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Donnerstag, 30. Januar 2014

Alfred North Whitehead und der Rhythmus von Erziehung und Bildung


In seinen Essays und Vorträgen über Erziehung und Bildung (gehalten zwischen 1913 und 1928) widmet sich der weltberühmte Mathematiker Alfred North Whitehead auch dem Thema „Rhythmus von Erziehung und Bildung“.


Whitehead vertritt hier die These, dass Fortschritt von Schülern weder kontinuierlich noch linear von leichteren zu schwereren Inhalten verläuft, sondern in periodischen Vorgängen, also Zyklen, besteht. Jeder Zyklus wiederum besteht aus drei Stadien geistigen Wachstums: Es sind dies das Stadium der Schwärmerei, das Stadium der Präzision und das Stadium der Verallgemeinerung.

Die Schwärmerei ist für Whitehead ein anfänglich systemfreies Stadium vager Einsicht, das gleichwohl schon erste Beziehungen zwischen Einzeltatsachen herstellt: „Der Unterrichtsgegenstand besitzt die Lebendigkeit des Neuartigen; er hält sich unerforschte Verknüpfungen mit Möglichkeiten bereit, halb enthüllt durch flüchtige Blicke, halb verborgen durch die Fülle des Materials.

Schwärmerei
Dieses schwärmerische Gefühl beinhaltet gleichwohl die Aufregung, die „auf den Übergang von den nackten Tatsachen zu den ersten Realisierungen der Bedeutung ihrer unerforschten Beziehungen folgt.“ Aus dieser Beobachtung leitet Whitehead die Aufgabe der Erziehung ab, „eine Unruhe, die sich bereits im Geist regt, zu ordnen: Sie können den Geist nicht in vacuo erziehen.“

Im Stadium der Präzision vollzieht sich dagegen eine erste ordnende und systematisierende Bearbeitung der Tatsachen. Jetzt geht es um einen quantitativen Zuwachs an Wissen.

Präzision
„Es ist das Studium der Grammatik, der Grammatik von Sprache und der Grammatik von Wissenschaft. Es schreitet voran, in dem es die Studierenden zwingt, stück für Stück eine vorgegebene Art des Analysierens von Tatsachen zu akzeptieren. Neue Tatsachen werden hinzugefügt, aber es sind diejenigen Tatsachen, die sich in die Analyse einfügen.“

Das Stadium der Verallgemeinerung nun ist das Stadium der produktiven Entfaltung, es ist „die Rückkehr zur Romantik mit dem zusätzlichen Vorteil klassifizierter Vorstellungen und sachdienlicher Vorgehensweise.“ Hier vor allem zeigt sich der Erfolg der Erziehung und Bildung: Bisher wurden Entdeckungen gemacht, Eignungen erworben, allgemeine Regeln und Gesetzmäßigkeiten erfasst. Jetzt möchte der Schüler seine neuen Kompetenzen anwenden:

Verallgemeinerung
„Er ist ein wirksames Individuum, und Wirkungen sind genau das, was er hervorbringen möchte. Er fällt zurück in die diskursiven Abenteuer des schwärmerischen Stadiums, mit dem Vorteil, dass sein Geist jetzt ein diszipliniertes Regiment ist, statt einer Horde.“ In diesem Sinne beginnen Erziehung und Bildung mit Forschung und enden mit Forschung.

Zusammengehalten werden die drei Stadien und Zyklen durch den Begriff der Weisheit, also „die Art und Weise, in der man über Wissen verfügt. Sie betrifft den Umgang mit Wissen, seine Auswahl zur Bestimmung von relevanten Ergebnissen und seine Inanspruchnahme, um unserer unmittelbaren Erfahrung einen Wert hinzuzufügen.“

Weisheit - Das Ziel der Paideia
In diesen Zusammenhang gehören nach Whitehead auch die Aspekte Freiheit und Disziplin. „Die einzige Straße zur Weisheit führt über Freiheit in der Präsenz von Wissen. Aber der einzige Weg zu Wissen führt über Disziplin in der Aneignung geordneter Fakten. Freiheit und Disziplin sind die zwei Wesensmerkmale von Erziehung und Bildung.“

Whitehead offenbart an dieser Stelle sein pädagogisches Credo: Der Geist des Schülers ist „keine Kiste, die erbarmungslos mit fremden Ideen vollgepackt werden sollte, und andererseits ist die ordentlich strukturierte Aneignung von Wissen die natürliche Nahrung für eine sich entwickelnde Intelligenz. Entsprechend sollte es das Ziel ideal gestalteter Erziehung und Bildung sein, dass die Disziplin das gewollte Ergebnis freier Wahl ist und dass die Freiheit zu einer Bereicherung an Möglichkeiten als Ergebnis von Disziplin gelangt.“

Damit man Whitehead nicht falsch versteht. Er ist der Ansicht, „dass die einzige Disziplin, die um ihrer selbst willen wichtig ist, die Selbstdisziplin ist, und dass diese nur durch umfassenden Gebrauch von Freiheit anzueignen ist.“

So praktizierte Erziehung und Bildung zielt auf die Herausbildung von „Initiativkräften“, also Initiative im Denken, Initiative im Handeln und die phantasievolle Initiative der Kunst.“

Zitate aus:  Alfred North Whitehead: Die Ziele von Erziehung und Bildung, Berlin 2012 (suhrkamp)


Donnerstag, 9. Januar 2014

Alfred North Whitehead und die Ziele von Erziehung und Bildung

M.F. gewidmet

Alfred North Whitehead (1861 - 1947)
Der britische Philosoph Alfred North Whitehead ist vor allem durch das Standardwerk „Principia Mathematica“ bekannt geworden, das er zusammen mit seinem langjährigen Schüler und Freund Bertrand Russell zwischen 1911 und 1913 in drei Bänden veröffentlichte. Whitehead und Russell verfolgen darin die Absicht, im Sinne des logizistischen Programmes alle wahren mathematischen Aussagen und Beweise auf eine symbolische Logik zurückzuführen.

Weniger bekannt dagegen sind Whiteheads Essays und Vorträge über Themen der Erziehung und Bildung, die er zwischen 1913 und 1928 zu verschiedenen Anlässen hielt.

Für Whitehead steht fest, dass eine erfolgreiche Erziehung und Bildung auf einen vitalen Sinn für Stil abzielt – Stil im Sinne einer Fähigkeit, die praktische Effektivität in allen Lebens- und Wissenschaftsbereichen mit ästhetischem Empfinden und Moralität verbindet.

Erziehung und Bildung zielt auf „Kultiviertheit“, die Whitehead als „gedankliche Aktivität, Empfänglichkeit für Schönheit und Gefühle der Menschlichkeit“ beschreibt. Totes Wissen oder „passive Ideen“, also Ideen, „die bloß geistig aufgenommen werden, ohne nutzbar gemacht, geprüft oder in immer neuen Kombinationen zusammengewürfelt werden“, haben mit Kultiviertheit dagegen nichts zu tun: „Ein bloß gut informierter Mensch ist der nutzloseste Langweiler auf Gottes Erde.“

Vielmehr sollte das Kind von Beginn seiner Erziehung die „Freude an der Entdeckung“ erleben: „Die Entdeckung, die es machen muss, besteht darin, dass allgemeine Ideen ein Verständnis des Stroms von Ereignissen bieten, der durch sein Leben fließt der sein Leben ist.“ Was Whitehead mit dieser Aussage meint, erläutert er am Beispiel der Algebra.

Das Lösen quadratischer Gleichungen ...

Üblicherweise ist das Erste, das man in der wissenschaftlichen Ausbildung mit einer Idee macht, ihre Wahrheit zu beweisen. Für Whitehead dagegen ist es nicht wesentlich, dass die erste Bekanntschaft mit einer Idee über den Beweis ihrer Wahrheit erfolgt. „immerhin bedeutet ihre Behauptung durch die Autorität respektabler Lehrer für den Anfang eine ausreichende Evidenz.“

Wichtig für Whitehead ist der Beweis der Bedeutsamkeit einer Idee für die Praxis, weil Erziehung und Bildung letztlich „in der Aneignung der Kunst der Nutzbarmachung von Wissen“ bestehen.

Dem Schüler eine bestimmte Menge an passivem Wissen einzutrichtern ist einfach: „Sie nehmen ein Textbuch und lassen die Schüler es lernen. So weit so gut. Das Kind weiß dann, wie man eine quadratische Gleichung löst.“ Dieses Vorgehen wird lerntheoretisch normalerweise wie folgt begründet: „Der Geist ist ein Werkzeug. Erst wird er geschärft und dann benutzt; die Aneignung der Fähigkeit, eine quadratische Gleichung zu lösen, ist ein notwendiger Bestandteil des Prozesses, den Geist zu schärfen.“

Dieses Vorgehen beruft für Whitehead jedoch auf einem schwerwiegendem Irrtum: „Der Geist ist niemals passiv; er ist unaufhörliche Aktivität, feinfühlig, aufnahmefähig, empfänglich für Stimuli. Man kann sein Leben nicht aufschieben, bis man ihn geschärft hat.“

Aus dieser Aussage leitet Whitehead nun für den Lernprozess folgende Konsequenzen ab: „Welches Interesse auch immer mit dem eigenen Unterrichtsgegenstand verbunden ist, es muss hier und jetzt wachgerufen werden. Welche Fähigkeiten auch immer man beim Schüler gerade stärkt, sie müssen hier und jetzt geübt werden. Welche Möglichkeiten des geistigen Lebens auch immer die eigene Lehre vermitteln sollte, sie müssen hier und jetzt aufgezeigt werden.“

Warum also sollen Kinder lernen, eine quadratische Gleichung zu lösen? Die Antwort ist einfach: „Quadratische Gleichungen sind Bestandteil der Algebra, und Algebra ist das intellektuelle Werkzeug, das geschaffen wurde, um die quantitativen Aspekte der Welt klar werden zu lassen. Dies ist unabweisbar. Die Welt ist durch und durch mit Quantität infiziert. Sinnvoll zu reden bedeutet, in Quantitäten zu reden. Es hat keinen Zweck zu sagen, dass das Land groß ist – wie groß? Es hat keinen Zweck zu sagen, dass Radium knapp ist – wie knapp?“ Quantitäten kann man nicht ausweichen. Man könne sich zwar in Poesie und Musik flüchten, aber dann würden Quantität und Zahl einem in Form von Rhythmen und Oktaven gegenüberstehen.

Im Hinblick auf die Gestaltung der Lehrpläne käme es daher darauf an, sich zunächst über diejenigen Aspekte der Welt klar zu werden, die einfach genug sind, um in die Allgemeinbildung eingeführt zu werden. Erst dann „sollte ein Plan für Algebra konzipiert werden, der seine Exemplifizierung etwa in diesen Anwendungen findet.“

... und die Nützlichkeit der Algebra im Alltag.

Durch praktischen Bezug der Ideen kann das gelingen, was Erziehung nach Whitehead vermitteln muss, und zwar „ein vertrautes Gespür für die Macht von Ideen, die die Schönheit von Ideen und für die Struktur von Ideen, zusammen mit einem gewissen Korpus an Wissen, der einen ganz eigenen Bezug zu dem Leben des Wesens hat, das ihn besitzt.“
   
Zitate aus:  Alfred North Whitehead: Die Ziele von Erziehung und Bildung, Berlin 2012 (suhrkamp)