Donnerstag, 12. Dezember 2013

Horst Wolfgang Boger und der Staat als Super Super Nanny

"Die Super Nanny" war eine Sendung des TV-Senders RTL, in der die Diplom Pädagogin Katharina Saalfrank Familien in Erziehungsfragen beriet. Das Originalformat stammt aus Großbritannien. In Deutschland lief die Sendung seit der Erstausstrahlung am 19. September 2004 bis ins Jahr 2011.

Jede Sendung verlief nach dem gleichen Grundmuster: „Die Super Nanny Katia Saalfrank, besucht Familien in Not, sie bleibt einige Tage, spricht system-pädagogische Sätze (was immer genau das heißen mag), die wahre und vor allem nachhaltige Wunder wirken, und sucht dann die nächste Familie in ihrem Heim auf.

“Off with her head“ (John Tennier - "Alice im Wunderland")
Die Super Nanny sieht gut aus, die Super Nanny ist super-empathisch, die Super Nanny ist super-sympathisch, die Super Nanny denkt niemals an sich selbst, die Super Nanny weiß auf alles die richtige Antwort, die Super Nanny ist fast göttinnengleich.“ In dem Sammelband von Horst Wolfgang Boger wird die Idee der Super Super Nanny nun von der Pädagogik auf die Politik, genauer auf den Staat übertragen.

Boger stellt fest: „Keine Frage: Unser Staat, genauer: die Staatsführung samt dem bürokratisch-administrativen Appendix, sieht sich selbst als Super Nanny und möchte dementsprechend auch von den Bürgerinnen und Bürgern als Super Nanny wahrgenommen, verehrt und geliebt werden. Unser Staat sieht gut aus, unser Staat ist super-empathisch, unser Staat ist super-sympathisch, unser Staat denkt niemals an sich selbst, unser Staat weiß auf alles die richtige Antwort, unser Staat ist fast göttinnengleich.“

Nach Boger unterscheidet sich der Staat in mindestens zwei Punkten erheblich von der Super Nanny. Während, erstens, die Super Nanny nur einige Tage bleibt, schenkt uns der Staat „von der Wiege bis zur Bahre“ nicht nur Formulare, sondern bleibt uns als Beraterin, als Erzieherin, vor allem aber als (teuer entlohnte) Vormündin erhalten. Seine prätendierten fachlichen Kompetenzen nehmen zu, seine juridischen ebenso.

Der Staat als Super Super Nanny

Die Super Nanny kann, zweitens, ihre segensreiche Wirkung nur dann entfalten, wenn die Familie in Not ihr Einlass gewährt, unser Staat dagegen sagt wie der Igel zum Hasen „Ick bün al dor!“, womit er völlig recht hat. Denn der Staat ist immer schon da und dies an immer mehr Orten.“

Für Boger ist die staatliche Super Nanny also eher eine „Super Super Nanny.
  • Sie sagt uns, wie wir zu denken, zu sprechen und zu forschen haben.
  • Sie sagt uns, was wir fragen und nicht fragen dürfen.
  • Sie sagt uns, wie wir uns zu ernähren und zu bewegen haben.
  • Sie wacht darüber, dass wir niemanden bevorzugen oder benachteiligen.
  • Sie achtet darauf, dass auf allen Hierarchie-Ebenen, vorzugsweise den oberen, strengste Geschlechterdemokratie obwaltet.
  • Sie sagt schließlich den Schampus-, Zigarren-, Musik-, Kino- oder Tanzsündern, dass sie sich durch Ablasszahlungen (einfühlsam und system-pädagogisch „Steuern“ genannt) ihrer Schuld entledigen können – und müssen.“
Die Folgen ...
Natürlich könne sogar eine Super Super Nanny all diese Aufgaben nicht allein bewältigen. Die notwendige Unterstützung erhält der Staat daher von eifrigen Nichtregierungsorganisationen, „die wie Super-Musterkinder unablässig und unermüdlich supererogatorische Leistungen erbringen, indem sie uns unablässig darauf hinweisen, dass mehr als 1 mg Acrylamid (pro Kilogramm) in Knäckebrot, Pommes Frites, Lebkuchen, Kartoffelchips und Kaffee enthalten sind, indem sie uns sagen, was genau wir in unsere Einkaufswagen packen und packen sollen, aus welchen Hölzern unsere Bleistifte zu bestehen haben, und darüber wachen, dass wir genügend Dihydrogenmonoxid zu uns nehmen (auch wenn wir keinen Durst haben), und darauf acht geben, dass unsere Sprache weder patriarchalistisch, sexistisch, ethnizistisch, eurozentrisch noch militaristisch ist.“


Im Gegenzug bekämen diese Super-Musterschüler „viele Gutpunkte und vor allem viel Geld aus dem Portemonnaie der Super Super Nanny, Geld, das allerdings nicht von der Bank, sondern aus den Portemonnaies von uns Dauermündeln stammt.“

Das Erschreckende ist dabei, dass ein großer Teil der Dauermündel sich durchaus wohl zu fühlen scheint. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das schon Immanuel Kant vor mehr als 220 Jahren konstatiert hatte:

„Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.

Immanuel Kant
Daß der bei weitem größte Teil der Menschen ... den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen.

Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige Mal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeinhin von allen ferneren Versuchen ab.“

Natürlich konnte Immanuel Kant die Super Nanny noch nicht kennen Die Frage ist aber: „Wollen und sollen wir tatsächlich hinter Kant zurück fallen?“


Zitate aus: Horst Wolfgang Boger (Hg.): Der Staat als Super Super Nanny, Berlin 2008 (liberal Verlag GmbH) - Weitere Literatur: Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, in: Immanuel Kant: Was ist Aufklärung. Aufsätze zur Geschichte und Philosophie, Kleine Vandenhoeck-Reihe, Göttingen 1994 (Vandenhoeck und Ruprecht), S. 55-61.



1 Kommentar:

  1. Wir sind schon laengst hinter Kant zurueckgefallen. Ob wir das wollten, weiss ich nicht. Aber es ist schon vor vielen Jahren geschehen. Guter Artikel, gratuliere.

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