Hannah Arendt (1906 - 1975) |
Im Jahre 1958 veröffentlichte Hannah Arendt
ihr philosophisches Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben.“ Darin
beschreibt sie nicht mehr und nicht weniger als eine Theorie des politischen
Handelns vor dem Hintergrund der Geschichte politischer Freiheit und
selbstverantwortlicher aktiver Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben.
Arendt zufolge habe jedes Individuum die
Aufgabe, in Verbindung mit anderen Personen die Welt zu gestalten. Dabei stehen
dem Menschen drei „Grundtätigkeiten“ zur Verfügung: Arbeiten, Herstellen und
Handeln (griech. πόνος, ποίησις und πρãξις).
Nach Arendt ist es die Gewissheit der Endlichkeit
seines Daseins, das den Menschen dazu antreibt, sich eine Welt aus Dingen zu
schaffen, die er mit „Geist“ und „Kraft“ aus unterschiedlichen Materialien
herstellt und die seine Lebenszeit überdauern.
Während die Arbeit das „Am-Leben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung“ sichert, errichtet das Herstellen „eine
künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden in gewissem Maße
unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so etwas wie Bestand und Dauer
entgegenhält“ (18)
Steinmetze im antiken Rom |
So sei es „das Werk unserer Hände, und nicht
die Arbeit unseres Körpers“, also der „Homo faber, der vorgegebenes Material
bearbeitet zum Zwecke der Herstellung, und nicht das Animal laborans, das sich
körperlich mit dem Material seiner Arbeit `vermischt´“, der die endlose
Vielfalt von Dingen anfertigt, „deren Gesamtsumme sich zu der von Menschen
erbauten Welt zusammenfügt“ (161).
Die hier von Arendt beschriebene
Unterscheidung zwischen „Arbeiten“ und „Herstellen“ zeigt sich auch in der
Differenz zwischen den Produkten der Arbeit, den Konsumgütern, die verbraucht werden, während Produkte des
Herstellens oder des Werkens gebraucht
werden:
„Diese Gegenstände werden gebraucht und nicht
verbraucht, das Brauchen braucht sie nicht auf; ihre Haltbarkeit verleiht der
Welt als dem Gebilde von Menschenhand die Dauerhaftigkeit und Beständigkeit,
ohne die sich das sterblich-unbeständige Wesen der Menschen auf der Erde nicht
einzurichten wüßte; sie sind die eigentlich menschliche Heimat des Menschen“
(ebd).
John Neagle (1799–1865) In der Schmiede
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Natürlich ist die Haltbarkeit der von
Menschen geschaffenen Dinge nicht absolut, ihr Gebrauch nutzt sie ab. Dennoch
ist offensichtlich, dass auch die „billigste Fabrikware sich von der
erlesensten Delikatesse noch dadurch unterscheidet, dass sie nicht verdirbt,
wenn sie nicht benutzt wird, dass sie eine bescheidene Eigenständigkeit hat,
die sie befähigt, die wechselseitigen Launen ihres Besitzers für einen recht
beträchtlichen Zeitraum zu überdauern“ (163).
Mit Hilfe dieser Dinge kann der Mensch – im
Unterschied zum Tier, das in seiner natürlichen Umwelt lebt - sich seine eigene
Welt aufbauen. Arnold Gehlen hatte bereits einige Jahre vorher festgestellt, dass der Mensch sich eine zweite Natur, eine künstliche und
passend gemachte Ersatzwelt erschafft, in der er sich selbst als Kulturwesen
deuten kann. Für Arendt dagegen ist der Prozess des Herstellens gleichwohl
immer auch „gewalttätig“, denn der „Homo faber, der Schöpfer der Welt, kann
sein Geschäft nur verrichten, indem er Natur zerstört“ (165).
Der Homo faber ist in der Tat ein „Herr
und Meister, nicht nur weil er Herr der Natur ist oder verstanden hat, sie sich
untertan zu machen“, sondern er ist vor allem „Herr seiner selbst, seines Tuns
und Lassens“, was man eben nicht vom Homo laborans sagen kann, das stets „der
Notwendigkeit des eigenen Lebens unterworfen bleibt“ (170)
Es ist nach Arendt das „eigentliche
Merkmal des Herstellens, dass es einen definitiven Anfang und ein definitives,
voraussagbares Ende hat“, während das Arbeiten „gefangen in den Kreislauf des
Körpers“, weder Anfang noch Ende hat. Sobald das Resultat seiner Tätigkeit
fertiggestellt ist, kann der Homo faber frei entscheiden, „ob das Werk seiner
Hände der Vorstellung seines Geistes entspricht, und, wenn es ihm nicht
gefällt; es zu zerstören“ (170).
Antike griechische Töpferei |
Das Wesen des Herstellens zeige sich weiter
in seiner Zweckdienlichkeit: „Der Zweck rechtfertigt die Gewalt, die der Natur
angetan wird, wenn man das Material aus ihr gewinnen will, wie das Holz das
Fällen des Baumes rechtfertigt, wie der Tisch schließlich die nochmalige
Zerstörung des Materials, das Zersägen des Holzes rechtfertigt“ (182).
Sinn und Zweck fallen im Prozess des
Herstellens zusammen, denn in der Welt Homo fabers, „wo alles seinen Nutzen
beweisen muss und daher als ein Mittel gebraucht wird, um etwas anderes, als es
selbst ist, zu erreichen, kann Sinn nur als ein Zweck verstanden werden, und
zwar als ein Endzweck, bzw. ein `Zweck an sich´“ (183).
Deutlich wird der Zweck-Sinn des Homo faber
letztlich auf dem Tauschmarkt, die Agora. Der Homo faber sei durchaus fähig,
einen ihm angemessenen öffentlichen Bereich zu erschaffen, „obwohl dies nicht
ein politischer Bereich im eigentlichen Sinne des Wortes ist“. Der Tauschmarkt
ermöglicht dem Homo faber, „das Werk seiner Hände zur Schau zu stellen und die
gebührende Achtung und Hochschätzung zu empfangen“ (191).
So liegt für Arendt die Bedeutung des
Herstellens abschließend darin, dass „ohne die Geräte, die Homo faber entwirft,
um die Arbeit zu erleichtern und die Arbeitszeit zu verkürzen“ auch das
menschliche Leben nichts anderes sein könnte als Mühe und Arbeit (211).
Zitate aus: Hannah Arendt: Vita activa
oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)
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