Donnerstag, 25. Februar 2016

Götz Aly und der Kampf der 68er

Götz Aly (*1947) studierte von Dezember 1968 bis Ende 1971 Politische Wissenschaft und Geschichte in Berlin. Er beteiligte sich aktiv an der Studentenrevolte, gehörte zeitweise der Redaktion der Zeitung Hochschulkampf und der Roten Hilfe an. Später arbeitete er im Jugendamt Berlin-Spandau, dann bei der taz. Von 1997 bis 2001 war er Chef der Meinungsseite bei der Berliner Zeitung. Dazwischen und danach schrieb er Bücher zum Nationalsozialismus.

Götz Aly
In seinem Buch „Unser Kampf – 1968“ analysiert er - ausgehend von seiner eigenen Erfahrung - anhand verschiedenster Quellen die „Bewegung“ von 1968 als speziell deutschen Spätausläufer des totalitären 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss, dass die revoltierenden Kinder der Dreiunddreißiger-Generation ihren Eltern auf elende Weise ähnlich waren, „revolutionsselig und selbstgewiss.“

„Wer heute“, so Aly, „zu den 60. oder 65. Geburtstagen der einstigen Protestgenossen von 1968 eingeladen wird, trifft auf eine muntere, von sich selbst überzeugte Gesellschaft. Viele verklären ihre Vergangenheit als heroische Kampfesphase, erheben sich über die Jugend von heute, die angeblich nichts mehr wolle. Aufgekratzt beschreiben die Feiernden ihre revolutionsselige Sturm- und Drangzeit als Geschichte einer besseren Heilsarmee: Sie rechnen sich einer engagierten, stets den Schwachen, der weltweiten Gerechtigkeit und dem Fortschritt verpflichteten »Bewegung« zu, die das Klima der Bundesrepublik insgesamt positiv beeinflusst und die lange beschwiegene nationalsozialistische Vergangenheit thematisiert habe.“

Revolutionäre Ikonen
Aly ist dagegen der Überzeugung, dass die deutschen Achtundsechziger in hohem Maß von den Pathologien des 20. Jahrhunderts getrieben wurden. So wie ihre Eltern, die Generation der 1933er, sahen sie sich als »Bewegung«, die das »System« der Republik von der historischen Bühne fegen wollte. Sie verachteten – im Geiste des Nazi-Juristen Carl Schmitt – den Pluralismus und liebten – im Geiste Ernst Jüngers – den Kampf und die Aktion: „Sie verbanden Größenwahn mit kalter Rücksichtslosigkeit. In ihrem intellektuellen, angeblich volksnahen Kollektivismus entwickelten die Achtundsechziger bald den Hang zum Personenkult. Rudi Dutschke, Ulrike Meinhof, Che Guevara, Ho Chi Minh oder Mao Tse-tung wurden wegen der Entschiedenheit verehrt, mit der sie ihre gesellschaftlichen Utopien vertraten.“

Gleichwohl begeisterten sich die Achtundsechziger – anders als ihre Eltern - für ferne Befreiungsbewegungen aller Art, bevorzugt allerdings für solche, die das Adjektiv „national“ im Namen führten. Spricht man, wie es Götz Aly getan hat, einstige Mitstreiter, die es heute zu hohen Regierungsbeamten gebracht haben, auf das 1972 so freundliche Urteil über die – von Pol Pot geführte – kambodschanische Revolution an, faucht es zurück: `Aly, das haben wir nie gemacht!.´ Vielleicht erinnere sich nicht jeder Achtundsechziger an Pol Pot erinnern, aber gewiss „an die von Ernst Busch intonierte bolschewistische Genickschuss-Ballade Wladimir Majakowskis, die noch jahrelang auf Hunderten von Demonstrationen und Versammlungen dröhnte: `Still da, ihr Redner! Du hast das Wort! Rede, Genosse Mauser!´ In einfacher Prosa: Hört auf zu schwatzen, nehmt die Knarre in die Hand und drückt ab. Die 9-Millimeter-Präzisionspistole der deutschen Mauser-Waffenwerke gehörte zu den Kultgerätschaften der Oktoberrevolutionäre.“

Die Flagge der Roten Khmer ...
Die Ähnlichkeit ist verblüffend!
Natürlich machte das Revoltieren Spaß, so Aly weiter, denn es war ungemein romantisch. „An Gründen fehlte es wahrlich nicht. Doch die Selbstermächtigung der Achtund-sechziger zur gesellschaftlichen Avantgarde, ihr Fortschrittsglaube, ihre individuelle Veränderungswut, ihre Lust an der Tabula rasa und – damit bald verbunden – an der Gewalt erweisen sich bei näherem Hinsehen als sehr deutsche Spätausläufer des Totalitarismus.“ Daher auch der Titel des Buches: Unser Kampf – statt Mein Kampf!

Die Revolte dauerte von 1967 bis Ende 1969. Danach zerfiel sie rasch in dies und das. „Die einen aßen nur noch Müsli, andere wandelten sich zu Berufsrevolutionären, wieder andere suchten in einer Mittwochsgruppe nach dem G-Punkt, entdeckten ihre homosexuelle Bestimmung, errichteten einen Abenteuerspielplatz oder gründeten eine Stadtteilgruppe. Andere entdeckten das Konservative in ihren Herzen: retteten Gründerzeithäuser vor der damals allgegenwärtigen Abrissbirne und versuchten, die Natur vor der Zerstörung zu bewahren – sie wechselten von der Roten Garde zum Regenwald, vom Straßenkampf zum Stuck, vom Bürgerschreck zum Bürgertum. Manche bevorzugten die anarchistischen Ideen des obsessiven Antisemiten Michail Bakunin, andere hängten sich eine Jutetasche um, auf der eine himmelblaue Friedenstaube schwebte. Zwischen Tunix-Kongress, tiefer Sorge um das Waldsterben und Chaostagen konnte jeder nach seiner linksalternativen Fasson selig werden.“

Zwischen den Farben Lila, Rot, Rosa, Schwarz und Grün eröffneten sich mannigfaltige Möglichkeiten und Mischungen. Aber unabhängig von den verschieden gefärbten Zukunftsentwürfen, alle ihre Anhänger „lebten in der hoffärtigen Einbildung, sie gehörten zum besseren Teil der Menschheit. Eine Zeit lang nannte sich die 1967 entstandene Studentenbewegung Außerparlamentarische Opposition (APO), später fasste man die Gruppen unter den Begriffen Neue Linke oder neue soziale Bewegungen zusammen und unterschied sie von der alten, von der DDR repräsentierten Linken.“

Der bessere Teil der Menschheit - nach Seyfried

Im Gegensatz zu England, Frankreich oder den USA verfingen sich die deutschen antiautoritären Blumenkinder Staaten rasch im weltanschaulichen Kampfeswahn. So bedonnerte im Jahr 1965 Ulrike Meinhof, eine der Leitfiguren der im Embryonalstadium befindlichen Neuen Linken, Joachim Fest mit ihren Ideen in einer Weise, „die diesen prompt an seinen NS-Führungsoffizier erinnerten: damals, 1944, habe er `das letzte Mal soviel energische Selbstgewissheit über den Lauf und die Bestimmung der Welt vernommen´. Meinhof schnappte kurz nach Luft, dann fiel sie lachend in `aufgeräumte Kampfeslaune´ zurück. Abermals legte sie los. Fest unterbrach sie mit dem Einwand, er könne nach den Nazijahren das Bedürfnis nicht begreifen, `das in ihrem kindlichen Himmel-und-Hölle-Spiel zum Ausdruck dränge´.“

Zwei Jahre später, nach dem 2. Juni 1967, nachdem Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen worden war, verbrannten Berliner Studenten als Feuerzeichen ihres Aufbegehrens Springer-Zeitungen. Joachim Fest, der damals als Fernsehjournalist beim NDR arbeitete, kommentierte: `Fatale Erinnerungen beunruhigen die extremen Gruppen nicht – ihr politisches Bewusstsein wähnt sich im Stande der Unschuld. Sie plädieren für die Beseitigung dessen, was sie (wiederum ganz unschuldig) das ›System‹ nennen.´ „Es mag die einst aktiv Beteiligten irritieren, doch knüpfte die linksradikale Studentenbewegung von 1968 in mancher Beziehung an die Erbmasse der rechtsradikalen Studentenbewegung der Jahre 1926 bis 1933 an.“

So kommt Aly zu einem insgesamt vernichtenden Urteil: „Die Achtundsechzigergeneration der untergegangenen westlichen Teilrepublik war die erste, die es sich leisten konnte, ihre Jugendzeit – definiert als von Arbeit und Verantwortung entlasteter Lebensabschnitt – beträchtlich auszudehnen. Sie hatte die Pille und wusste nichts von Aids. Sie lebte im Überfluss und ahnte noch nicht, dass Deutsche eines Tages als Gastarbeiter in Polen willkommen sein würden. Dank des damals dichten Sozialgeflechts schafften es viele, ihre luxurierende Jugendexistenz bis ins hohe Mannes- und Frauenalter fortzuführen. 

Kommune - eine ewig währende
luxuriöse Jugendexistenz
Die Freundinnen und Freunde der erschlichenen Sozialhilfe, des gelegentlichen Versicherungsbetrugs, die mit 40 Jahren frühpensionierte, vormals kommunistische Lehrerin, die sich bei ehedem vollen Bezügen in eine Landkommune zurückzog – sie alle zählten lange zu den Figuren der linksradikalen Gemeinde, die sich dank ihrer selbstsüchtigen Schläue allgemeiner Achtung erfreuten. Heute schweigen die meisten verschämt. Nach 1989 geriet der Parasitenstolz in Misskredit.“

Zitate aus: Götz Aly: Unser Kampf. 1968 - ein irritierter Blick zurück, Frankfurt am Main 2009 (S. Fischer Verlag GmbH)




Donnerstag, 18. Februar 2016

Johann Sebastian Bach und die harmonische Proportion

„Johann Sebastian Bach (1685–1750) hat der Menschheit einen wahren Schatz an Musikwerken hinterlassen.“ Mit diesem Satz beginnt die kleine Bach-Biographie von Dorothea Schröder.

Johannes- und Matthäuspassion, die Brandenburgischen Konzerte, virtuose Orgelwerke, geistliche und weltliche Kantaten, das Wohltemperierte Klavier, die Kunst der Fuge und viele andere Kompositionen gehören zu den bekanntesten Werken Bachs, die in der ganzen Welt geschätzt werden. Fülle und Qualität seiner Musik sind so einzigartig, dass sie als Ertrag nur eines Menschenlebens fast unvorstellbar scheinen.

In ihrem Schlusswort fasst Schröder in beeindruckender Weise zusammen, warum Bach bis heute auf so viele Menschen ein so große Faszination ausübt:

„Was wir an Bach bewundern, ist eine bis ins Letzte perfektionierte Beherrschung des kompositorischen Handwerks in Verbindung mit einer exzeptionellen, mehrdimensionalen musikalischen Vorstellungskraft.

Was daraus entsteht, hat seinen Ort innerhalb der Grenzen eines Regelwerks, das die Definition von Kunst überhaupt erst ermöglicht.

Im Zentrum des Ganzen steht der Kontrapunkt – die gesetzmäßige, logische und im Erklingen schöne Beziehung mehrerer Stimmen aufeinander. Welche Verknüpfungsmöglichkeiten dieses System bietet, erforschte Bach bis an dessen Grenzen. Dass ihm dabei nicht nur die planende Mathematik für die Lösung kontrapunktischer Aufgaben zur Verfügung stand, sondern auch die Fähigkeit, dabei hinreißende Musik zu schaffen, verdankte er einer kreativen Intelligenz, die man in ihrer Komplexität nur als «Genie» bezeichnen kann.

Klavierstück ohne Titel, notiert von Anna Magdalena Bach in ihrem zweiten Notenbüchlein. Es ist bis auf Kleinigkeiten identisch mit der Aria derGoldberg–Variationen.

Es war Bach bewusst, dass die junge Generation sich nicht mehr ausschließlich auf das tradierte Regelwerk bezog, sondern es dem individuellen Ausdruck von Emotionen zumindest zeitweilig unterordnete. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel gab mit seinen freien Klavierfantasien das beste Beispiel dafür.

Dass er dazu in der Lage war, lässt Rückschlüsse auf die Toleranz seines Vaters zu; auch Johann Sebastian Bach hatte als junger Organist aus der Freiheit des «stylus phantasticus» weitreichende Anregungen gewonnen. Im Alter sah er seine Aufgabe darin, die regelgerechte Kunst auf ihrem Höhepunkt zusammenzufassen, um sie weiterzugeben – sowohl an die lernende Jugend als auch an Musikkenner, die wie Schachspieler die Regeln verinnerlicht haben und aus dem fantasievollen Umgang mit ihnen großen Genuss zu ziehen wissen.

Wer die Grenzen kennt, schätzt auch gekonnte kleine Überschreitungen, die nicht ins Chaos führen, sondern die Souveränität des Meisters unter Beweis stellen.

Oft liest man, «der alte Bach» habe die neue Welt der Aufklärungszeit nicht mehr verstanden. Das Gegenteil war der Fall: Deutlicher als viele andere erkannte er, wohin die musikalische Entwicklung ging, reagierte aber weder mit Verbitterung noch mit Rückzug in die Isolation. Mit seinem letzten Schüler Johann Gottfried Müthel holte er sich noch kurz vor seinem Tod einen angehenden Komponisten ins Haus, der bereits um 1750 nach Wegen suchte, um sein individuelles Seelenleben in Musik auszudrücken, und damit ein Vorreiter des musikalischen «Sturm und Drang» wurde.

Thomaskirche und Thomasschule (1735)
Müthel rühmte später Bachs Herzlichkeit; von Reserviertheit des Thomaskantors gegenüber den Jüngeren ist in keinem einzigen Dokument die Rede. Bach selbst gehörte jedoch einer Generation an, der die Vorstellung von künstlerischer Ich-Bezogenheit fremd war. Er würde sein Lebensziel wohl darin gesehen haben, sein von Gott verliehenes Talent in solche Bahnen zu lenken, dass es dem Nächsten durch Belehrung, sinnreiche Vergnügung und Hinlenkung zum Göttlichen von Nutzen sein konnte.

Wo es um das klingende Gotteslob ging, gab er sein Bestes, doch auch weltliche Musik konnte er aus vollem Herzen schreiben, weil ein Violinkonzert auf denselben Gesetzen der harmonischen Proportionen beruht wie ein Choralsatz.

Und diese Gesetze, die physikalisch ebenso ewig gültig sind wie das Hebelgesetz, führte Bachs Zeit noch auf Gottes Schöpfungsakt zurück: «Maß, Zahl und Gewicht» (Buch der Weisheit 11, 20) waren die Grundlage der Weltordnung. Sie in der Musik zu finden und nachzuvollziehen, war nicht nur eine Aufgabe für den forschenden Verstand, sondern auch eine Belohnung für unablässige Mühe und Arbeit."

Zitate aus: Dorothea Schrüder: Johann Sebastian Bach, München 2012 (C.H.Beck)


Donnerstag, 11. Februar 2016

Friedrich A. Hayek und die Verwertung des Wissens für die Gesellschaft

Friedrich A. Hayek (1899 - 1992)
Im September 1945 veröffentlichte Friedrich August von Hayek in der „American Economic Review“ einen Artikel unter dem Titel „The Use of Knowledge in Society“ (Die Verwendung des Wissens für die Gesellschaft). Darin legt Hayek in beeindruckender Weise dar, weshalb jedes staatliche System wirtschaftlicher Zentralplanung mit unüberwindlichen Geburtsfehlern behaftet ist und zwangsläufig scheitern muss.

Schon ein Jahr vorher hatte Hayek in seinem Buch "The Road to Serfdom" (Der Weg zur Knecht-schaft) aufgezeigt, dass der Sozialismus zwar vollmundig die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung und eine neue Welt der Freiheit und des Wohlstands für alle verspricht, dass aber die Konzentration von Macht und Kontrolle in den Händen einer kleinen elitären Regierung, welche alle Angelegenheiten der Gesellschaft zentralistisch planen will, unweigerlich zur Einschränkung und schließlich zur Abschaffung sämtlicher persönlicher und bürgerlicher Freiheiten führen würde.

„Allen Träumen und Versprechungen ‚demokratischer’ Sozialisten zum Trotz würde der Staat alle Produktionsmittel beherrschen. Es würden dann nur noch die Informationen in Büchern und Zeitschriften abgedruckt, die der Gesinnung der Regierung entsprechen. Wäre der Staat erst einmal im Besitz aller Ressourcen, Produktionsmittel und Maschinen, dann würde er unweigerlich bestimmen, welche Konsumgüter zulässig sind und von den Bürgern als wünschenswert erachtet werden sollten (...)

In einem solchen System würde das Schicksal jedes Individuums von einem einzigen allmächtigen Anbieter abhängen, aus dessen Fängen es kein Entrinnen gäbe, da der Staat alles besitzt, alles kontrolliert und alles plant. Dann gäbe es auch keine Privatsphäre mehr, in der es sich abseits von den zentralplanerischen Händen des Staates leben ließe.“

„Der Weg zur Knechtschaft“ ist nicht nur harsche Kritik an den totalitären Rezepten des Sozialismus, sondern zugleich auch ein Plädoyer für die Würde und Unantastbarkeit des Individuums und für eine unabhängige Gesetzgebung, die den Schutz der Bürger vor Staatsmacht und –wilkür garantieren soll.

In dem erwähnten Aufsatz „Die Verwertung des Wissens für die Gesellschaft“ baut Hayek seine Ideen nun weiter aus: „Damit eine zentralistisch orchestrierte Planung überhaupt funktionieren könne, müsse demnach ein zentralplanerisches Organ im Besitz vollständigen, allumfassenden Wissens sein, um unter der Berücksichtigung aller relevanten Fakten den bestmöglichen Gebrauch und die effizienteste Verwendung der verschiedenen physischen Ressourcen sowie der immateriellen, menschlichen Kenntnisse sichern zu können.“

Nun ist offensichtlich, dass dieses Wissen weder an einem einzigen Ort noch in einem einzigen Kopf, geschweige denn in den verschiedenen Köpfen einer Gruppe existieren kann: „Das „Wissen dieser Welt“ ist vielmehr verstreut und auf die unzähligen Köpfe der Mitglieder einer Gesellschaft verteilt, wovon jeder verglichen mit der Gesamtheit des vorhandenen Wissens in der Gesellschaft lediglich einen kleinen Teil verfügbar hat und versteht.“

Für Hayek steht fest, dass dieses „spezifische Wissen von Zeit und Ort“ allein in der Interaktion im sozialen System der Arbeitsteilung erworben werden kann. „Es geht beispielsweise aus der Beschäftigung in einem bestimmten Berufszweig, einer bestimmten Firma oder Unternehmung hervor. Es entstammt der Zusammenarbeit mit bestimmten Personen, der Arbeit an bestimmten Maschinen oder mit bestimmten Werkzeugen, die dazu dienen, bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen mit dem Ziel, in einem Marktwettbewerb zu bestehen.“

Das Wissen muss dezentralisiert werden ...
Das Wissen muss also dezentralisiert werden, will man beispielsweise Entscheidungen und Handlungen auf der Produktionsseite mit den Bedürfnissen auf der Konsumenten-seite erfolgreich und für beide Seiten zufriedenstellend in Einklang bringen. Solch komplexe, komplizierte und sich ständig verändernden Sachverhalte lassen sich zentral jedenfalls unmöglich organisieren.

Hayek begreift persönliche Freiheit nicht nur als wünschenswerte Voraussetzung, sondern auch als Bedingung für menschliche Interaktion und Kooperation „zum gegenseitigen Vorteil und zur allgemeinen Besserstellung menschlichen Lebens.“ Daher kann auch nur der freie Markt und der auf Wettbewerb basierende Kapitalismus das Problem der effizienten Verwendung von Wissen in der Gesellschaft lösen.

Die sozialistische Zentralplanung jedenfalls „mit ihrem inhärenten Hang zur Machtkonzentration in den Händen einer kleinen politischen Behörde [ist] nicht nur eine Bedrohung für die Freiheit und Würde des Menschen – ein ‚Weg zur Knechtschaft’ –, sondern auch wirtschaftlich eine Sackgasse, in der sich weder Produktionseffizienz noch die praktische Verwertung verteilten Wissens verwirklichen lässt.“

Mittlerweile gehört der real existierende Sozialismus seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Niedergang der Sowjetunion der Vergangenheit an und kein Staat weltweit – mit Ausnahme Nordkoreas – setzt noch auf zentrale Wirtschaftsplanung. Heute ist daher die entscheidende Frage vielmehr, „wie der Staat in den Markt eingreifen und diesen regulieren soll, welche Formen der Markt also annehmen soll.“

Staatliche Regulierungsabsichten können gleichwohl als ein schier unüberwindliches Hindernis für einen dynamischen Markt wirken. Gerade „in einer Welt, in der Veränderung ein fester und unaufhaltsam schneller Bestandteil ist, sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit Schlüsselelemente für den Erfolg.“

Gesetze und Regulierungen dagegen wirken häufig wie „eine Zwangsjacke, welche die unternehmerische Fähigkeit, von ständig wechselnden Rahmenbedingungen zu profitieren, begrenzen und hemmen, da alle Antworten, Änderungen und Anpassungen den vorliegenden, dem Markt aufgezwungenen Regeln und Vorschriften zu entsprechen haben.“

Auf diese Weise aber würden die im Markt agierenden Individuen daran gehindert werden, ihr vorhandenes Wissen bestmöglich einzusetzen. „Verheerend ist dabei insbesondere, dass der Staat als Regulator gerade daran scheitert, als Stellvertreter für die unzähligen, ihren spezifischen Platz in der Arbeitsteilung einnehmenden Personen angemessen zu planen und entsprechend zu handeln.“

Staatliche Regulierungswut

Jahrzehntelang verteidigten Sozialisten und andere Befürworter staatlicher Interventionspolitik die These, dass ein komplexes wirtschaftliches und gesellschaftliches System einer genauen Steuerung bedürfe, „weil es für das Individuum schlichtweg zu unüberschaubar sei. Je komplizierter die gesellschaftliche Ordnung und die Beziehungen innerhalb dieses Gefüges, desto unentbehrlicher sei eine starke, zentralisierende politische Hand, die sicherstellen solle, dass weder Chaos noch Unordnung ausbrechen würden.“

Hayek  dagegen bestand darauf, „dass gerade bei zunehmender Komplexität eines gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Systems kein Individuum und keine kleine Elite in der Lage seien, dieses zu verstehen oder gar zu planen oder zu kontrollieren.“ Nur in einem freier Markt ließen sich Gesamtheit „einzelner, abertausender menschlicher Beziehungen in der Gesellschaft bei weitem besser“ koordinieren, als dies jedes zentrale Organ vollbringen würde.

Wenn man möchte, dass das zunehmend komplexer werdende „Wissen dieser Welt“ zum Vorteil aller verwendet wird, dann „sollten jene ihre eigenen Entscheidungen treffen, die darüber in dezentralisierter Weise verfügen und am besten wissen, wie sie es in ihren eigenen Handlungen und im Umgang mit anderen einsetzen sollen. Wir sollten zulassen, dass dieses verstreute Wissen in einer zunehmend globalisierten Welt des Handels, der Kultur und der Kreativität effizient koordiniert wird.“

Zitate aus: Richard Ebeling: Warum der Staat die Gesellschaft nicht steuern kann, LI-Paper, Oktober 2015, Liberales Institut, Zürich 2015

Weitere Literatur: Friedrich August von Hayek: Der Mensch in der Planwirtschaft, in: Simon Moser (Hg.): Weltbild und Menschenbild. Internationale Hochschulwochen des österreichischen College Alpbach-Tirol, Innsbruck-Wien 1948 (Tyrolia-Verlag) -- Friedrich August Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München 2007 (Olzog)