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Donnerstag, 12. Februar 2015

Lord Acton und der liberale Katholizismus

Vaticanum I (1869-1870)
Die Antwort der Katholischen Kirche auf die zunehmende Säkularisierung des Staates und der Gesellschaft im 19. Jahrhundert war die Hinwendung zu reaktionären Positionen. Das Erste Vatikanische Konzil führte nicht nur harsche Angriffe gegen den Liberalismus den Rationalismus und die Demokratie, es war jedoch vor allem die Doktrin von der Unfehlbarkeit des Papstes in innerkirchlichen Angelegenheiten, die schließlich auch Gegenkräfte hervorrief, die ihr Ziel darin sahen, Katholizismus und modernen säkularen Staat miteinander zu versöhnen.

Zu diesem Kreis gehörte auch John Emerich Edward Dalberg-Acton, Lord Acton (1834-1902), der in einem Brief an den liberalen Premierminister William eine Eindrücke und Gedanken zum Konzil - dem Acton übrigens persönlich beiwohnte - niederschrieb. In einem Brief an den Bischof Mandel Creighton vom April 1887 wird Acton dann seine Prämisse in dem Distum zusammenfassen, das ihn berühmt gemacht hat: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely“ („Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut").

Lord Acton (1834-1902)
Acton ist sich dessen bewusst, dass der Katholizismus, „der mit den Autoritäten verbunden wird“, und der Katholizismus, „der mit der Freiheit verbunden wird“, eher selten in einem harmonischen Verhältnis zueinander standen. „Die Leute sagten, dass wir die Freiheit für uns reklamierten, wo wir schwach waren, und dass wir sie verweigerten, wo wir stark waren; dass unsere Liberalität nur provisorisch war – eine Zweckmäßigkeit, die man annehmen oder abschaffen könne, wie es gerade den Absichten entspräche; dass wir liberal seien, wo es unseren Interessen nutze, aber illiberal aus Prinzip.“

Einerseits kann Acton nun beobachten, dass „die althergebrachte Verflechtung des Katholizismus mit den Mächten dieser Welt – mit Staatspatronage und politischen Privileg mit großer Geschwindigkeit in ganz Europa [zerbirst]“, andererseits sieht er darin eine überaus positive Entwicklung: „Es ist besser, wenn die Menschen ihren Begriff vom Katholizismus aus jenen Ländern gewinnen, in denen die Priester hingebungsvolle Missionare unter den bescheiden lebenden Armen sind und keine, die die Vorteile einer etablierten Kirche genießen.“

Natürlich ließe sich der Gegensatz zwischen Kirche und Welt niemals vollständig überwinden, aber gerade deshalb will Acton deutlich machen, „dass sich unsere Ansprüche auf Prinzipien gründen, die alle wahren Menschen anerkennen, dass wir nichts Parteiisches oder Ausgrenzendes erstreben.“

Religionsfreiheit ist kein Gelegenheitsprodukt
Im Hinblick auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche kommt Acton daher zum Schluss, dass die „Freiheit der Religion … nicht ein Gelegenheitsprodukt flüchtiger Verquickungen …keine bloße Nützlichkeitserwägung [ist], sondern … einer der Hauptzwecke, derentwillen die bürgerliche Gesellschaft existiert, weil die Freiheit das Medium religiöser Wahrheit ist.“

So argumentiert Acton, dass „ein Staat auf die Religion zum Erhalt der sozialen Tugenden nicht verzichten [kann].“ Vielmehr sei eine religiöse Unterweisung in den Schulen notwendig, weil „dadurch „sowohl eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft als auch der Kirche erfüllt wird, die keine andere Maschinerie so leisten könnte.“

Aus diesen gründen ist die Ausbringung des Dekrets zur Unfehlbarkeit des Papstes in höchstem Maße kontraproduktiv. „Der Papst hat sich nunmehr mit der extrem ausgerichteten Partei identifiziert. Das Vorrecht der Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit in allen Moralfragen, das heißt in allen Gewissensfragen, gibt dem Papst die völlige Kontrolle über das Handeln von Katholiken in Politik und Gesellschaft.“

Papst Pius IX (1792-1878)
Weil die Katholiken durch das Dogma nicht nur an den Willen des gegenwärtigen und der zukünftigen Päpste gebunden werden, sondern auch an den früherer Päpste, werden sie gezwungen, beispielsweise das System der Inquisition oder „jegliche andere kriminelle Praxis oder Idee“ früherer Zeiten zu billigen, „sie müssen mit einem Schlag unversöhnliche Feinde aller bürgerlichen und religiösen Freiheit werden. Sie müssen sich zu einem falschen System der Moral bekennen … Sie werden in Schule und Staat zur Gefahr für die zivilisierte Gesellschaft.“

Auch wenn religiöse Irrtümer eine erstaunliche Lebenskraft besitzen, Acton ist überzeugt davon, dass sich die göttliche Wahrheit nicht auf lange Sicht mit dem blasphemischen Irrtum der Irrtumslosigkeit verbinden lässt: „Ich hoffe es wird uns gelingen, die Kirche vor diesem Unheil zu bewahren. Aber das Papsttum wird kaum mehr jene Schuld und Sühne abwenden und die moralische Autorität, die es zuvor genoss, wieder erlangen können.“


Zitate aus: Detmar Doering: Kleines Lesebuch über Freiheit und Religion, Argumente der Freiheit, Band 31, FNS Für die Freiheit, Berlin 2013  -  Weitere Literatur:  Alexander Dörrbecker (Hrsg.): Geschichte und Freiheit. Ein Lord-Acton-Brevier, Zürich 2010 (NZZ Libro)  -  Roland Hill: Lord Acton. Ein Vorkämpfer für religiöse und politische Freiheit im 19. Jahrhundert, Freiburg 2002 (Herder)  -  Zur Homepage des Acton Institute for the study of religion and liberty  -  Die wichtigsten Schriften Actons finden sich auch in „The Online Library of Liberty“


Donnerstag, 8. November 2012

Lord Acton und die Macht


Thomas Hobbes (1588-1679) geht in seiner Theorie vom Gesellschaftsvertrag bekanntlich von der Unvollkommenheit des Menschen aus, dessen Wolfsnatur zu einem ständigen Krieg eines jeden gegen jeden führen würde, wenn sich nicht alle Menschen der Herrschaft eines Einzelnen – dem Leviathan – unterwerfen würden, der die allmächtige Gewalt des Staates repräsentiert, damit dieser Frieden stiftet. Hobbes vertrat also einen aufgeklärten Absolutismus.

Lord Acton
Andere liberale Denker wie der Historiker Lord Acton (1834-1902) dagegen zogen aus der gleichen anthropologischen Prämisse den genau entgegengesetzten Schluss: Wieso sollte ausgerechnet derjenige, der dann die ganze Macht in seiner Person vereinigt sich besser verhalten als die vielen anderen, die wenig Macht besitzen? Wieso sollte man davon ausgehen, dass derjenige, der die Macht besitzt, sie nur zum allgemeinen Nutzen verwendet und nicht für eigene, egoistische Zwecke missbraucht. 

John Emerich Edward Dalberg-Acton war, wie seine biographische Eckdaten belegen, von Geburt an Kosmopolit: Geboren 1834 in Neapel als Sohn von Sir Ferdinand Richard Acton und Marie Luise von Dalberg, verstarb Acton 1902 im bayerischen Tegernsee.

Prägend für das Leben und das Denken Actons war die Tatsache, dass die Familie Acton im 18. Jahrhundert zum katholischen Glauben zurückkehrte. Unter den damaligen englischen Gesetzen war es nun unmöglich, einen freien Beruf auszuüben. Die Vorfahren von Lord Acton zogen deshalb nach Frankreich und schließlich nach Italien, wo der Großvater von Acton, Sir John Acton (1736–1811) neapolitanischer Admiral und zeitweise erster Minister war. Acton war drei Jahre alt, als sein Vater starb. Seine Mutter zog daraufhin nach England zurück - auf die Familiengüter nach Shropshire.

Weil Acton aufgrund seines katholischen Glaubens nicht in Cambridge studieren durfte, ließ er sich privat von Kardinal Wiseman (Oscott) und dem Theologen Ignaz von Döllinger (München) ausbilden. Für sein Hauptinteressensgebiet, die Geschichtswissenschaft, trug er eine umfangreiche historische Bibliothek zusammen. 

1859 ließ sich Acton auf seinem Besitz in Shropshire nieder und zog als Vertreter der Liberalen Partei ins englische Unterhaus ein. Acton wurde ein enger Freund und Berater des britischen Premierministers und Führers der liberalen Partei William Ewart Gladstone.

Nach seinem Austritt aus der aktiven Politik widmete Acton seine Zeit wieder der Histografie. 1872 wurde er zum Ehrendoktor der Philosophie an der Universität München, 1876 ernannte ihn die Bayerische Akademie der Wissenschaften zu ihrem auswärtigen Mitglied. 1890 wurde er Fellow des All Souls College in Oxford. 1895 war er Regius Professor of Modern History in Cambridge, wo seine Antrittsvorlesung The Study of History großen Eindruck machte.

Obwohl Herausgeber mehrerer katholischer Zeitschriften geriet Acton ab etwa 1862 in Konflikt mit der katholischen Hierarchie. Wie sein Lehrer Döllinger bekämpfte auch Acton das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, das schließlich auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870) festgeschrieben wurde. In diesem Zusammenhang ist das von Acton geäußerte Dictum „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ („Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely“) berühmt geworden, das in dieser Form allerdings von ihm erst in einem Brief an den Bischof Mandel Creighton vom April 1887 geäußert wurde.

Trotz seiner historischen Bildung hat Acton nur wenige Werke hinterlassen, darunter jedoch eine History of Freedom in Christianity und eine History of Freedom in Antiquity. Sein Plan, eine „große Geschichte der Freiheit“ zu schreiben, hat Acton niemals verwirklicht. Aber in seinen wenigen Schriften lässt sich gut Acton Verständnis von Macht und Freiheit erkennen.

Das Familienwappen der Actons
Actons Entdeckung der ersten Keime der Freiheit im Israel des Alten Testaments und in der Antike und ihre Fortentwicklung über die Jahrhunderte ist sehr eindrucksvoll und nach wie vor aktuell. So greift Friedrich August von Hayek in seinem Hauptwerk „Die Verfassung der Freiheit“ (1960) viele Anregungen Actons ausdrücklich auf.

„Acton sah die Macht als den entscheidenden Faktor an, der die Freiheit der Menschen gefährden kann“ (Dörrbecker, 3). Freiheit und Individualität sind daher nur möglich, wenn niemand absolute Macht ausübt: „Sei gegenüber der Macht argwöhnischer als gegenüber dem Laster“ (ebd.). Für Acton ist im Anschluss an Locke und Montesquieu die Einschränkung von Macht bzw. von der Teilung der Gewalten im Staat daher grundlegend, wenn sich Freiheit entwickeln soll: „Zerstöre niemals eine Kraft, wenn sie nicht dominiert, sie mag dazu dienen, die Vorherrschaft [einer anderen Macht] zu kontrollieren“ (ebd.). Zu den Hilfsmitteln der Gewaltenteilung gehört für Acton auch der Föderalismus.

Acton erkannte bereits früh, dass sich eine freie Gesellschaft nicht allein auf den Staat und seine Institutionen verlassen darf. Gegen die Tendenz des Staates, seine Macht immer weiter auszudehnen, setzt Acton den Grundsatz, dass der Staat, dort nichts zu suchen hat, wo er nicht beweisen kann, dass etwas seine Aufgabe ist. Der Staat muss zurückgewiesen werden, es sei denn, es handelt sich um Geschäfte, die offensichtlich seine eigenen sind“ (ebd, 3).

Für Acton besteht - wie später für Hayek – die Aufgabe des Staates nicht darin, die Wirtschaft zu steuern: „Politische Ökonomie ist ein Thema, das für ein weites politisches Wissen notwendig ist, das aber wiederum nicht so wichtig ist, wie es unsere modernen Staatsmänner anzunehmen scheinen“ (ebd.)

Die größten Widersacher der Freiheit sieht Acton in den Theorien des Egalitarimus: Bei der Verteilung von Gütern steht Acton einer formalen Gleichheit sehr skeptisch gegenüber. So warnt er ausdrücklich vor dem Versuch der Politiker, nicht vorhandenen Wohlstand zu verteilen: „Das Mischen der Karten ist von geringem Nutzen, wenn alle Trümpfe entnommen sind“ (ebd).

Aber auch der Nationalismus gehört für Acton zu den erklärten Feinden der Freiheit. Acton ist vielleicht einer der ersten, der bereits den Zusammenhang zwischen Nationalismus und Sozialismus erkannte. So gewinnt der Sozialismus vor dem Hintergrund einer durchaus berechtigten Forderung – indem er vorgibt, eine Abhilfe gegen das Elend der Arbeiter zu bieten – an Popularität. Aber selbst „wenn er dieses kurzfristige Ziel der Armutsbekämpfung erreiche, würde er immer auch die Freiheit abschaffen. Dieses Ziel könne, so Acton, nur durch Despotismus erreicht werden. In seinem Verlangen, die stärkste Ausübung von Macht zu etablieren, nimmt der Sozialismus nach Acton den Despotismus und damit die Abschaffung jeder Freiheit in Kauf. Actons historische Forschungen bezeugen, dass die Ideen des Sozialismus im Laufe der Geschichte immer wieder aufkamen und zu despotischen Herrschaften führten, welche wirtschaftlich niemals Blütezeiten waren. So entdeckt er den Sozialismus im griechischen Sparta, bei den Inkas in Amerika oder in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der russischen Provinz“ (ebd., 3f)
 
Actons Werk ist ein uneingeschränktes Plädoyer für die Freiheit: „So stellt er fest, dass Freiheit und eine gute Regierung sich zwar nicht gegenseitig bedingen, sie aber durchaus zusammentreffen können. Freiheit ist ein Garant für das Individuum, nicht für das Funktionieren des Staates. Diese Präzisierung ist Acton wichtig“ (ebd.), denn eine übermäßige Einflussnahme des Staates in das Handeln der Individuen und damit in die Gesellschaft ist für Acton absolut verwerflich.

Die Tendenz des Staates, überall zu intervenieren, führt nach Acton immer zugleich auch zur Bürokratie und damit zum Versuch des Staates, gesamte Bevölkerung zu kontrollieren: „Wenn die gesamte Bevölkerung in Registern geführt, ihre Beschäftigungen und ihr Bedarf verzeichnet und ihre körperlichen Fähigkeiten gekennzeichnet werden, und sie sich selbst in Intervallen der Einberufungsmaschinerie unterwirft, dann beginnen wir die Anwesenheit einer bürokratischen Behörde zu erkennen, die sich in die Familie einmischt und das Leben der Nation dirigiert“ (ebd.).

Diese Tendenz erkennt Acton – wie schon John Stuart Mill vor ihm – auch  in der öffentlichen Erziehung, so dass die Menschen schließlich nicht mehr selbsttätig denken und sich vollständig der staatlichen Verwaltung unterwerfen. „Vom Erziehungswesen bis hin zu anderen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens versuchen die Bürokraten zu klassifizieren (…) Sie versuchen stets, die Menschen entlang willkürlicher Grenzen zu verändern, die auf künstlichen Klassifikationen und arithmetischen – nicht menschlichen – Prinzipien beruhen“ (ebd.).

Gedenktafel für John Lord Acton auf dem Friedhof in Tegernsee

Gegenüber den vielfältigen Versuchen, die Freiheit des Individuums einzuschränken, stellt Acton schließlich fest, dass Freiheit immer wieder von Neuem erkämpft und erarbeitet werden muss. Diese Feststellung hat auch heute noch nichts von ihrer Gültigkeit verloren. 

Zitate aus: Alexander Dörrbecker: Lord Acton: Die bleibende Aktualität seines Werks, online unter:  http://www.libinst.ch/?i=lord-acton

Weitere Literatur:  Alexander Dörrbecker (Hrsg.): Geschichte und Freiheit. Ein Lord-Acton-Brevier, Zürich 2010 (NZZ Libro)  -  Roland Hill: Lord Acton. Ein Vorkämpfer für religiöse und politische Freiheit im 19. Jahrhundert, Freiburg 2002 (Herder)  --  Homepage des Acton Institute for the study of religion and liberty: http://www.acton.org  -  Die wichtigsten Schriften Actons finden sich auch in „The Online Library of Liberty“