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Donnerstag, 31. März 2016

Nietzsche, Camus und die Kritik am verbitterten Sozialismus

Friedrich Nietzsche
Es war Friedrich Nietzsche, der als einer ersten Denker den negativen Mechanismus der Zerstörung, des Massakers und der Vernichtung, welcher bei den Verfechtern des Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus so häufig zu beobachten ist, unerbittlich analysiert hat.

Wie viele angebliche Menschenfreunde haben im Namen von Fortschritt, Menschlichkeit oder Brüderlichkeit Gefängnisse gebaut, Guillotinen aufgestellt, Revolutionstribunale eingesetzt und Köpfe rollen lassen? Nietzsche war gegen diesen verbitterten Sozialismus, der von Rachsucht geleitet und damit den negativen Leidenschaften und dem Todestrieb zuzuschlagen ist.

In seinem Werk „Menschliches, Allzumenschliches“ sah Nietzsche eine völlig neue Form des Despotismus voraus, die auf die Vernichtung der Individuen im Namen der Gemeinschaft, auf den Staat als Religion, auf den cäsarischen und terroristischen Staat und auf die ideologische Verdummung der Massen ausgerichtet ist. Nietzsches Prophezeiung stammt aus dem Jahr 1878. Lenin war gerade acht Jahre alt.

Weiterhin erkannte Nietzsche den reaktionären Charakter einer kommenden sozialistischen Revolution heraus, welche die Tyrannei, die sie abschaffen will, selbst praktiziert.

Im Schatten von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ...
- Menschen im Gulag - 

Nach Nietzsches Ansicht beruhe dieser Sozialismus auf dem kranken Denken von Revolutionären, die weniger nach einer freudigen, positiven Macht strebten als vielmehr nach der negativen Befriedigung, alles zu zerstören, was ihre Machtergreifung behinderte. Sie würden sich zwar vordergründig auf Gerechtigkeit, Freiheit, Volkssouveränität, Gleichheit, Brüderlichkeit und Bürgerrechte berufen, aber ihre hintergründigen und wirklichen Beweggründe sind waren glühender Hass, jahrhundertelange Feindschaft und eine tiefe Boshaftigkeit, die sie innerlich zerfrisst.

Natürlich war Nietzsche kein Vertreter linker Ideologie, Nietzsche vertrat überhaupt keine Ideologie, er war ein ein Philosoph, dessen Kritik an autoritären Strukturen sich aber gerade linke Geister genau anschauen sollten.

So deckt Nietzsche die gebetsmühlenartig wiederholte linke Kritik an den Lebens- und Arbeitsbedingungen  als doppelbödig auf, denn die „Sünde der Unterdrückung durch das kapitalistische Regime werde in einem sozialistischen Regime nicht plötzlich zur Tugend! Vielmehr sei der Preis von Produktivität und Wirtschaftswachstum der Nationen Werteverfall und Selbstekel.“

Die Sozialisten riefen zwar zur Revolution, doch garantieren sie nicht, dass mit ihrem Sieg auch das unwürdige Leben des Proletariats enden würde. Daher fordert Nietzsche auf, nichts vor Ort zu zerstören, sondern andernorts Neues zu schaffen: „Die Arbeiter in Europa sollten sich als Stand fürderhin für eine Menschen-Unmöglichkeit, und nicht nur, wie meistens geschieht, als etwas hart und unzweckmässig Eingerichtetes erklären; sie sollten ein Zeitalter des grossen Ausschwärmens im europäischen Bienenstocke heraufführen, wie dergleichen bisher noch nicht erlebt wurde, und, durch diese That der Freizügigkeit im grossen Stil, gegen die Maschine, das Capital und die jetzt ihnen drohende Wahl protestieren, entweder Sclave des Staates oder Sclave einer Umsturz-Partei werden zu müssen.“

Albert Camus
Auch Albert Camus war gewissermaßen das Gegenteil der verbitterten Linken. Weder in seinem Werk noch in seinen Briefen findet sich an irgendeiner Stelle ein Satz, der geprägt ist von negativen Leidenschaften. Camus war kein Mensch der Ressentiments, sondern ein Mensch der Treue. Kein Leser wird eine Stelle finden, an der er die Mächtigen verteufelt, in ihm war auch kein Hass gegen den französischen Staat. Dass ihm das Elend vertraut war, bot ihm keinen Grund, die Welt vernichten zu wollen. Der verbitterte Sozialismus ist ihm zu dunkel und „thanatophil“.

Bei Camus ist, wie auch bei Nietzsche, die Kritik des verbitterten Sozialismus keine Kritik am Sozialismus, sondern an der Verbitterung. Nietzsche und Camus begegnen einander gewissermaßen „im Sonnenlicht, unter dem klaren Himmel des Mittelmeerraums, und wenden sich gegen die germanische, die europäische Schwere. Ihre Ablehnung des despotischen Sozialismus ist eine Ablehnung des Despotismus, nicht des Sozialismus. Denn der Sozialismus kann sich aus anderen Quellen speisen; er bedarf nicht der schwarzen Wasser der Verbitterung. Bejahende Treue, dionysische Sorge und das Leben unter der Sonne können ihm als Grundlage dienen. Camus liebte das Leben, er wollte das Leben und wünschte, es für sich und andere reicher an Möglichkeiten zu machen. Sein Kommunismus war diesem Wunsch ontologisch eingeschrieben.“

Es liegt in der Natur des verbitterten Sozialismus, die Form eines dionysischen Sozialismus zu zerstören, zu verbieten, in den Schmutz zu ziehen. Seine zynische Logik folgt dem totalen Machiavellismus: „Wenn der Zweck die Mittel heiligt, ist jedes Mittel Recht, um einen Sozialismus zu diskreditieren, der sich durch und für – nicht aber: gegen – das Volk verwirklicht.“

Die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Marx und Proudhon im Kontext der Ersten Internationale ist ein gutes Beispiel: „Mit Blick auf die ideologische Führungsrolle innerhalb Europas ging der Autor von `Das Kapital´ ganz radikal vor, zunächst in ideologischer Hinsicht, später auch mit Angriffen auf die Person selbst.

Ideologisch stellte Marx den wissenschaftlichen Sozialismus – seinen eigenen – dem utopischen Sozialismus – dem aller anderen – gegenüber. Der erste sei wissenschaftlich begründet und verkünde deshalb die Wahrheit über die Geschichte, „die in ihrer Struktur von der Dialektik bestimmt sei, unausweichlich auf die Revolution zustrebe, der selbstzerstörerischen Logik des Kapitals und des Kapitalismus gehorche, auf eine proletarische Avantgarde angewiesen sei, und so fort.“

Proudhon und Marx - Dionysischer und verbitterter Sozialismus
Auch in menschlicher Hinsicht schreckte Marx vor nichts zurück, um den Anarchismus zu diskreditieren. Der Großbürger Marx, der mit einer Baronin verheiratet war und auf Kosten seines Freundes Engels lebte, der ihn mit den Einnahmen aus den eigenen Fabriken unterstützte, beschimpfte den Handwerker Proudhon als Kleinbürger!

Das 19. und 20. Jahrhundert standen unter der Fuchtel des marxistischen Sozialismus. „Jede sozialistische Kritik an dieser Form des Sozialismus wurde nicht als sozialistische oder linke, sondern als bürgerliche oder kleinbürgerliche Kritik etikettiert. Wahlweise auch als reaktionär, konservativ, faschistisch oder nazistisch, manchmal gar hitler-trotzkistisch (!), jedenfalls immer als rechte Kritik.“

Albert Camus beschäftigte sich in seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“ mit dieser bolschewistischen Rhetorik, die jedem, der kein marxistischer Sozialist war, den Sozialismus als solches absprach.


Zitate aus: Michel Onfray: Im Namen der Freiheit. Leben und Philosophie des Albert Camus, München 2013



Donnerstag, 23. Mai 2013

Friedrich Nietzsche und das Gefühl der persönlichen Verpflichtung

Wie so häufig bei selbsternannten Propheten zu beobachten ist, versucht auch David Graeber in seinem Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“, alle vergangenen und gegenwärtigen Prozesse der Weltgeschichte auf einige wenige Grundprinzipien zu reduzieren.

So seien Graeber zufolge Schuld, Schulden und Schuldverhältnisse letztlich die treibende Kraft in der Geschichte, die nicht nur für die Genese von Gewalt- und Machtstrukturen politischer und religiöser Art verantwortlich sind, sondern die letzte Ursache gleichermaßen für Institutionen, Kolonisationen und Revolutionen sind. Das Problem ist, das solch allzu plausibler Blick der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nicht gerecht werden kann.

Zudem ist ein roter Faden, der den Leser durch die Lektüre des Buches führt, nicht erkennbar, weil Graeber sich oft in - zugegeben vielen und teilweise skurrilen - Details verzettelt. Sein Stil ist langatmig und das Lesen eher anstrengend und ermüdend.

Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)
Gleichwohl sind einige Hinweise Graebers durchaus von Interesse, so beispielsweise die überraschende Zeugenschaft Nietzsches im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Geldes, die Nietzsche gewissermaßen en passent in seiner „Genealogie der Moral“ (1887) beschreibt.

So habe, Nietzsche zufolge, das Gefühl der Schuld und der persönlichen Verpflichtung, „seinen Ursprung in dem ältesten und ursprünglichsten Personen-Verhältnis, das es gibt, gehabt, in dem Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner: hier trat zuerst Person gegen Person, hier maß sich zuerst Person an Person.“

So habe man keinen noch so niederen Grad von Zivilisation aufgefunden, in dem nicht schon diese Verhältnisse bemerkbar würden: „Preise machen, Werte abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen – das hat in einem solchen Maße das allererste Denken des Menschen präokkupiert, dass es in einem gewissen Sinne das Denken ist.“

Nietzsche sieht hier den Ursprung menschlichen Scharfsinn und ebenfalls den ersten Ansatz menschlichen Stolzes, das sein Gefühl des Vorrangs gegenüber anderen Lebewesen begründete: „Vielleicht drückt noch unser Wort »Mensch« (manas) gerade etwas von diesem Selbstgefühl aus: der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, welches Werte misst, wertet und misst, als das `abschätzende Tier an sich´.“

Für Nietzsche sind Kauf und Verkauf einschließlich „ihrem psychologischen Zubehör“ eindeutig älter als selbst die Anfänge der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Verbände. Vielmehr habe sich „aus der rudimentärsten Form des Personen-Rechts … das keimende Gefühl von Tausch, Vertrag, Schuld, Recht, Verpflichtung, Ausgleich erst auf die gröbsten und anfänglichsten Gemeinschafts-Komplexe (in deren Verhältnis zu ähnlichen Komplexen) übertragen, zugleich mit der Gewohnheit, Macht an Macht zu vergleichen, zu messen, zu berechnen.“

Aber Nietzsche ging noch weiter, denn er war überzeugt, dass auch die menschliche Moral im Zusammenhang des Verhältnisses Gläubiger-Schuldner entstanden sei. Dazu wies er auf die doppelte Bedeutung des Wortes Schuld hin, denn „Schulden haben“ meint ebenso „schuldig sein“ und in beiden Fällen ist „Strafe“ bzw. „Sühne“ eine notwendige Konsequenz.

"Schuldknechtschaft" in einer Bilderhandschrift des Sachsenspiegels

Als die Menschen schließlich begannen, Gemeinschaften zu bilden, so Nietzsche weiter, begannen sie wie selbstverständlich, das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft in den Begriffen „Schuld“ und „Schulden“ zu formulieren. Dabei folgt Nietzsche mehr oder weniger der sogenannten Theorie von den Urschulden:

„Innerhalb der ursprünglichen Geschlechtsgenossenschaft – wir reden von Urzeiten – erkennt jedes Mal die lebende Generation gegen die frühere und in Sonderheit gegen die früheste, geschlecht-begründende eine juristische Verpflichtung an (und keineswegs eine bloße Gefühls-Verbindlichkeit. … Hier herrscht die Überzeugung, dass das Geschlecht durchaus nur durch die Opfer und Leistungen der Vorfahren besteht, – und dass man ihnen diese durch Opfer und Leistungen zurückzuzahlen hat: man erkennt somit eine Schuld an, die dadurch noch beständig anwächst, dass diese Ahnen in ihrer Fortexistenz als mächtige Geister nicht aufhören, dem Geschlechte neue Vorteile und Vorschüsse seitens ihrer Kraft zu gewähren. Umsonst etwa? Aber es gibt kein `Umsonst´ für jene rohen und `seelenarmen´ Zeitalter. Was kann man ihnen zurückgeben? Opfer (anfänglich zur Nahrung, im gröblichsten Verstande), Feste, Kapellen, Ehrenbezeigungen, vor Allem Gehorsam – denn alle Bräuche sind, als Werke der Vorfahren, auch deren Satzungen und Befehle –: gibt man ihnen je genug? Dieser Verdacht bleibt übrig und wächst.“

Die Argumentation ist klar und einfach erkennbar: Die Gemeinschaft garantiert dem Menschen Frieden und Sicherheit. Deshalb steht jeder Einzelne in ihrer Schuld. Um `seine Schuld gegenüber der Gesellschaft zu begleichen´, muss man ein `Opfer erbringen´, das beispielsweise darin besteht, den Normen und Gesetzen der Gemeinschaft zu gehorchen.

Das Problem aber sei, dass das Gefühl bleibt, wir könnten den Vorfahren oder der jetzigen Gemeinschaft niemals die Schuld zurückzahlen und kein noch so großes Opfer in der Lage wäre, uns jemals zu erlösen, so dass schließlich „mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Buße, der Gedanke ihrer Unabzahlbarkeit (der `ewigen Strafe´) konzipert ist.

Das Problem der Unabzahlbarkeit der Schuld führt zur Notwendigkeit der Erlösung ...

An dieser Stelle zieht Nietzsche nun den Bogen zu „jenem Geniestreich des Christentums“, nach dem „Gott selbst sich für die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an sich selbst bezahlt machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den Menschen selbst unablösbar geworden ist – der Gläubiger sich für seinen Schuldner opfernd, aus Liebe (sollte man's glauben? –), aus Liebe zu seinem Schuldner!…“

Wie schon anfangs gesagt: Eigentlich geht es Nietzsche nicht so sehr um die Entstehungsgeschichte des Geldes, um Kredit und Schulden, sondern sein Ziel ist vielmehr die Entstehung der Moral und hier insbesondere den Begriff der `Erlösung´ zu begreifen, wie also das nagende Gefühl von Schuld umschlägt in eine Sehnsucht nach Erlösung.

Schließlich habe `Erlösung´ nichts mehr mit Rückkauf  zu tun, sondern eher mit der vollständigen Vernichtung der Buchführung.

Zitate aus: Friedrich Wilhelm Nietzsche: Zur Genealogie der Moral, online im Projekt Gutenberg