Donnerstag, 20. Dezember 2012

Der Katalanische Nationalismus und die Sprache


Am 6. Dezember 2012 gab der argentinische Fußballstar des FC Barcelona, Lionel Messi, bei einer Pressekonferenz das folgende Statement ab: „Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass sie (gemeint ist die spanische Regierung) das Katalanische verbannen will. Das Einzige, was ich dazu sagen kann ist, dass ich – seit ich hier ankam – mit dem Katalanischen aufwuchs, es lernte, und niemals Probleme hatte“.

Der FC Barcelona: Toller Fussball und emsige Propagandamaschiene im Dienste des Nationalismus 

Diese Worte Messis stehen in krassem Gegensatz zu seinen Äußerungen in einem Interview, das er vor einiger Zeit für die Zeitschrift der argentinischen Fluggesellschaft gab. Dort gab Messi unumwunden zu, dass seine Schwester ein "Opfer der katalanischen Sprachpolitik“ wurde: „Als mein Schwesterchen in die Schule kam, sprach man Katalanisch. Sie weinte und es gefiel ihr nicht. Daraufhin beschloss meine Mutter nach Rosario (Argentinien) zurückzukehren mit ihr und ihren Brüdern.“

Das Überraschende bei alldem ist vor allem die Tatsache, dass sich ein argentinischer Fußballspieler im Dienste des FC Barcelona überhaupt berufen fühlt, zu Fragen der Linguistik Stellung zu nehmen.

Die Diskussion um die Regelung der Mehrsprachigkeit in Spanien ist seit Jahren Teil der politischen Auseinandersetzungen und ideologischen Kämpfe sowohl zwischen der Zentralregierung und den autonomen Regionen mit eigener Sprache einerseits, als auch zwischen den verschiedenen Parteien und Institutionen des Staates andererseits.

Im Absatz 1 der spanischen Verfassung von 1978 wurde unmissverständlich das Spanische (genauer: das Kastilische) zur Amtssprache des spanischen Staats erklärt: "Jeder Spanier ist verpflichtet, sie zu kennen und hat das Recht sie zu gebrauchen." Gemäß Absatz 2 sind die Regionalsprachen ebenfalls Amtssprachen in den jeweiligen Autonomen Regionen. In Absatz 3 wird den sprachlichen Verschiedenheiten Spaniens ein besonderer Wert und Schutz zugesprochen.

Es mag jedoch verwundern, dass es heute keinesfalls  darum geht, die Regionalsprachen gegenüber der offiziellen Amtssprache zu schützen und zu bewahrten. Vielmehr ist es umgekehrt! Vor allem in Katalonien hat die Sprachpolitik der verschiedenen nationalistischen Autonomieregierungen zu einer klaren Diskrimminierung der spanischen Sprache geführt, mit dem Ziel, sie aus dem öffentlichen (Sprach-)Raum zu verdrängen.

So haben die katalanischen Nationalisten und Separatisten mittlerweile u.a. erreicht,

  • dass Spanisch nicht mehr in den öffentlich-rechtlichen Medien der Region verwendet wird,
  • dass die Verkehrsschilder in Katalonien ausschließlich auf Katalanisch beschrieben werden,
  • dass Katalanisch unabdingbare Voraussetzung für jede Einstellung in die staatlichen Institutionen (!) in Katalonien ist,
  • dass Unternehmer Straf- und Bußgelder bezahlen müssen, wenn sie die Beschriftung ihrer Geschäfte auf Spanisch verfassen und
  • dass in den öffentlichen Schulen in Katalonien das Spanische keine gleichberechtigte Unterrichtssprache mehr ist. 

Die beiden letztgenannten Aspekte nationalistischer Sprachpolitik verdienen eine genauere Darstellung.

Bereits im Jahre 2005 wurden von der Katalanischen Regionalregierung die sogenannten „Oficinas de Garantías Lingüísticas“ ins Leben gerufen, deren Aufgabe bis heute darin besteht, die Bürger zu ermutigen, Anzeigen gegen die Geschäfte zu erstatten, die entweder ihre Schilder auf Spanisch verfassen oder deren Personal nicht in der Lage ist, die Kundschaft auf Katalanisch zu bedienen.

Wir können auch ... anders: Initiative zur Abschaffung der "Sprach-Bußgelder"

Art. 333.1 des „Código de Consumo de Cataluña” regelt das linguistische Erscheinungsbild eines Geschäftes bzw. Unternehmens. Danach kann jeder Inhaber mit bis zu 10.000 € Bußgeld belegt werden, der z.B. sein Firmenschild oder sonstige Hinweise wie „Schlussverkauf“, aber auch die Arbeitsverträge nicht in Katalanisch verfasst hat. Im Wiederholungsfall oder bei Zahlungsverweigerung kann das Bußgeld bis zu einer Höhe von 1.000.000 € erhöht werden.
   
Allein im Jahr 2007 wurden auf der Grundlage von insgesamt 733 Anzeigen Straf- und Bußgelder in Höhe von 2,9 Mio. € in Katalonien verhängt. Besonders bekannt wurde der Fall des Xurde Rocamundi, dem Inhabers eines Immobilienbüros, der 2010 zu einer Geldstrafe von 1.200 € verurteilt wurde, weil sein Firmenschild auf Spanisch verfasst war. Er wurde, wie es im offiziellen Schreiben hieß, von einem "Bürger angezeigt, der anonym bleiben möchte." 

Xurde Rocamundi hat mittlerweile am eigenen Leib erfahren, was mit denen geschieht, die versuchen gegen den nationalistischen Strom schwimmen. So hingen "Revolutionäre Brigaden" gegenüber seinem Geschäft in Arenys in der Nacht zum 6. Januar folgendes Transparent auf.

Hetze auf Katalanisch: "Xurde! Um ein guter Bürger zu sein musst du lernen Katalanisch zu sprechen!"

Die Nacht zum 6. Januar, dem Tag der Hl. Drei Könige (in Spanien Tag der Bescherung) wird in Arenys auch "Nacht der Steckrüben und Kohlköpfe" (Nit de Naps i Cols) genannt, weil - in eindeutig diskrimminierender Absicht - an den Wohnungen der Junggesellen Kohlköpfe befestigt werden, während an die Türen der Frauen, die noch keinen festen Partner haben, Steckrüben gehängt werden. Mittlerweile haben nationalistische Gruppen diese Tradition für ihre Zwecke instrumentalisiert und organisieren Schmutz- und Hetzkampagnen gegen Menschen wie Xurde. Zwar klirrten (noch) keine Scheiben, aber diese Art von Aktionen weckt - insbesondere bei deutschen Gemütern - ziemlich üble Erinnerungen wach ... .

Es mag helfen, an dieser Stelle sich der Gedanken Ludwig von Mises zu erinnern, demzufolge es die alleinige Aufgabe des Staates ist, das Leben und Gesundheit, das Privateigentum und die Freiheit gegen gewaltsame Angriffe von außen zu schützen: „Alles, was darüber hinausgeht, ist von Übel. Eine Regierung, die, statt ihre Aufgabe zu erfüllen, darauf ausgehen wollte, selbst das Leben und die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum anzutasten, wäre natürlich ganz schlecht.“

Für von Mises wird der Staat in dem Moment zu einem Zwangs- und Unterdrückungsapparat, zu einem „Friedhof des Geistes“, sobald der Grundsatz der Nichteinmischung des Staatsapparates in allen Fragen der Lebenshaltung des Einzelnen aufgeben wird, indem er beispielsweise versucht, das Leben der Bürger bis ins Kleinste zu regeln und zu beschränken: „Die persönliche Freiheit des einzelnen wird aufgehoben, er wird zum Sklaven des Gemeinwesens, zum Knecht der Mehrheit.“

Der Traum des katalanischen Nationalismus


Für von Mises ist die Neigung, obrigkeitliche Verbote zu fordern, sobald den Menschen etwas nicht gefällt, und die Bereitwilligkeit, sich solchen Verboten zu unterwerfen, ein Zeichen für ihre Unmündigkeit, denn sie „zeigt, daß der Knechtsinn ihnen noch tief in den Knochen steckt. Es wird langer Jahre der Selbsterziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird.“

Denn: „Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“ – im Fall Katalonien nach den „Oficinas de Garantías Lingüísticas“.

Von besonderer Bedeutung für die Sprachpolitik ist natürlich das öffentliche Schulwesen. Auch hier kann man zweifelsfrei beobachten, dass die nationalistische Politik der „Inmersión lingüística“ (wörtlich: Eintauchen, hier gemeint als: Vertiefung, Intensivierung) dazu geführt hat, dass das Spanische als Unterrichtssprache vielfach schlicht  aus dem Unterrichtsalltag der Schulen verdrängt wurde.

Verschiedene Gerichte haben die Sprachpolitik der katalanischen Separatisten mehrfach verurteiltBereits 1994 hatte das spanische Verfassungsgericht sich mit der Klage eines katalanischen Rechtsanwaltes beschäftigt, der für seine Kinder Schulunterricht auf Spanisch in Katalonien einforderte. Der Klage wurde stattgegeben.

Von besonderer Tragweite ist das Urteil des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 2008. Dieses Urteil verpflichtet die Autonomieregierung Kataloniens dazu, das Spanische an den Schulen als gleichberechtigte Unterrichtssprache einzurichten, sobald Eltern dies für ihre Kinder einfordern.

Mittlerweile liegen 5 Urteile des Obersten Gerichtshofes und ein Urteil des Verfassungsgerichts gegen die Sprachregelung an öffentlichen Schulen in Katalonien vor, die alle in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen: Katalonien muss den Eltern die Möglichkeit zu spanischsprachigen Schulunterricht garantieren, sofern sie es für ihre Kinder wünschen.

Bis auf den heutigen Tag haben sich die Nationalisten in Katalonien geweigert, auch nur eines der gefällten Urteile umzusetzen. Ganz im Gegenteil: Im Rahmen der Parlamentsdebatte über das neue Schulreformpaket haben die Nationalisten bereits angekündigt, dass sie sich nicht an die geltenden Gesetze halten werden.

In dieser Parlamentsdebatte erwähnte der katalanische Politischer Durán i Lleida bezeichnenderweise, dass – trotz Verbote an vielen Schulen in Katalonien - viele Schüler in Katalonien „bedauerlicherweise“ Spanisch sprechen, wenn sie auf dem Schulhof zusammenstünden. Daraufhin meinte der ehemalige sozialistische Bürgermeister von La Coruña in Galizien, Francisco Vázquez, er sehe “keinerlei Unterschied zwischen einem Juden mit einem gelben Stern, der von den Nazis verfolgt werde, und einem Kind in Katalonien, das dafür bestraft wird, weil es auf dem Schulhof Spanisch gesprochen habe.

Das Katalanische ist wie die Mehrheit der Nationalsprachen, die heute so dauerhaft und festverwurzelt in den Kulturen der europäischen Völker erscheinen, in ihren Grundzügen im Laufe des 19. Jahrhunderts "entstanden". So haben emsige Intellektuelle beispielsweise auch das Neugriechische oder das Baskische sowie viele weitere Regionalsprachen „aus den vagen Regionen der volkstümlichen Umgangssprachen geschöpft und in die strenge Form grammatikalisch standardisierter Schriftsprache gegossen, ja teilweise überhaupt erst erfunden. Und was die Philologen nicht schufen, das stifteten die Dichter …“ (Hagen Schulze, 176)

Hintergrund der Sprachpolitik in Katalonien ist selbstverständlich ein für die Nationalisten typisches Verständnis von „Kultur“, dass seinerzeit Ernest Renan mit den folgenden Worten beschrieben hat:

"Wenn man zu viel Wert auf die Sprache legt, schließt man sich in einer bestimmten, für national gehaltenen Kultur ein; man begrenzt sich, man schließt sich ein. Man verlässt die freie Luft, die man in der Weite der Menschheit atmet, um sich in die Konventikel seiner Mitbürger zurückzuziehen. Nichts ist schlimmer für den Geist, nichts schlimmer für die Zivilisation. Geben wir das Grundprinzip nicht auf, dass der Mensch ein vernünftiges und moralisches Wesen ist, ehe er sich in dieser oder jener Sprache einpfercht.“

Ein anschauliches Beispiel für die "interkulturelle Kompetenz" katalanischer Nationalisten


Und weiter Renan: "Ehe es die französische, deutsche, italienische Kultur gibt, gibt es die menschliche Kultur. Die großen Menschen der Renaissance waren weder Franzosen noch Italiener noch Deutsche. Durch ihren Umgang mit der Antike hatten sie das wahre Geheimnis des menschlichen Geistes wiedergefunden, und ihm gaben sie sich mit Leib und Seele hin. Wie gut sie daran taten!"


Auch Adam Smith hatte als Ziel der Erziehung das kritische und selbstständige Denken definiert: „Denn je gebildeter die Bürger sind, desto weniger sind sie Täuschungen, Schwärmerei und Aberglauben ausgesetzt, die in rückständigen Ländern häufig zu den schrecklichsten Wirren führen. Außerdem ist ein aufgeklärtes und kluges Volk stets zurückhaltender, ordentlicher und zuverlässiger als ein unwissendes und ungebildetes ... Er ist dann auch eher geneigt, die Ziele hinter dem Geschrei nach Zwietracht und Aufruhr kritisch zu prüfen und fähiger, sie zu durchschauen“.

Die Sprachpolitik in Katalonien jedenfalls ist nicht geeignet, die Menschen zu gebildeten und kritischen Bürgern zu machen … 

P.S. Auch Fußballer sollten lieber das tun, was sie wirklich können und wofür man sie bewundert: „Das Einzige, was mich beim Fußball wirklich zutiefst beeindruckt, das ist diese Fähigkeit der jungen Spieler, hinzufallen und wieder aufzustehen. Das finde ich begeisternd. Ich finde das ein Manifest der Antigravitation. Wenn man älter und schwerer wird, dann weiß man ja, wie es sonst zugeht. Ich falle gelegentlich vom Fahrrad, und die Mühe, wieder auf die Beine zu kommen, ist eine grauenvolle Beleidigung. Deshalb habe ich großen Respekt vor diesem raschen Aufstehen bei hingefallenen Spielern. Das sind Momente, wo ich innerlich total beteiligt bin. Das Hinfallen gehört zur Sache, aber erst das Wiederaufstehen macht sie großartig“ (Peter Sloterdijk)

Mit seinen Äußerungen zur angeblichen Verfolgung des Katalanischen hat sich Messi jedenfalls klar ins Abseits gestellt.

Nachtrag vom 29.01.2013:
Eine fundierte und zugleich schonungslose Auseinandersetzung mit dem katalanischen Nationalismus  und der ihm eigenen Mystifizierung seiner Geschichte findet sich jüngst in der Reihe "Preguntas a la Historia" des spanischen Radiosenders "esRadio" unter dem Titel "¿Existen hechos históricos que justifican la independencia catalana?" (dt. "Gibt es historische Tatsachen, die eine Unabhängigkeit Katalonien rechtfertigen würden?").

Nachtrag vom 10.04.2013:
Heute wurde bekannt, dass das Oberste Verfassungsgericht Kataloniens  in mehreren Urteilen festgelegt hat, dass die Autonomieregierung verpflichtet ist, den zweisprachigen Unterricht (also nicht nur den Unterricht auf Katalanisch) in den Schullklassen zu garantieren, in denen Eltern oder die Schüler selbst dies eingefordert haben. Obwohl das Urteil feststellt, dass diese Maßnahme sofort umgesetzt werden muss, hat die katalanische Erziehungsministerin  sofort deutlich gemacht, dass die katalanischen Behörden nicht daran denken, sich an den Urteilsspruch zu halten und nichts tun werden, wozu sie das Gericht verpflichtet! - Ein weiteres anschauliches Beispiel für das Rechtstaatsverständnis der Nationalisten!

Nachtrag vom 13.09.2013:
Für die Europäische Komission ist Katalonien nicht nur die korrupteste Region Spaniens, sondern nimmt unter den 172 Regionen Europas den 130. Rang ein. 

Zitate aus: Ludwig von Mises: Liberalismus. Jena 1927 (online unter: http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf) -  Ernest Renan: Was ist eine Nation?, Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne. Reihe EVA Reden, Bd. 20, Hamburg 1996 (Europäische Verlagsanstalt)  -  Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 2009 (dtv)  -  Hagen Schulze: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 2004 (C.H. Beck)



Donnerstag, 13. Dezember 2012

Adam Smith und die Erziehung


Adam Smith (1723 - 1790)
Im 5. und letzten Buch seines Werkes „Der Wohlstand der Nationen“ behandelt Adam Smith unter dem Titel „Die Finanzen des Landesherren oder des Staates“ die drei klassischen Aufgaben des Staates: Landesverteidigung, Justizwesen und Öffentliche Anlagen bzw. Einrichtungen.

Die Aufgaben des Staates ergeben sich nach Smith aus der Beobachtung, dass der Mensch in seinem Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber nicht immer von sich aus die ethischen Normen beachtet, die für ein lebensfähiges Gemeinwesen und ein friedliches Zusammenleben der Menschen notwendig sind.

Aus diesem Grund muss es in jedem Gemeinwesen Einrichtungen geben, die die Macht haben, das Leben und das Eigentum nach außen und nach innen zu schützen, Streit und Auseinandersetzungen gerecht zu schlichten und den Menschen im Staat jene Güter und Dienstleistungen anzubieten, die „ihrer ganzen Natur nach niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug … sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken“ (612).

Sicherlich lässt sich vielerorts bei Smith die aus der Erfahrung gewonnene Skepsis erkennen, dass öffentliche Einrichtungen dazu neigen, fremde Mittel nicht sinnvoll und sparsam zu verwenden, sie sogar nicht selten zu verschwenden, dennoch macht gerade dieses 5. Buch deutlich, dass im System von Adam Smith der Staat keineswegs überflüssig ist.

Allein im Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeiten solle und müsse der Staat allerdings von der Aufgabe entbunden sein, den Erwerbsfleiß der Bürger zu überwachen und zu lenken: „Ein Staatsmann, der versuchen sollte, Privatleuten vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihr Kapital investieren sollten, wurde sich damit nicht nur, höchst unnötig, eine Last aufbürden, sondern sich auch gleichzeitig eine Autorität anmaßen, die man nicht einmal einem Staatsrat oder Senat, geschweige denn einer einzelnen Person getrost anvertrauen könnte … eine Autorität, die nirgendwo so gefährlich wäre wie in der Hand eines Mannes, der, dumm und dünkelhaft genug, sich auch noch für fähig hielte, sie ausüben zu können“ (371).

Ein bekannter Lehrer ...
In anderen gesellschaftlichen Bereichen aber habe der Staat sehr wohl eine wichtige Funktion zu erfüllen. Smith positive Einstellung gegenüber den öffentlichen Einrichtungen wird besonders deutlich am Beispiel der öffentlichen Erziehung. Als Ökonom wendet Smith zwar stets eine Kosten-Nutzen-Analyse an, die allerdings niemals nur auf die finanziellen Ausgaben und Einnahmen abzielt - etwa bei der Frage der Besoldung der Lehrer oder entsprechenden Leistungsanreizen - sondern selbstverständlich auch die gesellschaftlichen Vorteile und Nachteile mit einbezieht. 

Smith hat nur zu genau erkannt, dass das Prinzip der Arbeitsteilung auch soziale Gefährdungen enthält, weil „die Tätigkeit der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die von ihrer Arbeit leben … nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt“ wird. „Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben … So ist es ganz natürlich, dass der verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird“ (662).

Die Folge ist, dass dieser Mensch „die wichtigen und weitreichenden Interessen seines Landes nicht beurteilen kann“ und schlimmer noch: „Ein solch monotones Dasein erstickt allen Unternehmungsgeist“, so dass er schließlich die Fähigkeit verlernt, „seine Kräfte mit Energie und Ausdauer für eine andere Tätigkeit als der erlernten einzusetzen. Seine spezifisch berufliche Fertigkeit, so scheint es, hat er sich auf Kosten seiner geistigen und sozialen Tauglichkeit erworben“ (662f).

Dies wäre die „Lage, in welche die Schicht der Arbeiter, also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern“ (663).

So spricht sich Smith klar für ein öffentliches Schulwesen aus, in dem die Kinder schon früh „die elementaren Grundlagen der Erziehung, nämlich Lesen, Schreiben und Rechnen“ erlernen mögen. Auch wenn der Staat keinen unmittelbaren Vorteil aus der Schulausbildung der breiten Volksschichten haben sollte, „so müsste er doch daran interessiert sein, dass sie nicht Analphabeten bleiben“ (667).

Öffentliche Schule im 18. Jahrhundert

Aber Smith geht es um mehr als nur um das Erlernen von Grundkompetenzen. Ziel der Erziehung müsse immer das kritische und selbstständige Denken sein: „Denn je gebildeter die Bürger sind, desto weniger sind sie Täuschungen, Schwärmerei und Aberglauben ausgesetzt, die in rückständigen Ländern häufig zu den schrecklichsten Wirren führen. Außerdem ist ein aufgeklärtes und kluges Volk stets zurückhaltender, ordentlicher und zuverlässiger als ein unwissendes und ungebildetes ... Er ist dann auch eher geneigt, die Ziele hinter dem Geschrei nach Zwietracht und Aufruhr kritisch zu prüfen und fähiger, sie zu durchschauen“ (667).

So schließt Smith diesen Abschnitt seines Werkes mit einem Satz, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „In freien Gemeinwesen, in denen der Bestand einer Regierung weitgehend von dem zustimmenden Urteil abhängt, welches sich die Bevölkerung über ihre Politik bilden mag, muss es ganz sicher von äußerster Wichtigkeit sein, dass die Menschen nicht dazu neigen sollten, politische Entscheidungen voreilig oder launenhaft zu beurteilen“ (668).

Adam Smith starb im Jahre 1790. Genau 80 Jahre später wurde in England die allgemeine Schulpflicht durch William Edward Forsters Elementary Education Act 1870, eingeführt wurde – eine Forderung, die auch John Stuart Mill in seiner Schrift „Über die Freiheit“ vehement vertreten hatte.
 
Zitate aus: Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 2009 (dtv)

Donnerstag, 6. Dezember 2012

Max Weber und die Legitimation von Herrschaft


Max Weber (1864 - 1920)
Für den deutschen Soziologen Max Weber ist Soziologie die „Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“ (3).

Mit dem Begriff „Herrschaft“ beschreibt Weber ein grundlegendes Feld für „soziales Handeln“ in der Gesellschaft: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ (157). Herrschaft und Gehorsam verhalten sich demnach wie die zwei Seiten der Medaille: Entweder es gibt Gehorsam, dann gibt es Herrschaft oder es gibt keinen Gehorsam, dann existiert auch keine Herrschaft.

In der Antike bezog sich Herrschaft auf die Gesetze der Polis, die das Zusammenleben der Menschen gerecht regeln sollten. Im Feudalismus beschrieb Herrschaft das gottgegebene, gleichwohl persönliche Verhältnis zwischen Herr und Vasall. In der Neuzeit dagegen wird Herrschaft als etwas von Menschen Gemachtes und damit auch Hinterfragbares verstanden.

Die Pnyx in Athen war in klassischer Zeit der Ort der Volksversammlung

Für Weber ist die Frage der Herrschaft – vor allem der Herrschaft des Staates - immer zugleich auch eine Frage der Rechtfertigung: Für Weber ist der Staat „diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes ... das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht: Denn das der Gegenwart Spezifische ist: dass man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zulässt“ (1043).

Aus dieser Beschreibung des Staates leitet Weber sein Verständnis von „Politik“ ab: „`Politik´ würde für uns also heißen: Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen Menschengruppen, die er umschließt. Wer Politik treibt, erstrebt Macht, - Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele - idealer oder egoistischer - oder Macht `um ihrer selbst willen´: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen“ (ebd.).

Aus der Tatsache, dass der Staat, ebenso wie die ihm geschichtlich vorausgehenden politischen Ver­bände, ein auf das Mittel der legitimen Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen ist, ergibt sich zwangsläufig die Frage nach der Legitimation von Herrschaft. Denn damit der Staat bestehen bleiben kann, so Weber weiter, „müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herr­schenden fügen. Wann und warum tun sie das? Auf welche inneren Rechtfertigungsgründe und auf welche äußeren Mittel stützt sich diese Herrschaft?“

Max Weber war nun der erste, der den Begriff der Herrschaft mit dem der Legitimation zusammen dachte – Herrschaft als legitimiertes Machtverhältnis. Dabei unterscheidet Weber drei Typen der Herrschaft und ihrer Legitimation:

Traditionelle Herrschaft - Der Patriarch
Die „Traditionelle Herrschaft“ stützt sich auf die „Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen“ (159). Der Gehorsam beruht hier nicht auf Satzungen, Regeln oder Gesetzen, sondern auf den durch Traditionen dafür berufenen Personen. Der Herrschende ist hier nicht der formale Vorgesetzte, sondern persönlich der Herr. Dies ist die „die Autorität des `ewig Gestrigen´, der durch unvordenkliche Geltung und gewohnheitsmäßige Einstellung auf ihre Innehaltung geheiligten Sitte, die `traditionale´ Herrschaft, wie sie der Patriarch und der Patrimonialfürst alten Schlages übten“ (1043), aber auch die Gerontokratie (Herrschaft des Ältesten im Verband als dem „besten Kenner der Tradition“) oder der Patriarchalismus (Herrschaft eines einzelnen Mannes innerhalb eines „primär ökonomischen und familialen (Haus-)Verbandes“ (170).

Die „Charismatische Herrschaft“ beruht auf einer außergewöhnlichen „Qualität einer Persönlichkeit, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen oder, nicht jedem anderen zugänglichen Kräften oder Eigenschaften begabt oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als `Führer´ gewertet wird“ (179).

Ohne Zweifel charismatische Menschen
Hier wird Herrschaft verstanden als „Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Cha­risma), die ganz persönliche Hingabe und das persönliche Vertrauen zu Offenbarungen, Heldentum oder anderen Führereigenschaften eines Einzelnen, `charismatische Herr­schaft´, wie sie der Prophet oder -. auf dem Gebiet des Politischen - der gekorene Kriegsfürst oder der plebiszitäre Herrscher, der große Demagoge und politische Parteiführer aus­üben“ (1044).

Der Gehorsam beruht hier allein auf der Kraft des Charismas: Es gibt hier keine Hierarchie, keine Amtssprengel, keine Kompetenzen und kein Gehalt oder Pfründe, weil alle Gehorchenden zum Freundschaftskreis des Führers gehören. Es gibt nur örtliche und sachliche Grenzen von Charisma. Die Legitimität der charismatischen Herrschaft geht verloren, wenn das Charisma verschwindet. Das ist ihr großes Problem.

Schließlich spricht Weber von der „Legalen oder auch Rationalen Herrschaft“, von der „Herrschaft kraft `Legalität´, kraft des Glaubens an die Geltung legaler Satzung und der durch rational geschaffene Regeln begründeten sachlichen `Kompetenz´, also der Einstellung auf Gehorsam in der Erfüllung satzungsmäßiger Pflichten, eine Herrschaft, wie sie der moderne `Staatsdiener´ und alle jene Träger von Macht ausüben, die ihm in dieser Hinsicht ähneln“ (1044).

Regeln - Satzungen - Gesetze
Legale Herrschaft beruht also auf dem Vorhandensein von allgemein akzeptierten Regeln und Gesetzes, die ähnlich der Vorstellungen vom Gesellschaftsvertrag „durch Paktierung“ entstehen und eine „unpersönliche Ordnung“ (160) darstellen, der alle, auch der Herrschende selbst, Gehorsam schulden. Für den modernen Rechtsstaat ist diese Herrschaftsform und der darauf beruhende Gedanke der Rechtsgleichheit der Bürger konstitutiv.

Den reinsten Typus der der legalen Herrschaft erkennt Weber in der staatlichen Bürokratie mit ihrem Verwaltungsstab (160ff). Der Verwaltungsstab besteht einerseits aus  dem Leiter, der seine Herrschaft entweder Wahlen oder Designation zu verdanken hat, sowie andererseits den untergeordneten Einzelbeamten. Die bürokratische Herrschaft ist immer auch – wie oben beschrieben – Herrschaft auf der Grundlage „sachlicher Kompetenz“, also Herrschaft auf Grund von Wissen und Fachwissen. Diesen Tatbestand kennt wohl jeder, der sich schon einmal einer „Behörde“ hilflos ausgeliefert sah …
 
Zitate aus:  Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Frankfurt a.M. 2005 (Zweitausendeins)


Donnerstag, 29. November 2012

Adam Smith und die unproduktive Arbeit

„Produktivität“ ist einer der Grundbegriffe der Ökonomie. Im Allgemeinen bezeichnet „Produktivität“ die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowohl eines Unternehmens als auch einer Volkswirtschaft. „Produktivität“ ist somit eine gesamtwirtschaftliche Erfolgskategorie.

Adam Smith (1723 - 1790)
Für Adam Smith gibt es vier verschiedene Arten produktiver Tätigkeit, die nicht nur mit einer jeweils angemessenen gesellschaftlichen Struktur, sondern auch mit einer passenden Form des Eigentums korrespondieren. Es handelt sich dabei um die Jagd, das Hirtentum, den Ackerbau und schließlich den Handel und das Gewerbe (vgl. 587ff).

Zu allen Zeiten hat sich der Mensch als homo laborans durch diese produktiven Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt verdient. Die Ursache oder die treibende Kraft, die den Übergang von einem Stadium in das nächste herbeiführt, ist nach Smith das aktive Bemühen des Menschen, seine materielle und soziale Lage zu verbessern.

So führt nach Smith der individuelle Erwerbsfleiß und das Streben nach Wohlstand dazu, dass sich die produktiven Kräfte entwickeln und sich somit nicht nur die soziale und wirtschaftliche Lage des Einzelnen, sondern auch die des gesamten Gemeinwesens verbessert.

Dies gilt vor allem für die vierte Stufe der Entwicklung, die moderne Tausch- und Handelswirtschaft. Sie ist nach Smith dadurch charakterisiert, dass sich das Individuum seinen Lebensunterhalt durch verschiedene produktive Tätigkeiten verdienen kann, die allesamt auf Tausch beruhen: Für die Leistung oder Nutzung von Arbeitskraft, Boden oder Kapitel erhält der einzelne Mensch ein monetäres Entgelt als Lohn, Rente oder Gewinn. Mit diesem Einkommen kann er sich dann die „notwendigen und angenehmen Dinge des Lebens“ (3) kaufen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Adam Smith der Arbeitsproduktivität – nicht zuletzt aufgrund ihrer volkwirtschaftlichen Konsequenzen.

So unterscheidet Smith zwischen einer „Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht“ und einer Arbeit, „die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv“ (272).

So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er bearbeitet um den Wert des eigenen Lohns und den Gewinn des Unternehmers, seine Arbeit ist also produktiv. Dagegen erzeugt die Arbeit beispielsweise eines Dienstboten nirgendwo einen solchen Wert: „Wohlhabend wird also, wer viele Arbeiter beschäftigt, arm hingegen, wer sich viele Dienstboten hält“ (272).

Natürlich hat für Smith auch die Arbeit des Dienstboten einen Wert, der gleichermaßen einen Lohn verdient. Im strengen Sinne jedoch ist die Arbeit des Dienstboten unproduktiv. Während sich die Produktivität des Arbeiters in einem „Produkt“, einem käuflichen Werkstück oder einer Ware manifestiert, wird die Arbeit des Dienstboten nirgends sichtbar: „Im Allgemeinen geht seine Leistung im selben Augenblick unter, in der er sie vollbringt, ohne eine Spur oder einen Wert zu hinterlassen, mit dem man später wieder eine entsprechende Leistung kaufen kann“ (272f)

Von entscheidender Bedeutung ist nun die Beobachtung Smiths, dass „auch die Arbeit einiger angesehener Berufsstände in einer Gesellschaft, wie die des Dienstboten, unproduktiv ist“, denn „sie drückt sich nicht in einem dauerhaften Gegenstand oder verkäuflichen Gut aus, das auch nach abgeschlossener Arbeit fortbesteht und für das man später wieder die gleiche Leistung erstehen könnte“ (273).

Zu diesen „angesehenen“, aber unproduktiven Berufsständen gehören nach Smith der Herrscher samt seinen Beamten, denn „sie alle dienen dem Staat und leben von einem Teil des Ertrages, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen haben“ (ebd.).

16 höchst unproduktive Arbeiter und Arbeiterinnen (Kabinett der Regierung Zapatero, 2011)

Neben den Vertretern der staatlichen Gewalt muss man laut Smith noch viele andere Berufe in die Gruppe der unproduktiven Arbeiter einreihen: „Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte und Schriftsteller aller Art, zum anderen Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer“ (ebd.).

Das Urteil von Smith über die unproduktive Arbeit kann nicht klarer und unmissverständlicher sein: „So ehrenwert, nützlich oder notwendig ihr Dienst auch sein mag, er liefert nichts, wofür später wiederum ein gleicher Dienst zu erhalten ist“ (ebd.).

Jede Volkswirtschaft beruht auf dem Gesamtertrag aller arbeitenden Menschen eines Landes, der allein das Ergebnis produktiver Arbeit ist. Je mehr von diesem Gesamtertrag für den Lebensunterhalt der Unproduktiven ausgegeben wird, desto weniger steht für die Produktiven zur Verfügung: „Produktive und unproduktive Arbeiter und jene, die überhaupt nichts tun, alle leben sie gleichermaßen von dem Jahresertrag“ eines Landes (ebd.).

Mit verblüffender Schärfe beschreibt Smith das Problem der Finanzierbarkeit der „unproduktiven“ Strukturen des Staates – also des gesamten öffentlichen Sektors:

„Große Nationen werden niemals durch private, aber immer durch öffentliche Verschwendung und Mißwirtschaft ruiniert. In den meisten Ländern werden nämlich alle oder nahezu alle öffentlichen Einnahmen dazu verwendet, um unproduktive Leute zu unterhalten … Sie alle bringen selbst nichts hervor, leben daher vom Ertrag aus anderer Leute Arbeit“ (282).

Smith entsteht die Gefahr, dass „wenn ihre Zahl unnötig erhöht“ wird, „sie in einem einzelnen Jahr so viel verbrauchen können, dass für die produktiv Tätigen nicht genügend übrig bleibt“ (282f).

„Unproduktive Leute, die eigentlich nur aus Teilen der allgemeinen Ersparnisse unterhalten werden sollten, können indes so viel vom Gesamteinkommen verbrauchen, dass viele gezwungen sind, ihre für die Beschäftigung produktiver Arbeitskräfte bestimmten Kapitalien anzugreifen. Dann ist alle Sparsamkeit und kluge Lebensführung der einzelnen nicht mehr im Stande, die Minderung des Gesamtertrages, verursacht durch solch gewaltsamen und erzwungenen Rückgriff, wieder auszugleichen“ (283).

Orte produktiver Arbeit: Die Handelshäuser der Deutschen Brücke in Bergen (Norwegen)

Smith Beobachtungen sind von erstaunlicher Aktualität. Natürlich – und das wird von Smith auch nicht bezweifelt – tragen viele unproduktive Arbeiten direkt und indirekt zur Sicherung und Erhöhung des Lebensniveaus bei. Dies gilt für das Bildungs- und Gesundheitswesen ebenso wie für Kultur und Sport.

Dennoch: Die produktive Arbeit ist und bleibt die Grundlage und Voraussetzung für die Möglichkeit – oder den „Luxus“ – unproduktiver Arbeit. Nur solange es Menschen gibt, die „herstellen, kaufen und verkaufen“, können auch Menschen bezahlt werden, die Kinder unterrichten, die Kranke pflegen, die Geige spielen oder die versuchen, einen Ball ins Tor zu schießen.

Aus der Tatsache, dass das Einkommen für unproduktive Arbeit aus dem Mehrprodukt der produktiven Arbeit abgeleitet wird, ergibt sich daher die stete Notwendigkeit, den möglichen Umfang der unproduktiven Arbeit in Abhängigkeit von ihrem gesellschaftlichen Nutzen, aber vor allem vom Ausmaß der produktiven Arbeit her zu begrenzen.
  
Zitate aus: Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, hg. mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes von Horst Claus Recktenwald, München 2009 (dtv)