John Stuart Mill war einer der
einflussreichsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. In der Ethik war Mill
Utilitarist. Als politischer Philosoph begründete er den modernen Liberalismus,
der die Hauptaufgabe des Staates darin sah, die individuelle Freiheit zu
schützen und zu verteidigen.
John Stuart Mill (1806 - 1873) |
John Stuart Mill studierte bereits in ganz
jungen Jahren unter Anleitung seines Vaters klassisches Griechisch und Latein,
Mathematik, Geschichte und später auch Nationalökonomie, Naturwissenschaften
und Rechtswissenschaft. Mill war kein akademischer Philosoph, sondern eher ein
produktiver politischer und wissenschaftlicher Publizist, der sich lange Zeit seinen
Lebensunterhalt als Angestellter der Ostindischen Kompanie verdiente. Für kurze
Zeit gehörte er als Abgeordneter auch dem Unterhaus an.
In seinem berühmten Essay „Über die Freiheit“
behandelt Mill gleich im ersten Kapitel das Verhältnis von staatlicher Macht
und individueller Freiheit: „Der Gegenstand dieser Untersuchung ist nicht die
sogenannte `Willensfreiheit´…, sondern es handelt es sich um die bürgerliche oder soziale Freiheit. Wir untersuchen die Natur und die Grenzen der
Macht, die gesetzmäßig von der Gesellschaft über das Individuum ausgeübt werden
darf“ (9).
Schon in der Antike verstand man unter Freiheit
den Schutz gegen die Tyrannei der politischen Herrscher. Dabei ging es vorrangig
darum, „der Gewalt, die der Herrscher über seine Untertanen ausüben durfte,
Grenzen zu setzen, und diese Begrenzung nannte man `Freiheit´.“ Aber auch die antiken
Staaten glaubten sich berechtigt – unterstützt von Philosophen wie Platon –, durch
öffentliche Autorität jedes Gebiet des Privatlebens deshalb zu regeln, weil der
Staat ein tief greifendes Interesse an der ganzen körperlichen und geistigen
Disziplin jedes Einzelnen hatte.
Für Mill jedoch reicht es nicht, sich nur
gegen die Tyrannei der Machthaber zu schützen, denn es besteht – abgesehen von
den besonderen Leistungen einzelner Denker wie John Locke – "in der Welt schon immer eine zunehmende
Neigung, die Macht der Gesellschaft über das einzelne Individuum ungebührlich
zu vermehren durch den Einfluss der Meinung, wie durch den der Gesetzgebung“
(28).
John Locke - Für das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit |
So müsse man sich zunächst wehren „gegen die
Bevormundung der herrschenden Meinung und des herrschenden Gefühls. Man muss
sich schützen gegen die Absicht der Gesellschaft, durch andere Mittel als
bürgerliche Strafen ihr eigenes Denken und Tun als Regel auch solchen
aufzuerlegen, die davon abweichen. Man muss sich hüten vor der Neigung der
Gesellschaft, die Entwicklung zu hemmen und, wenn möglich, die Bildung jeder
Individualität zu hindern, die mit den Wegen der Allgemeinheit nicht
übereinstimmt, und alle Charaktere zu zwingen, sich nach ihrem eignen Muster zu
richten.
Es gibt eine Grenze für das berechtigte Eingreifen der allgemeinen
Meinung in die persönliche Unabhängigkeit, und diese Grenze zu finden und sie
gegen Übergriffe zu schützen, ist für eine gute Sicherung des menschlichen
Lebens ebenso unentbehrlich, wie der Schutz gegen politischen Despotismus (14f).“
Diese Worte enthalten ein klares Plädoyer für ein an der Ausbildung von Kritikfähigkeit ausgerichtetes Bildungs- und Erziehungssystem.
Die Garantie individueller Unabhängigkeit und
Freiheit angesichts der Beeinflussungs- und Kontrolltendenzen der Gesellschaft führt
Mill nun direkt zu dem Zweck seiner Überlegungen, d.h. dem Grundsatz, nach dem
der Staat in die Angelegenheiten des Einzelnen eingreifen darf: „Dieser
Grundsatz lautet: das einzige Ziel, um dessentwillen es der Menschheit
gestattet ist, einzeln oder vereint, die Freiheit eines ihrer Mitglieder zu
beschränken, ist Selbstschutz. Und der einzige Zweck, um dessentwillen man mit
Recht gegen ein Glied einer gebildeten Gesellschaft Gewalt gebrauchen darf,
ist: Schaden für andere zu verhüten“ (21).
On Liberty (4. Aufl.) |
Seine Grenze findet die staatliche Macht
jedoch in der individuellen Suche nach Sinn und Glück: „Man kann jemanden
gerechterweise nicht zwingen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, weil
es für ihn selbst so besser sei, weil es ihn glücklicher machen würde, oder
weil es nach der Meinung anderer weise oder gerecht wäre, wenn er so handelte.
Dies sind gute Gründe, um jemandem Vorstellungen zu machen oder mit ihm zu
debattieren, ihn zu überzeugen oder in ihn zu dringen; aber es sind keine
Motive, um ihn zu zwingen oder Strafen über ihn zu verhängen, falls er anders
handelt. Um das zu rechtfertigen, muss das Handeln, von dem man jemand
abbringen will, für einen anderen einen Schaden bedeuten“ (21f).
So sei nach Mill jeder nur für den Teil
seiner Handlungen der Gesellschaft gegenüber verantwortlich, der andere betrifft.
Alle Bereiche seines Lebens, die nur ihn selbst angehen, „ist seine
Unabhängigkeit absolut. Der Mensch ist Alleinherrscher über sich selbst, über
seinen Körper und seinen Geist“ (ebd.).
Aus diesen Überlegungen leitet Mill nun
direkt die verschiedenen Freiheitsrechte des Individuums ab: „Dies ist also der
eigentliche Bereich der menschlichen Freiheit. Er betrifft zunächst die Domäne
des Gewissens und er fordert die Gewissensfreiheit im umfassendsten Sinn:
Freiheit des Denkens und Fühlens, absolute Freiheit der Meinung und des
Urteils, in allen Dingen, praktischen wie theoretischen, wissenschaftlichen,
moralischen wie theologischen.
Die Freiheit, seine Meinung auszusprechen und
zu veröffentlichen, scheint unter ein anderes Prinzip zu gehören, denn sie
fällt unter das Gebiet der menschlichen Betätigungen, das sich an andere
Menschen wendet. Aber sie ist doch ebenso wichtig, wie die Freiheit des Denkens
selbst und beruht zum großen Teil auf denselben Prinzipien (...).
Sodann erfordert unser Prinzip Freiheit des
Geschmacks und der Betätigung, die Freiheit, den Plan unseres Lebens so zu
entwerfen, wie es unserem Charakter angemessen ist, zu tun, was wir wollen und
die Folgen unseres Handelns zu tragen; ungehindert von unseren Mitmenschen,
solange wie ihnen kein Leid zufügen, - ungehindert auch dann, wenn jene unser
Handeln unmoralisch, verkehrt oder ungerecht finden sollten.
Schließlich folgt aus der Freiheit jedes
Einzelnen innerhalb derselben Grenzen die Freiheit des Zusammenschlusses der
Einzelnen, sofern er anderen kein Leid zufügt. Wobei allerdings die
Voraussetzung ist, dass die Personen, die sich zusammenschließen, volljährig
sind und weder gezwungen, noch getäuscht werden“ (25).
Schöner Artikel. Ich habe auch schon Artikel zu John Stuart Mill verfasst:
AntwortenLöschenhttps://klausgauger.wordpress.com/2011/10/16/henry-david-thoreau-walden-1854-und-john-stuart-mill-on-liberty-1859/
https://klausgauger.wordpress.com/2013/04/29/the-final-conclusion-in-john-stuart-mills-on-liberty/