Nach dem Sturz der Schreckensherrschaft der Jakobiner unter Robespierre ging die Herrschaft des Nationalkonvents auf das Direktorium über. Hier war man
der festen Überzeugung, dass es nur durch die Ausarbeitung einer neuen
Verfassung gelingen könne, den einstigen Idealen der Revolution von 1789 einen
stabilen und dauerhaften Ausdruck zu geben.
Am 6. Mai 1795 hatte die zu diesem Zweck
einberufene Commission des Onze ihre Arbeit begonnen, in der ehemalige Girondins
wie Daunou, Louvet, Lanjuinais, Creuzé-Latouche, Boissy d’Anglas oder
Thibaudeau die Mehrheit hatten.
François-Antoine Boissy d’Anglas (1756 - 1826) |
Knapp zwei Monate später, am 23. Juni, wurde
der Entwurf von Boissy d’Anglas dem Konvent mit einer Rede vorgestellt, in der
er die mit der Revolution gemachten Erfahrungen in dem berühmten Satz
zusammenfasste:
„Wir haben sechs Jahrhunderte in sechs Jahren
durchlebt. (…) Wir haben Jahrhunderte voller Irrtümer hinter uns gebracht und
können uns damit heute endlich, indem wir die Lehren aus unseren Fehlern, aus
dem Unglück des Volkes und aus den Verbrechen unserer Tyrannen ziehen, den
wahren Prinzipien anschließen und daraus alle Folgerungen ziehen.“
Die Quintessenz aus diesen Lehren besteht
darin, so Boissy d’Anglas, der Revolution ihre utopische Spitze zu nehmen – vor
allem im Hinblick auf die Gleichheit der menschen:
„Die bürgerliche Gleichheit ist in der Tat
alles, was ein vernunftbegabter Mensch verlangen kann. Absolute Gleichheit ist
eine Chimäre. Ihre Bedingung der Möglichkeit müsste eine vollständige
Gleichheit der Intelligenz, der Tugend, der Körperkraft, der Erziehung und des
Besitzes aller Menschen sein. (…)
Wir müssen von den Besten regiert werden; die
Besten sind diejenigen, die am besten ausgebildet sind und die am meisten an
der Aufrechterhaltung der Gesetze interessiert sind; allein, von einigen
wenigen Ausnahmen abgesehen, findet man solche Menschen unter denen, die
Eigentum haben, die dem Land, in dem dieser Besitz liegt, oder den Gesetzen,
die es schützen, wie der Ruhe, die die Garantie dafür ist, verpflichtet sind
und die diesem Eigentum und der wirtschaftlichen Sicherheit, die es
gewährleistet, die Erziehung verdanken, die sie dazu befähigt, mit Weisheit und
Genauigkeit die Vor- und Nachteile der Gesetze abzuwägen, die für das Geschick
ihrer Heimat von Belang sind. (…)
Ein Land, das von Eigentümern verwaltet wird,
ist innerhalb der sozialen Ordnung; ein Land, über das die Besitzlosen
herrschen, befindet sich im Naturzustand.“
Exakt diesen Prinzipien entsprach der
Verfassungstext, der vom Konvent am 22. August verabschiedet wurde und am 26.
Oktober 1795 in Kraft trat. Sie sah erstmals die Einführung eines Parlamentes
mit zwei Kammern vor, bestehend aus dem Rat der Fünfhundert und dem Rat der
Alten. Die Exekutive lag nun in der Hand des fünfköpfigen Direktoriums, dessen
Mitglieder vom Ältestenrat aus einer Liste gewählt wurden, die ihm vom Rat der
Fünfhundert vorgelegt wurde.
Die Direktorialverfassung von 1795 |
Gegen diesen bürgerlich-liberalen Geist der
neuen Verfassung richtete sich die „Verschwörung der Gleichen“, die unmittelbar
nach Amtsantritt des 1. Direktoriums von dem für seine blutrünstige Radikalität
bekannten Revolutionär François Noël Babeuf (auch Gracchus Babeuf) initiiert
wurde.
An dieser Verschwörung war auch Sylvain Maréchal (1750 – 1803) beteiligt, der die Französische Revolution seit ihren Anfängen enthusiastisch unterstützt hatte. Für die Verschwörung schrieb Maréchal das „Manifest der
Gleichen“, das als revolutionäre Proklamation an das Volk gedacht war, aber
letztlich unveröffentlicht blieb. In diesem Manifest fordert Maréchal die
Verwirklichung völliger sozialer Gleichheit durch Abschaffung des
Privateigentums. Er ist damit zugleich ein Vordenker des Anarchismus.
Sylvain Maréchal (1750-1803) |
„Gleichheit“ ist für Maréchal die „erste
Sehnsucht der Natur, erstes Bedürfnis des Menschen, wichtigstes Band einer
jeden rechtmäßigen Verbindung.“ Und dennoch muss er beobachten, dass man die
Menschen schon immer „mit schönen Worten eingelullt“ hat und daher laste
„seit urvordenklichen Zeiten schamlos die erniedrigendste wie ungeheuerlichste
Ungleichheit auf dem Menschengeschlecht.“
In Maréchals Augen liegt der Grund für die
Ungleichheit darin, dass man sich bisher immer mit der „bedingten Gleichheit -
vor dem Gesetz seid ihr alle gleich - “ begnügt hat, aber diese Gleichheit eben
„nichts anderes als eine schöne und fruchtlose Rechtsfiktion“ sei.
Maréchal fordert daher die „wirkliche
Gleichheit oder aber den Tod; das ist es, was wir brauchen. Und wir werden sie
haben, diese wirkliche Gleichheit, koste es, was es wolle. Wehe denen, auf die
wir zwischen ihr und uns stoßen!“
So klingt es hochtönend aus dem Manifest:
„Verschwindet endlich, ihr empörenden Unterscheidungen von Reich und Arm, von
Hoch und Niedrig, von Herr und Knecht, von Regierenden und Regierten!
Das Mittel, das Maréchal vorschlägt um seine
Gleichheitsutopie zu erreichen, ist die Abschaffung des Privateigentums. Deutlicher
kann der Gegensatz zu den Gedanken von Boissy d’Anglas kaum sein.
Was Maréchal hier entwickelt, ist nichts
anderes als die Utopie eines agrarischen Sozialismus mit kollektivem Eigentum
an Gütern: „Kein Privateigentum mehr an Grund und Boden, die Erde gehört
niemandem. Wir verlangen, wir willen die gemeinschaftliche Nutznießung alles
dessen, was die Erde hervorbringt: Ihre Früchte gehören jedermann.“
Erst dann werde es „keine Unterschiede mehr
geben zwischen den Menschen als jene des Alters und des Geschlechts. Da alle
die gleichen Bedürfnisse haben und die gleichen Anlagen, so mag es denn für sie
nur mehr eine gleiche Erziehung, eine gleiche Nahrung geben.“
Maréchal gehört in die bedauernswerte Kategorie
der wohlmeinenden Utopisten, die die Forderung einer gerechten Gesellschaft, in
der die Menschen „als Gleiche unter Gleichen“ leben können, durch die Forderung
ersetzen, diese Menschen so „gleichzumachen“, also so umzuformen, dass sie in
die neue Gesellschaft passen – im Zweifelsfall mit Hilfe der Guillotine …
- Die Waffen der Radikalen - Karikatur von George Cruikshank (1792–1878) |
Zitate aus: Johannes Willms,
Tugend und Terror. Geschichte der Französischen Revolution, München 2014
(C.H.Beck) - Weitere Literatur: Sylvain Maréchal: Manifest der Gleichen, in: Fritz Kool und
Werner. Krause (Hgg): Die frühen Sozialisten, Bd. 1, München 1984 (dtv)
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