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Donnerstag, 11. August 2022

Hannah Arendt und die Freundschaft

Neben vielen Ehrungen und Preisen wurde Hannah Arendt im Jahre 1959 mit dem Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. In ihrer Rede mit dem Titel „Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten“, die sie am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Preises hielt, vertrat Arendt die Ansicht, Kritik sei stets das Begreifen und Beurteilen im Interesse der Welt, woraus gleichwohl niemals eine Weltanschauung werden könne, „die sich auf eine mögliche Perspektive festgelegt hat“. 

Hannah Arendt

Statt „Geschichtsbesessenheit“ und „Ideologieverschworenheit“ sieht Arendt das Ziel und die Aufgabe der Menschen darin, das freie Denken, mit Intelligenz, Tiefsinn und Mut, „ohne das Gebäude der Tradition“, zu wagen. Eine absolute Wahrheit existiere nicht, da sie sich im Austausch mit anderen sofort in eine „Meinung unter Meinungen“ verwandle und Teil des unendlichen Gesprächs der Menschen sei, in einem Raum, wo es viele Stimmen gibt. Jede einseitige Wahrheit, die auf nur einer Meinung beruht, sei „unmenschlich“.

Im letzten Teil ihrer Rede konkretisiert Arendt ihre Vorstellung von Menschlichkeit am Beispiel der Freundschaft. Schon in der Antike galt die Auffassung, „dass ein menschliches Leben nichts weniger entbehren könne als Freunde, ha dass ein Leben ohne Freunde nicht eigentlich lebenswert sei.“ Man dürfe allerdings nicht den Fehler machen, „in der Freundschaft ausschließlich ein Phänomen der Intimität zu sehen, in der die Freund unbehelligt von der Welt und ihren Ansprüchen einander die Seelen öffnen.“

Hannah Arendt erinnert daher im Rückgriff auf Aristoteles an die politische Relevanz der Freundschaft, demzufolge „die philia, die Freundschaft zwischen den Bürgern, eines der Grunderfordernisse des gesunden Gemeinwesens sei.“

So mag es auch nicht verwundern, dass für die Griechen, „das eigentliche Wesen der Freundschaft im Gespräch“ lag, und „das dauernde Miteinander-Sprechen“ erst die Bürger zu einer Polis vereinige.“

„Im Gespräch manifestiert sich die politische Bedeutung der Freundschaft und der ihr eigentümlichen Menschlichkeit, weil dies Gespräch (im Unterschied zu den Gesprächen der Intimität, in welchen individuelle Seelen über sich selbst sprechen), so sehr es von der Freude an der Anwesenheit des Freundes durchdrungen sein mag, der gemeinsamen Welt gilt, die in einem ganz präzisen Sinne unmenschlich bleibt, wenn sie nicht dauernd von Menschen besprochen wird. 

Denn menschlich ist die Welt nicht schon darum, weil sie von Menschen hergestellt ist, und sie wird auch nicht schon dadurch menschlich, dass in ihr die menschliche Stimme ertönt, sondern erst, wenn sie Gegenstand des Gespräches geworden ist.“

Die Welt wird nur menschlich, wenn sie Gegenstand des Gespräches geworden ist.

Darin liegt Arendt zufolge die Macht des Gespräches: „Was nicht Gegenstand des Gespräches werden kann, mag erhaben oder furchtbar oder unheimlich sein, es mag auch eine Menschenstimme finden, durch die es in die Welt hineintönt; menschlich gerade ist es nicht. Erst indem wir darüber sprechen, vermenschlichen wir, was in der Welt ist, wie das, was in unserem eigenen Inneren vorgeht, und in diesem Sprechen lernen wir, menschlich zu sein.“

Diese Form der Menschlichkeit bezeichneten die Griechen mit dem Begriff philanthropia, „eine `Liebe zu den Menschen´, die sich darin erweist, dass man bereit ist, die Welt mit ihnen zu teilen. In der römischen humanitas habe die griechische Philanthropie zwar manche Änderung erfahren – u.a., dass Menschen verschiedener Herkunft und Abstammung das römische Bürgerrecht erhalten und so in das Gespräch zwischen Römern über die Welt und das Leben aufgenommen wurden -, aber der politische Hintergrund der griechischen Philanthropie blieb auch der römischen humanitas erhalten.

Zitate aus: Hannah Arendt: Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede am 28. September 1959 bei der Entgegennahme des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1999 (EVA)

Donnerstag, 9. August 2012

Marcus Tullius Cicero und die Freundschaft


Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v.Chr.)
Im Herbst 44 v.Chr. schrieb Marcus Tullius Cicero – Politiker, Rechtsanwalt, Schriftsteller und Philosoph – eines der schönsten Werke über die Freundschaft: „Laelius de amicitia“.

Amicitia“ war in der Rom gewöhnlich der Begriff, mit dem man alle Freundschaften im philosophischen, sozialen und politischen Bereich bezeichnete. Zur Beschreibung einer persönlichen Freundschaft dagegen verwendete man den Terminus „familiaritas“.

Vor allem in der römischen Republik waren die politisch-freundschaftlichen Beziehungen zwischen hochgestellten Personen wichtig, um sich gegenseitig bei Wahlen oder Prozessen zu unterstützen. Eine ähnliche Funktion besaß auch der Patron als amicus seiner Klienten. „Für eine gute Herrschaft gibt es keine bessere Hälfte als verlässliche und verständige Freunde“, schreibt Tacitus (Historien, IV,7).

Aufschlussreich ist die Tatsache, dass eine politische Freundschaft nicht notwendig zugleich auch eine persönliche sein musste. Cicero beispielsweise nannte Quintus Fufius Calenus einen amicus, obwohl er ihn persönlich nicht ausstehen konnte (Briefe an Atticus, 15,4,1).

In der Kaiserzeit galten alle hohen Funktionsträger als amici augusti. Ein „kaiserlicher Freund“ hatte zwar einen hohen sozialen und politischen Stand, der Verlust der kaiserlichen Freundschaft hingegen bedeutete für nicht Wenige den sicheren Tod.

Vor diesem Hintergrund schreibt Cicero seinen Laelius und verteidigt eine philosophische Sicht der amicitia. Das Werk hat die Form eines Dialoges, an dem Gaius Laelius und seine beiden Schwiegersöhne Quintus Mucius Scaevola und Gaius Fannius teilnehmen.

Laelius selbst war Staatsmann (Konsul 140 v.Chr.) und Offizier, aber auch ein angesehener Redner. Er pflegte einen regen Umgang mit Schriftstellern, hatte vielfältige philosophische Interessen und war berühmt für seine klugen Gedanken, was ihm den Beiname sapiens einbrachte. Das Gespräch spielt im Jahr 129 v.Chr., kurz nach dem Tod von Scipio Aemilianus, mit dem Laelius eine tiefe und beispielhafte Freundschaft verband.

Das Werk ist klar gegliedert: Das Proömium und das abschließende Lob auf die Tugend umrahmen den Hauptteil, in dem vier Aspekte des Themas behandelt werden: Der Wert der Freundschaft, das Wesen der Freundschaft, die Freundschaft zwischen Waisen und gewöhnliche Freundschaften.

Handschrift aus der Biblioteca Palatina (Heidelberg, 15. Jh.)
Cicero beginnt seine Schrift unter der Prämisse, dass die Freundschaft den Vorzug vor allen irdischen Gütern verdient. Sie setze vollkommene Übereinstimmung zwischen zwei Menschen in allen göttlichen und menschlichen Dingen voraus, verbunden mit Wohlwollen und Liebe. Freundschaft ist somit als das höchste aller äußeren Güter zu betrachten, denn während alle anderen äußeren Güter nur einzelnen Zwecken dienen, verbreitet sich die Freundschaft über die meisten Lebensverhältnisse und ist immer angenehm (18ff).

Der Grund wahrer Freundschaft ist die auf Tugend beruhende Liebe, nicht Hilfsbedürftigkeit. Wird diese auf Tugend beruhende Liebe durch gegenseitige Leistungen und durch persönliche Zuneigung befestigt, so erreicht Freundschaft ihre wahre Vollkommenheit und ist geschützt gegen alle Gefahren.

Freundschaft ist für Cicero untrennbar verbunden mit der Tugend, denn die Tugend ist nicht nur der Ursprung aller Freundschaft, sondern ohne sie kann keine Freundschaft bestehen (23).

So dürfe man weder von dem Freunde etwas Unsittliches verlangen, noch dem Freunde gewähren. Für Cicero besteht dabei das Unsittliche im Sinne eines römischen Staatsmannes in allem , was dem Staat nachteilig sein kann. Eine Freundschaft zu jemandem, der eine feindliche Gesinnung gegen die römische Republik hegt, ist somit sofort wieder aufzulösen (36ff).

Zur Freundschaft gehöre auch ein gemeinsames Bemühen um ein vorbildliches Leben, bei dem jeder des anderen Kritiker sein sollte. So sei es die Pflicht der Freunde, auch unaufgefordert im Sinne der Tugend dem Freunde mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sowie auch dessen wohlmeinenden Ermahnungen Folge zu leisten.

In diesem Zusammenhang sind die Eigenschaften eines Freundes für Cicero von entscheidender Bedeutung, darunter Charakterfestigkeit, Treue und, damit verbunden, Aufrichtigkeit, Umgänglichkeit und Gleichheit der Gesinnung. Zu diesen Eigenschaften muss aber auch eine gewisse Liebenswürdigkeit des Wesens als Würze der Freundschaft hinzutreten (62ff). So ist Cicero auch der Ansicht, dass „wahre Freundschaft mit hohen Ehren- und Machtpositionen schwerlich zu vereinen ist“ (64).

Was aber, wenn keine Gleichheit zwischen zwei Freunden vorliegt? Dann müsse eben Gleichheit hergestellt werden, indem es für die Höherstehenden eine Pflicht ist, sich zu den Niedrigeren herabzulassen und sich ihnen gleichzustellen. Für die Niedrigeren aber besteht die Pflicht darin, sich moralisch zu erheben und über die Vorzüge des anderen nicht verdrießlich zu werden (71ff).

Grundsätzlich gilt, dass man vom Freunde nicht verlangen darf, was man selbst nicht sein und leisten kann: Sei zuerst selbst gut, sodann suche einen dir einen dir Ähnlichen! Die Freundschaft ist dem Menschen von der Natur nicht als Gefährtin zum Laster, sondern als Gehilfin der Tugend gegeben. Die Tugend in Gemeinschaft mit der Freundschaft ist fähig das höchste Ziel zu erreichen, das heißt die auf Vernünftigkeit und Sittlichkeit beruhende Glückseligkeit (83ff).

Von solcher Art war die Freundschaft zwischen Laelius und Scipio, von solcher Art sollte jede Freundschaft sein.

Zitate aus: Cicero: Laelius. Über die Freundschaft, Stuttgart 1986 (Reclam)  --  Der lateinische Text ist online zu finden bei Wikisource,  oder auch, teilweise mit deutscher Übersetzung, im Oracle Think Quest, ansonsten auch beim Projekt Gutenberg.

Weitere Literatur: Karl Büchner: Der Laelius Ciceros, in: Museum Helveticum, Bd. 9, 1952, S. 88ff  --  Alexander Demandt: Das Privatleben der römischen Kaiser, München 1997 (C.H.Beck)