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Donnerstag, 11. August 2016

Goethe und die Revolution

Die Freundschaft zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe ist eine Sternstunde des deutschen Geistes: Schiller bringt seine Dramen mit Goethes Hilfe auf die Bühne. Goethe erlebt durch Schiller in Weimar seine zweite Jugend. Schiller lernte in der Freundschaft, "dass es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe", aber auch Goethe sagte von Schiller, er sei ihm der wichtigste Mensch gewesen. Rüdiger Safranskis Buch „Geschichte einer Freundschaft“ ist die spannend erzählte Biographie dieser für die Dichtung in Deutschland so wichtigen Begegnung.

Goethe und Schiller

Selbstverständlich ist die gemeinsame Geschichte ihrer Freundschaft nicht frei von Konflikten. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch angesichts der revolutionären Umwälzungen in Europa.

Für Goethe war das „Schreckliche an der Revolution ... der soziale Vulkanausbruch.“ Goethe liebte schon in der Natur nicht das Vulkanische, sondern bekannte sich zum Neptunismus, zur Theorie von der allmählichen Veränderung der Erdoberfläche durch die Ozeane:

„Alles Plötzliche und Katastrophische war ihm verhaßt, in der Natur ebenso wie in der Gesellschaft. Das Allmähliche zog ihn an. Er suchte nach Übergängen, vermied Brüche. Die Evolution war seine Sache, nicht die Revolution“, schreibt Safranski über Goethe.

Natürlich war Goethe durchaus in der Lage, sich eine sozial gerechtere Ordnung vorzustellen, aber er wünschte, daß sie durch Reformen von oben zustande käme, etwa so wie sie der Aristokrat Lothario im achten Buch des »Wilhelm Meister« durchführt: Befreiung der Bauern von der Erbuntertänigkeit, gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung der großen Güter.

„Es war nicht allein das Forcierte der Revolution, was ihn schreckte. Er ahnte, daß von nun an die Massen unwiderruflich die Bühne der Geschichte betreten haben könnten. Goethe gehörte nicht zu denen, die das erfreulich fanden. Mit Kant hätte er dies Ereignis als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ interpretieren können.

Aber so sah Goethe die Dinge nicht. Vor allem bezweifelte er, „daß mit den Massen auch die politische Mündigkeit an die Macht käme. Er sieht nur das unheilvolle Wirken der Demagogen, Doktrinäre und Dogmatiker, der `Revolutionsmänner´ wie er sie verächtlich nennt. Sie führen und verführen die Massen und sind doch nur deren Ausgeburten.“ Im zweiten Teil des Faust heißt es:

Die Menge schwankt im ungewissen Geist,
Dann strömt sie nach,
wohin der Strom sie reißt.

Goethe dagegen ist der Auffassung, daß, wenn es um die Angelegenheit der ganzen Gesellschaft geht, ein das Ganze umgreifendes Denken erforderlich ist, das Verantwortung übernehmen kann. „Der gewöhnliche Mensch aber, so Goethe, kann sich zu diesem Gesichtspunkt nicht erheben, und darum wird er leicht zur Manövriermasse von Agitatoren.“

Wer die Gesellschaft verbessern will,
muss bei sich selbst beginnen ...
Vor allem würde eine allgemeine Politisierung den einzelnen Bürger in einen Rausch versetzen, bei dem man letztlich glaube, das Ganze beherrschen zu können, obwohl man sich nicht einmal selbst beherrschen könne.

Man will die Gesellschaft verbessern und weigert sich, mit der Verbesserung seiner selbst zu beginnen. „Im Rausch der politisierten Masse enthemmen sich die niederen Instinkte.“ 

Anschauungsmaterial dafür liefern Goethe der staatliche Terror, der im Jahr 1793 durch Frankreich tobt, die Massenhinrichtungen, die Pogrome, die Plünderungen in den besetzten Gebieten – und wo die Revolution die Köpfe nicht abschlug, reichte ihre Macht immerhin aus, sie zu verwirren.

Zuschlagen muß die Masse,
Dann ist sie respektabel,
Urteilen gelingt ihr miserabel.

„Die Politisierung der Öffentlichkeit nannte Goethe im harmloseren Fall eine allgemeine Ermunterung zur `Kannegießerei´, insbesondere ärgerte er sich über die absurde Verkennung der politischen Realitäten in Deutschland bei den Revolutionsfreunden. Unser Anteil an öffentlichen Angelegenheiten ist meist nur Philisterei, sagte er.“

Goethe lehnt die Revolution ab, weil die mit ihr verbundene Politisierung die Menschen in Verhältnisse und Aktivitäten verwickeln, die sie notorisch überfordern. Sie begünstigen und sind Ausdruck einer fundamentalen Verwirrung der Maßstäbe:

„Das Nahe und das Ferne werden nicht mehr richtig unterschieden. Der Lebenskreis, wo man sich auskennt und den man verantworten kann, wird überschwemmt von Anreizen zum Mitmachen und Mitmeinen, kurz: es findet ein Mentalitätswechsel statt, für den eine viel spätere Philosophie die Formel gefunden hat: Keiner ist er selbst und jeder ist wie der andere. Verwirrung im Großen und Verwahrlosung im Kleinen sind die Folge.

Der Mensch heißt es in `Wilhelm Meisters Lehrjahren´, ist zu einer beschränkten Lage geboren, einfache, nahe, bestimmte Zwecke vermag er einzusehen, und er gewöhnt sich die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand sind; sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder was er will, noch was er soll, und es ist ganz einerlei, ob er durch die Menge der Gegenstände zerstreut, oder ob er durch die Höhe und Würde derselben außer sich gesetzt werde. Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu streben, mit dem er sich durch eine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden kann.“

Erwachsene Gestaltung der Persönlichkeit statt aufgeregte Leidenschaft

Gegen die politische Leidenschaft der `Aufgeregten´ setzt Goethe die aus der Kraft der Begrenzung erwachsene Gestaltung der individuellen Persönlichkeit. Da wir das Ganze nicht umfassen können und das Ferne uns zerstreut, so bildet der Einzelne sich zu etwas Ganzem aus – das ist Goethes Maxime, die einige Jahre später im `West-östlichen Divan´ so formuliert wird:

Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit.

In diesem fast trotzigen Persönlichkeitsideal steckt auch jene glänzende Ignoranz im Dienste des Lebens, die Nietzsche an Goethe rühmen wird. Bei Goethe ist sie jedoch weiträumig, aber lebensklug nimmt er doch nur soviel Welt auf, wie er sich anverwandeln kann. Auch darin war er ein Meister: rigoros alles abzuwehren, was ihn nicht, wie er zu sagen pflegte, fördern konnte. „Bekanntlich blieb Goethes Welt und Leben geräumig genug, auch trotz der entschiedenen Gesten der Abwehr und Abgrenzung.“

Zitate aus: Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft, München 2009 (Hanser)


Donnerstag, 22. Januar 2015

Goethe und die griechische Antike

Johann Peter Eckermann (1792 - 1854)
Weniger die eigenen Gedichte, als vielmehr die Niederschrift seiner Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens haben Johann Peter Eckermann weithin bekannt gemacht. Insbesondere die ersten zwei Bände seiner Unterhaltungen mit Goethe (veröffentlicht 1836) gelten als authentisch und werden in Publizistik, Literatur und Wissenschaft immer wieder als Quelle herangezogen.

Während einige seiner Zeitgenossen Eckermann verspotteten – Heinrich Heine nannte ihn „Goethes Papagei“ – urteilten andere positiv über ihn. Nietzsche bezeichnete die „Gespräche mit Goethe“ sogar als das beste deutsche Buch, das es gibt.

Eckermann selbst sieht sich weniger als Sekretär Goethes, sondern mehr als Gefährte und Freund des Dichters, in dessen Dienst er neun Jahre seines Lebens und seiner Schaffenskraft stellt. Goethe nennt ihn denn auch seinen „geprüften Haus- und Seelenfreund“ und „getreuen Eckart“ und lässt ihm im Jahre 1825 einen Doktorgrad der Universität Jena verleihen, was Eckermann peinlich ist: „Ich musste es geschehen lassen, aber ich war nur glücklich, als ich noch ein ganz einfacher Herr Eckermann war.“

In jedem Fall haben die von Eckermann veröffentlichten Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens ihre Originalität und Gültigkeit auch für heutige Leser behalten. Viele Textstellen können als Leitsätze und Lebensweisheiten auch ohne den weiteren Textzusammenhang, für sich genommen, stehen, und nicht wenige dürfen als treffende Kommentare oder kritische Anmerkungen zu Phänomenen unserer Gegenwart gelesen werden und stehenbleiben.

Dazu gehören mit Sicherheit auch die Anmerkungen Goethes zur Größe des antiken Griechenlands im Vergleich zum damaligen kulturellen und geistigen Niveau in Deutschland:

„Also, mein Guter, ich wiederhole: es kommt darauf an, daß in einer Nation viel Geist und tüchtige Bildung im Kurs sei, wenn ein Talent sich schnell und freudig entwickeln soll.

Wir bewundern die Tragödien der alten Griechen; allein recht besehen, sollten wir mehr die Zeit und die Nation bewundern, in der sie möglich waren, als die einzelnen Verfasser. Denn wenn auch diese Stücke unter sich ein wenig verschieden, und wenn auch der eine dieser Poeten ein wenig größer und vollendeter erscheint als der andere, so trägt doch, im groben und ganzen betrachtet, alles nur einen einzigen durchgehenden Charakter.

Schauspieler in tragischer Szene (Altes Museum, Berlin)
Foto: Paideia
Dies ist der Charakter des Großartigen, des Tüchtigen, des Gesunden, des Menschlich-Vollendeten, der hohen Lebensweisheit, der erhabenen Denkungsweise, der reinen und kräftigen Anschauung, und welche Eigenschaften man noch sonst aufzählen könnte. Finden sich nun aber alle diese Eigenschaften nicht bloß in den auf uns gekommenen dramatischen, sondern auch in den lyrischen und epischen Werken; finden wir sie ferner bei den Philosophen, Rhetoren und Geschichtsschreibern, und in gleich hohem Grade in den auf uns gekommenen Werken der bildenden Kunst: so muß man sich wohl überzeugen, daß solche Eigenschaften nicht bloß einzelnen Personen anhaften, sondern daß sie der Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in Kurs waren.

Wie ärmlich sieht es dagegen bei uns Deutschen aus! – Was lebte denn in meiner Jugend von unsern nicht weniger bedeutenden alten Liedern im eigentlichen Volke? Herder und seine Nachfolger mußten erst anfangen sie zu sammeln und der Vergessenheit zu entreißen: dann hatte man sie doch wenigstens gedruckt in Bibliotheken.

Und später, was haben nicht Bürger und Voß für Lieder gedichtet! (...) Allein was ist davon lebendig geworden, so daß es uns aus dem Volke wieder entgegenklänge? – Sie sind geschrieben und gedruckt worden und stehen in Bibliotheken, ganz gemäß dem allgemeinen Lose deutscher Dichter.

Von meinen eigenen Liedern, was lebt denn? Es wird wohl eins und das andere einmal von einem hübschen Mädchen am Klaviere gesungen, allein im eigentlichen Volke ist alles Stille. Mit welchen Empfindungen muß ich der Zeit gedenken, wo italienische Schiffer mir Stellen des ›Tasso‹ sangen!

Heroen und Adoranten (Altes Museum, Berlin)
Foto: Paideia
Wir Deutschen sind von gestern. Wir haben zwar seit einem Jahrhundert ganz tüchtig kultiviert, allein es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel Geist und höhere Kultur eindringe und allgemein werde, daß sie gleich den Griechen der Schönheit huldigen, daß sie sich für ein hübsches Lied begeistern, und daß man von ihnen wird sagen können, es sei lange her, daß sie Barbaren gewesen.“

Kurz vor seinem Tod setzte der greise Goethe seinen Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Riemer gemeinsam mit Eckermann gegen eine Gewinnbeteiligung testamentarisch zum Herausgeber seines literarischen Nachlasses ein, doch nahm nach Goethes Tod 1832 in Weimar bald kaum noch jemand Notiz von dem kränkelnden, allmählich verarmenden Eckermann. 1836 erschienen endlich seine lange vorbereiteten Gespräche mit Goethe, doch waren die Honorare so gering, dass er davon nicht lange zehren konnte. Am 3. Dezember 1854 starb Eckermann krank und vereinsamt in Weimar.

Zitate aus: Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe. Ausgewählt und mit einem erläuternden Register versehen von Dr. Hellmuth Steger, München 1949 (Deutsches Verlagshaus Bong)