Arthur Koestler wurde am 5. September 1905 in Budapest geboren.
Im Jahr 1919 zog er mit seiner Familie nach Wien und studierte dort ab 1922 Ingenieurwissenschaften,
parallel dazu aber auch Philosophie und Literaturwissenschaft. 1930 zog er nach
Berlin, wo er stellvertretender Chefredakteur der B.Z. am Mittag wurde und als außenpolitischer
Redakteur arbeitete. Im selben Jahr trat er der Kommunistischen Partei Deutschlands
(KPD) bei, ohne es bekanntzugeben.
Nach seinem Eintritt in die KPD kann Koestler noch seine absolute
Ergebenheit der Partei gegenüber unter Beweis stellen: „Die Partei war sowohl moralisch
als auch logisch unfehlbar; moralisch, weil ihre Ziele richtig waren, d. h. der
Dialektik der Geschichte entsprachen, und diese Ziele rechtfertigten alle Mittel;
logisch andererseits, weil die Partei die Vorhut des Proletariats war und das Proletariat
die Verkörperung des aktiven Prinzips in der Geschichte darstellte.“
Eine besondere Eigenart des damaligen Parteilebens, mit der Koestler
zu kämpfen hatte, war der Proletenkult und die Verachtung der Intellektuellen: „Wir
kommunistischen Intellektuellen bürgerlicher Herkunft waren in der Partei geduldet,
aber wenig geschätzt; und diese Tatsache wurde uns Tag und Nacht unter die Nase
gerieben. Wir wurden geduldet, weil Lenin es so gewollt hatte und weil Sowjetrussland
nicht ohne die Arzte, Ingenieure und Wissenschaftler der vorrevolutionären Intelligenz
und ohne die verhassten ausländischen Spezialisten auskommen konnte. Aber es wurde
uns nicht mehr Vertrauen und Respekt entgegengebracht als der Kategorie „nützlicher"
Juden im Dritten Reich, die man mit besonderen Armbinden versah, damit sie nicht
durch ein Versehen in die Gaskammern geschoben wurden, ehe ihre Nützlichkeitsspanne
abgelaufen war.“
Der ideale Proletarier war stets breitschultrig, mit einem offenen Gesicht und einfachen Zügen dargestellt, so Koestler. „Er hatte ein vollentwickeltes Klassenbewußtsein und einen wohlbeherrschten Sexualtrieb; er war stark und schweigsam, warmherzig, aber wenn nötig auch hart; er hatte große Füße, schwielige Hände und eine tiefe Stimme, mit der er revolutionäre Lieder sang.“
Der ideale Proletarier war stets breitschultrig, mit einem offenen Gesicht und einfachen Zügen dargestellt, so Koestler. „Er hatte ein vollentwickeltes Klassenbewußtsein und einen wohlbeherrschten Sexualtrieb; er war stark und schweigsam, warmherzig, aber wenn nötig auch hart; er hatte große Füße, schwielige Hände und eine tiefe Stimme, mit der er revolutionäre Lieder sang.“
Ideale Proletarier |
Proletarier, die nicht Kommunisten waren, waren keine echten
Proletarier. Aber auch ein Angehöriger der Intelligenz konnte niemals ein richtiger
Proletarier werden, aber es war seine Pflicht, sich soweit wie möglich darum zu
bemühen: „Einige versuchten es, indem sie auf die Krawatte verzichteten, Rollkragenpullover
und schwarze Ränder an den Fingernägeln trugen. Das wurde jedoch verurteilt; es
war Snobismus und Hochstapelei. Der richtige Weg bestand darin, nichts zu schreiben,
zu sagen oder vor allem zu denken, was nicht jeder Müllkutscher verstehen konnte.
Wir warfen wie Passagiere auf einem sinkenden Schiff alles geistige Gepäck fort,
bis es auf das unbedingt erforderliche Minimum an gängigen Phrasen, dialektischen
Klischees und marxistischen Zitaten zusammengeschrumpft war (…). Das verwerfliche
Privileg, eine bürgerliche Erziehung genossen zu haben, die Fähigkeit, einem Problem
mehr als eine Seite abgewinnen zu können, wurde zum Anlass ständiger Selbstvorwürfe.
Die Weimarer Republik ging schon bald ihrem Ende entgegen, aber
die Kommunisten „lebten in einem Nebel dialektischer Trugbilder, die uns die Welt
der Wirklichkeit verbargen. Die Faschisten waren natürlich Bestien, doch unsere
Hauptsorge galt den trotzkistischen Ketzern und sozialistischen Schismatikern. Im
„Roten Volksentscheid" von 1931 hatten Kommunisten und Nationalsozialisten
in trauter Gemeinschaft gegen die sozialdemokratische preußische Regierung gestimmt;
1932 reichten sie sich beim Berliner Transportarbeiterstreik wieder die Hand. Heinz
Neumann, der glänzende junge KPD-Führer, der die Losung „Schlagt die Faschisten,
wo ihr sie trefft" geprägt hatte, fiel in Ungnade, um etwas später in Rußland
liquidiert zu werden, und die Parteilinie zuckte ratlos hin und her in den Vorwehen
des Stalin-Hitler-Paktes. Doch die Partei hatte verkündet, daß dieses Jahr 1932
den Triumph der proletarischen Revolution in Deutschland bringen würde; und da wir
den wahren Glauben hatten, der göttliche Verheißungen nicht mehr ganz ernst nimmt,
waren wir alle fröhlich und wohlgemut.“
KPD-Plakat (1932) |
Es ist ein Grundgesetz der kommunistischen Disziplin, daß jede
Kritik an einem Parteibeschluß, sobald dieser gefasst ist, als abweichlerische Sabotage
anzusehen ist. Rein theoretisch wäre es nur vernünftig, vor einer Entscheidung über
diese zu diskutieren. Da aber alle Entscheidungen von oben herab getroffen werden,
gleichsam aus dem blauen Himmel, ohne daß irgendeine Körperschaft der Mitgliedermassen
befragt würde, sind die Massen jeden Einflusses auf die Politik der Führung beraubt
und sogar der Möglichkeit, ihre Meinung darüber auszudrücken.
Eine der Losungen in der KPD lautete: `An der Front wird nicht
diskutiert.´ Eine andere besagte: `Wo immer ein Kommunist sein mag, er ist immer
an der Front.´
„Dementsprechend zeichneten sich unsere Diskussionen stets durch
völlige Einstimmigkeit der Ansichten aus, und ihr Verlauf war, daß ein Zellenmitglied
nach dem anderen aufstand und in gutem Djugaschwilesisch zustimmende Variationen
zu dem vom Referenten angeschlagenen Thema vortrug.“
Weitere Risse bekam Koestlers kommunistisches Weltbild angesichts
der dialektischen Akrobatik der KPD-Kader: „Was ist der Unterschied zwischen einer
Pistole in der Hand eines Polizisten und einer Pistole in der Hand eines Mitglieds
der revolutionären Arbeiterklasse? Der Unterschied zwischen einer Pistole in der
Hand eines Polizisten und einer Pistole in der Hand eines Mitglieds der revolutionären
Arbeiterklasse ist, daß der Polizist ein Lakai der herrschenden Klasse und seine
Pistole somit ein Werkzeug der Unterdrückung ist, während dieselbe Pistole in der
Hand eines Revolutionärs ein Mittel zur Befreiung der unterdrückten Massen wird.“
Dasselbe gelte für den Unterschied zwischen der sogenannten „bürgerlichen“
Moral und der „proletarischen“ Moral. Die Institution der Ehe, die in der kapitalistischen
Gesellschaft lediglich die Verrottung der bürgerlichen Moral widerspiegelt, würde
in einer gesunden proletarischen Gesellschaft durch einen dialektischen Funktionswechsel
verwandelt. „Hast du das verstanden, Genosse, oder soll ich meine Antwort in konkreterer
Form wiederholen?“
Hast du das verstanden, Genosse, oder soll ich meine Antwort in konkreterer Form wiederholen? |
Man lernte außerdem, mit Hilfe von Kettenschlüssen zu beweisen, daß jeder, der eine andere Meinung als die eigene vertrat, ein Agent des Faschismus war, weil er a) durch seine abweichlerischen Ansichten die Einheit der Partei gefährdete, b) durch diese Gefährdung der Parteieinheit die faschistischen Siegesaussichten erhöhte und daher c) `objektiv´ als Agent des Faschismus handelte, selbst wenn ihm die Faschisten `subjektiv´ in Dachau die Nieren zu Brei geschlagen haben sollten.“
Begriffe wie „Agent des ...", „Demokratie", „Freiheit" usw. hatten im Parteijargon schlicht eine völlig andere Bedeutung als im üblichen Sprachgebrauch.
(Fortsetzung folgt)
Zitate aus: Ein Gott, der keiner war. Arthur Koestler, Ignazio Silone, Andre Gide, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender, schildern ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr. Mit einer Einführung von Prof. Wolfgang Leonhard und einem Vorwort von Richard Crossman, Erstauflage 1950) Zürich 2005 (Europa Verlag AG)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen