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Donnerstag, 14. September 2017

Ian Buruma, Avishai Margalit und der Hass auf den Westen (Teil 1)

Ein „Okzidentalist“ ist nicht etwa ein Anhänger des Westens und westlicher Ideen, sondern ihr schlimmster Feind. In diesem Sinne verwenden jedenfalls Ian Buruma, ehemalige Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus am Bard College in New York und der israelische Philosoph Avishai Margalit den Begriff „Okzidentalismus“. 

Ian Buruma
Sie verstehen unter Okzidentalismus eine Ideologie des Hasses gegen den Okzident, gegen westliche Gesellschaftsstrukturen und Werte. Okzidentalis-mus darf jedoch nach Meinung von Buruma und Margalit in naiver Vereinfachung mit Antiamerikanismus gleichgesetzt werden. Das Phänomen des Hasses auf den Westen findet sich nämlich gleichermaßen in der deutschen Romantik wie in der westlichen konservativen Kulturkritik, im Japanischen Kaiserreich wie in der Rhetorik der Nationalsozialisten, bei der antiimperialistischen Linken ebenso wie bei Islamisten.

Dem kritischen Lesen mag manche These in Ian Burumas und Avishai Margalits Essay "Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde" gelegentlich überzogen vorkommen, dennoch sind ihre Ausführungen insgesamt überaus aufschlussreich, vor allem der Versuch, den aktuellen Islamismus in eine größere, historische Perspektive des "Hasses auf den Westen" zu stellen.

Buruma, und Margalit argumentieren an zentraler Stelle, dass der Islamismus in seinem Hass auf den Westen - und damit die Feindseligkeit gegen Rationalismus, gegen den angeblichen Krämergeist, die Wurzellosigkeit der Stadt, gegen die Seelenlosigkeit des Agnostikers sich in bunter Gesellschaft befindet, mit historischen Erweckungsbewegungen ebenso wie mit der deutschen Romantik, mit japanischen Antiwestlern und slawophilen Volkstümlern, mit Maos Bauernkommunismus und auch mit gewissen Spielarten aktueller linker Globalisierungskritik

"Der Islam wird die Welt beherrschen." - "Die Freiheit kann zur Hölle fahren."
"Die Sharia ist die wahre Lösung."

Der Angriff auf den Westen, so Buruma und Margalit ist unter anderem ein Angriff auf den Geist des Westens. „Dieser Geist des Westens wird von den Okzidentalisten häufig als eine Art höherer Idiotie dargestellt. Mit dem Geist des Westens ausgestattet zu sein heißt, ein dummer Gelehrter zu sein, der geistig zurückgeblieben ist, aber eine besondere Begabung für arithmetische Berechnungen besitzt. Dieser Geist ist seelenlos, effizient wie eine Rechenmaschine, aber ein hoffnungsloser Fall, wenn es darum geht, menschlich wichtige Dinge zu tun.“

Natürlich – und das gestehen selbst die Gegner des Westens ein – könne der Geist des Westens große ökonomische Erfolge erringen, fortgeschrittene Technologien entwickeln und verbreiten, doch die höheren Dinge des Lebens blieben ihm verschlossen, denn ihm fehlten intuitives Denken und damit letztlich Spiritualität.

Daß intuitives Denken dem abwägenden und diskursiven Denken überlegen sei, ist eine Vorstellung, die wir der Romantik zu verdanken haben. In der Zuordnung von Verstand und Seele stünde die Seele demnach für nichtdiskursives Denken, der Verstand für diskursives Denken. Lege man zu große Betonung auf den Verstand, so verringert sich die Rolle des intuitiven und nichtdiskursiven Denkens.

Der Geist des Westens sei in den Augen der Okzidentalisten – nicht nur der Romantiker – aber nun ein beschränkter Geist, mit dessen Hilfe man vielleicht den besten Weg findet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, der jedoch völlig unbrauchbar ist, wenn man den richtigen Weg finden will – letztlich das Ziel aller religiösen und utopischen Geister – den Weg zum Heil.

Der Rationalitätsanspruch des Geistes und seiner Vernunft sei ohnehin nur die halbe Wahrheit – und zwar die wertlosere Hälfte. „Wenn mit Rationalität die instrumentelle Vernunft gemeint ist, welche die Mittel dem jeweiligen Zweck anpaßt, und zwar im Unterschied zur Wertrationalität, mit deren Hilfe man sich für den richtigen Zweck entscheidet, dann verfügt der Westen über jede Menge von ersterer und kaum etwas von letzterer. Der westliche Mensch ist demzufolge ein hyperaktiver, stets geschäftiger Körper, der immer nur die richtigen Mittel für den falschen Zweck findet.“

Schon Isaiah Berlin betrachtete die Romantik als Teil der Gegenaufklärung. Insbesondere bei Martin Heidegger ließe sich dieser „Kurzschluss zwischen Romantik und Politik" sehr gut beobachten, nämlich „die Machtergreifung der subjektiven Einbildungskraft zuerst auf geistigem Gebiet und dann in der Politik." Isaiah empfiehlt daher, dass „der Dionysiker erst ausnüchtern sollte, ehe er politischen Boden betritt.“.

Waren die Denker der Aufklärung der optimistischen Ansicht, die Menschheitsgeschichte stelle ein lineares Fortschreiten in Richtung einer glücklicheren, vernünftigeren Welt dar, griff das romantische Denken auf uralte religiöse Vorstellungen wie Unschuld, Fall und Erlösung zurück. Der Romantiker hat stets das Gefühl, er sei tief gefallen und befinde sich ganz unten, von wo aus er den Blick nach oben richtet in der Hoffnung auf Erlösung. Dieser Fall ist gekennzeichnet durch „völlige Fragmentierung“ und durch eine dreifache Entfremdung: vom eigenen wahren Ich, von den Mitmenschen und von der Natur bzw. vom wahren Gott.

Für die Romantiker liegen die Hauptgründe für diese Fragmentierung in der Arbeitsteilung und im Wettbewerb der Märkte. Ihr Szenario einer metaphysischen Erlösung soll daher vor allem die Sehnsucht nach Einheit und Harmonie stillen. Der Romantiker ist allerdings freilich alles andere als ein Optimist. Es gibt keine Garantie, daß man die Entfremdung jemals wird überwinden können, und der nichtbürgerliche Romantiker ist somit für immer vom ständigen Streben nach der verlorenen Einheit getrieben.

Das ließe sich jedoch ertragen, denn für den Romantiker stehen die Suche und das Streben an erster Stelle, ganz gleich ob das Ziel jemals erreicht wird - selbst wenn man sich selbst und andere in die Lust sprengt ...

Da gemäß dem romantischen Denkmuster die Unschuld vor dem Fall kommt, neigt romantische Politik dazu, von nostalgischen Empfindungen durchdrungen zu sein. Ob das mittelalterliche Europa, das frühe Christentum, die Hochzeiten des russischen Mönchtums, das alte Japan oder das islamische Kalifat in Al-Andalus – das alles dient als Modell für das Bemühen, die verlorene Harmonie der Vergangenheit, die "Einheit" wiederherzustellen.

Interessanterweise entspricht das Vokabular der Romantik in vielen Fällen dem des Okzidentalismus: Im Hinblick auf den den Geist ist »organisch« beispielsweise ein positiv und »mechanisch« ein negativ konnotiertes Wort. Der organische Geist versetzt das Individuum in die Lage, eins zu sein mit sich, mit anderen und mit der Natur bzw. mit Gott.

Kirejewski (1806 - 1856)
Auch Iwan Wassiljewitsch Kirejewski, einer der wichtigsten slawophilen Theoretiker und wesentlich durch die Romantik beeinflusst, machte sowohl den Rationalismus als auch die Vernünftigkeit als verwerfliche Elemente des westlichen Geistes aus. 

Aristoteles, so Kirejewskij, sei dafür verantwortlich, daß sich der Geist des Westens nach dem unabänderlichen Muster der Vernünftigkeit geformt habe. Glücklicherweise jedoch sei es ihm nicht gelungen, diese Vorstellung seinem berühmtesten Schüler zu vermitteln, nämlich Alexander dem Großen, der gerade deswegen Größe bewiesen habe, weil er nach Ruhm gestrebt habe und nicht nach dem eher belanglosen Ideal, vernünftig zu sein. 

Vernünftigkeit, so Kirejewskij, sei nichts anderes als das „Streben nach dem Besseren innerhalb des engen Zirkels des Gewöhnlichen“. Vernünftigkeit sei ängstliche Klugheit, ein Aufruf zu ausgeprägter Mittelmäßigkeit, sie gründe auf banaler, konventioneller Weisheit, dem Gegenteil wahrer Weisheit. Man habe Angst, originell und ursprünglich zu sein, um nicht als Extremist zu gelten, das Schlimmste, was einem im feigen Westen passieren könne. 

Vernünftigkeit ist somit gleichsam die Kurzformel für den nicht-heroischen Geist, sondern auch von antiliberalen Denkern die schon immer den Händler verachteten, aber den Helden verehrten.

Vernünftig zu sein bedeutet für die meisten - vernünftigen - Menschen Klugheit, Beständigkeit und ein gewisses Maß an Voraussicht. Dazu gehört überdies die Bereitschaft, auf die Vernunft zu hören und aus eindeutigen, nachvollziehbaren Gründen zu handeln. In diesem Sinne ist vernünftig gleichbedeutend mit rational.

Kirejewskij – wie auch andere Okzidentalisten nach ihm – betrachtete Klugheit dagegen als Ängstlichkeit, Beständigkeit als Langeweile und Voraussicht als Streben nach einem uninspirierenden, wohlbehüteten Leben. All das fand Kirejewskij bei Aristoteles – denn Aristoteles nahm allgemein verbreitete Überzeugungen und den gesunden Menschenverstand in der Tat ernst. 

Der Hauptvorwurf jedoch, den Iwan Kirejewskij und andere gegen den Geist des Westens erhoben, ist demnach sein übertriebener Rationalismus. Für Kirejewskij sind das Gefühl, die Erinnerung, die Wahrnehmung, die Sprache und so weiter jedoch mindestens genauso wichtig.

Nun ist Rationalismus landläufig die Überzeugung, einzig und allein die Vernunft könne die Welt verständlich machen. Das hängt mit der Vorstellung zusammen, die Wissenschaft sei die einzige Quelle, um Naturphänomene wirklich zu verstehen. Andere Erkenntnisformen, und hier vor allem die Religion, werden von Rationalisten als potentieller Aberglauben abgetan – zumindest dann, wenn es um die beweisbare Erklärung von Naturphänomenen geht.


Neben dem naturwissenschaftlichen Rationalismus gibt es noch den politischen Rationalismus, der behauptet, die Gesellschaft lasse sich – im besten Fall - demokratisch organisieren und die aktuellen menschlichen Probleme durch Herstellung eines gemeinsamen Konsens lösen, mit Hilfe eines eben rationalen Entwurfs, der bestimmt ist von allgemeinen und universellen moralischen und logischen Prinzipien.

In den Augen der Okzidentalisten hat sich der arrogante Westen aber gerade hier der Sünde des Rationalismus schuldig gemacht, also der Anmaßung zu glauben, mittels der Vernunft könne der Mensch alles wissen und erkennen, was es auf dieser Welt zu wissen und zu erkennen gibt.

So lässt sich der Okzidentalismus verstehen als Ausdruck eines verbitterten Unmuts gegenüber der offenen Demonstration westlicher Überlegenheit, die auf der vermeintlichen Überlegenheit der Vernunft beruht. Heute lässt sich der Hass auf die „Ausbreitung des szientistischen Glaubens“, also des Vertrauens in die Wissenschaft als einzigem Weg der Erkenntnis, hervorragend am Beispiel revolutionärer Islamisten erkennen.

(Fortsetzung folgt)


Zitate aus: Ian Buruma /Avishai Margalit: Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, München 2015

Sonntag, 4. März 2012

Martin Heidegger und der Kurzschluss zwischen Romantik und Politik


(Foto: www.marcuse.org)
Am 27. Mai 1933, also kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten hält Martin Heidegger seine berühmte Rektoratsrede. Seit dem 21. April 1933 ist er Rektor der Universität Freiburg und nur wenige Tage später, am 1. Mai 1933, tritt Heidegger demonstrativ in die NSDAP ein, obwohl es für Professoren im Gegensatz zu anderen Beamten keinen Zwang zur Parteimitgliedschaft gab. 

Heidegger sieht im Nationalsozialismus die Möglichkeit einer überfälligen Veränderung der Gesellschaft.  Es geht für ihn dabei nicht nur um den Kampf gegen die Funktionsuntüchtigkeit des Weimarer Parlamentarismus und für ein neues – völkisches – Gemeinschaftsgefühl. Vielmehr ist der Nationalsozialismus für ihn „etwas viel Erhabeneres, ist der Versuch, auf den Spuren Nietzsches in einer götterlosen Welt einen Stern zu gebären“ (Romantik, 344).

Seine Rektoratsrede mit dem Titel „Die Selbstbehauptung der Deutschen Universität“ drückt Heideggers Wunsch aus, die nationalsozialistische Revolution aktiv mitzugestalten. Heidegger hält seine Rede nicht als Mitläufer, sondern als entschlossener Revolutionär.

Seine Rede ist letztlich ein Lehrstück darüber, dass Romantik besser von der Politik ferngehalten werden sollte, wie Rüdiger Safranski in seinem Buch über die Romantik erklärt. Beispielsweise beschwört Heidegger in seiner Rede das typische romantische Pathos von Augenblick und Entscheidung. In der nationalsozialistischen Revolution nehme für Heidegger eine Elite des Volkes bewusst die Verlassenheit des heutigen Menschen auf und setzt ihre historische Mission in die Tat um. 

Um den Ereignissen die notwendige Tiefe zu geben, zieht Heidegger „alle Register einer politisch-metaphysischen Romantik“ (ebd, 344). Er „selbst inszeniert sich als geistiger Stoßtruppführer. Alle zusammen gehören sie zum Stoßtrupp, zur verwegenen Schar, und der Führer noch ein wenig mehr“ (ebd., 345).

Heidegger fordert in seiner Rede eine grundlegende Erneuerung der Universität: „Der Aufbau einer neuen geistigen Welt für das deutsche Volk wird zur wesentlichen Aufgabe der deutschen Universität. Das ist nationale Arbeit von höchstem Sinn und Rang“ (Heidegger, 273). Das Verhältnis von Professoren und Studierenden solle daher dem von Führern und Gefolgschaft entsprechen.

Vor allem müsse die Universität – ähnlich wie in der Antike – eine Ganzheit wiedergewinnen, nicht nur „irgendetwas Jenseitiges ergrübeln, sondern es geht einfach darum am Werke zu sein. So übersetzt Heidegger den griechischen Ausdruck `energeia´“ (ebd., 278). 

Folglich spricht Heidegger von der Notwendigkeit der drei Dienste:  „Arbeitsdienst – Wehrdienst – Wissensdienst“. Hier verwendet Heidegger das mittelalterliche Bild von den drei Ordnungen „Bauern – Krieger – Priester.“ Die Stelle der Priester nehmen nun – in Anlehnung und zugleich völliger Verkennung der platonischen Gedanken – nicht mehr die Priester, sondern die Philosophen ein. 

Nun also steht der Priester-Philosoph Heidegger da und hält seine Rede, „emporgereckt und martialisch mit Worten klirrend, der Priester ohne Botschaft vom Himmel, der metaphysische Sturmbandführer, umgeben von Fahnen und Standarten“ (Romantik, 346).

Heideggers Haltung wird Karl R. Popper später als Romantizismus bezeichnen, jene „irrationale Einstellung, die sich an Träumen von einer schönen Welt berauscht ... Dieser mag einen himmlischen Staat in der Vergangenheit oder in der Zukunft suchen, aber er wendet sich immer an unsere Gefühle, niemals an unsere Vernunft. Sogar mit der besten Absicht, den Himmel auf der Erde einzurichten, vermag er diese Welt nur in eine Hölle zu verwandeln – eine jener Höllen, die Menschen für ihre Mitmenschen bereiten“ (Popper, 200)

Überdeutlich zeigt sich in Heideggers Rede also der „Kurzschluss zwischen Romantik und Politik. Ein Verkennen der Grenzen der politischen Sphäre, in der pragmatische Vernunft, Sicherheit, Übereinstimmung, Friedensstiftung, Gerechtigkeit maßgeblich sein sollten, nicht Abenteuerlust, Wille zu Extremen, Intensitätshunger, Liebe und Todeslust. 

Immer aber bleibt das Missverständnis, dass man in der Politik etwas sucht, was man dort niemals finden wird: Erlösung, das wahre Sein, Antwort auf die letzten Fragen, Verwirklichung der Träume, Utopie des gelingenden Lebens, den Gott der Geschichte, Apokalypse und Eschatologie“ (ebd., 347).

Dies ist es, was sich Isaiah Berlin zufolge bei Heidegger also gut beobachten lässt: „die Machtergreifung der subjektiven Einbildungskraft zuerst auf geistigem Gebiet und dann in der Politik, was zur Zerstörung überkommener humaner Ordnungen geführt habe“ (ebd., 348). Es ist eben so, dass der Dionysiker erst ausnüchtern sollte, ehe er politischen Boden betritt (ebd., 325).

Am 27. April 1934 trat Heidegger vom Amt des Rektors zurück, da seine Hochschulpolitik weder an der Universität noch bei der Partei genügend Unterstützung fand. Der Grund war nicht, wie er dies später selbst darstellte, dass er die nationalsozialistische Hochschulpolitik nicht länger mittragen wollte, vielmehr ging ihm diese nicht weit genug!

Zitate aus: Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt am Main 20010 (fischer) -- Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt am Main 2002 (fischer)  --  Weitere Literatur: Karl Raimund Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Tübingen 1992 (Mohr / Siebeck)