Leonardo da Vinci (1492 - 1519) |
Von Leonardo da Vinci sind über 6000 Blätter
voller Zeichnungen und Notizen erhalten, mit denen er versuchte, Naturgesetzen
auf die Spur zu kommen und so zu erkennen, was die Welt „im Innersten
zusammenhält“.
Mit Leonardo beginnt eine neue Weise, die Welt
zu sehen. Er verließ sich nicht auf althergebrachtes Wissen, sondern versuchte die
Welt vom Anbeginn an neu und analytisch zu erfassen. Ihm reichte es nicht, einfach
nur irgendwo hinzuschauen sondern er war der Überzeugung, dass es notwendig
ist, systematische Experimente machen. Diese Experimente macht er sowohl in der
Natur selbst als auch im Bereich der Zeichnung.
So hat Leonardo zwischen seiner Kunst einerseits
und seiner Wissenschaft andererseits überhaupt nicht getrennt. Auch das macht
die ungeheure Faszination seiner Kunstwerke aus.
Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ ist das wohl
bekannteste Gemälde der Welt. Die Frau, die den Betrachter sanft anlächelt, ist
wahrscheinlich Lisa del Giocondo, Gattin eines reichen Florentiners. Der Künstler
hat das Bild zwischen 1503 und 1506 gemalt. Das Bild muss für ihn eine
besondere Bedeutung gehabt haben muss: Er hat es nie aus der Hand gegeben.
Das Bild ist jedenfalls mehr als ein
Geniestreich. Leonardo da Vinci hat jeden einzelnen Beleuchtungspunkt
gewissermaßen konstruiert – ziemlich genau so, wie man das heute in der
Computergrafik bei Computeranimationen macht. Die Lichtverhältnisse auf dem
Gesicht der Mona Lisa sind berechnet.
Leonardo hat also seine Erkenntnisse über
Optik verwendet, um neuartige Kunstwerke hervorzu-bringen. Er hat die
Gesichtsmuskulatur studiert, um Porträts malen zu können, die gewissermaßen
„wahrer“ waren als das, was die Anschauung ihm zeigte – weil er ein
Tiefenwissen hatte und in den Berglandschaften im Hintergrund der Mona Lisa
spiegelt sich Leonardos Beschäftigung mit Geologie wider, denn dort ist eine
ganze Geschichte der Erschaffung und des Vergehens und der Umformung von
Gebirgen abzulesen.
Auch wenn Leonardo heute in der Öffentlichkeit als
Maler bekannt ist, hat er sich selbst wohl eher als Naturphilosoph und Naturforscher
bzw. – modern gesprochen – als Naturwissenschaftler verstanden.
Leonardos Kunst verdankt sich letztlich seiner
Wissenschaft, und Leonardos wissenschaftliche Forschung profitierte von seiner
unglaublichen Wahrneh-mungsfähigkeit und seiner Darstellungsfähigkeit als
Zeichner. Leonardo zeichnet eigentlich unentwegt. Es gibt keinen anderen Künstler
und auch Wissenschaftler der frühen Neuzeit, von dem wir so viele Zeichnungen
erhalten haben – es sind tausende.
Es ist unglaublich, mit welcher Genauigkeit
Leonardo Vinci die Formen des menschlichen Körpers darstellen konnte und vor
allem, wie er sie dreidimensional darstellen konnte. Da Vinci zeichnet
Flugmaschinen, Strömungs-verläufe in Flüssen, Kriegsgeräte, Stadtpläne, die
Anatomie von Tieren und Menschen und vieles mehr.
Leonardo hatte durch seine visuelle Begabung
einen ganz neuartigen Zugang zur Natur. Ein Zugang, der sich als viel
geeigneter herausstellen sollte um die Natur zu erfassen, als die Sprache. Vielleicht,
weil die visuelle Sprache der modernen Naturwissenschaft viel besser entspricht
als die lineare Sprache. Und Leonardo war einer der ersten, der das gesehen hat
und vor allem nutzen konnte.
Mit 17 Jahren tritt Leonardo in Florenz in die
Werkstatt seines Lehrmeisters ein, dem bekannten Bildhauer und Universalkünstler
Andrea del Verrocchio. Dort ist er dann im Handwerk ausgebildet worden, vor
allem auch im Kunsthandwerk.
Künstler gelten damals als Handwerker, erst später
wird man sie als „Originalgenies“ feiern. So ist Leonardo bei Verrocchio zunächst
Lehrling, dann Geselle und schließlich Assistent, darf zum Beispiel Teile von
dessen Bildern malen. 1477 gründet er eine eigene Werkstatt in Florenz, beschäftigt
sich aber zunehmend mit Naturforschung. Vor allem das Thema Bewegung, Kraft und
Veränderung interessiert ihn.
Der vitruvianische Mensch |
„Was nun die Dinge in Bewegung setzt sind für
ihn zwei unterschiedliche Faktoren. Das eine ist ein interner `Wunsch´ kann man
sagen der einzelnen Körper und Elemente, ihren spezifischen Ort zu finden. Der
Stein möchte gern in die Tiefe fallen, da zieht es ihn hin. Das sind natürliche
Tendenzen der Körper. Und das andere, was für ihn noch viel interessanter ist,
sind, was er `widernatürliche´ Kräfte nennt: Einwirkungen, die einen Körper aus
seiner Ruhelage bringen. Diese Kräfte sind mysteriös, sind unvorhersehbar, zufällig,
da gibt es viele verschiedene Wirkungen zwischen den Körpern, ganz viele
Faktoren, die ineinander spielen.“
Seine Studien nützen Leonardo schon bald. 1482
sucht der Mailänder Fürst Ludovico Sforza einen Künstler, der ein riesiges,
sieben Meter hohes Reiterstandbild seines Vaters Francesco baut. Leonardo macht
Vorschläge für die Bronzestatue und bekommt den gut bezahlten Posten. Auch
wenn das Standbild schließlich doch nicht gebaut wird, beeindruckt Leonardo Ludovico
mit Entwürfen spektakulärer Kriegsgeräte und unterhält den Hof bei Festen mit
kuriosen mechanischen Geräten. Daneben kann er seinen Naturstudien nachgehen.
Bald verbreitet sich sein Ruf eines Meisteringenieurs und Universalgelehrten in
ganz Italien.
Der ganze Stolz Leonardos als Autodidakt
besteht für ihn darin, dass er genauer hinguckt als andere: “Ich weiß wohl,
dass so mancher eitle Tropf glauben wird, er könne mich tadeln, denn ich sei
ein ungebildeter Mann. Dumme Menschen! (...) Sie werden behaupten, ich könne
mangels Gelehrsamkeit das, was ich behandeln will, nicht richtig sagen. Nun,
wissen sie denn nicht, dass meine Lehren nicht so sehr aus den Worten anderer
gezogen werden, als aus der Erfahrung, die doch die Lehrmeisterin derer war,
die gut geschrieben haben?“
Da Vinci ist der erste Philosoph, der durch
genaue Anschauung der Dinge und praktische Experimente erkennt, dass es so
etwas wie universale Naturgesetze gibt, die vor allem aus dem Bereich der
Physik stammen, eine Einsicht, die bis heute gültig ist.
Nach Leonardo findet man Proportionen nicht nur
in Zahlen und Maßen, sondern auch in Tönen, Gewichten, Zeiten, Orten, und in
jeder Kraft, die es gibt. Leonardo war der Überzeugung, dass die Natur sich Regelmäßigkeiten
unterordnet und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen Zielen, von Schöpfern,
von höheren Mächten. Das spielte alles für ihn überhaupt keine Rolle.
Monatelang beobachtet er etwa die Oberfläche
von Bächen und Flüssen. Besonders interessiert ihn die Strömung des Wassers: „So
kreist es unaufhörlich, immer zusammenhängend und immer im Umlauf. Da es
hierhin und dorthin, aufwärts und abwärts eilt, so kommt es nie zur Ruhe, weder
in seinem Lauf noch in seiner Natur. (...) So ändert es sich immer wieder, sei
es in der Lage oder in der Färbung, sei es, dass es einen neuen Geschmack oder
Geruch in sich aufnimmt, (...) sei es, dass es sich als verderblich oder Segen
bringend erweist (...) Wasser ist der Antrieb der ganzen Natur.“
Turbulenzen unter Wasser |
Wie immer begleitet er seine Beobachtungen mit
Zeichnungen. Zunächst gibt er wieder, was er gesehen hat. Da er aber die
Gesetze der Strömungsdynamik kennt, zeichnet er auch mögliche Strudelbildungen
unter der Wasseroberfläche. Er kombiniert also das, was man sieht, wenn man von
oben auf eine aufgewühlte Wasserfläche sieht, mit dem, was seiner Meinung nach
– und dort lag er tatsächlich richtig – sich unter der Wasseroberfläche
abspielt.
Dieser Methode bleibt der Mann aus Vinci
zeitlebens treu. Zeichnung ist für ihn, genau wie Malerei, ein Mittel der
Erkenntnis. Seine Zeitgenossen halten sich noch an Aristoteles, der meinte,
Kunst solle die Welt lediglich abbilden, das Denken und die Erklärungen aber würden
sie übernehmen. Für Leonardo dagegen ist Zeichnen und Malen Denken: „... denn
das Auge täuscht sich weniger als der Verstand.“
(Fortsetzung folgt)
(Fortsetzung folgt)
Zitate aus: Matthias Kußmann: Leonardo
da Vincis Naturphilosophie Zeichnend die Welt verstehen, SWR2 Wissen, Sendung
vom 8. Dezember 2017, Redaktion: Ralf Kölbel, Regie: Günter Maurer, Produktion:
SWR 2017
Weitere Literatur: Stefan Klein: Da
Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand. Fischer Taschenbuch
Verlag, Frankfurt am Main 2014 - Thomas Heichele: Die erkenntnistheoretische
Rolle der Technik bei Leonardo a Vinci und Galileo Galilei im
ideengeschichtlichen Kontext. Aschendorff Verlag, Münster 2016
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