Robespierre (um 1790) |
Wenn über die
historische Bedeutung der Französischen Revolution diskutiert wird, kann man
zumeist hören, dass sie zum einen die Befreiung Frankreichs und Europas
bewirkte, weil sie die Gesellschaft von der Herrschaft des Absolutismus, der
Kirche und der privilegierten Stände erlöste, zum anderen durch die Erklärung
der Menschenrechte eine Epoche geistiger Unabhängigkeit und bürgerlicher
Gesetzgebung einleitete.
Es mag ja sein, dass gewisse Emanzipationsbewegungen
von der Pariser Revolution ausgelöst wurden, dennoch ist die Ansicht, dass der
Konstitutionalismus, der Liberalismus, der Sozialismus und alle ähnlichen
politischen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts aus dieser einen Quelle entsprungen
seien, falsch und irreführend.
Festzustellen ist dagegen, dass kaum eine Staatsform so viele Torheiten und Gewaltsamkeiten begangen
hat wie die demokratische Herrschaft der Jakobiner - und zwar nicht zuletzt, weil sie von
ihrer Unfehlbarkeit und unbedingten Legitimität überzeugt war.
Bereits im Jahre 1793
prophezeite ein zum Ehrenbürger der französischen Republik ernannter deutscher
Schriftsteller, dass die republikanische Verfassung früher oder später in Anarchie
übergehen werde. Dann werde ein kräftiger Mann erscheinen,
der sich nicht nur zum Herrn von Frankreich, sondern sogar auch von großen Teilen Europas machen werde. Es war Friedrich
Schiller, der diese Worte aussprach.
Die Französische Revolution hat zwar den
entscheidenden Sieg des Bürgertums bewirkt, jedoch nur am Anfang, denn später
bewirkte sie den entscheidenden Sieg des Pöbels. Die Revolution hat zwar den
Absolutismus gestürzt, aber nicht für lange, denn er kehrte wieder als Diktatur
des Konvents und der Kommune, er wurde am 1. April 1794 sogar zur Diktatur
eines Einzelnen, nämlich Robespierres.
Und natürlich hat die Revolution
auch nicht die alten Formen des Geburtskönigtums, der Adelsherrschaft, des
Priesterregiments endgültig zerbrochen, denn all diese Mächte erlebten ihre
Auferstehung zum Teil schon unter dem ersten Kaiserreich und fast restlos unter
der Restauration Ludwigs des Achtzehnten und Karls des Zehnten.
Die Freiheit hat die
Französische Revolution jedenfalls nicht gebracht, denn sie übte eine ebenso
engherzige, grausame und selbstsüchtige Zensur aus wie das ancien régime, nur diesmal im Namen der Freiheit und mit noch drakonischeren
Mitteln. Die Revolution fragte jedermann „Bist du für die Freiheit?“ und wenn
er nicht die gewünschte Auskunft gab, so antwortete sie mit der Guillotine.
Die Waffen der Radikalen (Karikatur von George Cruikshank, 1792–1878)
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Robespierre fasst diese
Haltung sehr deutlich in seiner Rede „Über die Prinzipien der politischen
Moral“ zusammen, die er am 5. Februar 1794 vor dem Konvent hielt: „Wenn die Triebkraft
der Volksregierung in Friedenszeiten die Tugend ist, so ist die Triebkraft der
Volksregierung in Zeiten der Revolution zugleich Tugend und Terror: die Tugend, ohne die der Terror unheilvoll ist,
der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist. Der Terror ist nichts anderes als
das schlagfertige, unerbittliche, unbeugsame Recht, er ist somit eine Emanation
der Tugend; er ist ein Produkt des allgemeinen Prinzips der Demokratie, das auf
die dringendsten Anliegen des Vaterlandes angewendet wird“ (21)
Der Terror als
das Recht und das allgemeines Prinzip der Demokratie! Auch wenn dieser Gedanke kaum erträglich ist, die politische Praxis der Revolution
spiegelt ihn grausam wider: Selten vorher hat es eine solche Unfreiheit
gegeben wie unter der „Verfassung der Freiheitsfreunde“, denn selten vorher stand
die Todesstrafe auf eine Reihe ganz passiver Eigenschaften wie Bildung,
Reinlichkeit, Toleranz, Schweigsamkeit, ja auf die bloße Existenz.
Von ihren
drei Leitbegriffen Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit blieb im Verlauf der
Revolution nicht viel übrig. Brüderlichkeit
ist eine schön klingende, aber leere Phrase, mit der sich in der politischen
Praxis nicht viel anfangen lässt. Freiheit und Gleichheit sind unvereinbare Gegensätze. Denn die Gleichheit vernichtet die Freiheit und die Freiheit
vernichtet die Gleichheit. Wenn alle Menschen als identisch angesehen und
infolgedessen denselben Rechten, Pflichten und Lebensformen unterworfen werden,
so sind sie nicht mehr frei. Andererseits, wenn sich alle ungehemmt nach ihren
verschiedenen Individualitäten entfalten dürfen, so sind sie nicht mehr gleich.
Später ab
Juni 1794 wird Robespierre seine Theorie des Terrors mit der Neuordnung des
Revolutionstribunals durchsetzen, nach der nun keine juristischen Beweise zur Feststellung der Schuld mehr
erhoben werden müssen, sondern allein das Gewissen der Geschworenen
entscheidet. Damit war das System des totalen Terrors konsequent und grenzenlos
etabliert, ein System, das seine Urteile allein aus der geradezu heiligen Vollmacht des eigenen
politischen Dogmas über alle anderen fällt, die anders denken. Die Französische
Revolution hatte sich in nichts anderes verwandelt als in eine Vorform des
modernen Totalitarismus.
Zitate aus: Maximilian Robbespeirre:
Über die Prinzipien der politischen Moral. Rede am 5. Februar 1794 vor dem
Konvent, Reihe EVA Reden, Bd. 28, Hamburg 2000 (Europäische Verlagsanstalt)
Weitere Literatur: Egon Friedell:
Kulturgeschichte der Neuzeit: Die Krisis der europäischen Seele von der
schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, München 2007 (C.H. Beck)
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