Donnerstag, 8. Oktober 2015

Boissy d’Anglas und die Gleichheit

Nach dem Sturz der Schreckensherrschaft der Jakobiner unter Robespierre ging die Herrschaft des Nationalkonvents auf das Direktorium über. Hier war man der festen Überzeugung, dass es nur durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung gelingen könne, den einstigen Idealen der Revolution von 1789 einen stabilen und dauerhaften Ausdruck zu geben.

Am 6. Mai 1795 hatte die zu diesem Zweck einberufene Commission des Onze ihre Arbeit begonnen, in der ehemalige Girondins wie Daunou, Louvet, Lanjuinais, Creuzé-Latouche, Boissy d’Anglas oder Thibaudeau die Mehrheit hatten.

François-Antoine Boissy d’Anglas
(1756 - 1826)
Knapp zwei Monate später, am 23. Juni, wurde der Entwurf von Boissy d’Anglas dem Konvent mit einer Rede vorgestellt, in der er die mit der Revolution gemachten Erfahrungen in dem berühmten Satz zusammenfasste:

„Wir haben sechs Jahrhunderte in sechs Jahren durchlebt. (…) Wir haben Jahrhunderte voller Irrtümer hinter uns gebracht und können uns damit heute endlich, indem wir die Lehren aus unseren Fehlern, aus dem Unglück des Volkes und aus den Verbrechen unserer Tyrannen ziehen, den wahren Prinzipien anschließen und daraus alle Folgerungen ziehen.“

Die Quintessenz aus diesen Lehren besteht darin, so Boissy d’Anglas, der Revolution ihre utopische Spitze zu nehmen – vor allem im Hinblick auf die Gleichheit der menschen:

„Die bürgerliche Gleichheit ist in der Tat alles, was ein vernunftbegabter Mensch verlangen kann. Absolute Gleichheit ist eine Chimäre. Ihre Bedingung der Möglichkeit müsste eine vollständige Gleichheit der Intelligenz, der Tugend, der Körperkraft, der Erziehung und des Besitzes aller Menschen sein. (…)

Wir müssen von den Besten regiert werden; die Besten sind diejenigen, die am besten ausgebildet sind und die am meisten an der Aufrechterhaltung der Gesetze interessiert sind; allein, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, findet man solche Menschen unter denen, die Eigentum haben, die dem Land, in dem dieser Besitz liegt, oder den Gesetzen, die es schützen, wie der Ruhe, die die Garantie dafür ist, verpflichtet sind und die diesem Eigentum und der wirtschaftlichen Sicherheit, die es gewährleistet, die Erziehung verdanken, die sie dazu befähigt, mit Weisheit und Genauigkeit die Vor- und Nachteile der Gesetze abzuwägen, die für das Geschick ihrer Heimat von Belang sind. (…)

Ein Land, das von Eigentümern verwaltet wird, ist innerhalb der sozialen Ordnung; ein Land, über das die Besitzlosen herrschen, befindet sich im Naturzustand.“

Exakt diesen Prinzipien entsprach der Verfassungstext, der vom Konvent am 22. August verabschiedet wurde und am 26. Oktober 1795 in Kraft trat. Sie sah erstmals die Einführung eines Parlamentes mit zwei Kammern vor, bestehend aus dem Rat der Fünfhundert und dem Rat der Alten. Die Exekutive lag nun in der Hand des fünfköpfigen Direktoriums, dessen Mitglieder vom Ältestenrat aus einer Liste gewählt wurden, die ihm vom Rat der Fünfhundert vorgelegt wurde.

Die Direktorialverfassung von 1795

Gegen diesen bürgerlich-liberalen Geist der neuen Verfassung richtete sich die „Verschwörung der Gleichen“, die unmittelbar nach Amtsantritt des 1. Direktoriums von dem für seine blutrünstige Radikalität bekannten Revolutionär François Noël Babeuf (auch Gracchus Babeuf) initiiert wurde.

An dieser Verschwörung war auch Sylvain Maréchal (1750 – 1803) beteiligt, der die Französische Revolution seit ihren Anfängen enthusiastisch unterstützt hatte. Für die Verschwörung schrieb Maréchal das „Manifest der Gleichen“, das als revolutionäre Proklamation an das Volk gedacht war, aber letztlich unveröffentlicht blieb. In diesem Manifest fordert Maréchal die Verwirklichung völliger sozialer Gleichheit durch Abschaffung des Privateigentums. Er ist damit zugleich ein Vordenker des Anarchismus.

Sylvain Maréchal (1750-1803)
„Gleichheit“ ist für Maréchal die „erste Sehnsucht der Natur, erstes Bedürfnis des Menschen, wichtigstes Band einer jeden rechtmäßigen Verbindung.“ Und dennoch muss er beobachten, dass man die Menschen schon  immer „mit schönen Worten eingelullt“ hat und daher laste „seit urvordenklichen Zeiten schamlos die erniedrigendste wie ungeheuerlichste Ungleichheit auf dem Menschengeschlecht.“

In Maréchals Augen liegt der Grund für die Ungleichheit darin, dass man sich bisher immer mit der „bedingten Gleichheit - vor dem Gesetz seid ihr alle gleich - “ begnügt hat, aber diese Gleichheit eben „nichts anderes als eine schöne und fruchtlose Rechtsfiktion“ sei.

Maréchal fordert daher die „wirkliche Gleichheit oder aber den Tod; das ist es, was wir brauchen. Und wir werden sie haben, diese wirkliche Gleichheit, koste es, was es wolle. Wehe denen, auf die wir zwischen ihr und uns stoßen!“

So klingt es hochtönend aus dem Manifest: „Verschwindet endlich, ihr empörenden Unterscheidungen von Reich und Arm, von Hoch und Niedrig, von Herr und Knecht, von Regierenden und Regierten!

Das Mittel, das Maréchal vorschlägt um seine Gleichheitsutopie zu erreichen, ist die Abschaffung des Privateigentums. Deutlicher kann der Gegensatz zu den Gedanken von Boissy d’Anglas kaum sein.

Was Maréchal hier entwickelt, ist nichts anderes als die Utopie eines agrarischen Sozialismus mit kollektivem Eigentum an Gütern: „Kein Privateigentum mehr an Grund und Boden, die Erde gehört niemandem. Wir verlangen, wir willen die gemeinschaftliche Nutznießung alles dessen, was die Erde hervorbringt: Ihre Früchte gehören jedermann.“

Erst dann werde es „keine Unterschiede mehr geben zwischen den Menschen als jene des Alters und des Geschlechts. Da alle die gleichen Bedürfnisse haben und die gleichen Anlagen, so mag es denn für sie nur mehr eine gleiche Erziehung, eine gleiche Nahrung geben.“

Maréchal gehört in die bedauernswerte Kategorie der wohlmeinenden Utopisten, die die Forderung einer gerechten Gesellschaft, in der die Menschen „als Gleiche unter Gleichen“ leben können, durch die Forderung ersetzen, diese Menschen so „gleichzumachen“, also so umzuformen, dass sie in die neue Gesellschaft passen – im Zweifelsfall mit Hilfe der Guillotine …

 - Die Waffen der Radikalen -
Karikatur von George Cruikshank
(1792–1878)


Zitate aus: Johannes Willms, Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution, München 2014 (C.H.Beck)   -    Weitere Literatur: Sylvain Maréchal: Manifest der Gleichen, in: Fritz Kool und Werner. Krause (Hgg): Die frühen Sozialisten, Bd. 1, München 1984 (dtv)

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