Donnerstag, 19. Juni 2014

Die Intellektuellen und der Totalitarismus


"Wir waren verfilzt - 
verfilzt und hochverschwägert
mit unseren Widersachern."

 - Wolf Biermann - 

Von André Glucksmann stammt ein irritierendes Wort: "Der Intellektuelle ist nicht, wie er der Welt eingeredet hat, der Wortführer der Humanität, sondern viel eher der Anwalt der Inhumanität."

Auch Ralf Dahrendorf stellt in seinem Buch "Die Versuchungen der Unfreiheit. Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung" (2008) die Frage,  warum sich so viele Intellektuelle des 20. Jahrhunderts von den Versprechungen des Kommunismus und Nationalsozialismus haben betören lassen.

Schon drei Jahre vorher hatte Joachim Fest in einem Vortrag in Heidelberg die Geschichte der Intellektuellen in der totalitären Epoche als "Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen" beschrieben.

Fest sieht die Ursachen dafür in einer historischen Entwicklung, die im 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahm. Hier tat man sich groß "im Erdenken immer neuer Entwürfe für eine nach den Prinzipien der Vernunft geordnete Welt: die Philosophen gaben sich diesen Planspielen ebenso hin wie die Dichter und die Schreibenden überhaupt, und die Leidenschaft dafür erfasste selbst die Künstler mit den Träumen einer endlichen Versöhnung von Kunst und Leben. unversehens verwandelte sich die Welt in ein Labor abgemachter Zwecke und mit Menschen, die ein beliebig formbares, auf die reine gesellschaftliche Funktion reduzierbares Material abgaben" (165).
 
Intellektuelle Redlichkeit:
Sonnenfinsternis (Arthur Koestler)
Beispielhaft für dieses "demiurgische Hochgefühl", das den stabilen theoretischen Unterbau aller totalitären Systeme bildet, steht die Äußerung des Vernehmungsbeamten in Koestlers "Sonnenfinsternis" über die Massenliquidationen der Kulaken: "Es war eine chirurgische Operation, die ein für alle mal durchgeführt werden musste. (...) Die Opfer der Überschwemmungen in China gehen mitunter in die Hunderttausende. Die Natur ist so großzügig mit ihren sinnlosen Experimenten an der Menschheit, und du wagst es, der Menschheit das Recht abzusprechen, an sich selbst zu experimentieren?" (ebd.).

Es mag manchen gutgläubigen Menschen tatsächlich noch immer verwundern, dass die totalitären Systeme stets ihre intellektuellen Anwälte und Ermutiger fanden. Aber es waren die Eingebungen von Intellektuellen, die hier Gestalt annahmen und so gehen die Rechtfertigungen des stalinistischen Terrors von Heinrich Mann, Ernst Bloch oder Georg Lukács allesamt davon aus, dass die Liquidierungen nichts anderes seien als notwendige Abräumaktionen, um dem Neuen den Boden zu bereiten.

Intellektuelle Unredlichkeit:
Ernst Bloch
Es ist durchaus angebracht, dass man schon früh die Utopien, die den beiden großen Gewaltherrschaften des Jahrhunderts zugrunde lagen, als "säkularisierte Religionen" definiert hat, denn "niemand anderem als den Intellektuellen fiel die Aufgabe zu, den Ersatz für die Wahrheiten von gestern zu erfinden und die Leere zu füllen, die der Tod Gottes hinterlassen hatte" (168).

Nach Ansicht von Fest liegt hinter der Bereitschaft, mit der sich westlich geprägte Intellektuelle der Orthodoxie des Kommunismus mitsamt den "gespenstischen Unterwerfungsritualen" wieder und wieder gefügt haben, ein tiefer Hass gegen die bürgerliche Welt, die alles repräsentiert, was die Intellektuellen verachteten: "Den Zweifel gegen jedwede fundamentalistische Position, das Verlangen nach Berechenbarkeit, den Kompromiss, den Respekt vor dem einzelnen, vor Institutionen und dem bewährten Herkommen sowie das Misstrauen gegen alle grandiosen Projekte, kurz, die Abneigung gegen jeden gesellschaftlichen unser menschlichen Extremismus" (172).

Selbstverständlich findet man das Verlangen nach primitiven kollektiven Zugehörigkeiten auch bei den vielen Intellektuellen, die mit offenen Armen den Nationalsozialismus begrüßten.

Heidegger und der NS-Staat ...
Zwar fehlte dem Nationalsozialismus im Vergleich zum Kommunismus die gedankliche Kohärenz ebenso wie der Zauber eines fugenlos geschlossenen Systems, "der zumal auf deutsche Köpfe eine so unwiderstehliche Wirkung übt", aber gerade der bruchstückhafte, unfertige Charakter dieser Ideologie hat "die Geister auf den Plan gerufen, die sich imstande glaubten, die Leerstellen auszufüllen, und nicht wenige redeten sich ein, der offenbar noch suchenden Bewegung Richtung und Ziel weisen zu können" (170). Martin Heidegger ist hierfür vielleicht ein gutes Beispiel.

Stärker als auf dem ideologischen Feld habe der Nationalsozialismus seine Anziehungskraft auf Intellektuelle durch theatralische Mittel entfaltet, also "durch die Inszenierung des Führerkults, durch Massenappelle, Fackelzüge, Paraden, Weihestunden, Höhenfeuer und jene Totenfeiern, die der Idee des preisgebenden Lebens ständig neue Blendwirkungen abgewannen" (170).

Stellvertretend sei hier Gottfried Benn genannt, der in einem Brief an den emigrierten Klaus Mann von der "Sehnsucht des in seine Buchstabenwelt eingesperrten Intellektuellen nach Leben, Schicksal und vitaler Nähe" sprach, eine Sehnsucht, die von den Nationalsozialisten befriedigt wurde in einem Rückgriff auf die ehrwürdigen Maximen von Ordnung, Bindung und Ursprung.

Dieses primitive Zugehörigkeitsverlangen bestand beim Kommunismus ebenso wie beim Nationalsozialismus. Es hatte Fest zufolge mit dem zu tun, was man unterdessen "die Legitimationskrise des modernen Schriftstellers nennt, seine tiefen Zweifel am eigenen Tun, seit alle Wege ans Ziel gekommen und alle Spiele zu Ende gespielt schienen. Nach so vielen fruchtlosen Disputen und den tausend absurden Seligkeiten des L'art pour l'art, sollte es endlich wieder um etwas gehen, um große Fragen, Menschheitsanlässe, um Leben und Tod" (174).

Nur bei wenigen Intellektuellen brachen überhaupt Skrupel aus, zumeist hervorgerufen durch drei Ereignisse:

George Orwell
Zwar glaubten viele, dass durch den Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs endlich wieder die Fronten geklärt waren: "Der Kommunismus im Kampf für Demokratie und Freiheit gegen das sich formierende Lager der faschistischen Mächte (...) Doch der mörderische, hinter den Linien geführte Kampf der sowjetischen Kommissare gegen die übrige Linke offenbarte rasch, dass Moskau längst auch in Madrid war: mit seinen Hysterien, dem Verdacht jedes gegen jeden, der unerbittlichen Zensur" (176).

George Orwell erinnert sich: "In Spanien las ich zum ersten Mal Zeitungsberichte, die mit den Tatsachen überhaupt nichts mehr zu tun hatten, nicht einmal so viel, wie für gewöhnlich mit einer Lüge verbunden ist." Orwell bemerkte, dass nicht beschrieben wurde, "was sich ereignet hatte, sondern was sich, je nach der Parteilinie, hätte ereignen sollen." So wurde der spanische Bürgerkrieg für viele Intellektuelle, u.a. für Arthur Koestler, André Malraux, Stephen Spender, George Orwell, Ernst Hemingway und Franz Borkenau zur Bruchstelle in ihrer Biographie.

Die inneren Konflikte wurden weiter verschärft wurde durch die beginnenden Moskauer Schauprozesse gegen "antikommunistische Umtriebe." Nur wenige Intellektuelle wollten wahrhaben, was dort geschah - etwa dass "von den siebenhundert Teilnehmern des sowjetischen Schriftstellerkongresses von 1934 ... fünf Jahre später über sechshundert im System des GULAG verschwunden" waren (177)

Heinrich Mann - Der Untertan !?
Aber die eigentlich bestürzende Erfahrung war, dass Stalin nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes (1939) nahezu eintausend nach Moskau geflohene Genossen unverlangt, wie zur Besiegelung des neuen Einvernehmens, an die Gestapo auslieferte.

Aber auch jetzt noch zeichneten sich viele Intellektuelle durch ein besonders eiferndes Apologentum aus: Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Bertholt Brecht oder auch Ernst Bloch, "von dem die wütendsten, das Moskauer Vokabular noch überbietenden Ausfälle stammen." Bloch "bestritt noch 1956 der 'Kloake', wie er die Abgefallenen bezeichnete, sogar das Recht, je Recht haben zu können" (178).

Eine besondere Rolle unter den Intellektuellen spielte auch Bertolt Brecht. "Zwar lassen sich in seinem Werk immer wieder Passagen ausmachen, die seine Nöte und Skrupel, mehr oder minder verschlüsselt, aufdecken. doch nach außen hab er sich stets linientreu." Es war wohl die Verbindung aus "Scheinheiligkeit, Zweifel, Treue und einer Verschlagenheit, die auch unter despotischen Umständen den eigenen Nutzen bedachte" und die weithin als Vorbild gewirkt hat. 

... und natürlich Bertolt Brecht ...
"Man kann, wie es geschehen ist, den 'Galileo Galilei' als Auseinandersetzung mit der stalinistischen Inquisition deuten; sicherlich doch auch als Verteidigung der Anpasserei, das wenn auch doppelbödige Hohelied auf die Hunderede" (180).

Es ist erstaunlich, dass viele der intellektuellen Mitläufer auch noch nach dem Ende der totalitären Utopien eine unbeirrbare Anhänglichkeit bewiesen haben, eine Treue, die vielleicht nicht einmal bei den Funktionärskadern der obersten Ränge zu beobachten war.

So ist für Fest die Geschichte der Intellektuellen angesichts der totalitären Versuchungen "aufs Ganze gesehen, eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen" (168).

Zitate aus: Joachim Fest: Bürgerlichkeit als Lebensform. Späte Essays, Hamburg 2008 (Rowohlt)   -   Weitere Literatur: Michael Rohrwasser: Der Stalinismus und die Renegaten, Stuttgart 1991 (Metzler)



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