Norbert Bolz |
Etwa in der Mitte des Buches erwähnt Bolz, dass die
Diskussion über Freiheit zum Teil durch Paradoxien blockiert wird, die man
„nicht auflösen, sondern nur klar darstellen kann.“ Eine dieser Paradoxien
betrifft das Problem, dass eine Demokratie auch illiberal sein kann, anders
ausgedrückt: „Es gibt demokratische Diktaturen.“
Demokratie, so Bolz, ist keine Garantie der individuellen
Freiheit. Dies hat seinen Grund vor allem in der Suggestionskraft der
Partizipation: „Die Demokratie bietet dem Bürger eine Vorstellung von der
`Beteiligung´ an der Macht an – als könnten sie an der staatlichen Ordnung
mitwirken. An die Stelle des freien Einzelnen tritt der partizipatierende
Untertan.“
Die spezifisch moderne Gefahr für die Freiheit liegt heute
in der Tyrannei des Kollektivismus. Schon John Stuart Mill hatte erkannt, dass
gerade die Massendemokratie unaufhaltsam zur Tyrannei führen kann, sobald sie
beginnt, Meinungen und Gefühle aufzuzwingen und so „die Seele versklavt.“ Mills berühmter Essay „On liberty“ ist eine einzige Abrechnung mit der sozialen
Tyrannei der Mehrheit.
Insbesondere in dem Abschnitt über das Zum-Schweigen-bringen
der abweichenden Meinung, das silencing,
behauptet Mill, dass auch die Immoralität einer Meinung kein Grund dafür ist,
ihr Bekenntnis und ihre Diskussion zu unterdrücken. „Auch wenn nur ein einziger
eine abweichende Meinung hat, gibt das der überwältigen Mehrheit – im Grenzfall
all mankind minus one – nicht das
Recht, ihn zum Schweigen zu bringen.“
Hinter diesen Gedanken verbirgt sich auch Mills Hochachtung
vor dem Genie: „In einer Welt der durch Tyrannei der öffentlichen Meinung
befestigten kollektiven Mittelmäßigkeit, in der die Massenmedien den Menschen
das Denken abnehmen, ist das Wagnis der Exzentrizität die eigentliche heroische
Tat des Genies.“
Die soziale Tyrannei des silencing
schadet neben dem Einzelnen vor allem auch der Gesellschaft selbst, „denn
wenn die abweichende Meinung sich doch als richtig erweisen sollte, hätte sich
die Gesellschaft um die Möglichkeit gebracht, einen Irrtum zu korrigieren.“
Wenn sich die abweichende Meinung sich als falsch erweisen sollte, hätte sich
die Gesellschaft um den Triumph der Wahrheit über den Irrtum gebracht.
Mills Überlegungen kreisen um die als Wohltat getarnte
Tyrannei. Diese zeigt sich darin, dass einige meinen zu wissen, was das Beste
für die Anderen ist. „Man darf niemanden zu einem bestimmten Verhalten zwingen, nur weil es besser für ihn wäre – z.B. nicht rauchen oder Diät halten.
Letztlich profitieren wir nämlich alle mehr davon, dass wir es ertragen, dass
die Anderen leben wie es ihnen gefällt, als dass wir sie zwingen, so zu leben,
wie wir es für richtig halten. Die `wahre´ Freiheit, deren Maß ein anderer
bestimmt, ist mir weniger Wert als die individuelle Freiheit, meines eigenen
Unglücks Schmied zu sein. Recht zu tun, darf man von jedem erwarten, nicht
aber: das Richtige zu tun. Inhaltlich betrachtet ist die Freiheit eines jeden
eigenrichtig.“
Die modernen Paternalisten gehen davon aus, dass einige Menschen den legitimen Anspruch haben, das Verhalten anderer Menschen so zu beeinflussen, dass diese länger, gesünder und besser
leben. „Konkret sieht das so aus, dass ein allgemeiner Konsens mit dem
politisch korrekten Verhalten unterstellt wird und jedes abweichende Verhalten
ausdrücklich deklariert werden muss.“
Nur: „Dass man die Freiheit hat, zu sagen, was man denkt,
besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen
darf.“
Heute könnte man das Maß der Freiheit also daran messen,
wieweit es gelingt, sich dem unterstellten Konsens der Politischen Korrektheit
nicht zu unterwerfen.
Politische Korrektheit und Soziale Tyrannei sind letztlich
zwei Seiten der gleichen Medaille, die Thomas Mann so eindringlich in den
folgenden Worten beschrieben hat als „die Auferstehung der Tugend in
politischer Gestalt, das Wieder-möglich-werden eines Moralbonzentums
sentimental-terroristisch-republikanischer Prägung, mit einem Worte: Die Renaissance des Jakobiners.“
Zitate
aus: Norbert Bolz: Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht. München 2010
(Wilhelm Fink), hier: S. 76ff.
Weitere Literatur: John Stuart Mill: John Stuart Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda) - Horst Wolfgang Boger (Hg.): Der Staat als Super Super Nanny, Berlin 2008 (liberal Verlag GmbH) - Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, Frankfurt am Main 2001 (Fischer tb)
Weitere Literatur: John Stuart Mill: John Stuart Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda) - Horst Wolfgang Boger (Hg.): Der Staat als Super Super Nanny, Berlin 2008 (liberal Verlag GmbH) - Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, Frankfurt am Main 2001 (Fischer tb)
Lieber Paideia, ich schätze John Stuart Mill auch sehr und bin auch öfters in meinem Blog auf John Stuart Mills "On Liberty" (1859) eingegangen.
AntwortenLöschenhttp://klausgauger.wordpress.com/2013/04/29/the-final-conclusion-in-john-stuart-mills-on-liberty-1859/
Es handelt sich hier um ein fundamentales Werk und John Stuart Mill war ein brillianter Kopf, als Sozialphilosoph, Ökonom und als politischer Visionär (Scheidungsrecht für Frauen). Und ich schätze das Jakobinertum und ähnliche Varianten totalitärer Tyrannei (realexistierender Kommunismus: Sowjetunion - Stalin, Volksrepublik China - Mao) genauso wenig wie Norbert Bolz. Und hinter der politischen Korrektheit verbirgt sich in der Tat oft eine soziale Tyrannei. Das sehe ich auch so. Und den Betroffenen selbst hilft diese politische Korrektheit nicht viel. Die Tatsache, dass man die Rassenungleichheit zum Beispiel in den USA nicht offen benennen kann, ändert an dieser Rassenungleichheit selbst nichts. Insofern verdeckt die politische Korrektheit sogar oft noch die Realitäten. Auch jetzt noch sind schwarzhäutige Menschen in dominant weißen Gesellschaften benachteiligt, auch in den USA. Und die politische Korrektheit ändert daran nichts.