Donnerstag, 25. August 2016

Schiller und die Götter Griechenlands

Friedrich Schiller
Jeder Dichter kennt die Anfechtungen durch die Prosa der bürgerlichen Verhältnisse nur zu gut. Solange er in sein Werk vertieft ist, mögen ihn der eigene Enthusiasmus und die fiebernde Atmosphäre des produktiven Schaffens schützen. Sobald aber die poetische Produktion stoppt oder auch, wenn finanzielle Probleme ihn belasten, kommen die Zweifel hoch, die in der Frage gipfeln, warum man nicht einen soliden bürgerlichen Beruf gewählt hat.

Auch Friedrich Schiller kannte diese Anfechtungen, wie Rüdiger Safranski anschaulich beschreibt. Solange Schiller „in seiner Kunst lebt und webt, versteht sie sich von selbst, in den Augenblicken des Kleinmutes aber gerät die Schönheit unter Rechtfertigungszwang.“

Bei der Überwindung der Krise seines Künstlertums, die ihm um das Jahr 1788 erfasste, half ihm jedoch die Entdeckung der Antike. Er las Homer und die antiken Tragiker. In einem Augenblick, da Schiller am Wert der Kunst zweifelt, beginnt er, wie Goethe zur selben Zeit in Italien, von einer griechischen Antike zu träumen, wo der Sinn für Schönheit angeblich unangefochten triumphiert hatte.

Im Frühjahr 1788 schrieb Schiller »Die Götter Griechenlands«. Das Gedicht beginnt mit den Versen:

Da ihr noch die schöne Welt regiertet,
An der Freude leichtem Gängelband
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!

Schiller knüpft hier, wie übrigens Goethe auch, an Winckelmann an, der mit seinem epochalen Werk `Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke´ (1755) den Vorbildcharakter der Antike hervorgehoben hatte. Die Idee des schönen und freien Menschen sei in ihr auf vollkommene Weise verwirklicht worden. In diesem Sinne heißt es bei Schiller:

Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher.

Glücklicher Götterhimmel ...

Die so verklärte Antike wird zum Ansporn: „Vielleicht kann Kunst doch wieder zum tragenden Element der Kultur werden. Gegenwärtig, so Schiller, ist sie es nicht. In der Moderne dominieren rationale Wissenschaft, Materialismus und Nützlichkeit. Die Welt ist zum Arbeitshaus geworden, mit der Kunst als Dekorum.“

Schiller deutet diese Entwicklung als späte Folge des christlichen Monotheismus, mit dem die große Entzauberung begonnen haben soll. Die Götter hätten sich zugunsten des einen Gottes aus der Welt zurückgezogen. Eine Verarmung. „Die Sphäre, wo einst Helios und die Oreaden am Himmelsgewölbe strahlten, ist jetzt ein leerer Raum, worin seelenlos ein Feuerball sich dreht. Darüber thronte zuerst ein Gott, dann nur noch die wissenschaftliche Vernunft.“ Ob christlicher Gott oder der moderne Gott der Wissenschaft, von beiden gilt:

Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder,
Holdes Blüthenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.

Alle jene Blüten sind gefallen
Von des Nordes winterlichem Wehn.
Einen zu bereichern, unter allen,
Mußte diese Götterwelt vergehn.

Der Kunst zuliebe gerät Schiller ins Neuheidentum, der christliche Gott ist für Schiller „ein ziemlich unangenehmes Phantasma aus Angst und Schuld-gefühlen.“ Kein Gott der Heiligung des diesseitigen Lebens wie die griechischen Götter:

Näher war der Schöpfer dem Vergnügen,
Das im Busen des Geschöpfes floß.

Will man den unsichtbaren Gott verehren, muß man die Sinnenwelt verlassen:

Wohin tret ich? Diese traur’ge Stille
Kündigt sie mir meinen Schöpfer an?
Finster, wie er selbst, ist seine Hülle,
Mein Entsagen – was ihn feiern kann.

Aber Schillers „Götter Griechenlands beschreiben nicht nur die Lebens- und Naturauffassung der als glückliches und harmonisches Zeitalter charakterisierten Antike und schildern im Gegenzug dazu das christliche Zeitalter als ein Stadium des Verlusts, der Freudlosigkeit, der Entfremdung und Entzweiung.

"Schöne Welt, wo bist du?"
Friedrich Schillers Gedicht als Lied von Franz Schubert

Das Gedicht gilt auch als wichtiges Beispiel der Antikenbegeisterung in der deutschen Geistesgeschichte, wie Safranski schreibt: „An die Stelle einer nationalen Klassik, die in Deutschland aus politischen Gründen nicht möglich zu sein schien, sollte also eine Kultur des stilbewußten Anknüpfens an die Antike treten“ – das war die gemeinsame Vision von Goethe und Schiller

Für Goethe und Schiller war es gleichwohl selbstverständlich, daß der antike Geist sich mit dem modernen zu verbinden habe, „in den Begriffen Schillers: es sollte das Naive, also das Antike, mit sentimentalischen, also modernen, Mitteln erneuert oder es sollten moderne Inhalte in antiken Formen verdichtet und gesteigert werden. Wie auch immer, an eine Synthese, eine neue Klassizität, war gedacht, und sie sollte nicht nur gefordert, sondern in Werken ausgeprägt werden.

Zitate aus: Rüdiger Safranski: Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft, München 2009 (Hanser)