Donnerstag, 25. Oktober 2012

Adam Smith und die Arbeitsteilung


Adam Smith
Im Jahre 1776 erscheint „Der Wohlstand der Nationen“ des schottischen Moralphilosophen und Nationalökonomen Adam Smith. Einer der zentralen Angelpunkte seiner Wirtschaftstheorie ist der Gedanke der Arbeitsteilung, den Smith gleich in den ersten beiden Kapiteln des Werkes ausarbeitet. Ohne Arbeitsteilung kann die Produktivität der Arbeit und damit auch der Wohlstand eines Landes nicht gesteigert werden.

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet „Arbeitsteilung“ die Aufteilung eines Arbeitsprozesses unter mehreren Menschen. Konkret versteht Smith unter Arbeitsteilung die betriebliche Arbeitszerlegung, d.h. die Aufteilung eines einzelnen Produktionsprozesses in verschiedene Teilprozesse, die innerhalb einer einzelnen Produktionsstätte von spezialisierten Arbeitskräften wahrgenommen werden. Während bei der Arbeitsteilung jeder Einzelne nur einen Teil der Arbeitsabläufe übernimmt, führen alle Beteiligten bei der Mengenteilung alle Arbeitsabläufe durch.

Die erhöhte Produktivität, die die Menschen infolge der Arbeitsteilung leisten, hängt Smith zufolge von drei verschiedenen Faktoren ab: „(1) der größeren Geschicklichkeit jedes einzelnen Arbeiters, (2) der Ersparnis an Zeit, die gewöhnlich verlorengeht und (3) der Erfindung einer Reihe von Maschinen, welche die Arbeit erleichtern, die Arbeitszeit verkürzen und den einzelnen in den Stand setzen, die Arbeit vieler zu leisten“ (12).

Diese Spezialisierung bewirkt, dass sich der Arbeiter auf die Teiltätigkeiten des gesamten Produktionsprozesses konzentrieren kann, in denen er besonders produktiv ist. Dies erläutert Smith in seinem bekannten Stecknadel-Beispiel:

„Ein Arbeiter, der noch niemals Stecknadeln gemacht hat, und auch nicht dazu angelernt ist, so dass er auch mit den dazu eingesetzten Maschinen nicht vertraut ist, könnte, selbst wenn er fleißig ist, täglich höchstens eine, sicherlich aber keine zwanzig Nadeln herstellen.

Aber so, wie die Herstellung von Stecknadeln heute betrieben wird, zerfällt sie in eine Reihe getrennter Arbeitsgänge, die zumeist zur fachlichen Spezialisierung geführt haben. Der eine Arbeiter zieht den Draht, der andere streckt ihn, ein dritter schneidet ihn, ein vierter spitzt ihn zu, ein fünfter schlieft das obere Ende, damit der Kopf gesetzt werden kann. Auch die Herstellung des Kopfes erfordert zwei oder drei getrennte Arbeitsgänge. Das Ansetzen des Kopfes ist eine eigene Tätigkeit, ebenso das Weißglühen der Nadel, ja selbst das Verpacken der Nadeln ist eine Arbeit für sich.

Die Herstellung von Stecknadeln ist gar nicht so einfach ...

Um eine Stecknadel anzufertigen, sind somit etwa 18 verschiedene Arbeitsgänge notwendig, die in einigen Fabriken jeweils verschiedene Arbeiter besorgen, während in anderen ein einzelner zwei oder drei davon ausführt.

Ich selbst habe eine kleine Manufaktur dieser Art gesehen, in der nur 10 Leute beschäftigt waren, so dass einige von ihnen zwei oder drei solcher Arbeiten übernehmen mussten. Obwohl sie nun sehr arm und nur recht und schlecht mit dem benötigten Werkzeug ausgerüstet waren, konnten sie zusammen am Tage doch etwa 12 Pfund Stecknadeln fertigen …, etwa 48 000 Nadeln.

Hätten sie indes alle einzeln und unabhängig voneinander gearbeitet, noch dazu ohne besondere Ausbildung, so hätte der einzelne gewiss nicht einmal 20, vielleicht sogar keine einzige Nadel am Tag zustande gebracht“ (9f)

Spezialisierung führt nach Smith nicht nur zu höherer Geschicklichkeit bei der Arbeit, sondern zudem auch zu Ersparnis an Zeit und sie erleichtert den Einsatz und die Erfindung von Maschinen durch den Arbeiter oder Handwerker selbst.

So wird Arbeitsteilung bei Smith zum eigentlichen Motor der Entwicklung, vom Selbstinteresse des Individuums angetrieben und eng verknüpft mit den technischen Fortschritt und den Investitionen.

Spezialisierung und Arbeitsteilung stoßen jeweils dort an ihre Grenzen, wo der Markt nicht mehr ausgeweitet werden kann. Denn ohne Gelegenheit zum Handeln und Tauschen verliert die Steigerung der Produktion ihren wirklichen Sinn (19ff).

Interessant sind auch Smith anthropologische Prämissen, die er im Zweiten Kapitel des Buches erläutert. So sei die Arbeitsteilung, „die so viele Vorteile mit sich bringt, in ihrem Ursprung nicht etwa das Ergebnis menschlicher Erkenntnis, welche den allgemeinen Wohlstand, zu dem erstere führt, voraussieht und anstrebt. Sie entsteht vielmehr zwangsläufig, wenn auch langsam und schrittweise, aus einer natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegenseitig auszutauschen“ (16).

Diese Eigenschaft findet sich nur unter den Menschen gemeinsam, aber nirgends in der Tierwelt. „Niemand hat je erlebt, dass ein Hund mit einem anderen einen Knochen redlich und mit Bedacht gegen einen anderen Knochen ausgetauscht hätte“ (16).

Arbeitsteilung gründet jedoch nicht auf freier Entscheidung. „In einer zivilisierten Gesellschaft ist der Mensch ständig und in hohem Maß auf die Mitarbeit und Hilfe anderer angewiesen …, wobei er jedoch kaum erwarten kann, dass er sie allein durch das Wohlwollen der Mitmenschen erhalten wird“ (16f)

Aus diesem Grund wird der Mensch „sein ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er die Eigenliebe der Mitmenschen zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht: Gib ir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst“ (17).

Denn „nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Mensch- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“ (17).

Smith übersieht keinesfalls die Gefahren, die mit Arbeitsteilung und Spezialisierung verbunden sind. Er ist sich darüber im Klaren, dass sie zu einer „Entseelung“ bzw. „Monotonie“ der Arbeit oder zur Verdummung des Menschen führen kann, weil durch die Ausübung nur eines einzelnen Handgriffes die geistigen und psychischen Fähigkeiten des Menschen verkümmern. 

Herstellung von Kleineisenzeug (Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel)

Der Marxismus wird später diese Auswirkung der Arbeitsteilung zum Zentrum seiner Kapitalismuskritik machen – irrigerweise, weil es auch in der kommunistischen Wirtschaftsordnung Arbeitsteilung und Technik und damit monotone Arbeit an einer Maschine gibt.

Smith dagegen betont immer wieder eine öffentlich geförderte Erziehung und Bildung breiter Schichten als wirksames Gegenmittel, um Langeweile und Eintönigkeit zu verhindern, aber auch um die Menschen vor religiösen und politischen Rattenfängern zu schützen.

Grundsätzlich sei der „Unterschied in den Begabungen der einzelnen Menschen in Wirklichkeit weit geringer, als uns bewusst ist, und die verschiedenen Talente, welche erwachsene Menschen unterschiedlichster Berufe auszuzeichnen scheinen, sind meist mehr Folge als Ursache der Arbeitsteilung.

So scheint zum Beispiel die Verschiedenheit zwischen zwei auffallend unähnlichen Berufen, einem Philosophen und einem Lastenträger, weniger aus Veranlagung als aus Lebensweise, Gewohnheit und Erziehung entstanden. Bei ihrer Geburt und in den ersten sechs oder acht Lebensjahren waren sie sich vielleicht ziemlich ähnlich, und weder Eltern noch Spielgefährten dürften einen auffallenden Unterschied bemerkt haben“ (18).

Weil in diesem Alter etwa begann, die beiden Jungen sehr verschiedenen auszubilden und zu beschäftigen, „kommen auch die unterschiedlichen Talente zum Vorschein, prägen sich nach und nach aus, bis schließlich der Philosoph in seiner Überheblichkeit kaum noch eine Ähnlichkeit mit dem Lastenträger zugeben wird“ (18).

Smith Modell der Arbeitsteilung funktioniert selbstredend nur unter der Bedingung, dass „natürliche Freiheit“ in einem Land herrscht, dass das moralische Gewissen im Volk intakt ist und eine stabile undanerkannte Rechtsordnung das ökonomische Verhalten der Individuen disziplinieren. Wie stets im Liberalismus verbinden sich also auch hier individuelle Freiheit und kollektives Wohlergehen.

Zitate aus: Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 2009 (dtv) 

9 Kommentare:

  1. Mir hat der Text für meine PoWi Arbeit geholfen

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  2. Das freut mich. Vielleicht bleibt das eine oder andere noch etwas länger hängen. Paideia

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  3. um das wie viel fache wird die Arbeitsproduktivität beim Stecknadelbeispiel gesteigert?

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  4. Hallo Paideia,

    vielen Dank für diesen guten Beitrag.

    Ich habe in meiner letzten Vorlesung über das Prinzip der Arbeitsteilung gehört, allerdings wurde Gesellschaft, in der die genannte Moral herrscht, nicht annähernd so gut dargestellt wie du es hier machst!

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  5. Der „Unterschied in den Begabungen der einzelnen Menschen in Wirklichkeit weit geringer, als uns bewusst ist". Er ist weitaus größer, als AS sich einreden will. Die Forschung an eineiigen Zwillingen u.a. kannte er nicht, auch war ihm offenbar die Vererbung kein Begriff.

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    1. Die Zwillingsstudien, die du nicht nennst, kenne ich nicht. Es gibt aber zahlreiche arbeiteten, die dafür sprechen, dass ein wesentlicher Teil der Ungleichheit in der Welt nicht bloß auf die individuellen Anlagen der Menschen zurückzuführen sind. Siehe zum Beispiel die empirischen Artikel von Andreas Peichl (unter anderem https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=http://ftp.iza.org/dp11601.pdf&ved=2ahUKEwiuuL2T0f_oAhVs2aYKHZZOA4MQFjAAegQIBBAB&usg=AOvVaw1KkF2oFXp2G3d4mpovR67g) oder als philosophischer Startpunkt https://youtu.be/_Zlov9CTf0s

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  6. Aud dieser Seite habe ich manche Texte gelesen und alle sind wunderbar, vielen Dank!

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