Donnerstag, 28. November 2013

Manfred Koch und die "Kunst der Faulheit"

In fünf Essays legt Manfred Koch mit seinem Buch „Faulheit. Eine schwierige Disziplin“ eine unterhaltsame und kompakte Kulturgeschichte des Müßiggangs im Spiegel von mehr als zwei Jahrtausenden vor und führt seine Leser in die schwierige Kunst der Faulheit ein.

Dolce far Niente (John William Waterhouse, 1880)

Der Traum vom Nichtstun ist uralt. Neben den Ursprungsmythen der Menschheit, die nahezu einmütig den Menschen als Kulturwesen entwerfen, gibt es eine Vielzahl von Mythen der Faulheit - der süße Traum vom Nichtstun wurde geboren. In den Paradiesphantasien leistete der Mensch bereits Arbeit, wenn auch im Einklang mit seiner Natur. Noch war ihm die Unterscheidung zwischen Plackerei und Müßiggang fremd. Das sollte sich jedoch jäh ändern.

Die Erfindung des fleißigen Menschen und Faulheit als Zivilisationskritik sind zwei weitere Pole, die Koch in seinem Buch behandelt: Heute, da Vollbeschäftigung als Gipfel des gesellschaftlich Erstrebenswerten gilt, Umtriebigkeit und atemloses "Am-Ball-Bleiben" auch nach der Arbeit angesagt sind, scheint jeder sich rechtfertigen zu müssen, der am Wochenende einfach nur Däumchen drehen möchte.

Arbeit und Umtriebigkeit - Die Feinde der Muße

Dabei galt „Muße“ zu haben in der Antike als Ideal, und selbst das Mittelalter übte noch Nachsicht gegenüber dem antriebslosen Nichtstuer. Erst die Neuzeit brachte die entscheidende Wende: Fortschrittsglaube und Veränderungswille ließen den Faulen seine Unschuld verlieren, machten ihn zur parasitären Existenz. Dennoch dürfen die trägen Helden der modernen Literatur – „Liegekur auf dem Zauberberg“ – auf heimliche Sympathien hoffen, nicht zuletzt, weil der Gedanke der Entschleunigung wieder an Akzeptanz zu gewinnen scheint.

Dennoch ist es nach wie vor schwer, sich der allgemeinen Geschäftigkeit zu verweigern und zugleich scheint es angesichts allgegenwärtiger Freizeitangebote und digitaler Zerstreuungen gerade heute sehr schwer sein, faul zu sein.

Wie also könnte eine „Kunst der Faulheit“ aussehen?

Eigentlich gibt es zunächst nichts einzuwenden gegen eine vita activa: „Dass wir nur tätig unsere Kräfte und damit im eigentlichen Sinn unser Leben spüren, ist eine so triviale wie grundlegende Einsicht. Niemand will, dass ihm sein Leben geschieht, deshalb macht Langeweile ängstlich“ (145).

Tätigkeit und Tätig-sein-können gehöre daher unbestreitbar zu den elementaren Bedingungen menschlichen Glücks: „Der anhaltend faule Mensch wäre ein Widerspruch in sich, er geriete war nicht unbedingt in körperliche Fäulnis, sein Leben zerfiele ihm aber“ (ebd.).

Im Anlehnung an Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht meint Koch, dass es zu den Pflichten gegen sich selbst gehöre, wenigstens den Versuch zu unternehmen, seinem Leben eine sinnvolle Form zu geben. Wer sich nur treibe ließe, kann seine Existenz auf dauer nicht genießen.

Andererseits gehören zu einem gelingenden Leben selbstverständlich auch Phasen der Ruhe. „Glück ist ein Augenblick, besagt eine populäre Formel. Aufs Ganze eines Lebens (oder längerer Lebensabschnitte) besteht Glück wohl eher darin, einen befriedigenden Rhythmus von Anspannung und Entspannung zu finden, genauer aus einem individuellen, jedem Individuum zuträglichen Rhythmus von Arbeit und Nichtstun im Rahmen der jeweiligen Kultur, in der man sich befindet.

Müßiggang ist aller Laster Anfang ... (Die 7 Todsünden, Pieter Breughel, 1558)

Es geht also auch darum, „den `Wechsel der Arbeiten´ selbst als eine Form der Entspannung zu betrachten, … sein Leben so zu gestalten, dass möglichst viele verschiedene Formen sowohl der An- als auch der Abspannung darin abwechseln. Die Ausrichtung auf Vielheit wäre auch der Schlüssel für eine zuträgliche, gleichsam diätetische Nutzung der Medien.“

Dagegen aber steht eine „Entspannungsindustrie, die Anleitungen und Therapien zur Schaffung von Seelenruhe verspricht“, die jedoch „dem Geist des Industrialismus“ darin verpflichtet bleibt, „dass sie Ruhe als technisch herstellbares Produkt und verkäufliche Ware“ versteht – „im Angebot ist die gesamte Tradition der Weisheitslehren antiker und fernöstlicher Herkunft“ – und bei der die „alten, biederen Bilder wie `das Hirn lüften´ oder `die Seele baumeln lassen´ durch nicht minder schreckliche Metaphern wie `seelisch offline gehen´ oder `das Gehirn auf Leerlaufnetzwerke umschalten´“ ersetzt werden (149ff).

Paul Cézanne, Les joueurs de carte (1892-95)

Weil es gerade keine verbindlichen Rezepte und Heilsgarantien gibt, ist die Zusammenstellung einer „Faulheitsdiät“ die Sache jedes einzelnen, die auch ein gerütteltes Maß an experimenteller Lust verlange. „Aber die Anstrengung lohnt sich“ (153).

Zitate aus: Manfred Koch: Faulheit. Eine schwierige Disziplin. Springe 2012 (zu Klampen) - Zum Hören: Manfred Koch im Philosophischen Radio auf WDR 5



Donnerstag, 21. November 2013

Michael Landmann und der Wachstumsrhythmus

Die Sonderstellung des Menschen !?
In der Geschichte der Philosophie wurde die Frage nach dem Menschen als Naturwesen in zweierlei Hinsicht gestellt. Einerseits fragte man nach der Stellung des Menschen in der Natur, insbesondere nach seinem Verhältnis zu den Tieren. Andererseits ging es um die Natur, d.h. um das Wesen des Menschen, vor allem um die Rolle von Trieb und Vernunft.

In der griechischen Antike waren beide Aspekte in der Vorstellung vom Menschen als Teil der kosmischen Natur gleichwohl eng verknüpft. Den Griechen galt der Kosmos als nicht geschaffen, ewig und als Inbegriff einer vernünftigen und göttlichen Ordnung, der Mensch seinerseits galt als das höchste Naturwesen, das durch seine Vernunft an der vernünftigen Ordnung des Kosmos teilhatte.

Sowohl Platon als auch Aristoteles vertraten eine Vernunftanthropologie, der zufolge das Wesen des Menschen in der Vernunft bzw. in seiner Vernunftfähigkeit sieht. Die Rationalität des Menschen dominiert über seine körperliche, rein tierhafte Verfassung einschließlich der Triebe, Begierden und Instinkte. Erst durch seine geistigen Fähigkeiten wird der Mensch in einem vollen Sinne Mensch.

Der Vernunftanthropologie entgegen steht der Ansatz Arnold Gehlens, der auch die Frage nach der Sonderstellung des Menschen in der Natur zu beantworten versucht, ausgehend von der Biologie und einem Mensch-Tier-Vergleich. Gehlens zentrale These lautet, dass der Mensch als natürliches Lebewesen ein „Mängelwesen“ ist, das nur mit dürftigen Instinkten und begrenzt leistungsfähigen Organen ausgestattet ist. Daher muss sich der Mensch, wenn er überleben will, eine „zweite Natur“, eine künstlich-technische Ersatzwelt erschaffen, die Kultur.

Michael Landmann
Einen Mittelweg geht Michael Landmann, der die These vertritt, nach der der Mensch grundsätzlich anders als jedes Tier ist. Um die Sonderstellung im Bereich der Lebewesen zu beweisen, sei es gar nicht nötig, über seine (animalische) Körperlich­keit noch eine (geistige) Schicht der Vernunft zu legen. Während das Tier eingebunden und abhängig von seiner Um-Welt ist, lebt der Mensch welt-offen in sozialen und kulturellen Beziehungen.

Für Landmann ist evident, das schon die die Körperlichkeit des Menschen ist eine "spezifisch menschliche Körperlichkeit“ ist. Landmann wendet sich damit deutlich gegen die Vernunftanthropologie mit ihrer Tendenz, das vitale Substrat des Menschen gewissermaßen tierisch sein zu lassen. Danach beginne erst mit dem Geistigen, das über dem Tierischen steht, das eigentliche Menschsein. Landmann hält dagegen: „Vertiefte Einsicht dagegen weiß wieder: Bereits das Biologische an uns ist durch und durch menschlich. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier von vornherein durch ein ganzheitliches Aufbaugesetz, das auch sein Physisches einbegreift, auch an ihm schon das menschliche ausprägt. Er hat `weder Kern noch Schale´.“

Man kann Landmann zufolge sehr gut beobachten, dass körperliche und geistige Eigenschaften des Menschen nicht unabhängig voneinander existieren: „Sie sind nicht zwei getrennte Sphären oder Schichten, die sich bloß übereinander türmen. Beide sind aufeinander hingeordnet und bedingen sich gegenseitig. Gerade diese Körperlichkeit bedarf zu ihrer Ergänzung dieser Geistigkeit und umgekehrt.“

Der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier sieht Landmann in der Art der Steuerung. Weil das Tier in seinem Verhalten durch Naturinstinkte gesteuert kann, bedarf es auch, nachdem es geboren ist, keiner langen Jugend: „Die Instinkte brechen von selbst in ihm durch.“

Der Mensch dagegen ist geistgesteuert. Dabei besitzt „Geist“ eine doppelte Dimension: So wird der Mensch gesteuert "einerseits vom subjektiven Geist seiner eigenen Person wie - was zunächst noch schwerer wiegt - vom objektiven Geist der sozialen Gruppe, in der er groß wird, von der von Gruppe zu Gruppe variierenden Kultur, die den verfestigten Niederschlag früheren subjektiven Geistes darstellt.“


Ist Geiststeuerung abhängig von der Gehirngröße?

Kultur ist die „zweite Natur“ des Menschen. Soweit gibt Landmann Gehlen Recht, aber: „In diese Kultur aber muss jeder erst hineinwachsen, er muss sie lernend in sich aufnehmen.“ Kulturelle Gepflogenheiten, Sprache, Sitte, aber auch technische Handhabe liegen nicht als fertige Anlagen bereit, die sich dann wie Instinkte bei Tieren nur auf den auslösenden Reiz warten, um sich entfalten zu können. Vielmehr hat der Mensch nur "eine Anlage: dies alles zu lernen; nur einen Instinkt: den des Nachahmens." So sei das "Nachäffen" nicht nur eine Eigenschaft der Primaten, sondern vor allem auch des Menschen: "Er muss das kulturelle Traditionsgut seiner Gruppe erst in einem eigenen Aneignungsprozess für sich übernehmen und einüben."

So erkläre sich auch die frühe Geburt des eher „unfertigen“ Menschen: „Sobald es irgend angeht, solange er noch so plastisch wie möglich ist, soll er bereits in Kontakt mit seinen Sozialgenossen stehen, sollen die kulturellen Normen, die er übernehmen muss, auf ihn einwirken.“ Selbst so grundsätzliche Fähigkeiten wie der aufrechte Gang beruhen nicht auf erblich angeborener Anlage, sondern hängen ab vom Einfluss und dem Vorbild der Erwachsenen. Junge Säugetiere beherrschen dagegen Haltung und Bewegungsweise ihrer Art bereits von Geburt oder fast von Geburt an.

Wachstumsrhythmus und Aneignung von Traditionsgütern beim Menschen

„Das erste Lebensalter des Menschen ist kein `Schimpansenalter´, er muss nicht erst `den Affen in sich´ überwinden. Von allem Anfang an wächst, reift er und bewegt er sich nach eigenen Gesetzen.“ So lässt sich auch die lange Jugend des Menschen besser verstehen: „Die Aneignung der Kultur ist etwas derart Schwieriges, dass er damit nicht nur früh beginnen muss, sondern auch dann noch außerordentlich lange Zeit dazu benötigt. Es genügt nicht, die kulturellen Einrichtungen und Gewohnheiten rein als solche zu kennen. Man muss sich gleichsam nicht nur mit dem kulturellen Vokabular, sondern auch mit der kulturellen Syntax vertraut machen.“

Jeder weiß, dass es erst nach sehr viel Lernen und Erfahrung gelingen kann, diesen komplexen Apparat der Kultur zu durchschauen und richtig zu bedienen, gerade weil es nicht nur darauf ankommt, die einzelnen Elemente der Kultur („Vokabeln“) isoliert voneinander zu betrachten, sondern als eine Summe von vielfältig geordneten und komplexen Zusammenhängen („Sätzen“) zu begreifen.

Zitate aus: Michael Landmann, Philosophische Anthropologie, Berlin 1982 (Gruyter) - Zum Hören: Marco Weh über "Kopf und Körper" im Philosophischen Radio auf WDR 5 

Donnerstag, 14. November 2013

Hesiod und die Arbeit

Über das Leben von Hesiod gibt es kaum zuverlässige Informationen. Wir wissen lediglich, dass er etwa 700 v.Chr. vermutlich in Askra, einem armen Ort in Böotien geboren wurde.

Hesiods Werke sind neben der Ilias und Odyssee Homers die Hauptquelle der griechischen Mythologie. Hesiod gilt darüber hinaus als Begründer des didaktischen Epos. „Werke und Tage“ (Ἔργα καὶ ἡμέραι) ist solch ein episches Lehrgedicht.

Der Inhalt des Gedichts ist äußerst vielfältig: Erzählt wird zunächst der Mythos von Prometheus und der Büchse der Pandora. Der zweite Teil beschreibt die Abfolge der fünf aufeinanderfolgenden Weltzeitaltern (Goldenes, Silbernes, Bronzenes Zeitalter, heroisches Zeitalter und Eisernes Zeitalter). Nun folgt die Erzählung vom Falken (=König) und der Nachtigall (=Dichter) und schließlich schildert Hesiod seine Vision von einem Reich der Gerechtigkeit, das er dem Reich der Hybris gegenüberstellt.

Wichtig für Hesiods Verhältnis zur Arbeit ist seine Lehre von den Weltzeitaltern. Danach gab es einst „einen Urzustand ungetrübten Glücks. Es war jenes Zeitalter, da noch Kronos, der Vater aller Götter, regierte und den Menschen unendliche Wohltaten bescherte“ (28):

„Diese lebten unter Kronos, der im Himmel als König herrschte, führten ihr Leben wie Götter, hatten leidlosen Sinn und bleiben frei von Not und Jammer; 

nicht drückte sie schlimmes Altern, sie blieben sich immer gleich an Händen und Füßen, lebten heiter in Freuden und frei von jeglichem Übel und starben wie von Schlaf übermannt. 

Herrlich war ihnen alles, von selbst trug ihnen die kornspendende Erde Frucht in Hülle und Fülle. Sie aber taten ihre Feldarbeit ganz nach Gefallen und gemächlich und lieb den seligen Göttern“ (Hesiod, 111-120).

Hesiod stellt sich die Urmenschen also als Bauern und Viehzüchter, als „ätherische Landwirte“ (29) vor, die zwar arbeiten, aber eben `ganz nach Gefallen´ und `gemächlich´, „inmitten einer Verwöhnnatur, die nichts zu wünschen übrig lässt“ (28f).

Auf das Goldene folgt das Silberne Zeitalter, dann das Bronzene. Als Zwischenspiel kommt unvermutet das Zeitalter der Heroen, in dem unter anderem auch Odysseus und Achilles gelebt haben und der Trojanische Krieg stattgefunden hat – und schließlich das Eiserne Zeitalter.

Letzteres ist „gekennzeichnet durch Arbeitsfron, Konkurrenz und Misstrauen unter den Menschen“ (29). Hesiod schilderd hier schonungslos die Beschwerlichkeit und die Entbehrungen des bäuerlichen Lebens. Hier kann Hesiod auch seine umfassende Kenntnis bäuerlicher Tätigkeiten ausbreiten.

Kombiniert wird die Erzählung von den Zeitaltern mit dem Mythos von der Büchse der Pandora: Auf Weisung des Zeus hatte Hephaistos aus Lehm die erste Frau geschaffen, die den Namen Pandora erhielt. Sie war ein Teil der Strafe für die Menschheit wegen des durch Prometheus gestohlenen Feuers. Zeus wies Pandora an, den Menschen die Büchse zu schenken Sie öffnete die Büchse und daraufhin entwichen aus ihr alle Laster und Untugenden:

„Das Weib aber hob mit den Händen den mächtigen Deckel vom Fass, ließ alles heraus und schuf der Menschheit leidvolle Schmerzen“ (Hesiod, 94f).
 
... und damit fing der ganze Ärger an ...

Von diesem Zeitpunkt an eroberte das Schlechte die Welt: „Die Verstoßung aus dem Gnadenstand erfolgt, weil der Mensch sich mit dem Feuererwerb die Grundlagen seiner Kultur eigenmächtig angeeignet hat. Zuvor hatten die Götter ihm bei seinen `Werken´ gleichsam die Hand geführt, nun wirtschaftet er, im Besitz des Feuers, das ungekannte Werkzeuge zu schmieden erlaubt, auf eigene Faust drauflos. Die Strafe besteht darin, dass er nun tatsächlich seinen Lebensunterhalt herstellen, selbst produzieren muss“ (30), denn „Zeus verbarg die Nahrung grollenden Herzens“ (Hesiod, 47).

Obwohl die Hoffnung – das einzig Positive unter allen „Geschenken“ Pandoras – in der Büchse verschlossen blieb, will Zeus doch, dass in dieser gefallenen Welt Gerechtigkeit herrscht. Das wird am Ende des Werkes mehr als deutlich.

Der Anlass für die Abfassung von Werke und Tage ist ein Streit zwischen Hesiod und seinem Bruder Perses. Dieser hatte versucht, durch Meineid und Bestechung von Richtern Hesiod um sein Erbe zu bringen. Den Grund für dieses niederträchtige Verhalten erkennt Hesiod in der Faulheit und Trägheit seines Bruders. Diesem hält er die eigene Lebensweise entgegen, nach der man sich durch harte bäuerliche Arbeit Wohlstand zu erwirtschaften hat.

Griech.-lat. Ausgabe von 1539 (Basel)

Auf diese Weise wird Hesiods Buch zu einem umfassenden Appell an den Bruder, Einsicht zu zeigen und den Zorn der Götter nicht weiter zu steigern: „Er muss fleißig werden, sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Nachdem Zeus uns einmal mit der Arbeit geschlagen hat, bleibt nichts anderes übrig, als dieses Joch auf sich zu nehmen“ (31f):

„Vor das Gedeihen jedoch haben die ewigen Götter den Schweiß gesetzt“ (Hesiod, 289).

So ist es „der Wille der Götter, dass den Tüchtigen und Gerechten ein besseres Leben beschieden ist. Sie genießen den Lohn ihrer Mühen `bei frohen Festen´, ja, ihre Frauen `gebären den Vätern gleichende Kinder´! Werke und Tage ist eine Ermahnungsschrift, die auf diese Weise die verfluchte Arbeit zugleich anpreist und dem Bruder Schritt für Schritt erklärt, was auf einem Landgut über das Jahr hinweg zu tun ist“ (32):

„Dem aber zürnen die Götter und Menschen, der faul dahinlebt nach Art der stachellosen Drohnen, die faule Prasser sind und den mühsam geernteten Honig der Bienen verfressen; 

du aber tue mit Lust beizeiten die Feldarbeit, damit sich deine Scheuer mit reifem Ertrag fülle. Arbeit macht Männer reich an Herden und Habe, denn wer zupackt, ist Göttern um vieles erwünschter und auch Menschen, denn Faulpelze hassen sie gründlich.

Arbeit bringt keine Schande, Nichtstun aber ist Schande. Regst du dich nämlich, beneidet dich bald der Faule, weil du reich wirst. Den Reichtum aber begleiten Ehre und Ansehen“ (Hesiod, 303-313).


Nachtrag

In Aischylos Tragödie Der gefesselte Prometheus verteidigt sich Prometheus gegen die Vorwürfe, er habe die Vertreibung der Menschen aus dem Ur-Paradies verschuldet. Denn die Menschen im angeblich Goldenen Zeitalter waren primitive Lebewesen:


"Erdeingegraben wohnten sie, den wimmelnden
Ameisen gleich, in Höhlenwinkeln sonnenlos" 
(Aischylos, 452ff).  

Er aber habe ihnen nicht nur das Feuer, sondern überhaupt die Kultur gebracht, die sie zu wahren Menschen und Herrschern über die Erde gemacht habe:


"Sonder Ordnung, sonder Zweck
war, was sie taten; bis ich ihnen deutete
Der Sterne schwer verständlichen Auf- und Niedergang,
Die Zahl, des Geistes kühnen Griff, fand ich für sie,
Dazu geschrieb´ner Zeichen Fügung, aller Ding´
Gedächtnis, mächtig Werkzeug jeder Musenkunst.

Dann spannt´ ins Zugjoch ich zum erstenmal den Ur,
Dem Pflug zu fronden, daß damit dem Menschenleib
Die allzu große Bürde abgenommen sei,
Und schirrt´ das zügelkauende Roß dem Wagen vor,
Des überreichen Prunkes Kleinod und Gepräng;
Und auch das flutdurchschweifende, leingeflügelte
Fahrzeug des Meeres erfand kein anderer als ich."

Es ist kein Zufall, dass sich diese Interpretation der Vorgeschichte als Erfolgsgeschichte des Fortschritts, wie sie Aischylos Prometheus in seiner Tragödie in den Mund legt, in Athens Blütezeit im 5. Jahrhundert v.Chr. durchsetzte.


Zitate aus: Manfred Koch: Faulheit, Eine schwierige Disziplin, Springe 2012 (zu Klampen) -  Hesiod: Werke und Tage, übersetzt und herausgegeben von Otto Schönberger, Stuttgart 2004 (Reclam)  -  Aischylos: Die Tragödien und Fragmente, Stuttgart 1977 (Kröner)  -  Zum Hören: Manfred Koch im Philosophischen Radio auf WDR 5 

Donnerstag, 7. November 2013

Nicolás Maduro und das Ministerium für Glückseligkeit

Nicht erst seit Karl Raimund Popper weiß man, dass die Verbindung von Politik und Romantik fatale Folgen hat für das Leben in einer staatlichen Gemeinschaft. Anstatt auf die Vernunft setzt man eine verzweifelte Hoffnung auf politische Wunder. Diese irrationale Einstellung – Popper nennt sie „Romantizismus“  –, „die sich an Träumen von einer schönen Welt berauscht … mag einen himmlischen Staat in der Vergangenheit oder in der Zukunft suchen, aber sie wendet sich immer an unsere Gefühle, niemals an unsere Vernunft.“

Maduro sucht das Glück
Am 24. Oktober 2013 kündigte der venezolanische Präsident, Nicolas Maduro die Gründung eines „Vizeministeriums zur obersten sozialen Glückseligkeit des venezolanischen Volkes“ (span. Viceministerio para la Suprema Felicidad Social del Pueblo venezolano) angekündigt, das sich mit “direkten Eingriffen” um das Glück der Untertanen kümmern soll.

Im 5. Buch seines Werkes „Der Wohlstand der Nationen“ beschrieb Adam Smith noch wie selbstverständlich die drei klassischen Aufgaben des Staates: Landesverteidigung, Justizwesen und Öffentliche Anlagen bzw. Einrichtungen.

Das „Erreichen der Glückseligkeit“ ist sicherlich für jeden Menschen eine individuelle Herausforderung im Leben. Ob man sich allerdings wirklich wünschen soll, dass die Politiker sich direkt darum kümmern mögen, die Glückseligkeit der Bürger zu erreichen – statt über die Schaffung guter Rahmenbedingungen, innerhalb derer jeder Einzelne auf seine ganz individuelle Weise sein Glück – und nicht das Glück – finden kann –, ist zu bezweifeln.

Für Jakob Burckhardt ist die Hauptaufgabe des Staates der Interessenausgleich. Daher sei es „eine Ausartung und philosophisch-bürokratische Überhebung, wenn der Staat direkt das Sittliche verwirklichen will“ – und dazu gehört ja die Vorstellung vom vollkommenen Glück.

In Venezuela dagegen soll das neue Glücksministerium nun die 30 verschiedenen Sozialprogramme der Regierung koordinieren und verwalten. Dazu gehören Sanitätsstationen, Schulen und Geschäfte mit subventionierten Lebensmitteln in den Armenvierteln. "Missionen" werden diese Niederlassungen genannt, ein System, das der verstorbene Präsident Hugo Chávez hatte diese System nach kubanischem Vorbild eingeführt hatte.

Chávez hatte es während seiner Amtszeit immer hervorragend verstanden, den Grundwiderspruch des Landes zu verschleiern: Einerseits sitzt Venezuela auf Unmengen von Erdöl und verdient damit Milliarden Dollar. Andererseits wuchern die Slums.

Maduro - ein neuer Messias für die Glückseligkeit

Viele Venezolaner sind daher auch eher unglücklich. Die Inflation liegt bei knapp 50 Prozent. Mancherorts sind auch Maismehl und Milchpulver knapp. Klopapier fehlt schon seit Wochen. Immer mal wieder fällt der Strom aus, und die Mordrate ist katastrophal hoch.

Venezuela funktioniert also unter Maduro noch schlechter als zuvor. Um seine eigene Unfähigkeit zu kaschieren, hat Maduro jetzt angekündigt, den Tag der Kommunalwahlen am 8. Dezember zum "Tag der Treue und Liebe zu Chávez" zu küren.

Natürlich ist gegen eine Politik, die versucht, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern, überhaupt nichts einzuwenden. Hier aber liegt der Verdacht nahe, die Menschen vorrangig mit politischen Mitteln glücklich zu machen.

Auch Ludwig von Mises betont, dass alles, was über die eigentlichen Aufgaben des Staates – das sind der Schutz des Lebens und der Gesundheit, der Freiheit und des Privateigentums – hinausgeht, von Übel ist: „Eine Regierung, die, statt ihre Aufgabe zu erfüllen, darauf ausgehen wollte, selbst das Leben und die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum anzutasten, wäre natürlich ganz schlecht.“

Überhaupt nichts hält von Mises vom „abstrusen Mystizismus“ einer Staatsvergottung und Staatsanbetung: Weder ist der der Staat „das unmittelbare und sichtbare Bild des absoluten Lebens, eine Stufe der Offenbarung des Absoluten, der Weltseele“ – so Schelling, noch „offenbart sich in dem Staate die absolute Vernunft, realisiert sich in ihm der objektive Geist“ – so Hegel.

Sobald man, so von Mises weiter, den Grundsatz der Nichteinmischung des Staatsapparates in allen Fragen der Lebenshaltung des einzelnen aufgegeben hat, wird man automatisch dazu gelangen, das Leben bis ins Kleinste zu regeln und zu beschränken. „Die persönliche Freiheit des einzelnen wird aufgehoben, er wird zum Sklaven des Gemeinwesens, zum Knecht der Mehrheit. Man braucht sich gar nicht auszumalen, wie solche Befugnisse von böswilligen Machthabern mißbraucht werden könnten. Schon die vom besten Willen erfüllte Handhabung derartiger Befugnisse müsste die Welt in einen Friedhof des Geistes verwandeln.“


Das Glück liegt auf der Straße !? - Slum in Caracas

Seine absolute Grenze findet die staatliche Macht jedoch in der individuellen Suche nach Sinn und Glück. Kaum jemand hat diesen Gedanken besser formuliert als John Stuart Mill: „Man kann jemanden gerechterweise nicht zwingen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, weil es für ihn selbst so besser sei, weil es ihn glücklicher machen würde, oder weil es nach der Meinung anderer weise oder gerecht wäre, wenn er so handelte. Dies sind gute Gründe, um jemandem Vorstellungen zu machen oder mit ihm zu debattieren, ihn zu überzeugen oder in ihn zu dringen; aber es sind keine Motive, um ihn zu zwingen oder Strafen über ihn zu verhängen, falls er anders handelt. Um das zu rechtfertigen, muss das Handeln, von dem man jemand abbringen will, für einen anderen einen Schaden bedeuten.“

Es ist daher die Pflicht eines jeden autonomen Subjekts, sich „gegen die Bevormundung der herrschenden Meinung und des herrschenden Gefühls“ zu wehren. „Man muss sich schützen gegen die Absicht der Gesellschaft, durch andere Mittel als bürgerliche Strafen ihr eigenes Denken und Tun als Regel auch solchen aufzuerlegen, die davon abweichen. Man muss sich hüten vor der Neigung der Gesellschaft, die Entwicklung zu hemmen und, wenn möglich, die Bildung jeder Individualität zu hindern, die mit den Wegen der Allgemeinheit nicht übereinstimmt, und alle Charaktere zu zwingen, sich nach ihrem eignen Muster zu richten.“

Das Venezuela Maduros jedenfalls nimmt mit der Einrichtung eines Ministeriums für Glückseligkeit geradezu orwellsche Züge an. Auch hier gibt es ein „Ministerium für Überfluss“, dass eben nicht den Überfluss, sondern den Mangel verwaltet. Wer wollte da nicht Parallelen ziehen zum „Toilettenpapierüberfluss“ in Venezuela …

Es bleibt dabei, was Popper schon vor über einem halben Jahrhundert eindringlich formulierte: „Sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten, vermag man diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen für ihre Mitmenschen bereiten.“




Das "Ministerium für alberne Gänge" (“Ministry of Silly Walks”) von Monty Python scheint im Vergeich zum Glücksministerium geradezu sinnhaft und in jedem Fall weniger gefährlich ....

Nachtrag vom 10.11.2013: 
Wie Nicolas Maduro die "Glückseligkeit" in Venezuela auf politischem Wege erreichen will, hat er nun mit aller Deutlichkeit demonstriert: Nachdem er angeordnet hatte, die Geschäftsführung und etwa 500 Mitarbeiter der Ladenkette Daka (Haushaltsgeräte) zu verhaften, befahl er dem Militär, die Geschäfte zu besetzen und umgehend mit dem Verkauft sämtlicher Artikel zu beginnen - zu einem gerechten Preis, wie er sagte. 
Billig einkaufen (Foto: EFE)
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Der "Verkauf" allerdings lief dann - dafür braucht man kein Prophet sein - auf eine Art und Weise ab, die eigentlich nur den Namen "Plünderung" verdient: Zerbrochene Fensterscheiben und schlichter Diebstahl - darin besteht das "Glück" in Venezuela ... - außer natürlich für die in Haft einsitzenden Unternehmer und ihre Mitarbeiter!


  
Zitate aus: Zitate aus: Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, Wiesbaden 2009 (Marixverlag)  -  J. S. Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda)  -  Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 (online unter: http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf