Sonntag, 22. Januar 2012

Robespierre und der Terror


Robespierre (um 1790)
Wenn über die historische Bedeutung der Französischen Revolution diskutiert wird, kann man zumeist hören, dass sie zum einen die Befreiung Frankreichs und Europas bewirkte, weil sie die Gesellschaft von der Herrschaft des Absolutismus, der Kirche und der privilegierten Stände erlöste, zum anderen durch die Erklärung der Menschenrechte eine Epoche geistiger Unabhängigkeit und bürgerlicher Gesetzgebung einleitete.

Es mag ja sein, dass gewisse Emanzipationsbewegungen von der Pariser Revolution ausgelöst wurden, dennoch ist die Ansicht, dass der Konstitutionalismus, der Liberalismus, der Sozialismus und alle ähnlichen politischen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts aus dieser einen Quelle entsprungen seien, falsch und irreführend.

Festzustellen ist dagegen, dass kaum eine Staatsform so viele Torheiten und Gewaltsamkeiten begangen hat wie die demokratische Herrschaft der Jakobiner - und zwar nicht zuletzt, weil sie von ihrer Unfehlbarkeit und unbedingten Legitimität überzeugt war. 

Bereits im Jahre 1793 prophezeite ein zum Ehrenbürger der französischen Republik ernannter deutscher Schriftsteller, dass die republikanische Verfassung früher oder später in Anarchie übergehen werde. Dann werde ein kräftiger Mann erscheinen, der sich nicht nur zum Herrn von Frankreich, sondern sogar auch von großen Teilen Europas machen werde. Es war Friedrich Schiller, der diese Worte aussprach.

Die Französische Revolution hat zwar den entscheidenden Sieg des Bürgertums bewirkt, jedoch nur am Anfang, denn später bewirkte sie den entscheidenden Sieg des Pöbels. Die Revolution hat zwar den Absolutismus gestürzt, aber nicht für lange, denn er kehrte wieder als Diktatur des Konvents und der Kommune, er wurde am 1. April 1794 sogar zur Diktatur eines Einzelnen, nämlich Robespierres.

Und natürlich hat die Revolution auch nicht die alten Formen des Geburtskönigtums, der Adelsherrschaft, des Priesterregiments endgültig zerbrochen, denn all diese Mächte erlebten ihre Auferstehung zum Teil schon unter dem ersten Kaiserreich und fast restlos unter der Restauration Ludwigs des Achtzehnten und Karls des Zehnten.

Die Freiheit hat die Französische Revolution jedenfalls nicht gebracht, denn sie übte eine ebenso engherzige, grausame und selbstsüchtige Zensur aus wie das ancien régime, nur diesmal im Namen der Freiheit und mit noch drakonischeren Mitteln. Die Revolution fragte jedermann „Bist du für die Freiheit?“ und wenn er nicht die gewünschte Auskunft gab, so antwortete sie mit der Guillotine.

Die Waffen der Radikalen (Karikatur von George Cruikshank, 1792–1878)

Robespierre fasst diese Haltung sehr deutlich in seiner Rede „Über die Prinzipien der politischen Moral“ zusammen, die er am 5. Februar 1794 vor dem Konvent hielt: „Wenn die Triebkraft der Volksregierung in Friedenszeiten die Tugend ist, so ist die Triebkraft der Volksregierung in Zeiten der Revolution zugleich Tugend und Terror: die Tugend, ohne die der Terror unheilvoll ist, der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist. Der Terror ist nichts anderes als das schlagfertige, unerbittliche, unbeugsame Recht, er ist somit eine Emanation der Tugend; er ist ein Produkt des allgemeinen Prinzips der Demokratie, das auf die dringendsten Anliegen des Vaterlandes angewendet wird“ (21)

Der Terror als das Recht und das allgemeines Prinzip der Demokratie! Auch wenn dieser Gedanke kaum erträglich ist, die politische Praxis der Revolution spiegelt ihn grausam wider: Selten vorher hat es eine solche Unfreiheit gegeben wie unter der „Verfassung der Freiheitsfreunde“, denn selten vorher stand die Todesstrafe auf eine Reihe ganz passiver Eigenschaften wie Bildung, Reinlichkeit, Toleranz, Schweigsamkeit, ja auf die bloße Existenz. 

Von ihren drei Leitbegriffen Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit blieb im Verlauf der Revolution nicht viel übrig. Brüderlichkeit ist eine schön klingende, aber leere Phrase, mit der sich in der politischen Praxis nicht viel anfangen lässt. Freiheit und Gleichheit sind unvereinbare Gegensätze. Denn die Gleichheit vernichtet die Freiheit und die Freiheit vernichtet die Gleichheit. Wenn alle Menschen als identisch angesehen und infolgedessen denselben Rechten, Pflichten und Lebensformen unterworfen werden, so sind sie nicht mehr frei. Andererseits, wenn sich alle ungehemmt nach ihren verschiedenen Individualitäten entfalten dürfen, so sind sie nicht mehr gleich.

Später ab Juni 1794 wird Robespierre seine Theorie des Terrors mit der Neuordnung des Revolutionstribunals durchsetzen, nach der nun keine juristischen Beweise zur Feststellung der Schuld mehr erhoben werden müssen, sondern allein das Gewissen der Geschworenen entscheidet. Damit war das System des totalen Terrors konsequent und grenzenlos etabliert, ein System, das seine Urteile allein aus der geradezu heiligen Vollmacht des eigenen politischen Dogmas über alle anderen fällt, die anders denken. Die Französische Revolution hatte sich in nichts anderes verwandelt als in eine Vorform des modernen Totalitarismus.


Zitate aus: Maximilian Robbespeirre: Über die Prinzipien der politischen Moral. Rede am 5. Februar 1794 vor dem Konvent, Reihe EVA Reden, Bd. 28, Hamburg 2000 (Europäische Verlagsanstalt)

Weitere Literatur: Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit: Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg, München 2007 (C.H. Beck)
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen