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Donnerstag, 23. Mai 2013

Friedrich Nietzsche und das Gefühl der persönlichen Verpflichtung

Wie so häufig bei selbsternannten Propheten zu beobachten ist, versucht auch David Graeber in seinem Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“, alle vergangenen und gegenwärtigen Prozesse der Weltgeschichte auf einige wenige Grundprinzipien zu reduzieren.

So seien Graeber zufolge Schuld, Schulden und Schuldverhältnisse letztlich die treibende Kraft in der Geschichte, die nicht nur für die Genese von Gewalt- und Machtstrukturen politischer und religiöser Art verantwortlich sind, sondern die letzte Ursache gleichermaßen für Institutionen, Kolonisationen und Revolutionen sind. Das Problem ist, das solch allzu plausibler Blick der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nicht gerecht werden kann.

Zudem ist ein roter Faden, der den Leser durch die Lektüre des Buches führt, nicht erkennbar, weil Graeber sich oft in - zugegeben vielen und teilweise skurrilen - Details verzettelt. Sein Stil ist langatmig und das Lesen eher anstrengend und ermüdend.

Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)
Gleichwohl sind einige Hinweise Graebers durchaus von Interesse, so beispielsweise die überraschende Zeugenschaft Nietzsches im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Geldes, die Nietzsche gewissermaßen en passent in seiner „Genealogie der Moral“ (1887) beschreibt.

So habe, Nietzsche zufolge, das Gefühl der Schuld und der persönlichen Verpflichtung, „seinen Ursprung in dem ältesten und ursprünglichsten Personen-Verhältnis, das es gibt, gehabt, in dem Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner: hier trat zuerst Person gegen Person, hier maß sich zuerst Person an Person.“

So habe man keinen noch so niederen Grad von Zivilisation aufgefunden, in dem nicht schon diese Verhältnisse bemerkbar würden: „Preise machen, Werte abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen – das hat in einem solchen Maße das allererste Denken des Menschen präokkupiert, dass es in einem gewissen Sinne das Denken ist.“

Nietzsche sieht hier den Ursprung menschlichen Scharfsinn und ebenfalls den ersten Ansatz menschlichen Stolzes, das sein Gefühl des Vorrangs gegenüber anderen Lebewesen begründete: „Vielleicht drückt noch unser Wort »Mensch« (manas) gerade etwas von diesem Selbstgefühl aus: der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, welches Werte misst, wertet und misst, als das `abschätzende Tier an sich´.“

Für Nietzsche sind Kauf und Verkauf einschließlich „ihrem psychologischen Zubehör“ eindeutig älter als selbst die Anfänge der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Verbände. Vielmehr habe sich „aus der rudimentärsten Form des Personen-Rechts … das keimende Gefühl von Tausch, Vertrag, Schuld, Recht, Verpflichtung, Ausgleich erst auf die gröbsten und anfänglichsten Gemeinschafts-Komplexe (in deren Verhältnis zu ähnlichen Komplexen) übertragen, zugleich mit der Gewohnheit, Macht an Macht zu vergleichen, zu messen, zu berechnen.“

Aber Nietzsche ging noch weiter, denn er war überzeugt, dass auch die menschliche Moral im Zusammenhang des Verhältnisses Gläubiger-Schuldner entstanden sei. Dazu wies er auf die doppelte Bedeutung des Wortes Schuld hin, denn „Schulden haben“ meint ebenso „schuldig sein“ und in beiden Fällen ist „Strafe“ bzw. „Sühne“ eine notwendige Konsequenz.

"Schuldknechtschaft" in einer Bilderhandschrift des Sachsenspiegels

Als die Menschen schließlich begannen, Gemeinschaften zu bilden, so Nietzsche weiter, begannen sie wie selbstverständlich, das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft in den Begriffen „Schuld“ und „Schulden“ zu formulieren. Dabei folgt Nietzsche mehr oder weniger der sogenannten Theorie von den Urschulden:

„Innerhalb der ursprünglichen Geschlechtsgenossenschaft – wir reden von Urzeiten – erkennt jedes Mal die lebende Generation gegen die frühere und in Sonderheit gegen die früheste, geschlecht-begründende eine juristische Verpflichtung an (und keineswegs eine bloße Gefühls-Verbindlichkeit. … Hier herrscht die Überzeugung, dass das Geschlecht durchaus nur durch die Opfer und Leistungen der Vorfahren besteht, – und dass man ihnen diese durch Opfer und Leistungen zurückzuzahlen hat: man erkennt somit eine Schuld an, die dadurch noch beständig anwächst, dass diese Ahnen in ihrer Fortexistenz als mächtige Geister nicht aufhören, dem Geschlechte neue Vorteile und Vorschüsse seitens ihrer Kraft zu gewähren. Umsonst etwa? Aber es gibt kein `Umsonst´ für jene rohen und `seelenarmen´ Zeitalter. Was kann man ihnen zurückgeben? Opfer (anfänglich zur Nahrung, im gröblichsten Verstande), Feste, Kapellen, Ehrenbezeigungen, vor Allem Gehorsam – denn alle Bräuche sind, als Werke der Vorfahren, auch deren Satzungen und Befehle –: gibt man ihnen je genug? Dieser Verdacht bleibt übrig und wächst.“

Die Argumentation ist klar und einfach erkennbar: Die Gemeinschaft garantiert dem Menschen Frieden und Sicherheit. Deshalb steht jeder Einzelne in ihrer Schuld. Um `seine Schuld gegenüber der Gesellschaft zu begleichen´, muss man ein `Opfer erbringen´, das beispielsweise darin besteht, den Normen und Gesetzen der Gemeinschaft zu gehorchen.

Das Problem aber sei, dass das Gefühl bleibt, wir könnten den Vorfahren oder der jetzigen Gemeinschaft niemals die Schuld zurückzahlen und kein noch so großes Opfer in der Lage wäre, uns jemals zu erlösen, so dass schließlich „mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Buße, der Gedanke ihrer Unabzahlbarkeit (der `ewigen Strafe´) konzipert ist.

Das Problem der Unabzahlbarkeit der Schuld führt zur Notwendigkeit der Erlösung ...

An dieser Stelle zieht Nietzsche nun den Bogen zu „jenem Geniestreich des Christentums“, nach dem „Gott selbst sich für die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an sich selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den Menschen selbst unablösbar geworden ist – der Gläubiger sich für seinen Schuldner opfernd, aus Liebe (sollte man's glauben? –), aus Liebe zu seinem Schuldner!…“

Wie schon anfangs gesagt: Eigentlich geht es Nietzsche nicht so sehr um die Entstehungsgeschichte des Geldes, um Kredit und Schulden, sondern sein Ziel ist vielmehr die Entstehung der Moral und hier insbesondere den Begriff der `Erlösung´ zu begreifen, wie also das nagende Gefühl von Schuld umschlägt in eine Sehnsucht nach Erlösung.

Schließlich habe `Erlösung´ nichts mehr mit Rückkauf  zu tun, sondern eher mit der vollständigen Vernichtung der Buchführung.

Zitate aus: Friedrich Wilhelm Nietzsche: Zur Genealogie der Moral, online im Projekt Gutenberg

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Martin Luther und die Arbeit


Auch wenn Martin Luther in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (1520) geschrieben hatte, dass es „viel göttlicher wäre, das Ackerwerk zu mehren und die Kaufmannschaft zu mindern (WA 6,466,40f), hat er doch den Handel grundsätzlich befürwortet – vorausgesetzt, er diene dem Wohl der Gemeinschaft.

Bauern bei der Feldarbeit

Sobald aber der Handel zum Zwecke des eigenen Gewinnstrebens funktionalisiert wird, kritisiert ihn Luther mit aller Deutlichkeit, so in den beiden „Sermonen von dem Wucher“ (1519 / 1520) und in der Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524), in der er sich auch mit der Frage der großen Handelsgesellschaften und Monopole auseinandersetzt.  

Luthers Kritik fußt auf einem doppelten Ansatz: Zum ersten wendet er sich gegen einen rigorosen Egoismus, den er auch im Hinblick auf das gesamte Feld wirtschaftlicher Tätigkeit eindeutig als Wucher bezeichnet. Er erkennt, dass sich in dieser Zeit die Kaufleute von der bürgerlichen Solidarität lösen und eine Art wirtschaftliches Faustrecht ausüben. Ihr tatsächliches Verhalten und nicht das Gewerbe an sich fordert also Luthers Zorn heraus.

An dieser Stelle nun wird deutlich, dass es Luther zum zweiten um die sozialen Konsequenzen der neuen Kaufmannsmentalität geht. Solange der Handel im Dienst der Gemeinschaft steht, erkennt Luther seine Notwendigkeit und Nützlichkeit an. Aber schon der Fernhandel und Luxusgüterhandel sprengt für ihn diesen Rahmen.

Martin Luther
So sieht Luther schließlich durch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung die soziale Ordnung überhaupt gefährdet. Die Handelsgesellschaften durchbrechen den für Luther so wichtigen Organismus der wohlgeordneten kommunalen und territorialen Gemeinwesen: Die wirtschaftlichen und staatlichen Wirkungskreise überschneiden sich. Zugleich durchbrechen sie jenes körperschaftliche Zusammenspiel der politisch-rechtlichen, wirtschaftlichen und ethischen Kräfte und Motive, die für Luther das Merkmal der bisherigen Lebensordnung ausmachten.

So stellt Luther den Entwicklungen in der Wirtschaft kompromisslos die Weisungen der Bergpredigt entgegen, die für das Gewissen der einzelnen Christen eine verbindliche Norm darstellen sollen. Für Luther ist entscheidend, dass für den Menschen, auch wenn er von staatlicher und kirchlicher Obrigkeit durch Gesetz und Gebet in seinem wirtschaftlichen Handeln nicht gebunden wird, eine bindende Norm gegeben ist in der freien Unterstellung der Persönlichkeit unter das „sanfte Joch“ des Evangeliums.

Die Konsequenz für Luther ist, dass jedes Verhalten des Menschen einen verantwortungsbewussten Dienst am Nächsten beinhaltet. Auf diesem Gedanken gründet letztlich auch Luther Verständnis von „Arbeit“ als „Dienst am Nächsten.“

An entscheidender Stelle schreibt Luther: „Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, dass frei in deiner Macht und deinem Willen steht, ohne alles Gesetz und Maß – so als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfass sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil für deinen Nächsten“ (WA, 15,295,22ff).

Die Werke der Barmherzigkeit (Brueghel)

Arbeit als solche bezieht Luther also auf ihren Nutzen für den Mitmenschen, als Werke der Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Luther wendet sich so gegen eine Wertschätzung der Arbeit, die sich allein an ihrer Produktivität und Leistung, also am wirtschaftlichen Ertrag, messen will. Ein Kaufmann, der mit seiner Arbeit nichts als seinen Gewinn anstrebt, ohne dabei auf die Bedürfnisse des Nächsten zu achten, ist für Luther nicht besser als ein Räuber und Dieb (WA 15,295,3ff).

Entscheidend für Luther ist also der Dienstcharakter der Arbeit einerseits und Arbeit als Tätigkeit zur Sicherung des eigenen, zum Leben notwendigen Grundbedarfs andererseits. Zwar sind die Weisungen der Bergpredigt „nur“ für das Gewissen verbindlich, gleichwohl sollen sie ihren konkreten Niederschlag im Alltag der Menschen finden – auch und vor allem in ihrer beruflichen Praxis.

Mit seiner Argumentation steht Luther im Übrigen im deutlichen Gegensatz zu gesamten scholastischen Tradition. Nicht nur Thomas von Aquin, vor allem die Schule von Salamanca (benannt nach der spanischen Universität von Salamanca, an der ihre Vertreter lehrten) hatte versucht, die Lehren von Aquins mit der neuen ökonomisch-politischen Ordnung der Zeit zu harmonisieren.

In einem für die damalige Zeit unüblichem Maße fordern ihre Vertreter mehr Freiheit, die in den natürlichen Rechten des Menschen begründet lag: Recht auf Leben, Recht auf Privateigentum, Meinungsfreiheit und Respekt vor der menschliche Würde.

Für den Jesuiten Francisco Suárez (1548–1617) beispielsweise beruhte der Ursprung der politischen Macht in der Gesellschaft auf einem „Vertrag“, der nur durch den Konsens von freien Individuen herausbilden kann.

Für Aufsehen aber sorgte die Schule von Salamanca mit ihren Beiträgen zur Ökonomie, um die neuen gesellschaftlichen Probleme, mit denen sich auch Luther beschäftigte, zu bewältigen. Ihrer Ansicht zufolge beruht die natürliche Ordnung der Gesellschaft auf der „Freiheit der Zirkulation“ von Menschen, Gütern und Ideen. Sie erlaube den Menschen ein gegenseitiges Kennenlernen und die Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls.

Diego de Covarrubias
Einigkeit herrschte bei den Anhängern der Schule von Salamanca darüber, dass sich Eigentum stimulierend auf die ökonomische Aktivität auswirke, die wiederum zum allgemeinen wirtschaftlichen Wohlergehen beitrage. Diego de Covarrubias y Leiva (1512–1577) zufolge haben Menschen daher nicht nur das Recht auf Privateigentum, sondern auch das Recht, exklusiv aus den Vorteilen dieses Besitzes zu profitieren.

Auf dieser Grundlage entstanden auch die Beiträge der Schule zur Frage des gerechten Preises. Im Gegensatz zu Luther Prinzip der „ziemlichen Nahrung", entwickelten Diego de Covarrubias und Luis de Molina  (1535−1600) eine subjektive Werttheorie: Der Nutzen eines Gutes variiere von Person zu Person, so dass sich ein gerechter Preis automatisch durch wechselseitige Entscheidungen der Marktteilnehmer im freien Markthandel einpendele. Voraussetzung hierfür sei, dass keine Verzerrungen wie Monopole, Betrug oder staatliche Interventionen, die das Einpendeln des Marktpreises störten. Modern ausgedrückt vertraten die Anhänger der Schule von Salamanca also die Theorie der freien Marktwirtschaft, in der der Preis eines Gutes durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird.

Auch in der Frage des Wuchers nahm die Schule von Salamanca eine zu Luther konträre Position ein. Die in der Renaissance einsetzende erhöhte Mobilität in der Bevölkerung und die damit verbundene Steigerung der Handelsaktivität bot den Unternehmern geeignete Umstände zur Gründung neuer, lukrativer Geschäfte. Da geliehenes Geld jedoch jetzt nicht mehr ausschließlich – wie noch im Mittelalter - dem Verbrauch, sondern auch der Produktion diente, konnte es nicht mehr auf die gleiche Weise wie in der Scholastik betrachtet werden. 

Die Schule von Salamanca erarbeitete daher zahlreiche Gründe, welche die Erhebung von Zinsen rechtfertigten. Zunächst profitiere offensichtlich die Person, die ein Darlehen erhält, dann ist der Zins die Prämie, die den Verleiher des Geldes für das Risiko, das er auf sich genommen hat, entschädigt. Außerdem verlor der Verleiher durch die Gewährung des Darlehens die Möglichkeit, das Geld auf andere Art gewinnbringend zu verwenden. So wurde das Geld selbst als Handelsware gesehen, und die Benutzung von Geld als etwas, das für alle Beteiligten vorteilhaft sein kann.

Wichtig ist der theologische Kontext der Argumentation. De Vitoria entwickelte die Idee, dass die Willensfreiheit ein Geschenk Gottes an jeden Einzelnen sei. Es sei allerdings unmöglich, dass der Wille jeder Person immer das Gute wählt. Deshalb entstehe das Böse als notwendige Konsequenz des freien Willens der Menschen.

Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)

Weitere Literatur: Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993 -- Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis) -- Jesús Huerta de Soto: La teoría bancaria en la Escuela de Salamanca, online unter: http://www.ilustracionliberal.com/11/la-teoria-bancaria-en-la-escuela-de-salamanca-jesus-huerta-de-soto.html  

Einige wichtige Hinweise auf die Haltung der Schule von Salamanca verdanke ich dem "Retablo de la Vida Antigua".


Donnerstag, 12. Juli 2012

Martin Luther und die Handelsgesellschaften


Martin Luther um 1520 (Lucas Cranach d.Ä.)
Unmittelbar nach der reformatorischen Entdeckung des gnädigen Gottes und der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 beginnt Martin Luther mit der Ausarbeitung eines reformatorischen Programms, mit dem er das kirchlich-religiöse Leben neu gestalten will.

Unweigerlich berührt er dabei auch wichtige Themen des weltlichen Alltags, insbesondere aber aktuelle ökonomische Fragen. Das Thema des Zinsnehmens behandelt „Sermonen von dem Wucher“ (1519 / 1520).

In seiner dritten Schrift zu wirtschaftlichen Fragen, die den Titel „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524) trägt, behandelt Luther das Thema des pretium iustum, also des gerechten Preises. In der gleichen Schrift kritisiert Luther auch die Handlungsweise der großen Handelsgesellschaften.

Die Entstehung der Schrift steht eng im Zusammenhang mit der Antimonopolbewegung im Reich, die ihren Höhepunkt zwischen 1520 und 1530 erreichte und dabei „von nahezu allen Schichten des Volkes getragen wurde“ (Blaich).

Schließlich sahen sich die höchsten Instanzen des Reiches gezwungen, dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht auf dem Wege der Antimonopolgesetzgebung zu begegnen. Die durch die Monopolwirtschaft der großen Handelsgesellschaften hervorgerufenen Schädigungen wurden auf den Reichstagen von Köln/Trier (1512), Worms (1521) und Nürnberg (1522-1524) ausgiebig diskutiert.

In Köln wurden im Reichsabschied Strafvorschriften gegen Monopole erlassen, auf den beiden folgenden Reichstagen richteten sich die Maßnahmen gegen die großen Handelsgesellschaften als solche.

Kaiser Karl V. (Lucas Cranach d.Ä.)

Neben der auf den Reichstagen geführten Diskussion über die Monopole erfolgten die ersten Monopolklagen durch den Reichsfiskal. Im Zentrum stand dabei der Prozess gegen die Augsburger Handelshäuser, allen voran die Fugger. Als die Angeklagten sich daraufhin direkt an Karl V. wandten, befahl dieser am 15.09.1523 dem Reichsfiskal „bei vermeidung unser schweren ungnad“, das Gerichtsverfahren einzustellen. Zwar sei auch der Kaiser „des willens und endtlicher meinung“, keine Monopole im Reich zuzulassen, dass er aber trotzdem „aus etlichen trefflichen und wolgegrünten ursachen ein verfahren wider obgemelt kaufleut“ zulassen könne.

Man kann wohl davon ausgehen, dass Luther sowohl von den unwirksamen Beschlüssen der Reichstage als auch von der inkonsequenten Haltung des Kaisers enttäuscht war. So sah er sich wohl gezwungen, das Thema des Wuchers im Hinblick auf den gesamten Kaufhandel aufzugreifen.

Lutherfordert, den Preis „nach Recht und Billigkeit“ festzusetzen und es eben nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu überlassen, ihn zu regulieren. Konsequent verlangt Luther von den Kaufleuten, bei der Preisbildung immer auch das Wohl des Nächsten im Blick zu haben.

Luther macht in dem Verhalten der Handelsgesellschaften eine Haltung aus, die über den Weg monopolistischer Marktbeherrschung höchste Profite zu erzielen versucht. Es geht Luther dabei gar nicht so sehr um den Tatbestand des Monopols als solchem, sondern um den Zweck, der mit ihm verfolgt wird.

Anstelle des durch „Billigkeit“ und mit Blick auf den Mitmenschen geregelten Preises würden die Monopole einen künstlichen, durch Eigennutz bestimmten Preis festsetzen: „Denn solche Kauffleut tun gerade, als wären die Creaturen und Güter Gottes allein für sie geschaffen und gegeben, und als möchten sie dieselben den anderen wegnehmen und nach ihrem Mutwillen festsetzen“ (WA 15,305,28ff).

Auch der Antimonopolbewegung ging es darum, die Missstände zu beseitigen, die sich aus dem monopolistischen Verhalten ergaben. Ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele bestanden im wesentlichen in der Wiederherstellung der Preisgerechtigkeit, der Verhinderung einseitiger Vermögenskonzentration und der Existenzsicherung der „kleinen“ Kaufleute.

Jakob Fugger (rechts) mit seinem Hauptbuchhalter Matthäus Schwarz in der „Goldenen Schreibstube“ der Fugger, dem Fuggerkontor

Luther erkannte jedoch sehr genau, dass Kirche und Staat in der Praxis durch ihren ungeheuren Finanzbedarf auf den kapitalistischen Kaufmann angewiesen, ja von ihm abhängig waren. Auf diesem Weg drangen die Handelsgesellschaften immer stärker in die Wirtschaftsordnung ein. So schreibt Luther: „Die Fürsten sind der Diebe Gesellen geworden. Derweil lassen sie die Diebe hängen, die einen oder einen halben Gulden gestohlen haben, aber hantieren mit denen, die alle Welt berauben und mehr stehlen als alle anderen zusammen“ (313,5ff)

Luthers Kritik stand nicht nur im Einklang mit den Forderungen der Antimonopolbewegung im Reich, sondern auch mit der kirchlichen Tradition. In der Scholastik sah man in den Monopolen schlichten Betrug, der sich aus der Forderung ungerechter Preise ergab und zu Verzerrungen der üblichen Marktpreise führte: "Sie unterdrücken und verderben alle geringen Kaufleute, gleich wie der Hecht die kleinen Fische im Wasser" (312,4).

Weil die die Entstehens- und Existenzbedingungen der Handelsgesellschaften auf Eigennutz und auf Schädigung des Nächsten abzielen, fordert Luther ihre Abschaffung: "Sollen die Gesellschaften bleiben, so muss Recht und Redlichkeit untergehen. Soll Recht und Redlichkeit bleiben, so müssen die Gesellschaften untergehen. Das Bett ist zu enge, spricht Jesaja, eines muss herausfallen" (313,19 - Jes 28,20).

Luther will in seinen Schriften „Unterricht geben für jedermann“, jedoch nicht im Sinne einer neuen wirtschaftlichen Programmatik. Dies sei eindeutig die Aufgabe der Obrigkeit (311,23). Luther geht es um Aufklärung und Gewissensbildung. So wendet er sich an die, die „Christo gehorchen und lieber wollten mit Gott arm als mit dem Teufel reich sein“ (293,24f).

Luther ging es nicht um eine grundsätzliche Kritik des Handels, den er als für das Gemeinschaftsleben notwendig anerkannte. Aber er verlangt, das der Kaufmann vor allen anderen normativen Erwägungen – dazu gehören auch die eigengesetzlichen Mechanismen der Wirtschaft – die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat:

„Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, dass frei in deiner Macht und deinem Willen steht ohne alles Gesetz und Maß, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasset sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).
  
Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)

Weitere Literatur:  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Fritz Blaich: Die Reichsmonopolgesetzgebung im Zeitalter Karls V. Ihr ordnungspolitische Problematik, in: Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen, hg. von Prof. Dr. K. Paul Hensel und Prof. Dr. Klemens Pleyer, Stuttgart 1967 (Gustav Fischer Verlag)

Sonntag, 22. April 2012

Martin Luther und der gerechte Preis


US Dollar Sign (Andy Warhol)
Eines der fundamentalen Probleme im Zusammenhang mit dem Thema „Geld und Gerechtigkeit“ ist die Frage nach dem gerechten Preis.

Lange Zeit war die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung von Tausch- und Verteilungs-gerechtigkeit entscheidend für die Beurteilung des Preises.

Das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) orientiert sich an der  Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen. Demnach sind die Preise ungerecht, wenn aufgrund der Höhe der Preise eine angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Grundgütern und die Herstellung und Bewahrung sozial angemessener Lebensverhältnisse nicht gewährleistet werden kann.

„Als ungerecht gilt, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung der Güter, die bürgerliche Gleichheit missachtet, also den Unersättlichen (pleonektēs). Somit gilt offenbar als gerecht, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung, also die bürgerliche Gleichheit achtet“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1129a31ff).

Nach Aristoteles wird die Verteilungsgerechtigkeit durch die Rechtsordnung der Polis garantiert, die auf der Gleichheit ihrer Bürger vor dem Gesetz beruht. Auf diese Weise wird zugleich die Voraussetzung für eine auf Tauschgerechtigkeit beruhenden Wirtschaftstätigkeit geschaffen.

Geht man von der Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) aus, dann ist der Preis gerecht, wenn eine Ware zu einem Preis verkauft wird, der den Herstellungs- und Beschaffungskosten entspricht. Andernfalls läge der Tatbestand des Betruges oder Wuchers vor.

Die mittelalterliche Lehre vom iustum pretium, wie man sie etwa bei Thomas von Aquin findet, berechnet den Wert einer Ware genau auf dieser Grundlage der objektiven Kosten von Herstellung und Beschaffung. Thomas bestimmt den Wert eines Gutes zwar über den Marktpreis, dennoch ist es für ihn ungerecht, eine Sache teurer zu verkaufen oder billiger einkaufen als sie wert ist oder beim Kauf Notlagen ausnutzen. Dagegen hält Thomas von Aquin maßvolle Gewinne aus dem Handel für zulässig. So darf der Preis auch die Vergütung für einen entgangenen Nutzen des Verkäufers sein.

Martin Luther
Auch Martin Luthers Gedanken zum gerechten Preis stehen ganz in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin. In seiner Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524), neben den beiden Sermonen gegen den Wucher die dritte Schrift Luthers zu wirtschaftlichen Fragen, geht Luther zwar davon aus, das der Handel hinsichtlich der Befriedigung der täglichen Bedürfnisse „ein nötig Ding“ sei, weist aber darauf hin, dass „manch böser Griff und schädliche Finanze im Brauch sind“ (WA 15, 293,9f).

Luther fordert deshalb, die Preise nach „Recht und Billigkeit“ festzusetzen. Der Gewinn des Händlers solle sich dabei am  Prinzip der „ziemlichen Nahrung“ ausrichten. Dieses Prinzip wurde im 14. Jahrhundert von Heinrich von Langenstein in seinem „Tractatus bipartitus de contractibus emtionis et venditionis“ entwickelt und beschreibt ursprünglich die Vorstellung eines „standesgemäßen Unterhaltes.“ 

Luther dagegen verwendet den Begriff der "ziemlichen Nahrung" nicht im Sinne feudaler Ansprüche, sondern als Kriterium für ein verantwortliche ökonomisches Handelns. Es geht ihm hierbei vor allem um Bedarfsdeckung des Kaufmanns im Sinne einer lebensnotwendigen Versorgung mit Grundgütern, einschließlich Unkostenerstattung und angemessener Entlohnung.

Entscheidend ist jedoch, dass Luther den Begriff des pretium iustum in Beziehung setzt zum Begriff der „Billigkeit“, worunter im Allgemeinen eine Anpassung eines Rechtssatzes an einen konkreten Fall verstanden wird. „Billigkeit“ steht also im Spannungsfeld zwischen zwei Interessen: der Forderung nach Eindeutigkeit des geschriebenen Gesetzes und der unerlässlichen Flexibilität gegenüber unerwarteten, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Situationen.  

Weil Luther „Billigkeit“ also im Sinn einer sittlichen Gerechtigkeit und nicht als kodifiziertes Recht versteht, geht es ihm letztlich gar nicht um eine nach rein ökonomischen Kriterien ausgerichtete Preisbildung, ob sie nun durch behördliche Festsetzung oder durch die inneren Kräfte des Marktes bestimmt wird. 

Ein bekannter Kaufmann ...
Luther will vielmehr die ethische Grundentscheidung des Kaufmannes den ökonomischen Regulierungsmechanismen vorgeordnet sehen. Dabei genüge es schon, wenn der Kaufmann mit gutem Gewissen danach trachtet, das rechte Maß, also die „ziemliche Nahrung“ zu treffen. Das Ziel Luthers ist eine optimale Güter- und Einkommensverteilung unter dem Blickwinkel des Allgemeinwohls, aber auch eine für Käufer- und Verkäuferseite akzeptable Preisgestaltung.

An entscheidender Stelle schreibt Luther: „Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das frei in deiner Macht und deinem Willen ohne jedes Gesetz und Maß steht, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasst sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).

Eine nach Luther richtige Einstellung des Kaufmanns zu seinem Gewerbe ist demnach erst dann gegeben, wenn dieser vor allen anderen normativen Erwägungen die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat. Auch wenn der Kaufmann nicht durch staatliche oder kirchliche Obrigkeit durch Gesetz in der Ausübung seiner Wirtschaftstätigkeit gebunden wird, so findet er dennoch in der freien Unterstellung der Person unter das Evangelium eine bindende Norm. 

Literatur: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)  --  Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, München 1991 (dtv)  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993

Sonntag, 18. März 2012

Martin Luther und der Wucher

Martin Luther (Lucas Cranach d.Ä.) 
Unmittelbar nach der reformatorischen Entdeckung des gnädigen Gottes und der Veröffentlichung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 beginnt Martin Luther mit der Ausarbeitung eines reformatorischen Programms, mit dem er das kirchlich-religiöse Leben neu gestalten will. Unweigerlich berührt er dabei auch wichtige Themen des weltlichen Alltags, so die Frage des Zinsnehmens. 
 
Im November 1519 veröffentlicht Luther seinen „Kleinen Sermon von dem Wucher“, dem zwei Monate später der „Große Sermon von dem Wucher“ folgt.
 
Luther beobachtet, dass „Geiz und Wucher nicht allein gewaltig in aller Welt eingerissen sind, sondern auch sich unterstanden haben, etliche Schanddeckel zu suchen, darunter sie, für billig geachtet, ihre Bosheit frei möchten treiben“ (36,7). Zu den Praktiken, die Luther kritisch betrachtet, gehören sowohl Zinsgewinne aus Darlehen wie Zinsgewinne aus Kapitalgeschäften, wie dem Zinskauf.
 
In der Frage des Darlehenszinses steht Luther ganz in der kanonistischen Tradition des Zinsverbotes. Bei Thomas von Aquin findet sich das Argument, dass bei einem verzinsten Darlehen derselbe Gegenstand zweimal verkauft werde: zunächst als Geldsumme, die zurück erstattet werden muss, zum anderen die Nutzung dieser Summe, für die ein Zins bezahlt werden musst. Diesen doppelten Verkauf einer Sache bezeichnet Thomas als Wucher.
 
Thomas von Aquin berief sich dabei auf die aristotelische Theorie von der Unfruchtbarkeit des Geldes. Danach galt das Geld als Konsumgut (so wie Wein, Öl, Gewürze), das durch Gebrauch verbraucht wird und deshalb nicht fruchtbar ist. Ein wichtiger Gebrauch des Geldes bestand beispielsweise darin, Verteilungstörungen im gewünschten ökonomischen Gleichgewicht (aequalitas) auszugleichen, so dass es weder Überfluss (superfluum) noch Armut (extrema necessitas) gab. Sein Wert ergab nicht also aus seiner Nutzung und seinem Verbrauch (res primo uso consumptibilis)

Auch Luther definiert „leihen“ im Anschluss an Lk 6,35 „etwas einem anderen dar strecken und umsonst mit bedingen … und nicht mehr zu nehmen“, d.h. ohne Zinsforderungen, ohne „Eigennutz“ und „Eigenvorteil“ (47,29) und ohne das „Interesse, das ist der Nutz, den sie weil möchten schaffen mit der verliehenen Wahre“ (50,5).
 

Der Goldwäger und seine Frau (Quentin Massys, 1514): Die Bibel liegt zwar auf dem Tisch, aber die Blicke sind dem Gold zugewandt - die alten Leitbilder werden brüchig ... 

Luther fordert vielmehr von den Christen, „dass wir sollen geben frei umsonst jedermann, der dessen bedarf oder begehret“ (41,16), und dass man gern „ohne allen Aufsatz und Zins“ (47,6) leihen oder borgen soll. Alles andere sei Wucher, also „wider die Natur handeln, tödlich sündigen“ (49,4).

Anders beurteilt Luther dagegen geschäftliche Zinsgewinne, z.B. aus dem Zinskauf. Im Unterschied zum einfachen Darlehenszins lag hierbei die Vorstellung eines realen Kaufgeschäftes zugrunde. Der Schuldner (Zinsmann) fungierte als Verkäufer des Zinses, den er aus einer bestimmten landwirtschaftlichen Fläche erarbeitet und gegen eine Kaufsumme an den Gläubiger (Zinsherr) verkaufte.
 
Zwar ist dieses Geschäft für Luther kein „Wucher“ im eigentlichen Sinn, er entlarvt aber seinen wucherischen Charakter, weil „in dem selben ein hübscher Schein und Gleißen ist, wie man ohne Sünde andere Leute beschweren und ohne Sorge oder Mühe reich werden möge“ (51,15).
 
Ausschlaggebend für Luthers Urteil ist seine Beobachtung, dass beim Zinskauf kein Risiko für den Zinsherrn bestand, weil er einen Anspruch auf einen festen Gewinn hatte. Zinsen dürfen nach Luther jedoch nur dann verlangt werden, wenn der Schuldner „seine Arbeit frei, gesund und ohne Hindernis brauchen möge“ (57,3).
 
Luther argumentiert hier mit der „Natur des Geldes“, die zwar die Möglichkeit, aber nicht die inhärente Sicherheit des Gewinns kenne. Im Handel aber sind neben Gewinnen auch Verluste möglich. Wer dieses Risiko nicht akzeptieren will und nur auf den eigenen Vorteil schaut, sei ein „Räuber und Mörder und reißt aus dem Armen sein Gut und Nahrung“ (57,20).
 
Der Zinskauf findet Luthers Zustimmung allein unter der Bedingung, dass „Käufer und Verkäufer beiderteil des ihren bedürfen“ (58,9), also der Handel zum Vorteil beider Seiten abgeschlossen wird. In diesem Fall ist ein Zins von 4-6 % erlaubt, wobei die Zinshöhe vor allem von der Bodenqualität abhängen soll. Höhere Zinssätze lehnt Luther kategorisch ab.
 
Die Kritik Luthers entzündet sich also weniger am Geschäft des Zinskaufes selbst, als an dem ihm innewohnenden hemmungslosen Gewinnstreben, also an seinem wuchererischen Charakter: „Ich denke, der Zinskauf sei nicht Wucher, mich dünkt aber, seine Art sei, das es ihm leid ist, das er kein Wucher sein darf, es fehlt nicht am Willen, aber er leider fromm sein“ (8,31).
 
Für Luther ist der Wucher Ausdruck eines wirtschaftlichen Egoismus. Er ist natürlich kein Feind des ökonomischen Handelns, aber er verurteilt kompromisslos jedes Verhalten, das sich auf Ausbeutung des Nächsten und Profitmaximierung, auf Eigennutz, Selbstübersteigerung und Missachtung der Notlage der Mitmenschen gründet – und genau dies wird für ihn in einigen praktizierten Finanzgeschäften seiner Zeit offensichtlich.
 
Letztlich sind Luthers Wuchersermone in einer Epoche tiefgreifender ökonomischer Umwälzungen und Neuerungen ein deutliches Plädoyer für ein stabiles gesamtgesellschaftliches Gefüge, das auch die stete Verbesserung der sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten mit einschließt.
 
Zitate aus: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)


Weitere Literatur: Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993  --  Günther Steuer: Studien über die theoretischen Grundlagen der Zinslehre bei Thomas von Aquin, Dissertation, Tübingen 1936  --  Hans-Günther Assel: Das kanonische Zinsverbot und der „Geist“ des Frühkapitalismus in der Wirtschaftsethik bei Eck und Luther, Dissertation, Erlangen 1948