmEuQFSxmdjbdiwzA=s600" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="600" data-original-width="600" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjZ3yIpZdq1zXbbxWWKNfcevfHzVwDD-0Yl8voVM5zACClLflY4GTaZTu18GglxEpEmik6vH_Qe3fpJsh54iRA648b5rDB24jM-2jXbQJA1Gvr0SvCZw7aDaQj2SaQO087Ur6A9EvusvHm_sUf30-29O80vCpzzgxEV8FBxdvzmWDmEuQFSxmdjbdiwzA=s320" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">"Die sortierte Gesellschaft" (2018)</span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Denn unabhängig von der persönlichen politischen Orientierung gibt es gute Gründe, ein Denken abzulehnen, „das kulturelle Fragen politisiert und gleichzeitig politische Fragen kulturalisiert. Ein Denken, das Menschen anhand gruppen-spezifischer Merkmale in Schubladen einsortiert und so nicht nur zwischen-menschliche Solidarität, sondern auch substanzielle politische Debatten erschwert.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Frank Furedi gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die „verborgene Geschichte der Identitätspolitik“, deren Verlauf er in vier Phasen einteilt. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im späten 18. Jahrhundert beginnt die erste Phase der Identitätspolitik. „In dieser Zeit bezog die Politisierung der Identität ihre Kraft aus der konservativen Reaktion gegen den Universalismus der Aufklärung. Diese Gegenaufklärung verdammte die Idee menschlicher Universalität und behauptete, nur die Identität bestimmter Völker oder Gruppen sei von Bedeutung.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In Deutschland, allen voran der Philosoph Johann Gottfried Herder (1744–1803), sprach die konservative Bewegung der Romantik den kulturellen Unterschieden eine wesentlich größere Authentizität zu als den abstrakten Bindungen des Universalismus. Herder fing den partikularistischen Geist der neuen romantischen Verehrung kultureller Identität ein, denn ihm zufolge würde jedes Volk durch seine Kultur definiert. So habe auch jedes Volk folglich seine individuelle Identität und einen „eigenen Geist“.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">In Frankreich bezeichnete Joseph de Maistre, ein reaktionärer Politikphilosoph, die Ideale der Menschenrechte als „abstrakten Unsinn“, denn „den Menschen an sich“, so behauptete er, gebe es schlicht nicht: „Ich habe Franzosen, Italiener und Russen kennengelernt, aber was den Menschen betrifft, dem bin ich nie begegnet.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Während die Romantik auf besonders erhabene Verschiedenheiten von Identität rekurriert und die identitären Merkmale feierte, die mit dem vermeintlich einzigartigen Geist der unterschiedlichen Völker verbunden wurden, inspirierte die diese Auffassung im 19. Jahrhundert den Nationalismus. In seiner berühmten Rede „Was ist eine Nation?“ beschrieb <a href="https://diepaideia.blogspot.com/2011/10/ernest-renan-und-die-kultur.html" target="_blank">Ernest Renan</a> „Nation“ als „eine Seele, ein spirituelles Prinzip“.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"></span></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiPUSxE19ujoU6HEg7fBtiZWzN0jAZthjcuyF_T373U-XvwWEZ57qwltnMPvKfl1jkszKDpexMpnk-9NCChHlSPs0_XWTJs9o5BZfRoZld2n9ccQxlS0_Xv1AZzeLpP4kQi_d5BpxzZprv8zOvSKx8cHQTFP_lnO7J20By5YLBVdi_zglHqPsGT2X11sQ=s466" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="369" data-original-width="466" height="316" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiPUSxE19ujoU6HEg7fBtiZWzN0jAZthjcuyF_T373U-XvwWEZ57qwltnMPvKfl1jkszKDpexMpnk-9NCChHlSPs0_XWTJs9o5BZfRoZld2n9ccQxlS0_Xv1AZzeLpP4kQi_d5BpxzZprv8zOvSKx8cHQTFP_lnO7J20By5YLBVdi_zglHqPsGT2X11sQ=w400-h316" width="400" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="background-color: white; color: #222222; font-family: verdana; text-align: justify;">"Man schließt sich in einer bestimmten, für national gehaltenen Kultur ein, man begrenzt sich. Man verlässt die freie Luft, die man in der Weite der Menschheit atmet, um sich in die Konventikel seiner Mitbürger zurückzuziehen. Nichts ist schlimmer für den Geist, nichts ist schlimmer für die Zivilisation." (E. Renan)</span></td></tr></tbody></table><span style="font-family: verdana;"><br /><div style="text-align: justify;">Die Menschen, die sich der Tradition der Aufklärung und dem kritischen Denken verpflichtet fühlten, widersprachen den Ideen, nach denen, „durch Biologie und die natürliche Ordnung von Geburt an bestimmt ist, wer man ist.“ Vielmehr würden sich die Menschen selbst zu dem machen, was sie sind. Auf diese Weise aber entwickelte die Aufklärung ein universelles Bewusstsein, das das Erleben einzelner Individuen, aber auch einzelner Gruppe überstieg. </div></span><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Im Nationalsozialismus nahm die Vergötterung der Identitätspolitik in der Verbindung aus Nationalismus und Rassismus eine der extremsten Formen an. Nach dem 2. Weltkrieg war die Indentitätspolitik daher zunächst diskreditiert und es dauerte einige Jahrzehnte, bis sie allmählich wiederbelebt wurde.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nach Meinung Furedis beginnt die zweite Phase der Geschichte der Identitäts-politik, als in den 60er Jahren in den USA Teile der Bürgerrechtsbewegung zu dem Schluss kamen, „dass der richtige Weg in der Politisierung einer schwarzen Identität läge. Andere Gruppen und Minderheiten wählten ähnliche Vorgehensweisen, um neue Rechte zu gewinnen. Um die Rechte und Freiheiten zu erlangen, die ihnen bislang verwehrt blieben, konzentrierten sich Bewegungen (…) deshalb auf spezifische Alleinstellungsmerkmale“ der eigenen Gruppe.</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nicht zuletzt die kulturellen Konflikte über Lebensstile und Werte, die in den 1960er Jahren losbrachen und in den 1970er Jahren an Fahrt gewannen, förderten die „Logik einer Gegenkultur, wonach alles Persönliche politisch sei. (…) Obwohl sich radikaler Befreiungsrhetorik bedient wurde, war die Hinwendung zur Identitätspolitik im Kern konservativer Natur. Eine Empfindsamkeit, die das Besondere zelebrierte und dem Streben nach universellen Werten mit Misstrauen begegnete. </span><span style="font-family: verdana;">Die Politik der Identität konzentrierte sich auf das Bewusstsein des Selbst und seine Wahrnehmung. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjzQSSZX9wYyKIi7jHrwQScoq1mJKXNUrHcey7sP_mBWS3oJk1eXAg_DcsczH6MCqrMGHBazA--7dGG8fKvlNgogcR3vXRfmLox68zYx9Pb5yKlr03QAzKrw0feBi4EyDYB9gO9xdyhQVBKe_hlezruj1wFiyTiEPHhDW7AsbpkWhGkVh9dU-ByxTIMjg=s1280" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><span style="font-family: verdana;"><img border="0" data-original-height="720" data-original-width="1280" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjzQSSZX9wYyKIi7jHrwQScoq1mJKXNUrHcey7sP_mBWS3oJk1eXAg_DcsczH6MCqrMGHBazA--7dGG8fKvlNgogcR3vXRfmLox68zYx9Pb5yKlr03QAzKrw0feBi4EyDYB9gO9xdyhQVBKe_hlezruj1wFiyTiEPHhDW7AsbpkWhGkVh9dU-ByxTIMjg=w640-h360" width="640" /></span></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><span style="font-family: verdana;">"<span style="text-align: justify;">Die Ideale von Differenz und Vielfalt ersetzten das der menschlichen </span><span style="text-align: justify;">Solidarität.“</span></span></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Identitätspolitik war und ist die Politik des `Alles dreht sich um mich´.“ </span><span style="font-family: verdana;">Diese neue Sensibilität fand unübersehbaren Ausdruck in dem Begriff des „Cultural Turn“. „Das augenfälligste Merkmal des Cultural Turn war die Sakralisierung der Identität. Die Ideale von Differenz und Vielfalt ersetzten das der menschlichen </span><span style="font-family: verdana;">Solidarität.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><i>(<a href="https://diepaideia.blogspot.com/2022/03/frank-furedi-und-die-verborgene.html" target="_blank">Fortsetzung folgt</a>)</i></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. <span style="text-align: left;">Zur Kritik der </span><span style="text-align: left;">Identitätspolitik, Frankfurt 2018</span></span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598tag:blogger.com,1999:blog-5006148498571486385.post-58538092364381592672022-02-17T16:30:00.042+01:002022-11-11T22:49:26.180+01:00Mark Lilla und die Kritik der Identitätspolitik<div style="text-align: left;"><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-style: italic;"><br /></span></div><span style="font-family: verdana;"><div style="text-align: right;"><span style="font-family: verdana;"><i>Für Ralph Schneider </i></span><i>und die vielen Gespräche </i></div></span><span style="font-family: verdana;"><div style="text-align: right;"><i>über die Fallstricke des Identitären</i></div></span></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;"><i><br /></i></span></div><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Der us-amerikanische </span><span style="font-family: verdana;">Politikwissenschaftler und Publizist </span><span style="font-family: verdana;">Mark Lilla (* 1956) ist seit 2007 Professor für Ideengeschichte an der Columbia University in New York City. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker der Identitätspolitik in den USA. Sein Essay mit dem Titel „</span><a href="https://www.nytimes.com/2016/11/20/opinion/sunday/the-end-of-identity-liberalism.html" style="font-family: verdana;" target="_blank">The End of Identity Liberalism</a><span style="font-family: verdana;">“, der am 2016 in der New York Times erschien, hat starke Gegenreaktionen ausgelöst und ist ein gutes Beispiel für die Vehemenz, mit der Identitätsbewegte mittlerweile den politischen Diskurs prägen. </span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj6bw9mBNfHsVFt8sQszpa84cYt-YWT6vpQU2n1xrAiYxo87p036Q1YW6OYa_5EgsSbmHkFkSHjZusIkykJ1DczO8adtR83q7CBZdAFaUFDOgtChEdczh1K8z1tBzDhZzZMLa9dzCcVGxOyraDCHQMsr5SXOVt_6hf3dNMA2Z-eT96AAoIwE-4SLJDVfQ=s840" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="473" data-original-width="840" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEj6bw9mBNfHsVFt8sQszpa84cYt-YWT6vpQU2n1xrAiYxo87p036Q1YW6OYa_5EgsSbmHkFkSHjZusIkykJ1DczO8adtR83q7CBZdAFaUFDOgtChEdczh1K8z1tBzDhZzZMLa9dzCcVGxOyraDCHQMsr5SXOVt_6hf3dNMA2Z-eT96AAoIwE-4SLJDVfQ=w640-h360" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><p><span style="font-family: verdana;">Mark Lilla und seine Kriitk an der Identitätspolitik (2017)</span></p></td></tr></tbody></table><br /><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Nach Lilla gibt es zwei Arten von Identitätspolitik. „Einmal die alte Identitätspolitik, bei der es sich tatsächlich um eine Form der Interessenpolitik handelt. Bei der frühen Bürgerrechtsbewegung oder der frühen Frauen- oder Homosexuellen-bewegung wurden Menschen mobilisiert, die das gemeinsame Ziel hatten, für ihre Interessen innerhalb unserer politischen Institutionen zu kämpfen. Ihnen ging es darum, innerhalb unserer Institutionen langfristig etwas zu bewegen.“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Seit den 1980er Jahren aber habe sich schrittweise die Ausrichtung auf das Indi-viduum verschoben, weg von gemeinsamen Eigenschaften und einer Vorstellung davon, wie wir zusammen eine gemeinsame Agenda verfolgen können. So ginge es in der aktuellen Identitätspolitik „mehr um Selbstentfaltung, Selbstbehauptung und Selbstfindung. Somit ist der politische Horizont junger Leute, die in dieser Atmosphäre aufwachsen, auf Themen beschränkt, die die zufällige Definition ihrer Identität betreffen.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Dies habe Lilla zufolge zu einer Art „innerer narzisstischer Wende“ geführt, „die von Gleichgültigkeit begleitet ist und vom Unverständnis dessen, wie sich politisch tatsächlich langfristig etwas erreichen lässt. Diese Wendung nach innen und die damit einhergehende Radikalisierung haben zu einer sehr subjektivierten Politik geführt.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Über politische Ziele und Positionen könne man mit anderen diskutieren, eigene Argumente und Gründe vorbringen. Wenn aber die politische Position aus der Frage erwächst, wie man sich im Intimleben definiert und wie man seine subjektiven Erfahrungen begreift, wird man kein großes Interesse daran entwickeln, sich mit Leuten auseinanderzusetzen, die sehr kritisch sind. „Man wird dann sehr sensibel, sieht sein Ich angegriffen, nicht seine Argumente oder seine politische Haltung. Sobald das passiert, werden Menschen gleichgültig und wenden sich nicht nur von der praktischen Politik ab, sondern werden auch in politischen Debatten intolerant.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Für Lilla ist genau diese Haltung - die subjektive Wende in der Politik - einer der Gründe für die teilweise hysterisch geführten politischen Debatten an US-Universitäten, wenn es darum geht, kritische Leute zum Schweigen zu bringen oder die vehement vorgetragene Forderung nach „Safe Spaces".</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Aber auch das schulische Bildungssystem ist schon längst nicht mehr frei von identitären Elementen. Kindern würde schon in sehr jungen Jahren ihre „Identität“ vermittelt. So habe der Staat New York Curricula-Empfehlungen für Programme ab der Grundschule veröffentlicht. „Ein Vorschlag ist, dass die Kinder ein Tagebuch über ihre Identität führen – im Kindergarten, ab sechs Jahren. Jedes Jahr fügen sie Dinge hinzu, sodass ein kleines Leseheftchen darüber entsteht, wie sie verschie-dene Aspekte ihrer Identität entdeckt haben, ihren ethnischen Hintergrund, später ihr Geschlecht usw..“ </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Identität wird immer stärker als „das geheime innere Ich“ konstruiert, „als der kleine Homunkulus, der das wahre Ich bildet und aus all dem Beiwerk besteht, das man beliebig mitnehmen oder fallenlassen kann. Diese Identitäten sollen beschützt und kultiviert und nicht angegriffen werden.“</span></p><p style="text-align: justify;"></p><table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhAK06vAz4p_d7dhI9GPnvxJK0TEhDQLyy0L5JOQt5OnLkaTQa3ekZqObi4MrojzKFaMlomuaEAc-1vIhDkC-jBJkk_PrH88Vs3-sxrP-Z0bg4c_TO2eYA_4kYTHVDJ6l1_L7xzutmo88JFvYQoJzDL8ikAxJMwOwKFzI3KkTKM_SoH3cZRuLoZM0dnSw=s1425" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="1345" data-original-width="1425" height="604" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhAK06vAz4p_d7dhI9GPnvxJK0TEhDQLyy0L5JOQt5OnLkaTQa3ekZqObi4MrojzKFaMlomuaEAc-1vIhDkC-jBJkk_PrH88Vs3-sxrP-Z0bg4c_TO2eYA_4kYTHVDJ6l1_L7xzutmo88JFvYQoJzDL8ikAxJMwOwKFzI3KkTKM_SoH3cZRuLoZM0dnSw=w640-h604" width="640" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"><p><span style="font-family: verdana;">Identität, "der kleine Homunkulus, der das wahre Ich bildet"<br /> </span><span style="font-family: verdana;">oder auch "das geheime, innere Ich"</span></p></td></tr></tbody></table><p></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Lilla interpretiert auch die Wahlniederlage von Hillary Clinton gegen Donald Trump im Jahr 2016 unter dem Einfluss der Identitätspolitik. Hillary Clinton sei „hinge-gangen und hat über all die Gruppen gesprochen, die zu den Lieblingen der Demokratischen Partei gehören – bestimmte Minderheiten, Gendergruppen, Frauen usw. (…)Aber sie hat allerhand Menschen im Land außen vorgelassen. Rund 20 Prozent der US-Amerikaner halten sich selbst für Evangelikale – sie hat Religion in dieser Weise überhaupt nicht erwähnt. Ungefähr 37 Prozent des Landes liegen im Süden – sie hat den Süden nie direkt angesprochen. Am Ende hatte sie eine kleine Sammlung bevorzugter Identitäten und hat andere ausgelassen. Wenn man die ganze Zeit über diese Gruppen spricht, ist es unvermeidlich, dass Leute, die zu keiner dieser Gruppen gehören, sich entweder ausgeschlossen fühlen (deshalb sollte man besser jeden erwähnen) oder ein Gruppenbewusstsein entwickeln, sofern sie keines haben – wenn jeder zu einer Gruppe gehört, dann müssen sie das auch tun.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Natürlich sei es in einem demokratisch verfassten politischen System normal, dass es verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen gibt. Man könne allerdings auch über Interessen sprechen, ohne das Wort Identität auch nur in den Mund zu nehmen. „Afroamerikaner haben einige gemeinsame Anliegen und das ist ziemlich normal. Es ist wichtig, dass die Leute in die alltägliche politische Arbeit einbezogen werden. Dazu gehört: einer Partei beitreten, Kompromisse schließen und eine Rhetorik finden, die Wähler anzieht. Es ist außerdem notwendig, allgemeine Prinzipien zu formulieren, die für verschiedene Gruppen in unterschiedlicher Weise gelten. Es kommt darauf an, dass sich alle an diese Prinzipien gebunden fühlen.“</span><span style="font-family: verdana;"> </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Für Lilla geht es bei seiner Kritik an der Identitätspolitik ebenfalls darum, zwei grundlegende politische Prinzipien wieder ins Bewusstsein zu rufen. „Eines ist gesellschaftliche Solidarität, das andere gleicher Schutz durch das Gesetz.“ „Am Beispiel eines arbeitslosen Fabrikarbeiters in Ohio, dessen Kind opiatsüchtig ist und dessen Wohnort den Bach runter geht, lässt sich Solidarität erklären: Solidarität bedeutet, dass wir sie unterstützen. Weil Bürger keine totgefahrenen Tiere am Straßenrand sind. Andererseits gibt es den schwarzen Autofahrer, der die Nase voll davon hat, ständig von der Polizei angehalten zu werden, weil er schwarz ist. Ihm kann man erklären, dass das Prinzip des gleichen Schutzes durch das Gesetz auch für ihn gilt. Unterschiedliche Gruppen haben also verschiedene Interessen und Anliegen, aber die allgemeine Botschaft gilt für alle.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Lilla selbst stellt sich in die Tradition des Art bürgerschaftlichen Liberalismus, d.h. einer Form des Liberalismus, „der auf der Vorstellung basiert, dass wir alle Bürger sind. Und als Bürger steht uns nicht nur etwas zu, sondern wir haben auch Pflichten gegenüber anderen Bürgern. Es handelt sich um eine bürgerschaftliche Pflicht. </span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana;">Bei der Individualisierung und Atomisierung unserer Gesellschaften und bei der Individualisierung unserer politischen Rhetorik fällt der gesamte Bereich der Verpflichtungen hinten runter. Es fehlt der Ansatz, dass man in einer Gesellschaft sowohl Pflichten als auch Rechte hat.“</span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;"><br /></span></p><p style="text-align: justify;"><span style="font-family: verdana; font-size: x-small;">Zitate aus: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik, Frankfurt 2018</span></p>Paideiahttp://www.blogger.com/profile/12291220280638191080noreply@blogger.com0Madrid, Spanien40.4167754 -3.703790212.106541563821153 -38.8600402 68.727009236178844 31.4524598