Donnerstag, 30. April 2015

Karl Popper und der kritische Pluralismus

Am 26. Mai 1981 hielt Karl Raimund Popper an der Universität Tübingen einen Vortrag mit dem Titel „Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit“.

Sir Karl Raimund Popper (1902 - 1994)
Der Titel spielt Popper zufolge auf das Argument der Toleranz an, das von Voltaire, dem Vater der Aufklärung stammt: „Was ist Toleranz?, fragt Voltaire. Und er antwortet: Toleranz ist die notwendige Folge der Einsicht, daß wir fehlbare Menschen sind. Irren ist menschlich, und wir alle machen dauernd Fehler. So laßt uns denn einander unsere Torheiten verzeihen. Das ist das Fundament des Naturrechts.“

Popper nach appelliert Voltaire hier an die intellektuelle Redlichkeit, d.h. „wir sollen uns unsere Fehler, unsere Fehlbarkeit, unsere Unwissenheit eingestehen.“ Natürlich weiß auch Voltaire, daß es durch und durch überzeugte Fanatiker gibt. Aber deren Überzeugung ist deshalb nicht redlich, weil sie sich selbst, ihre Überzeugungen und deren Gründe nicht ehrlich geprüft haben. Diese „kritische Selbstprüfung“ aber ist für Popper ein unerlässlicher Teil intellektuellen Redlichkeit.

Der Fanatismus dagegen ist „oft ein Versuch, unseren eigenen, uneingestandenen Unglauben, den wir unterdrückt haben und der uns daher nur halb bewußt ist, zu übertönen.“

Auch wenn Voltaire die Toleranz damit begründet, dass wir einander unsere Torheiten vergeben sollen, wäre es eine weitverbreitete Torheit zu glauben, es sei ein Zeichen von Toleranz, alles – also auch die Intoleranz – zu tolerieren. „In der Tat, hier hat die Toleranz ihre Grenzen. Wenn wir der Intoleranz den Rechtsanspruch zugestehen, toleriert zu werden, dann zerstören wir die Toleranz und den Rechtsstaat. Das war das Schicksal der Weimarer Republik.“

Toleranz bedeutet nicht, Intoleranz zu tolerieren!

Neben der Intoleranz gibt es gleichwohl noch „andere Torheiten, die wir nicht tolerieren sollten.“ Dazu gehört für Popper vor allem „jene Torheit, die die Intellektuellen dazu bringt, mit der letzten Mode zu gehen; eine Torheit, die viele dazu gebracht hat, in einem dunklen, eindrucksvollen Stil zu schreiben, in jenem orakelhaft en Stil, den Goethe im Hexeneinmaleins und an anderen Stellen des Faust so vernichtend kritisiert hat.

Dieser Stil, der Stil der großen, dunklen, eindrucksvollen und unverständlichen Worte, diese Schreibweise sollte nicht länger bewundert, ja sie sollte von den Intellektuellen nicht einmal länger geduldet werden.“ Dieser Stil ist nicht nur intellektuell unverantwortlich, sondern zerstört gleichermaßen den gesunden Menschenverstand und die Vernunft.

Vor allem aber macht sie jene Haltung möglich, die man als Relativismus bezeichnet hat. „Diese Haltung führt zu der These, daß alle Thesen intellektuell mehr oder weniger gleich vertretbar sind. Alles ist erlaubt. Daher führt die These des Relativismus offenbar zur Anarchie, zur Rechtlosigkeit; und so zur Herrschaft der Gewalt.“

Popper stellt deshalb dem Relativismus eine Position gegenüber, die leider fast immer mit dem Relativismus verwechselt wird, die aber von diesem grundverschieden ist. Popper bezeichnet diese Position als „kritischen Pluralismus.“ Weil der Relativismus „aus einer laxen Toleranz entspringt“ letztlich immer zur Herrschaft der Gewalt führt, kann der kritische Pluralismus zur Zähmung dieser Gewalt beitragen.

Für die Trennung des kritischen Pluralismus vom Relativismus ist für Popper die Idee der Wahrheit von entscheidender Bedeutung.

Der Relativismus ist schließlich „die Position, daß man alles behaupten kann, oder fast alles, und daher nichts. Alles ist wahr, oder nichts. Die Wahrheit ist also bedeutungslos.“

"Wenn alles gilt, gilt nichts mehr."
Pluralismus muss sich in den Dienst
der Wahrheitssuche stellen.
Der kritische Pluralismus dagegen „ist die Position, daß im Interesse der Wahrheitssuche jede Theorie – je mehr Theorien, desto besser – zum Wettbewerb zwischen den Theorien zugelassen werden soll. Dieser Wettbewerb besteht in der rationalen Diskussion der Theorien und in ihrer kritischen Eliminierung. Die Diskussion ist rational; und das heißt, daß es um die Wahrheit der konkurrierenden Theorien geht: die Theorie, die in der kritischen Diskussion der Wahrheit näher zu kommen scheint, ist die bessere; und die bessere Theorie verdrängt die schlechteren Theorien. Es geht also um die Wahrheit.“

Schon in der Antike bei Xenophanes zeigt sich dieser Pluralismus, der im Dienst der Suche nach der Wahrheit steht.

Nicht vom Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles.
Aber im Laufe der Zeit finden wir, suchend, das Bess’re.

Redlichkeit also ist letztlich Bescheidenheit gegenüber der eigenen Erkenntnis. Wir müssen Popper zufolge einen Unterschied machen zwischen der objektiven Wahrheit und der subjektiven Gewißheit des Wissens. Danach kann ich, „auch wenn ich die vollkommenste Wahrheit verkünde, diese Wahrheit nie mit Sicherheit wissen“, denn „es gibt kein unfehlbares Kriterium der Wahrheit. Wir können eben nie, oder fast nie, ganz sicher sein, dass wir uns nicht geirrt haben.“

Aus der Redlichkeit ergibt sich notwendig die Duldsamkeit, die Geduld mit uns selbst und anderen. Duldsamkeit impliziert Toleranz: „Wenn ich von dir lernen kann und im Interesse der Wahrheitssuche lernen will, dann muß ich dich nicht nur dulden, sondern als potentiell gleichberechtigt anerkennen; die potentielle Einheit und Gleichberechtigung aller Menschen sind eine Voraussetzung unserer Bereitschaft , rational zu diskutieren.“

Wichtig dabei sei auch das Prinzip, daß wir von einer Diskussion viel lernen können, „auch dann, wenn sie nicht zu einer Einigung führt.“

Aber Duldsamkeit kann niemals Duldung der Unduldsamkeit, der Gewalt und der Grausamkeit sein.

Zitate aus: Karl Raimund Popper: Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit, Vortrag, gehalten am 26. Mai 1981 an der Universität Tübingen, in: Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München 1999 (Piper Verlag)

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