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Donnerstag, 20. Juli 2017

Ottfried Höffe und die Philosophie

Die These Ottfried Höffes, die Philosophie „aus Gründen des Artenschutzes zu fördern“, klingt zunächst ungewöhnlich, hat aber durchaus seine Berechtigung, denn die Notwendigkeit, die Philosophie gegen den Zeitgeist zu verteidigen, besteht mehr denn je.

In der Philosophie und den Geisteswissenschaften lernt man nicht bloß gewisse Sachverhalte und Techniken; man übt auch Fähigkeiten und Methoden, sogar Haltungen ein, was eine Bildung im emphatischen Sinn erbringt. Man verändert seine Einstellung sowohl gegenüber der sozialen und kulturellen als auch der natürlichen Welt, nicht zuletzt die Einstellung gegenüber sich selbst.

Das Problem der Bildung in der Philosophie
Insbesondere die Philosophie vermittelt sehr früh, was bei Philosophen „gebildet“ oder „allgemein gebildet“ heißt. Es ist kein Vorrat konkreter Kennt-nisse, der ohnehin rasch veraltet. Gemeint ist vielmehr der Besitz allgemeiner Gesichts-punkte, mit denen man auch dort treffend mithält, wo man auf neuartige Sachverhalte stößt. 

Gebildet ist zum Beispiel, wer den Satz vom Widerspruch, also ein grundlegendes Denkprinzip, nicht aus höheren Prinzipien ableiten will, oder wer sachfremde von sachdienlichen Argumenten zu unterscheiden vermag, und heute: wer für die Wirtschaft und die Naturwissenschaften sowohl deren Wert als auch deren Grenzen einzuschätzen versteht.

Nimmt man als Leitfaden der Wertschätzung die Wissensgesellschaft von heute ernst, so zählen kognitive Kompetenzen. Im Fall der Philosophie, auch der Literatur- und Geschichtswissenschaften, beginnen sie mit einer Art geistiger Wahrnehmung, nämlich der Fähigkeit, selbst komplexe Texte zu lesen.

Um simples Lesen, im Fall der Kunst- und Musikwissenschaften um bloßes Sehen und Hören, handelt es sich freilich nicht. Das Wahrnehmen wird zu einer klaren und genauen Beobachtung gesteigert; es wird mit einer Kultur der Phantasie und Einbildungskraft verbunden und zu jener Kunst des Entschlüsselns entfaltet, die den Gegenstand zum Sprechen bringt.

Das Zeitalter der Globalisierung heißt die Philosophie und Geisteswissen-schaften auch deshalb willkommen, weil sie mit einer zweiten Wissensleistung, dem Erinnern, den kulturellen Reichtum der Menschheit vergegenwärtigt.

Damit verbindet sich drittens eine Urparteilichkeit in der Erinnerung, eine „anamnetische Gerechtigkeit.“ Mag andernorts ein Eurozentrismus, häufiger ein Americozentrismus vorliegen – gegen diesen Kulturimperialismus erhebt die Gesamtheit der Geisteswissenschaften einen vehementen Einspruch. Denn studiert werden die sozialen und kulturellen Gegenstände schlechthin aller Gesellschaften und Epochen. Es geschieht freilich nicht – manchen Kollegen ist allerdings zu sagen: es darf nicht geschehen – auf die desaströse Weise, daß man sich auf das Bewahren von Traditionen verkürzt oder gar im Loblied auf Museen mit einer Kompensation des Fortschritts zufrieden ist.

Philosophie -
Immer über den eigenen Horizont hinaus
Die Philosophie – mag man einwenden – beschränkt sich in der Regel auf einen kleinen Teil der Weltkultur. Dieser Einwand ist nicht unberechtigt, schlicht berechtigt aber auch nicht. Denn Platon dürfte von ägyptischen Lehren beeinflußt worden sein; im Mittelalter, immerhin einer Epoche von vielen Jahr-hunderten, stehen Philosophen sowohl aus der islamischen als auch der christlichen und der jüdischen Welt in engem Gespräch miteinander; die großen Aufklärungsphilosophen Leibniz und Wolff interessieren sich für das chinesische Denken, das in der heutigen Universität im Rahmen der Sinologie ein selbstverständliches Heimatrecht besitzt.

Dabei hat die Philosophie einen großen Vorteil: Sie beruft sich nicht auf kulturelle Besonderheiten, sondern lediglich auf die allgemeine Menschenvernunft und allgemeinmenschliche Erfahrungen. Mag sie auch in einer Region der Welt besonders rasch und weit sich entwickelt haben – als Philosophie interessiert sie sich für Grundgedanken aus allen Kulturen und steht ihnen allen offen.

Die Philosophie ist von ihrem Wesen her eine die Grenzen, vor allem auch die Religionsgrenzen überschreitende Instanz; sie ist ihrer Natur nach ein Anwalt der gesamten Menschheit.

In diesem Kontext  wird eine dem Zeitalter der Globalisierung hochwillkommene Fähigkeit eingeübt, die Sympathie und Empathie mit anderen Kulturen: Wer sich in fremde Denk-, Sprach- und Verhaltensmuster «einlebt», lernt ein dreifaches Verstehen. Er lernt die anderen in ihrer Andersartigkeit, sich und die anderen in ihrer Gemeinsamkeit, schließlich durch den Kontrast sich selbst besser zu verstehen.

Argumentative Klarheit,
sprachliche Präzision
und methodische Sorgfalt
Damit verbindet sich eine argumentative Klarheit, sprachliche Präzision und methodische Sorgfalt, die dem Vergleich mit den Naturwissenschaften nicht zu scheuen braucht. Und weil man die Kulturzeugnisse, statt sich auf fremde Meinungen zu verlassen, selbst studiert, bildet man sich die eigene Meinung, und gegen die oft fragwürdigen Versprechen politischer Führung entwickelt sich eine kritische Urteilsfähigkeit.


Zitate aus: Otfried Höffe: Die Macht der Moral im 21. Jahrhundert. Annäherungen an eine zeitgemäße Ethik, München 2014


Donnerstag, 15. Juni 2017

Dürer und die Philosophie

Im Jahre 1502 erschienen die Quatuor Libri Amorum (Vier Bücher Liebesgedichte), des deutschen Dichters und Humanisten Conradi Celtis. Celtis Freund, der Künstler Albrecht Dürer schuf verschiedene Holzschnitte für die Erstausgabe des Werk. Von besonderer Bedeutung ist die zweite Graphik. Dieser Holzschnitt zeigte die Philosophie, die man als Weltweisheit im allerweitesten Sinne zu verstehen hat. Sie vereinte Theologie, Metaphysik, Ethik, Naturwissenschaft, Astrologie und schließlich Hermetismus, Okkultismus und Magie.

Albrecht Dürer - Philosophia (1502)

In der Mitte des Buchholzschnittes thront alles beherrschend die Philosophie. Krone und Zepter weisen sie als Königin aus. Statt des Reichsapfels hält sie in der wichtigen rechten Hand drei Bücher, was sie sogleich als Herrscherin im Reich des Geistes definiert, zumal sie vollkommen ungewöhnlich das Zepter in der linken Hand hält, wo doch gewöhnlich das Zepter in der rechten und der Reichsapfel in der linken Hand ruhten.

Geht man davon aus, dass Zepter und Reichsapfel ausdrücken, wer worüber herrscht, dann übernehmen die Bücher die Funktion des Zepters und das Zepter die des Reichsapfels, der Geist herrscht oder mittels des Geistes herrscht die Königin Philosophia über alle Herrscher der Welt.

Septem Artes liberales
Von ihrer Brust – dem Sitz des Herzens und damit der Seele – entrollt sich eine Schärpe in Form eines keilförmigen, langgezogenen Dreiecks, auf dem griechische Buchstaben zu erkennen sind. Wenn man die griechischen Kürzel als Treppe oder als Stufen verstehen will, muss man unten anfangen, dort, wo der Aufstieg zur Weisheit beginnt. Es geht um den Aufstieg zu Gott, zur Seligkeit, zur vollkommenen Ataraxie.

Den Anfang macht ein Medaillon, in dem die Büste eines idealtypischen Römers gezeichnet ist, der für die lateinischen Poeten und Rhetoriker Vergil und Cicero steht, für den Ausgangspunkt aller Weisheit, der Propädeutik für ein jedes philosophisches Bemühen.

Absichtsvoll schließt sich zu Füßen der Philosophie das Dürer-Monogramm an – und das an sehr zentraler Stelle zwischen den lateinischen Propädeutikern und dem eigentlichen Aufstieg zur Weisheit, der auf dem Dreieck gewiesen wird. Wie ein Schüler vor seinem Lehrer kauerte Albrecht Dürer zu Füßen der Philosophia.

Dürer-Monogramm und Cicero / Vergil
Nicht sieben, sondern neun Anfangsbuchstaben finden sich, die man mit den neun olympischen Musen in Verbindung bringen könnte, doch damit beschritte man einen Irrweg. Die Stufen hinauf zur Weisheit bestehen aus den Septem Artes liberales (Die 7 freien Künste), die von unten nach oben in den Anfangsbuchstaben für die griechischen Bezeichnungen Grammatik, Logik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik symbolisiert werden.

Die Septem Artes liberales waren die Schulweisheit dieser Zeit, die man duchlaufen musste, die für jeglichen Aufstieg die Voraussetzung schuf, doch das Ziel war Theos, Gott oder die Gottesschau, die Geheimnisse der Schöpfung. Verschlüsselt dargestellt wurde der Weg des Adepten als Geheimbotschaft, der von jedem Adepten auch verstanden wurde.

Ehren erweise vor allem Gott !
Walte immer gerecht !
Nicht die Theologie als Wissenschaft, sondern Theos, Gott, steht als Ziel, den die Seele zu schauen vermag oder besser, der sich in die Schau der Seele begibt. „Denn der Schlaf des Körpers war zur Nüchternheit der Seele geworden“, die Überwindung der Physis führt zu Gott, „und das Schließen der Augen zum wahren Sehen, und mein Schweigen trug das Gute in sich und das Zu-Grabe-Tragen des Redens wurde ein Ans-Licht-Bringen des Guten. [...] Von der göttlichen Wahrheit inspiriert, bin ich hier angekommen.“ Passend fügte Dürer auf den Wangen des Thrones zwei Halbverse aus dem äußerst populären Lehrgedicht eines jüdisch-hellenistischen Dichters aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. hinzu: „Ehren erweise vor allem Gott“ und „Walte immer gerecht.“

Und gerecht zu walten, darf hier nicht Gerechtigkeit im juristischen Sinne, sondern in der steten Forderung der Rechtfertigung vor Gott verstanden werden. Walte immer gerecht, hieß als religiöser Imperativ des Christentums: Handle so, dass dein Handeln vor Gott bestehen kann.

Oben und unten wurden der Graphik Texte beigegeben, die als Dikta der Philosophia zu verstehen sind. Im Prosatext oben stellt sich die Philosophia als Sophia oder Sapientia (Weisheit) vor, je nachdem, ob sie von den Griechen oder Römern benannt wurde, verweist auf ihren ägyptischen und chaldäischen Ursprung, auf ihre Überlieferung durch die Griechen und ihre Weitergabe, ihre Translation durch die Römer an die Deutschen.

Traslatio studii - Der Weg der Weisheit führt zu den Deutschen ...

Diesen Text setzte Dürer bildnerisch um, indem er vier Medaillons gestaltete, in denen im Uhrzeigersinn zu sehen sind: Ptolemäus für die Ägypter und Chaldäer, Platon für die Griechen, Vergil und Cicero für die Römer, Albertus Magnus für die Deutschen.

Platon
Auch hierin zeigte sich wieder das Programm der translatio studii, der Vermittlung kultureller und wissenschaftlicher Schätze von Generation zu Generation. Der Weg der Weisheit beginnt bei den Ägyptern und führt zu den Deutschen.

Philosophie ist letztlich für Dürer die allumfassende Welt-Weisheit, wie es im unteren Text übersetzt in zwei Distichen heißt: 

„Was das Wesen von Himmel, Erde, Luft 
und Wasser ausmacht
Und was das Menschleben umfasst,
was der feurige Gott im ganzen Weltkreis schafft:
Alles trage ich, Philosophia, in meiner Brust.“


Alles trage ich Philosphia, in meiner Brust

Dürers Philosophia-Holzschnitt führt ins Zentrum der Renaissance-Philosophie. Er dokumentiert, wie tief der Maler, auch wenn er die Vorstellungen eines anderen umsetzte, den er doch zumindest verstanden haben musste, mit den philosophisch-theologischen Spekulationen seiner Zeit vertraut war. Das Werk bezeugt schließlich Dürers Zugehörigkeit zum innersten Kreis des deutschen Humanismus.


Zitate aus: Klaus-Rüdiger Mai: Dürer. Das Universalgenie der Deutschen, Berlin 2015