Donnerstag, 6. August 2015

Winston Churchill und die Malerei

Winston Churchill (1874 - 1965)
Nach dem Gallipoli-Desaster
(Gemälde von Sir William Orpen, 
1916)
Als Mitglied der britischen Regierung Winston Churchill Großbritanniens Politik und Strategie im Ersten Weltkrieg an entscheidender Stelle mit – zunächst als Erster Lord der Admiralität, später als Marineminister.

Mitunter überschritt Churchill seine Kompetenzen als Minister erheblich, etwa als er sich im Spätsommer 1914 in die Operationen der britischen Expeditionsstreitkräfte in Belgien einmischte und auf eigene Faust die Verteidigung Antwerpens zu organisieren versuchte.

Schwerwiegend war das Scheitern von Churchills Plan, die Kriegsgegner Deutschland und Österreich-Ungarn an ihrer vermeintlich schwächsten Stelle mit der Royal Navy von See aus anzugreifen: im Süden über das mit ihnen verbündete Osmanische Reich. Zwei Landeunternehmen britischer,französischer, indischer, australischer und neuseeländischer Truppen auf der türkischen Halbinsel Gallipoli an den Dardanellen am 19. Februar und 18. März 1915 scheiterten unter schweren Verlusten.

Churchill musste als Verantwortlicher für die Niederlage an den Dardanellen als Marineminister zurücktreten. So legte er am 18. Mai 1915 sein Amt als Erster Lord der Admiralität nieder. Der Truppenrückzug von den Dardanellen dauerte vom 19. Dezember 1915 bis zum 9. Januar 1916. Bei den Kämpfen verloren beide Seiten jeweils über 200.000 Mann.

"Malerei als Zeitvertreib"
Knapp 7 Jahre später, um die Jahreswende 1921/22 herum, erscheint ein Essay von Winston Churchill, der die tiefe Depression schildert, in die er nach dem Verlust seines Ministeramtes fiel, der „`schwarze Hund´, der ihn immer dann ansprang, wenn er aus einem Höhenflug intensivster Aktion in erzwungene Inaktivität abstürzte.“

„Als ich Ende Mai die Admiralty verließ, blieb ich noch Mitglied des Kabinetts und des Kriegsrats. In dieser Position erfuhr ich alles und konnte doch nichts ausrichten. Der Wechsel von einer intensiven regierungsamtlichen Tätigkeit zu den eng umschriebenen Aufgaben eines Beraters ließ mich nach Luft ringen. Wie ein aus großer Tiefe gehobenes Seeungeheuer oder ein Taucher, der zu plötzlich an die Oberfläche kommt – so, bedroht von Druckabfall, fühlten sich meine Venen an, wie zum Bersten. Ich war erfasst von großer Sorge, ohne sie mildern zu können. (…) Lange Stunden von absolut unerwünschter Muße, in der ich die schreckliche Entfaltung des Krieges durchdenken konnte, waren mein Los. In einem Augenblick, in dem alle meine Adern nach Aktion dürsteten, ward ich zum Zuschauen bei der Tragödie verdammt, und das in der ersten Reihe. Aber genau in diesem Moment war es, dass die Muse der Malerei zu meiner Rettung erschien …“ 

Sein Essay trug zwar den harmlosen Titel „Painting as a Pastime“ („Malen als Zeitvertreib“), aber nach seinem (vorläufigen) Ausscheiden aus der aktiven Politik wurde die Malerei für Churchill „zu einer geradezu existentiellen Entdeckung, zu einem Lebenselixier, einer Besänftigung der Unruhe auf dem Grund seiner Seele.“ 

Churchill beim Malen
In seinem Essay erzählt Churchill auf humorvolle Weise von seinen ersten Schritten in der Malerei: „Staffelei, Leinwand, Pinsel, Farben und Palette waren gekauft – aber wie beginnen? Vorsichtig, so schreibt er, übertrug er mit dünnem Pinsel ein Hellblau auf die Leinwand, dort, wo er sich ein Stück Himmel für sein Sujet ausgedacht hatte. `Aber das war eine Markierung, nicht größer als eine Bohne, so gedämpft, so verhalten, ja, fast verkrampft – es blieb ohne Wirkung.´ Da ertönte hinter ihm die resolute Stimme von Lady Lavery: `Was zögern Sie? Geben Sie mir einen breiten Pinsel – den großen.´ Die Augen flossen dem Adepten über, als er zusah: `Hinein in das Terpentingefäß, Suhlen in Blau und Deckweiß, heftige Schwünge auf der längst nicht mehr sauberen Palette – und dann etliche große, wilde Schläge und Hiebe von Blau auf die sich duckende Leinwand; jeder sah, dass sie sich nicht wehren konnte. Aber kein böses Schicksal rächte sich für die bittere Gewalttat. Der Zauber war gebrochen, alle Hemmungen wie verschwunden. (...) Ich ergriff den größten Pinsel und fiel mit berserkerhafter Wut über mein Opfer her. Seither habe ich nie wieder irgendwelche Scheu vor einer leeren Leinwand gehabt.´“

Marrakesch, Januar 1943: Morgensonne vor der Kulisse des Atlas-Gebirges. "Das einzige Gemälde, zu dem Churchill im Zweiten Weltkrieg die Zeit fand."

Und nun bricht der Churchill durch, den die Welt kennt: „`Kühnheit macht einen großen Teil der Malkunst aus´, vertraut er seinen Lesern an, und `das Malen eines Bildes ist, wie wenn man in eine Schlacht geht´. Beides gehorcht dem gleichen Prinzip – `einem langen, sich langsam enthüllenden, in sich verknüpften Argument. Es geht um eine These, die, ob von wenigen oder vielen Teilen gestützt, dem einheitlichen Kommando einer Konzeption gehorcht.´

Und weiter heißt es: „`Male, wie du schreibst oder sprichst – jeder Schwung des Pinsels muss wie ein Statement sein, das man fühlt und sieht.´ Kühnheit, `audacity´ – das empfahl Churchill selbst allen angehenden Malern als Grundvoraussetzung des Temperaments. War Kühnheit nicht auch ein Grundmerkmal seines Naturells? Auch die Malerei wurde somit für Churchill eine Bewährungsprobe. Das ist der Grund, warum er sich dieser neuen Liebhaberei so rückhaltlos ergab (…) - die Malerei hielt ihn in Bewegung, wenn er Stunden vor der Leinwand verbrachte, bis der Drang nach Fertigstellung eines Bildes befriedigt, bis die Schlacht gewonnen war.“

Goldfschteich in Chartwell, 30er-Jahre

Die Motive, die Churchill wählte, geben diese Worte jedoch nicht wieder: „Es dominieren die klassischen Genrebilder der Natur: ruhendes oder vom Wind animiertes Wasser, makelloser Schnee, dunkle Bäume mit dichtem Laub wie auf Wache oder von Sonnenlicht überflutet, ferne Berge, der Saum des Meeres, das ihn vor allem im Midi immer wieder fesselte, und über allem das pralle Ockerlicht einer funkelnden Sonne, seine Lieblingsfärbung. Keine Andeutung von Kampf, Tragödie, drohendem Unwetter, Nachtszenen.“

Winston Churchill hat etwa 500 Bilder gemalt. Er selbst bezeichnete seine Gemälde als „`meine kleinen Schmierflecken´ („my little daubs“).“ 

In seinem bereits erwähnten Essay teilt er dem Leser gleichwohl mit: „`Wenn ich dereinst im Himmel bin, werde ich eine beträchtliche Anzahl meiner ersten Million Jahre dem Malen widmen und so dem Thema auf den Grund kommen.´“

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