Donnerstag, 29. Mai 2014

Norbert Bolz und die soziale Tyrannei

Norbert Bolz
Das Buch „Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht“ von Norbert Bolz ist ein Plädoyer für Selbstverantwortung und gegen staatliche Betreuung, für den Einzelnen und gegen Gleichmacherei, für die Freiheit und gegen den Sozialismus.

Etwa in der Mitte des Buches erwähnt Bolz, dass die Diskussion über Freiheit zum Teil durch Paradoxien blockiert wird, die man „nicht auflösen, sondern nur klar darstellen kann.“ Eine dieser Paradoxien betrifft das Problem, dass eine Demokratie auch illiberal sein kann, anders ausgedrückt: „Es gibt demokratische Diktaturen.“

Demokratie, so Bolz, ist keine Garantie der individuellen Freiheit. Dies hat seinen Grund vor allem in der Suggestionskraft der Partizipation: „Die Demokratie bietet dem Bürger eine Vorstellung von der `Beteiligung´ an der Macht an – als könnten sie an der staatlichen Ordnung mitwirken. An die Stelle des freien Einzelnen tritt der partizipatierende Untertan.“

Die spezifisch moderne Gefahr für die Freiheit liegt heute in der Tyrannei des Kollektivismus. Schon John Stuart Mill hatte erkannt, dass gerade die Massendemokratie unaufhaltsam zur Tyrannei führen kann, sobald sie beginnt, Meinungen und Gefühle aufzuzwingen und so „die Seele versklavt.“ Mills berühmter Essay „On liberty“ ist eine einzige Abrechnung mit der sozialen Tyrannei der Mehrheit.

Insbesondere in dem Abschnitt über das Zum-Schweigen-bringen der abweichenden Meinung, das silencing, behauptet Mill, dass auch die Immoralität einer Meinung kein Grund dafür ist, ihr Bekenntnis und ihre Diskussion zu unterdrücken. „Auch wenn nur ein einziger eine abweichende Meinung hat, gibt das der überwältigen Mehrheit – im Grenzfall all mankind minus one – nicht das Recht, ihn zum Schweigen zu bringen.“

Hinter diesen Gedanken verbirgt sich auch Mills Hochachtung vor dem Genie: „In einer Welt der durch Tyrannei der öffentlichen Meinung befestigten kollektiven Mittelmäßigkeit, in der die Massenmedien den Menschen das Denken abnehmen, ist das Wagnis der Exzentrizität die eigentliche heroische Tat des Genies.“

Die soziale Tyrannei des silencing schadet neben dem Einzelnen vor allem auch der Gesellschaft selbst, „denn wenn die abweichende Meinung sich doch als richtig erweisen sollte, hätte sich die Gesellschaft um die Möglichkeit gebracht, einen Irrtum zu korrigieren.“ Wenn sich die abweichende Meinung sich als falsch erweisen sollte, hätte sich die Gesellschaft um den Triumph der Wahrheit über den Irrtum gebracht.


Mills Überlegungen kreisen um die als Wohltat getarnte Tyrannei. Diese zeigt sich darin, dass einige meinen zu wissen, was das Beste für die Anderen ist. „Man darf niemanden zu einem bestimmten Verhalten zwingen, nur weil es besser für ihn wäre – z.B. nicht rauchen oder Diät halten. Letztlich profitieren wir nämlich alle mehr davon, dass wir es ertragen, dass die Anderen leben wie es ihnen gefällt, als dass wir sie zwingen, so zu leben, wie wir es für richtig halten. Die `wahre´ Freiheit, deren Maß ein anderer bestimmt, ist mir weniger Wert als die individuelle Freiheit, meines eigenen Unglücks Schmied zu sein. Recht zu tun, darf man von jedem erwarten, nicht aber: das Richtige zu tun. Inhaltlich betrachtet ist die Freiheit eines jeden eigenrichtig.“


Sinnbild der schlechten Regierung: Der Tyrann (Fresko von Ambrogio Lorenzetti)

Die modernen Paternalisten gehen davon aus, dass einige Menschen den legitimen Anspruch haben, das Verhalten anderer Menschen so zu beeinflussen, dass diese länger, gesünder und besser leben. „Konkret sieht das so aus, dass ein allgemeiner Konsens mit dem politisch korrekten Verhalten unterstellt wird und jedes abweichende Verhalten ausdrücklich deklariert werden muss.“

Nur: „Dass man die Freiheit hat, zu sagen, was man denkt, besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf.“

Heute könnte man das Maß der Freiheit also daran messen, wieweit es gelingt, sich dem unterstellten Konsens der Politischen Korrektheit nicht zu unterwerfen.

Politische Korrektheit und Soziale Tyrannei sind letztlich zwei Seiten der gleichen Medaille, die Thomas Mann so eindringlich in den folgenden Worten beschrieben hat als „die Auferstehung der Tugend in politischer Gestalt, das Wieder-möglich-werden eines Moralbonzentums sentimental-terroristisch-republikanischer Prägung, mit einem Worte: Die Renaissance des Jakobiners.“ 

Zitate aus: Norbert Bolz: Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht. München 2010 (Wilhelm Fink), hier: S. 76ff.

Weitere Literatur: John Stuart Mill: John Stuart Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda)   -   Horst Wolfgang Boger (Hg.): Der Staat als Super Super Nanny, Berlin 2008 (liberal Verlag GmbH)   -    Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, Frankfurt am Main 2001 (Fischer tb)

1 Kommentar:

  1. Lieber Paideia, ich schätze John Stuart Mill auch sehr und bin auch öfters in meinem Blog auf John Stuart Mills "On Liberty" (1859) eingegangen.

    http://klausgauger.wordpress.com/2013/04/29/the-final-conclusion-in-john-stuart-mills-on-liberty-1859/

    Es handelt sich hier um ein fundamentales Werk und John Stuart Mill war ein brillianter Kopf, als Sozialphilosoph, Ökonom und als politischer Visionär (Scheidungsrecht für Frauen). Und ich schätze das Jakobinertum und ähnliche Varianten totalitärer Tyrannei (realexistierender Kommunismus: Sowjetunion - Stalin, Volksrepublik China - Mao) genauso wenig wie Norbert Bolz. Und hinter der politischen Korrektheit verbirgt sich in der Tat oft eine soziale Tyrannei. Das sehe ich auch so. Und den Betroffenen selbst hilft diese politische Korrektheit nicht viel. Die Tatsache, dass man die Rassenungleichheit zum Beispiel in den USA nicht offen benennen kann, ändert an dieser Rassenungleichheit selbst nichts. Insofern verdeckt die politische Korrektheit sogar oft noch die Realitäten. Auch jetzt noch sind schwarzhäutige Menschen in dominant weißen Gesellschaften benachteiligt, auch in den USA. Und die politische Korrektheit ändert daran nichts.

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