Donnerstag, 12. September 2013

John Stuart Mill und die Freiheit des Einzelnen

John Stuart Mill war einer der einflussreichsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. In der Ethik war Mill Utilitarist. Als politischer Philosoph begründete er den modernen Liberalismus, der die Hauptaufgabe des Staates darin sah, die individuelle Freiheit zu schützen und zu verteidigen.

John Stuart Mill  (1806 - 1873)
John Stuart Mill studierte bereits in ganz jungen Jahren unter Anleitung seines Vaters klassisches Griechisch und Latein, Mathematik, Geschichte und später auch Nationalökonomie, Naturwissenschaften und Rechtswissenschaft. Mill war kein akademischer Philosoph, sondern eher ein produktiver politischer und wissenschaftlicher Publizist, der sich lange Zeit seinen Lebensunterhalt als Angestellter der Ostindischen Kompanie verdiente. Für kurze Zeit gehörte er als Abgeordneter auch dem Unterhaus an.

In seinem berühmten Essay „Über die Freiheit“ behandelt Mill gleich im ersten Kapitel das Verhältnis von staatlicher Macht und individueller Freiheit: „Der Gegenstand dieser Untersuchung ist nicht die sogenannte `Willensfreiheit´…, sondern es handelt es sich um die bürgerliche oder soziale Freiheit. Wir untersuchen die Natur und die Grenzen der Macht, die gesetzmäßig von der Gesellschaft über das Individuum ausgeübt werden darf“ (9).

Schon in der Antike verstand man unter Freiheit den Schutz gegen die Tyrannei der politischen Herrscher. Dabei ging es vorrangig darum, „der Gewalt, die der Herrscher über seine Untertanen ausüben durfte, Grenzen zu setzen, und diese Begrenzung nannte man `Freiheit´.“ Aber auch die antiken Staaten glaubten sich berechtigt – unterstützt von Philosophen wie Platon –, durch öffentliche Autorität jedes Gebiet des Privatlebens deshalb zu regeln, weil der Staat ein tief greifendes Interesse an der ganzen körperlichen und geistigen Disziplin jedes Einzelnen hatte.

Für Mill jedoch reicht es nicht, sich nur gegen die Tyrannei der Machthaber zu schützen, denn es besteht – abgesehen von den besonderen Leistungen einzelner Denker wie John Locke – "in der Welt schon immer eine zunehmende Neigung, die Macht der Gesellschaft über das einzelne Individuum ungebührlich zu vermehren durch den Einfluss der Meinung, wie durch den der Gesetzgebung“ (28).


John Locke - Für das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

So müsse man sich zunächst wehren „gegen die Bevormundung der herrschenden Meinung und des herrschenden Gefühls. Man muss sich schützen gegen die Absicht der Gesellschaft, durch andere Mittel als bürgerliche Strafen ihr eigenes Denken und Tun als Regel auch solchen aufzuerlegen, die davon abweichen. Man muss sich hüten vor der Neigung der Gesellschaft, die Entwicklung zu hemmen und, wenn möglich, die Bildung jeder Individualität zu hindern, die mit den Wegen der Allgemeinheit nicht übereinstimmt, und alle Charaktere zu zwingen, sich nach ihrem eignen Muster zu richten. 

Es gibt eine Grenze für das berechtigte Eingreifen der allgemeinen Meinung in die persönliche Unabhängigkeit, und diese Grenze zu finden und sie gegen Übergriffe zu schützen, ist für eine gute Sicherung des menschlichen Lebens ebenso unentbehrlich, wie der Schutz gegen politischen Despotismus (14f).“ Diese Worte enthalten ein klares Plädoyer für ein an der Ausbildung von Kritikfähigkeit ausgerichtetes Bildungs- und Erziehungssystem.

Die Garantie individueller Unabhängigkeit und Freiheit angesichts der Beeinflussungs- und Kontrolltendenzen der Gesellschaft führt Mill nun direkt zu dem Zweck seiner Überlegungen, d.h. dem Grundsatz, nach dem der Staat in die Angelegenheiten des Einzelnen eingreifen darf: „Dieser Grundsatz lautet: das einzige Ziel, um dessentwillen es der Menschheit gestattet ist, einzeln oder vereint, die Freiheit eines ihrer Mitglieder zu beschränken, ist Selbstschutz. Und der einzige Zweck, um dessentwillen man mit Recht gegen ein Glied einer gebildeten Gesellschaft Gewalt gebrauchen darf, ist: Schaden für andere zu verhüten“ (21).

On Liberty (4. Aufl.)
Seine Grenze findet die staatliche Macht jedoch in der individuellen Suche nach Sinn und Glück: „Man kann jemanden gerechterweise nicht zwingen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, weil es für ihn selbst so besser sei, weil es ihn glücklicher machen würde, oder weil es nach der Meinung anderer weise oder gerecht wäre, wenn er so handelte. Dies sind gute Gründe, um jemandem Vorstellungen zu machen oder mit ihm zu debattieren, ihn zu überzeugen oder in ihn zu dringen; aber es sind keine Motive, um ihn zu zwingen oder Strafen über ihn zu verhängen, falls er anders handelt. Um das zu rechtfertigen, muss das Handeln, von dem man jemand abbringen will, für einen anderen einen Schaden bedeuten“ (21f).

So sei nach Mill jeder nur für den Teil seiner Handlungen der Gesellschaft gegenüber verantwortlich, der andere betrifft. Alle Bereiche seines Lebens, die nur ihn selbst angehen, „ist seine Unabhängigkeit absolut. Der Mensch ist Alleinherrscher über sich selbst, über seinen Körper und seinen Geist“ (ebd.).

Aus diesen Überlegungen leitet Mill nun direkt die verschiedenen Freiheitsrechte des Individuums ab: „Dies ist also der eigentliche Bereich der menschlichen Freiheit. Er betrifft zunächst die Domäne des Gewissens und er fordert die Gewissensfreiheit im umfassendsten Sinn: Freiheit des Denkens und Fühlens, absolute Freiheit der Meinung und des Urteils, in allen Dingen, praktischen wie theoretischen, wissenschaftlichen, moralischen wie theologischen.

Die Freiheit, seine Meinung auszusprechen und zu veröffentlichen, scheint unter ein anderes Prinzip zu gehören, denn sie fällt unter das Gebiet der menschlichen Betätigungen, das sich an andere Menschen wendet. Aber sie ist doch ebenso wichtig, wie die Freiheit des Denkens selbst und beruht zum großen Teil auf denselben Prinzipien (...).

Sodann erfordert unser Prinzip Freiheit des Geschmacks und der Betätigung, die Freiheit, den Plan unseres Lebens so zu entwerfen, wie es unserem Charakter angemessen ist, zu tun, was wir wollen und die Folgen unseres Handelns zu tragen; ungehindert von unseren Mitmenschen, solange wie ihnen kein Leid zufügen, - ungehindert auch dann, wenn jene unser Handeln unmoralisch, verkehrt oder ungerecht finden sollten.

Schließlich folgt aus der Freiheit jedes Einzelnen innerhalb derselben Grenzen die Freiheit des Zusammenschlusses der Einzelnen, sofern er anderen kein Leid zufügt. Wobei allerdings die Voraussetzung ist, dass die Personen, die sich zusammenschließen, volljährig sind und weder gezwungen, noch getäuscht werden“ (25).

Zitate aus: J. S. Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda)


1 Kommentar:

  1. Schöner Artikel. Ich habe auch schon Artikel zu John Stuart Mill verfasst:

    https://klausgauger.wordpress.com/2011/10/16/henry-david-thoreau-walden-1854-und-john-stuart-mill-on-liberty-1859/

    https://klausgauger.wordpress.com/2013/04/29/the-final-conclusion-in-john-stuart-mills-on-liberty/

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