Winston Churchill (1874 - 1965) Nach dem Gallipoli-Desaster (Gemälde von Sir William Orpen, 1916) |
Als Mitglied der britischen Regierung Winston Churchill
Großbritanniens Politik und Strategie im Ersten Weltkrieg an entscheidender
Stelle mit – zunächst als Erster Lord der Admiralität, später als Marineminister.
Mitunter überschritt Churchill seine Kompetenzen als
Minister erheblich, etwa als er sich im Spätsommer 1914 in die Operationen der
britischen Expeditionsstreitkräfte in Belgien
einmischte und auf eigene Faust die Verteidigung Antwerpens
zu organisieren versuchte.
Schwerwiegend war das Scheitern von Churchills Plan, die
Kriegsgegner Deutschland und Österreich-Ungarn an ihrer vermeintlich
schwächsten Stelle mit der Royal Navy von See aus anzugreifen: im Süden
über das mit ihnen verbündete Osmanische
Reich. Zwei Landeunternehmen britischer,französischer, indischer, australischer
und neuseeländischer
Truppen auf der türkischen Halbinsel Gallipoli an den Dardanellen
am 19. Februar und 18. März 1915 scheiterten unter schweren Verlusten.
Churchill musste als Verantwortlicher für die Niederlage an
den Dardanellen als Marineminister zurücktreten. So legte er am 18. Mai 1915
sein Amt als Erster Lord der Admiralität nieder. Der Truppenrückzug von den
Dardanellen dauerte vom 19. Dezember 1915 bis zum 9. Januar 1916. Bei den
Kämpfen verloren beide Seiten jeweils über 200.000 Mann.
"Malerei als Zeitvertreib" |
Knapp 7 Jahre später, um die Jahreswende 1921/22 herum, erscheint
ein Essay von Winston Churchill, der die tiefe Depression schildert, in die er nach dem
Verlust seines Ministeramtes fiel, der „`schwarze Hund´, der ihn immer dann
ansprang, wenn er aus einem Höhenflug intensivster Aktion in erzwungene
Inaktivität abstürzte.“
„Als ich Ende Mai die Admiralty verließ, blieb ich noch
Mitglied des Kabinetts und des Kriegsrats. In dieser Position erfuhr ich alles
und konnte doch nichts ausrichten. Der Wechsel von einer intensiven
regierungsamtlichen Tätigkeit zu den eng umschriebenen Aufgaben eines Beraters
ließ mich nach Luft ringen. Wie ein aus großer Tiefe gehobenes Seeungeheuer
oder ein Taucher, der zu plötzlich an die Oberfläche kommt – so, bedroht von
Druckabfall, fühlten sich meine Venen an, wie zum Bersten. Ich war erfasst von
großer Sorge, ohne sie mildern zu können. (…) Lange Stunden von absolut
unerwünschter Muße, in der ich die schreckliche Entfaltung des Krieges
durchdenken konnte, waren mein Los. In einem Augenblick, in dem alle meine
Adern nach Aktion dürsteten, ward ich zum Zuschauen bei der Tragödie verdammt,
und das in der ersten Reihe. Aber genau in diesem Moment war es, dass die Muse
der Malerei zu meiner Rettung erschien …“
Sein Essay trug zwar den harmlosen Titel „Painting as a Pastime“ („Malen als Zeitvertreib“), aber nach seinem (vorläufigen) Ausscheiden aus der aktiven
Politik wurde die Malerei für Churchill „zu einer geradezu existentiellen
Entdeckung, zu einem Lebenselixier, einer Besänftigung der Unruhe auf dem Grund
seiner Seele.“
Churchill beim Malen |
In seinem Essay erzählt Churchill auf humorvolle Weise von
seinen ersten Schritten in der Malerei: „Staffelei, Leinwand, Pinsel, Farben
und Palette waren gekauft – aber wie beginnen? Vorsichtig, so schreibt er,
übertrug er mit dünnem Pinsel ein Hellblau auf die Leinwand, dort, wo er sich
ein Stück Himmel für sein Sujet ausgedacht hatte. `Aber das war eine
Markierung, nicht größer als eine Bohne, so gedämpft, so verhalten, ja, fast
verkrampft – es blieb ohne Wirkung.´ Da ertönte hinter ihm die resolute Stimme
von Lady Lavery: `Was zögern Sie? Geben Sie mir einen breiten Pinsel – den
großen.´ Die Augen flossen dem Adepten über, als er zusah: `Hinein in das
Terpentingefäß, Suhlen in Blau und Deckweiß, heftige Schwünge auf der längst
nicht mehr sauberen Palette – und dann etliche große, wilde Schläge und Hiebe
von Blau auf die sich duckende Leinwand; jeder sah, dass sie sich nicht wehren
konnte. Aber kein böses Schicksal rächte sich für die bittere Gewalttat. Der
Zauber war gebrochen, alle Hemmungen wie verschwunden. (...) Ich ergriff den
größten Pinsel und fiel mit berserkerhafter Wut über mein Opfer her. Seither
habe ich nie wieder irgendwelche Scheu vor einer leeren Leinwand gehabt.´“
Marrakesch, Januar 1943: Morgensonne vor der Kulisse des Atlas-Gebirges. "Das einzige Gemälde, zu dem Churchill im Zweiten Weltkrieg die Zeit fand." |
Und nun bricht der Churchill durch, den die Welt kennt: „`Kühnheit
macht einen großen Teil der Malkunst aus´, vertraut er seinen Lesern an, und `das
Malen eines Bildes ist, wie wenn man in eine Schlacht geht´. Beides gehorcht
dem gleichen Prinzip – `einem langen, sich langsam enthüllenden, in sich
verknüpften Argument. Es geht um eine These, die, ob von wenigen oder vielen
Teilen gestützt, dem einheitlichen Kommando einer Konzeption gehorcht.´
Und weiter heißt es: „`Male, wie du schreibst oder sprichst
– jeder Schwung des Pinsels muss wie ein Statement sein, das man fühlt und
sieht.´ Kühnheit, `audacity´ – das empfahl Churchill selbst allen angehenden
Malern als Grundvoraussetzung des Temperaments. War Kühnheit nicht auch ein
Grundmerkmal seines Naturells? Auch die Malerei wurde somit für Churchill eine
Bewährungsprobe. Das ist der Grund, warum er sich dieser neuen Liebhaberei so
rückhaltlos ergab (…) - die Malerei hielt ihn in Bewegung, wenn er Stunden vor
der Leinwand verbrachte, bis der Drang nach Fertigstellung eines Bildes
befriedigt, bis die Schlacht gewonnen war.“
Goldfschteich in Chartwell, 30er-Jahre |
Die Motive, die Churchill wählte, geben diese Worte jedoch
nicht wieder: „Es dominieren die klassischen Genrebilder der Natur: ruhendes
oder vom Wind animiertes Wasser, makelloser Schnee, dunkle Bäume mit dichtem
Laub wie auf Wache oder von Sonnenlicht überflutet, ferne Berge, der Saum des
Meeres, das ihn vor allem im Midi immer wieder fesselte, und über allem das
pralle Ockerlicht einer funkelnden Sonne, seine Lieblingsfärbung. Keine
Andeutung von Kampf, Tragödie, drohendem Unwetter, Nachtszenen.“
Winston Churchill hat etwa 500 Bilder gemalt. Er selbst bezeichnete seine Gemälde als „`meine kleinen Schmierflecken´ („my little daubs“).“
In seinem bereits erwähnten Essay teilt er dem Leser gleichwohl mit: „`Wenn ich
dereinst im Himmel bin, werde ich eine beträchtliche Anzahl meiner ersten
Million Jahre dem Malen widmen und so dem Thema auf den Grund kommen.´“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen