"Wir waren verfilzt -
verfilzt und
hochverschwägert
mit unseren Widersachern."
- Wolf Biermann -
Von André Glucksmann stammt ein irritierendes Wort:
"Der Intellektuelle ist nicht, wie er der Welt eingeredet hat, der Wortführer
der Humanität, sondern viel eher der Anwalt der Inhumanität."
Auch Ralf Dahrendorf stellt in seinem Buch "Die Versuchungen der Unfreiheit.
Die Intellektuellen in Zeiten der Prüfung" (2008) die Frage, warum sich so viele Intellektuelle des 20. Jahrhunderts
von den Versprechungen des Kommunismus und Nationalsozialismus haben betören
lassen.
Schon drei Jahre vorher hatte Joachim Fest in
einem Vortrag in Heidelberg die Geschichte der Intellektuellen in der
totalitären Epoche als "Geschichte der Täuschungen und
Enttäuschungen" beschrieben.
Fest sieht die Ursachen dafür in einer
historischen Entwicklung, die im 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahm. Hier tat
man sich groß "im Erdenken immer neuer Entwürfe für eine nach den
Prinzipien der Vernunft geordnete Welt: die Philosophen gaben sich diesen Planspielen
ebenso hin wie die Dichter und die Schreibenden überhaupt, und die Leidenschaft
dafür erfasste selbst die Künstler mit den Träumen einer endlichen Versöhnung
von Kunst und Leben. unversehens verwandelte sich die Welt in ein Labor
abgemachter Zwecke und mit Menschen, die ein beliebig formbares, auf die reine gesellschaftliche
Funktion reduzierbares Material abgaben" (165).
Intellektuelle Redlichkeit: Sonnenfinsternis (Arthur Koestler) |
Beispielhaft für dieses "demiurgische Hochgefühl",
das den stabilen theoretischen Unterbau aller
totalitären Systeme bildet, steht die Äußerung des Vernehmungsbeamten in Koestlers
"Sonnenfinsternis" über die Massenliquidationen der Kulaken: "Es
war eine chirurgische Operation, die ein für alle mal durchgeführt werden musste.
(...) Die Opfer der Überschwemmungen in China gehen mitunter in die Hunderttausende.
Die Natur ist so großzügig mit ihren sinnlosen Experimenten an der Menschheit,
und du wagst es, der Menschheit das Recht abzusprechen, an sich selbst zu
experimentieren?" (ebd.).
Es mag manchen gutgläubigen Menschen tatsächlich
noch immer verwundern, dass die totalitären Systeme stets ihre intellektuellen
Anwälte und Ermutiger fanden. Aber es waren die Eingebungen von
Intellektuellen, die hier Gestalt annahmen und so gehen die Rechtfertigungen des
stalinistischen Terrors von Heinrich Mann, Ernst Bloch oder Georg Lukács
allesamt davon aus, dass die Liquidierungen nichts anderes seien als notwendige
Abräumaktionen, um dem Neuen den Boden zu bereiten.
Intellektuelle Unredlichkeit: Ernst Bloch |
Es ist durchaus angebracht, dass man schon früh die Utopien, die den beiden großen Gewaltherrschaften
des Jahrhunderts zugrunde lagen, als "säkularisierte Religionen" definiert
hat, denn "niemand anderem als den Intellektuellen fiel die Aufgabe zu,
den Ersatz für die Wahrheiten von gestern zu erfinden und die Leere zu füllen,
die der Tod Gottes hinterlassen hatte" (168).
Nach Ansicht von Fest liegt hinter der Bereitschaft,
mit der sich westlich geprägte Intellektuelle der Orthodoxie des Kommunismus mitsamt
den "gespenstischen Unterwerfungsritualen" wieder und wieder gefügt haben,
ein tiefer Hass gegen die bürgerliche Welt, die alles repräsentiert, was die
Intellektuellen verachteten: "Den Zweifel gegen jedwede fundamentalistische
Position, das Verlangen nach Berechenbarkeit, den Kompromiss, den Respekt vor
dem einzelnen, vor Institutionen und dem bewährten Herkommen sowie das Misstrauen
gegen alle grandiosen Projekte, kurz, die Abneigung gegen jeden
gesellschaftlichen unser menschlichen Extremismus" (172).
Selbstverständlich findet man das Verlangen nach
primitiven kollektiven Zugehörigkeiten auch bei den vielen Intellektuellen, die
mit offenen Armen den Nationalsozialismus begrüßten.
Heidegger und der NS-Staat ... |
Zwar fehlte dem Nationalsozialismus im Vergleich
zum Kommunismus die gedankliche Kohärenz ebenso wie der Zauber eines fugenlos
geschlossenen Systems, "der zumal auf deutsche Köpfe eine so
unwiderstehliche Wirkung übt", aber gerade der bruchstückhafte, unfertige
Charakter dieser Ideologie hat "die Geister auf den Plan gerufen, die sich
imstande glaubten, die Leerstellen auszufüllen, und nicht wenige redeten sich
ein, der offenbar noch suchenden Bewegung Richtung und Ziel weisen zu können"
(170). Martin Heidegger ist hierfür
vielleicht ein gutes Beispiel.
Stärker als auf dem ideologischen Feld habe der
Nationalsozialismus seine Anziehungskraft auf Intellektuelle durch
theatralische Mittel entfaltet, also "durch die Inszenierung des Führerkults,
durch Massenappelle, Fackelzüge, Paraden, Weihestunden, Höhenfeuer und jene Totenfeiern,
die der Idee des preisgebenden Lebens ständig neue Blendwirkungen abgewannen"
(170).
Stellvertretend sei hier Gottfried Benn genannt,
der in einem Brief an den emigrierten Klaus Mann von der "Sehnsucht des in
seine Buchstabenwelt eingesperrten Intellektuellen nach Leben, Schicksal und vitaler
Nähe" sprach, eine Sehnsucht, die von den Nationalsozialisten befriedigt
wurde in einem Rückgriff auf die ehrwürdigen Maximen von Ordnung, Bindung und
Ursprung.
Dieses primitive Zugehörigkeitsverlangen bestand
beim Kommunismus ebenso wie beim Nationalsozialismus. Es hatte Fest zufolge mit
dem zu tun, was man unterdessen "die Legitimationskrise des modernen Schriftstellers
nennt, seine tiefen Zweifel am eigenen Tun, seit alle Wege ans Ziel gekommen und
alle Spiele zu Ende gespielt schienen. Nach so vielen fruchtlosen Disputen und den
tausend absurden Seligkeiten des L'art pour l'art, sollte es endlich wieder um
etwas gehen, um große Fragen, Menschheitsanlässe, um Leben und Tod" (174).
Nur bei wenigen Intellektuellen brachen überhaupt
Skrupel aus, zumeist hervorgerufen durch drei Ereignisse:
George Orwell |
Zwar glaubten viele, dass durch den Ausbruch des
spanischen Bürgerkriegs endlich wieder die Fronten geklärt waren: "Der
Kommunismus im Kampf für Demokratie und Freiheit gegen das sich formierende Lager
der faschistischen Mächte (...) Doch der mörderische, hinter den Linien
geführte Kampf der sowjetischen Kommissare gegen die übrige Linke offenbarte
rasch, dass Moskau längst auch in Madrid war: mit seinen Hysterien, dem
Verdacht jedes gegen jeden, der unerbittlichen Zensur" (176).
George Orwell erinnert sich: "In Spanien las
ich zum ersten Mal Zeitungsberichte, die mit den Tatsachen überhaupt nichts
mehr zu tun hatten, nicht einmal so viel, wie für gewöhnlich mit einer Lüge
verbunden ist." Orwell bemerkte, dass nicht beschrieben wurde, "was
sich ereignet hatte, sondern was sich, je nach der Parteilinie, hätte ereignen
sollen." So wurde der spanische Bürgerkrieg für viele Intellektuelle, u.a.
für Arthur Koestler, André Malraux, Stephen Spender, George Orwell, Ernst
Hemingway und Franz Borkenau zur Bruchstelle in ihrer Biographie.
Die inneren Konflikte wurden weiter verschärft
wurde durch die beginnenden Moskauer Schauprozesse gegen "antikommunistische
Umtriebe." Nur wenige Intellektuelle wollten wahrhaben, was dort geschah - etwa
dass "von den siebenhundert Teilnehmern des sowjetischen
Schriftstellerkongresses von 1934 ... fünf Jahre später über sechshundert im
System des GULAG verschwunden" waren (177)
Heinrich Mann - Der Untertan !? |
Aber die eigentlich bestürzende Erfahrung war,
dass Stalin nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes (1939) nahezu
eintausend nach Moskau geflohene Genossen unverlangt, wie zur Besiegelung des
neuen Einvernehmens, an die Gestapo auslieferte.
Aber auch jetzt noch zeichneten sich viele Intellektuelle
durch ein besonders eiferndes Apologentum aus: Lion Feuchtwanger, Heinrich
Mann, Bertholt Brecht oder auch Ernst Bloch, "von dem die wütendsten, das
Moskauer Vokabular noch überbietenden Ausfälle stammen." Bloch "bestritt
noch 1956 der 'Kloake', wie er die Abgefallenen bezeichnete, sogar das Recht,
je Recht haben zu können" (178).
Eine besondere Rolle unter den Intellektuellen spielte
auch Bertolt Brecht. "Zwar lassen sich in seinem Werk immer wieder
Passagen ausmachen, die seine Nöte und Skrupel, mehr oder minder verschlüsselt,
aufdecken. doch nach außen hab er sich stets linientreu." Es war wohl die Verbindung
aus "Scheinheiligkeit, Zweifel, Treue und einer Verschlagenheit, die auch
unter despotischen Umständen den eigenen Nutzen bedachte" und die weithin
als Vorbild gewirkt hat.
... und natürlich Bertolt Brecht ... |
"Man kann, wie es geschehen ist, den 'Galileo
Galilei' als Auseinandersetzung mit der stalinistischen Inquisition deuten;
sicherlich doch auch als Verteidigung der Anpasserei, das wenn auch doppelbödige
Hohelied auf die Hunderede" (180).
Es ist erstaunlich, dass viele der intellektuellen
Mitläufer auch noch nach dem Ende der totalitären Utopien eine unbeirrbare Anhänglichkeit
bewiesen haben, eine Treue, die vielleicht nicht einmal bei den
Funktionärskadern der obersten Ränge zu beobachten war.
So ist für Fest die Geschichte der
Intellektuellen angesichts der totalitären Versuchungen "aufs Ganze gesehen,
eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen" (168).
Zitate
aus: Joachim Fest: Bürgerlichkeit als Lebensform. Späte Essays, Hamburg 2008 (Rowohlt) - Weitere
Literatur: Michael Rohrwasser: Der Stalinismus und
die Renegaten, Stuttgart 1991 (Metzler)
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