Sonntag, 24. Januar 2021

Die Unabsteig-Bar, oder: Weisheit ist immer erlitten!

Den Mitgliedern der „Unabsteig-Bar“

Das Telefon leuchtet auf? Mit aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine WhatsApp-Nachricht! Seit November 2017 hat die App mehr als eine Milliarde aktive Nutzer. WhatsApp hat revolutioniert, wie wir kommunizieren und vor allem in welcher Häufigkeit und in welcher Medienvielfalt wir dies tun.

Viele halten die Kommunikation über WhatsApp, vor allem wenn es sich um WhatsApp-Gruppen handelt, für den großen Selbstbetrug im digitalen Alltags, weil man der Illusion erliegt, Dinge schnell und einfach klären zu können: „Paul hat Geburtstag! Lasst uns mal kurz überlegen, was wir da machen!“ – Und Zack, ist eine neue WhatsApp-Gruppe entstanden, aus der man auch nicht gleich wieder abhaut, weil es ja unfreundlich wäre.

Dabei wissen alle: Wenn es um WhatsApp-Gruppenchats geht, wiederholt sich, was man aus vielen Meetings kennt: Oft sind sie unnötig, meist kommt man anders schneller zum Punkt, und fast immer sind Leute mit am Start, die nicht zielgerichtet kommunizieren, d.h., die so viel posten, dass es nervt, oder so wenig, dass Nachfragen aufkommen, oder die nicht beim Thema bleiben und die Gruppe mit vermeintlich “lustigen” GIFs und Videos verstopfen. WhatsApp-Gruppenchats sind wie ein ständiges Meeting, bei dem niemand die Tagesordnung im Griff hat und alle durcheinanderreden. 

Gleichwohl gibt es WhatsApp-Gruppen, die – obwohl vielleicht aus einer spontanen Laune heraus entstanden – sich mittlerweile zu einem Medium entwickelt haben, das auf vorbildliche Weise unterhaltsame Kommunikation mit analytischer Schärfe kombiniert. Eine dieser „Perlen“ in der Welt der Gruppenchats ist die „Unabsteig-Bar“, dessen (für die Mitglieder !) hohe Qualität nicht zuletzt durch eine  gelungene Mischung der behandelten Themen begründet wird.


Über den Beginn - Der Anfang ist die Hälfte vom Ganzen

  • Sticker: Also: Freitag, 16.08., gegen 16:00, Treffpunkt Bratwurst-Bier-stand am Tunnel!
  • B. Asi Leus: Perfekt.
  • Sticker: Kennzeichen: Hareico-Stadionwurst in der einen Hand - Holsten in der anderen.

  • B. Asi Leus: After Show sollten wir auch vom Spielverlauf abhängig machen. Grundsätzlich so wie Sticker sagt... Offene Verläufe zulassen!
  • Unus: Ich bin auch für Improvisation!!! Aber kann Sticker das????
  • Sticker: Na klar! Muss nur richtig geplant werden. Habe schon mal n Ordner „Spontane Improvisation“ angelegt!

Orte der Unabsteig-Bar:
Der Shuttle-Grill in Stellingen


Über Kultur, oder: Das Vergnügen am Vergleich

  • B. Asi Leus: So, gleich ins Männerrefugium: Baumarkt. Endlich mal wieder unter sich, Pommesbude nebendran für die Fachgespräche bei ner Dose Bier!
  • B. Asi Leus: Baumarkt Digga, letztes Refugium nicht-intelektueller Männer-kultur!
  • Sticker: Im Allgemeinen reicht einem Handwerker gesunder Menschen-verstand ... und n büschen Plan vons´ Ganze
  • B. Asi Leus: Ja Mann. Wie beim wirklichen Akademiker auch. Beim selbsternannten natürlich nicht. Diejenigen mit den schlechtesten Abschlüssen sind die Vielredner auf Konferenzen!
  • Sticker: „A man has to be what he is.“ (Alan Ladd in „Shane“). Der Western hatte schon immer eine hohe zivilisatorische Botschaft! 

  • Unus: Let us see
  • B. Asi Leus: Dein Englisch wird immer besser. Damit hast du enormes Influencer-Potenzial, auch in Schule. Kannst Banales oder Unsinn so ausdrücken, dass den Leuten vor Ehrfurcht die Kinnlade runterfällt. 
  • B. Asi Leus: Die Welt ist letztlich gar nicht so kompliziert. Wer die Alten Sprachen gelernt hat oder Plattdeutsch kann, hat einen Vorteil! (…) Lokale Dialekte und Alte Sprachen geben Bodenhaftung!


Über den HSV – Unter dem Blickwinkel der Ewigkeit …

  • Sticker: Irgendwo muss man ja auch die eigenen Honk-Anteile bedienen. Was gibt es da besseres als Fussball und HSV. Man muss es nur mythisieren, so dass es später zur Legende wird ... Stellingen Lutsch-gefahr ... das ist, was bleibt.
  • Unus: HSV wieder auf den alten Herberger Trick von 1954 reingefallen: Unwichtiges Spiel hoch gewonnen, wichtiges Spiel DFB-Pokal verloren! Naja, Mannschaft und Trainer sind zu jung, kennen diese Tricks nicht... Sie haben nicht verstanden, dass du wie die Sau kämpfen musst!!!!!

  • Unus: Spielniveau 2. Liga 
  • Sticker: Es IST 2. Liga!
  • Unus: Stimmt ja!!! Total vergessen in der Euphorie! Unus: Warum sind wir nicht Trainer???
  • Sticker: Sind wir doch! Nur auf höherem Niveau
  • Unus: CL Sieger 23 bis 2030!!!!

  • Sticker: 2072 - das Jahr, in dem der HSV dann länger in der 2. als in der 1. Liga war ...


Farben der Unabsteig-Bar: Nur der HSV!


Über Punk: Punk bleibt Punk!

  • Sticker: Hannah Arendt ist so was von geil, wenn es um die Analyse von Macht und Einfluss geht, (…) weil sie den Menschen und seine conditio im Blick hat und nicht nur seine Lebensumstände. „I don't know how to live but I got a lot of toys” (Bad Religion, „21century digital Boy“).
  • B. Asi Leus: Ein Schuss Punk hilft immer, die Welt zu verstehen und vernunftbezogen zu handeln!!

  • B. Asi Leus: Die wesentlichen Entscheidungen werden in Kühlschrank-nähe getroffen!!
  • Sticker: Nüchtern unerträglich, besoffen schalala (Kotzreiz).

  • Sticker: Stadionbesuch gestern genial. Ich muss jetzt nur sicherstellen, dass … nichts ausplaudert: „Papa, Du bist peinlich“ habe ich ein paarmal gehört. Dabei habe ich doch nur „Spiiitzenreiter ...“ geschrien ...!
  • Unus: Du aber am lautesten!
  • B. Asi Leus: Jo, das ist so, wenn die Kids Teens sind. Don't worry! Komme gerade zurück vom Pennywise-Konzert! Haben mit 1000 anderen mitgegrölt - da ist nix mehr peinlich.


Über das Politische 

  • B. Asi Leus: Ich verschmutze gern im Biotop der Political Correctness, in der sich vielfliegende, Rotwein-trinkende Narzissten (…) wohlfühlen: Im Kern chauvinistische Sozialneider mit Beamtenprivilegien und sadistischem Verhalten gegenüber Andersdenkenden.
  • Unus: Ich habe konvertiert als Marius Müller-Westernhagen in Maß-anzügen herumlief!!! Völlig contra zu seinen Texten. 
  • Unus: Ich stehe zu meiner Philosophie: Gute Arbeit für gutes Geld (Handwerker sozialisiert) und ansonsten ehrlich bleiben, Meinung sagen (da wo zugehört wird) und sich über das Leben freuen. Ich bin heute noch Handwerker unter den Intellektuellen und deshalb läuft jeder Laden
  • B. Asi Leus: So einfach können die Dinge sein, wenn man einer boden-ständigen Lebensphilosophie folgt!
  • Sticker: In Zukunft gilt es, genau das Gehenteil von dem zu machen, was der PC-Diskurs fordert ... zumindest in den meisten Bereichen
  • B. Asi Leus: Ja Mann! Ich bin dabei!!
  • Sticker: Das Geile ist, dass die Politisch Korrekten vor Neid platzen - bei soviel Triebstau. Is´ einfach auch nicht gesund, dieses assige „Der wahre Genuss liegt im Verzicht!“
  • Unus: Richtig!!! Unser Motto: Vorfreude ist (fast)fieberte Freude
  • B. Asi Leus: Politik und Interessengruppen liefern den Inhalt (Political correctness), die gehöre Empörungskultur die Form und Social Media das Medium. Wer das durchschaut, kann das individuelle "Ich hab´ jetzt mal keinen Bock" in höchstem Maße kultiviert und akzeptiert verbrämen.
  • Sticker: Fuck political correctness!
  • B. Asi Leus: Ja, Mann!

Landschaften der Unabsteig-Bar, hier
im Dienste einer tiefenstrukturellen Analyse mit abschließendem Urteil

Über das System Schule, oder: Das Leben zwischen Sein und Schein

  • Unus: Ihr habt es so gut!!! Vorgestern kurzen Einlauf von der Chefin bekommen. Grund: Überall wo sie hinwill bin ich schon da, sie sprach von „überall reingrätschen“, ich arbeite zu viel (…) bin zu beliebt...
  • B. Asi Leus: Ich fasse es nicht! Man könnte dich auch loben für Dein Engagement!!! Aber so ist das, wenn Loser und Unterrichtsflüchtlinge in Leitung kommen. Sie müssen irgendwie beweisen, dass sie zu Recht dort sind, wo sie sind. Wobei sie eben wissen, dass sie zu Unrecht dort sind und deshalb andere runtermachen. 
  • B. Asi Leus: Nimm den Anschiss als Kompliment! Es adelt dich …
  • Sticker: Aber so ist das mit Leuten, denen das theoretische Niveau fehlt. Die basteln sich i-was am Schreibtisch zurecht und glauben, sie hätten die Welt erfunden ...

  • B. Asi Leus: Desorientierte neigen dazu, anderen Orientierung geben zu wollen!
  • Unus: Geiles Zitat!!! Hast du was genommen?
  • B. Asi Leus: Ist kein Zitat, ist authentisch von mir. Darf aber zitiert werden! (ist hiermit erledigt! – Paideia)
  • B. Asi Leus: Weiter machen wie gewohnt: Authentisch sein, situations-bezogen und nicht dogmatisch agieren. Die Experten, wenn sie Sinnvolles in Bezug auf unsere Zielklientel (Schüler!) machen lassen - Empowerment nennen das die Imponiersprachler. Bescheiden sein - und bisweilen zeigen, dass man auch etwas vom Geschäft versteht. Ist ganz einfach, wenn man normal ist und Selbstvertrauen mit Empathie verbinden kann. Leider haben wir zu viele Narzissten, die in Leitung wollen.
  • Unus: Mein Führungsstil ist Bock auf Schule

  • Unus: Leute Transparenz ist out!!! Heißt jetzt Nachvollziehbarkeit oder so´n Scheiss!!!
  • Sticker: Nachvollziehbarkeit impliziert immer auch Simplifizierung, oder - heute erst gelesen - Simplexität = Vereinfachung von Komplexität. Wat ein geiles Wort! Kommt aus einem der Bücher über Digitalisierung!  Das hatte schon Luhmann gesagt: der Mensch neigt zum Einfachen ... „Komplexitätsreduktion“ nannte er das.
  • Unus: Ein Tipp für Führung: Der Laden muss laufen!!!
  • B. Asi Leus: Jep, so einfach ist das!!
  • B. Asi Leus: Nachvollziehbarkeit heißt Storytelling, den Leuten Entscheidungszwänge und -logiken vorgaukeln, Transparenz war immer auch ne Scheintransparenz. Es gibt auch inzwischen Autoren, die das Situationsbezogene, das Authentische, das Führen über Kategorien-setzung, über Charisma in ihrer Kombination als effektiv beschreiben. Normativ kann ich Führung gar nicht definieren, das würde alle spezifischen Faktoren auf Sender- wie Empfängerseite ausblenden.

  • B. Asi Leus: Letztlich ist Schule eben auch ein Schaulaufen von Egos, ein mikropolitisches System der Ressourcenverteilungskämpfe, eine Bühne zur Gewinnung von Anerkennung... Rationalität steht in der Regel erstmal hinter der Emotionalität. Window dressing für viel Geld ohne Effekte, weder bei den Schülerzahlen noch bei den Schülerleistungen.
  • B. Asi Leus: Nichtskönner bemühen halt immer Strukturen und Prozesse, ohne selber etwas zu Effekten beizutragen. Das sind eben Schnacker! Den anderen immer nur einen Schritt voraus bei der Verwendung von Imponiervokabular!

  • B. Asi Leus: Darum muss man gar nicht so viel über Führen und Leiten sprechen und das akademischen aufpeppen, man braucht zunächst mal Leute, die anderen was zutrauen können und nicht nur sich selber, die anderen was gönnen können, auch Erfolg, und sich selber nicht ganz so wichtig nehmen.

Erkenntnisse der Unabsteig-Bar, Teil 1


Über Verwaltung

  • Sticker: Der Bürokrat führt ja lediglich Verordnungen durch, die er selbst nicht erlassen hat. Aber er macht sich natürlich die Illusion einer „weitreichenden Tätigkeit“ und fühlt sich selbst den Menschen „der Praxis“ himmelweit überlegen.
  • B. Asi Leus: Da, wo die Leute nix Besseres zu tun haben, darüber zu sinnieren, was Führung ist oder sein soll, liegt deutlich was im Argen. Dort spiegeln sich Defizite auf der persönlich-individuellen Ebene im Systemischen. Manche können es eben, andere können nur drüber reden!
  • Unus: Leider alles wahr und wir wundern uns, warum beim Schüler nichts ankommt!! 


Über Eltern

  • Unus: Neulich sind Kids der 6. Klasse vom Weg Sportplatz - Sporthalle durchgeregnet, Wolkenbruch. Die Kids waren gerade in der Halle, nass leider, da hatte ich die Eltern am Telefon!!! Tenor: Warum wir das Wetter nicht beeinflussen
  • B. Asi Leus: Ja Mann!! Ist auch unerhört, keinen Draht nach oben!! How dare you!!
  • Sticker: Echt Assi!

  • B. Asi Leus: Die basisdemokratische Beteiligung von (meist kompensierenden) Eltern am Bildungsprozess ist der für mich entscheidende Grund für den relativen Niedergang des Bildungswesens.
  • Unus: Aus Mücken Elefanten machen, um dann riesige Probleme zu wälzen, die ich gar nicht sehe. Zuviel Misstrauen und zu wenig positives Denken (und Hoffen). 

  • Unus: So wieder Zeugniskonferenz, zuerst mit den Eltern und Schülern, ohne Noten.
  • B. Asi Leus: Jo, kenn ich noch. Waste of time und inszenierter Lügenstadl. Wie es so ist: Probleme werden nicht mit klarer Kante gelöst, sondern in Strukturen aufgelöst, die nichts bewirken, aber Zeit kosten und damit das Eigentliche, das Kernprodukt, beschädigen.
  • Unus: Jetzt stundenlang Kompetenzkreuze
  • B. Asi Leus: Strukturell liegt das Problem darin, dass Schule nicht mehr als Exekutivorgan gesehen wird, dessen politische Steuerung ausschließlich über Parlamente und nachgeordnete Bürokratien erfolgt, sondern mehr und mehr basisdemokratische Elemente eingeführt wurden, die sich nicht bewährt haben, die man nun aber nicht mehr loskriegt, weil gefühlte Entdemokratisierung nicht zum Zeitgeist passt. In diesem Dilemma werden Gremien und Instrumente draufgesattelt, die über die alleinige Masse Funktionalität nicht zulassen und so Schulleitung ermöglichen sollen über die Dysfunktionalität des Mikrosystems. So findet Schule im permanenten Ausnahmezustand statt, Routinen kehren erst ein, wenn Fake Systeme etabliert sind. Nur: Das alles zieht eine umfangreiche Deprofessionalisierung des Expertensystems nach sich und in langer Perspektive das Absinken des Niveaus.
  • Unus: Du musst hier alle immer ganz wichtig nehmen, aber wo nix ist kann auch nix wachsen.


Erkenntnisse der Unabsteig-Bar, Teil 2


Über Kommunikation ...

  • Unus: Kommunikation, ich kann es nicht mehr hören!
  • B. Asi Leus: Alle, die sich über Kommunikation beschweren, haben ihren Willen nicht durchgesetzt, bekommen Dinge nicht geregelt etc. Dann wird das Versagen in der Kommunikation rationalisiert und somit auf andere verschoben. Moderne, politisch korrekte Form zu sagen: Andere sind schuld oder du bist schuld.
  • Sticker: Klar, hier zählt nur die komplementäre Kommunikation, bei der es immer einen "überlegenen" und einen "unterlegenen" Partner. gibt, wobei manche für sich in Anspruch nehmen, die Höhergestellten zu sein. Wenn sie diese Position in Gefahr sehen, werden sie hektisch bzw. fangen an, über Kommunikation zu sprechen ...
  • Unus: Leider kommt niemand mehr auf die Idee, seine Arbeit zu tun - und die einfach gut machen! Fertig! Kommunikation auf ein Minimum beschränken, spart Zeit und Kraft.
  • Unus: 3 Grundregeln für Schule, wenn du von Schule keine Ahnung hast: 1. Fresse halten 2. Fresse halten und 3. Fresse halten!!
  • B. Asi Leus: Ja Mann!!
  • B. Asi Leus: Schule wird vorrangig für Leute gemacht, die nicht Ziel-gruppe des Bildungsauftrags sind.
  • Unus: Aber wir sind ne echte Plakettenschule mit unzähligen Arbeits-gruppen 
  • B. Asi Leus: Meeten statt teachen! Pappmaschee-Schule oder Mickey Mouse-Schule, wie ich zu sagen pflege... Ist aber wichtiger als quali-fizierter Unterricht heutzutage!!!
  • Unus: Macht vor allem bei den Eltern viel her und schließlich regeln in Schule ja alles die Eltern!!!
  • B. Asi Leus: Die Wichtigen halten sich für Rock Stars und das System erstarrt bestenfalls im Mittelmaß! Die wahren Guten machen auf Biedermeier und flüchten ins Unpolitische und leben Unabsteig-Bars! 

  • B. Asi Leus: Es gibt ja zwei Formen von Kleingeistern: Die Traditionalisten, die Größe durch Meckern, Anschwärzen und Finger-zeigen gewinnen wollen (Blockwart-Variante mit Totalitarismus-Potenzial) und die angelsächsische Mutation, die Größe durch Loben und Helfen am richtigen, blitzlichtgewitterträchtigen Ort gewinnen wollen (Jünger der PC mit Korruptionspotenzial)!


Über Unterricht ...

  • Unus: Heute so eine geile Doppelstunde … gehalten!! Eigentlich schade, dass die Chefin nicht hospitiert hat...
  • Sticker: Sternstunden im Lehrerdasein
  • B. Asi Leus: Wer kann, der kann! Der hat sein Handwerk im Griff!
  • Unus: Das Handwerk ist echt einfach, wenn du Zugang zu den Schülern hast
  • Sticker: Das ist der Schlüssel!
  • B. Asi Leus: Das eine kommt mit dem anderen! Die Schüler merken sofort, wer was kann! Und vor allem, wer nichts kann!!

Soweit einige ausgewählte Beiträge aus der Unabsteig-Bar. Die Sozialpsychologie hat hinlänglich belegen können, dass Gruppenchats das Zugehörigkeits- und das Selbstwertgefühl stärken und auf diese Weise das Individuelle und das Kollektive gleichermaßen bedienen … 

oder wie es B. Asi Leus ausdrückte: „Dieser Chat-Kanal ist Unübertreff-Bar!“

Zahlenzauber der Unabsteig-Bar:
Die Nummer 1 ...






Donnerstag, 21. Januar 2021

Michael Walzer und der richtige Abstand der Kritik


Unter Kritik versteht man üblicherweise die die Beurteilung eines Gegenstandes oder einer Handlung anhand von Maßstäben. „Kritik“ ist in den Augen von vielen Autoren der Politischen Philosophie somit eine Grundfunktion der denkenden Vernunft und wird, sofern sie auf das eigene Denken angewandt wird, ein Wesens-merkmal der Urteilsbildung. Manche halten sie im Sinne einer Kunst der Beurteilung für eine der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten.

Neben der Bedeutung der prüfenden Beurteilung und deren Äußerung in entsprechenden Worten bezeichnet die „Kritik“ aber auch eine Beanstandung oder Bemängelung von Zuständen und hier insbesondere auch Fehler und Versäumnisse in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Rolle des Kritikers bzw. der Gesellschaftskritik.

Kritik beruht letztlich auf der Tatsache, dass weder Traditionen noch Über-zeugungen – auch nicht die eigenen! - aus einem Guß sind, sondern eine gewisse Vielfalt, innere Spannungen oder Widersprüche aufweisen. Im Allgemeinen ist Kritik immer dann besonders treffend, wenn sie genau auf solche Diskrepanzen aufmerksam macht. 

Michael Walzer (* 1935)

Auch Michael Walzer hat sich in seinen Werken mit der Rolle des Gesellschafts-kritikers beschäftigt. Sein Werk „Just and Unjust Wars“ (1977) enthält eine eine Kritik an einer bestimmten Form des Krieges, darunter auch einige seiner eigener Nation. In „Spheres of Justice“ (1983) - kritisiert Walzer die Dominanz von Geld und Macht. 

Walzer beschäftigt aber vor allem die Frage, wie die Rolle des Gesellschaftskritikers zu verstehen ist. „Ist der Kritiker, wie es Intellektuelle oft sind, nur ein Konformist der Nonkonformität? Schon Rousseau hatte es vermutet, wenn er im Ersten Discours schrieb, sie seien nur `Feinde der allgemeinen Meinungen, und um sie zu den Altären zurückzubringen, brauchte man sie nur für Atheisten zu erklären´.“

Walzers Idee der Gesellschaftskritik wird vor allem von der Frage beherrscht, wie weit sich der Kritiker von der Gemeinschaft, die er kritisiert, entfernen darf.  Nach Meinung Walzer wird der kritische Abstand „in Zentimetern gemessen“. Damit will Walzer deutlich machen, dass die Kritik nur dann effektiv sein kann, wenn der Kritiker den Menschen nahe bleibt. „Wie sonst soll sie die Herzen der Menschen erreichen? Wie sonst könnte sie verständlich sein? Was wie ein Gebot der Effizienz klingt, ist zugleich das Gebot einer Hermeneutik, die nicht über die Menschen, sondern mit ihnen reden will.“

Eine Totalkritik, die alles Bestehende für verdorben hält – Walzer nennt als passendes Beispiel die Gesellschaftskritik Marcuses - lässt den kritischen Abstand zu groß werden. „Der Kritiker muss auf dem Teppich bleiben. Er muss, wie Walzer es in Anspielung auf Platon ausdrückt, in der `Höhle´ bleiben, der Versuchung widerstehen, sich in eine geistige Exterritorialität zu flüchten. Wenn dies geschieht, schlägt Kritik in Hybris oder in einen Herrschaftsanspruch um. Der Kritiker wird zum selbsternannten Führer aus dem Jammertal, so als ob die Kritisierten nicht selber in der Lage wären, ihren Weg zu gehen.“

Letztlich sind die von Walzer aufgeworfenen Fragen nicht neu. Sie begleiten die politische Philosophie seit ihrer Geburt, seit Platon und Sokrates. Letzterem war es beispielsweise gelungen - allerdings um den Preis seines Todes -, die Rolle des Bürgers und die des kritischen Philosophen in einer Person zu vereinen: „Obwohl er hätte fliehen können, blieb er im Gefängnis. Er unterwarf sich dem Urteil seiner Mitbürger. Damit wollte er den Gesetzen seiner Stadt Respekt bezeugen, und damit wollte er Zeugnis dafür ablegen, dass sein Philosophieren ein Dienst an der Stadt gewesen war.“

Johann Gottfried Schadow - Sokrates im Kerker (um 1800)

Sokrates war vielleicht der letzte Philosoph, der Philosoph und Bürger zugleich sein wollte. Nach seinem Tod wurden die Rollen für immer getrennt. Theoretisches und politisches Leben fielen auseinander. Michael Walzer will diese beiden Lebensformen wieder zusammenführen, auch wenn er sich bewusst ist, dass da immer ein gewisser Abstand bestehen bleibt. Er hofft nur, dass dieser klein gehalten, eben „in Zentimetern gemessen“ werden kann.

In „The Company of Critics“ (1988) beispielsweise liefert Walzer Einzelporträts verschiedener Kritiker, wobei er stets die Spannung zwischen kritischer Distanz und Verbundenheit mit dem Kritisierten, also zwischen Abstand und Nähe fokussiert. Er warnt ohne Umschweife vor dem „Verrat der Intellektuellen“. (1991, 324). So verstehen manche den Intellektuellen als „Feind der Welt“, und als einen solchen hat man auch Sartre charakterisiert. Aber Sartre sei, so Walzer nur in Frankreich ein „Feind der Welt“ gewesen. Er habe „seine Feindschaft aufgegeben, wenn er Kuba besuchte.“

Sartre, de Bevauvoir und Fidel Castro 

"Die Geschichte der Intellektuellen angesichts der totalitären Versuchungen
ist eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen.
(Joachim Fest)

Walzer dagegen verweist darauf, dass der Kritiker in dem Sinne Unabhängigkeit benötigt, als dass er „Freiheit von Regierungsverantwortung, von religiösen Autoritäten, von der Macht der Großunternehmen und von der Parteidisziplin“ braucht. So bleibt er idealerweise „mitten unter den Menschen“. Er steht in Opposition, aber niemals „absolut“.

Es mag vielleicht überraschen, dass für Walzer ausgerechnet eine Gestalt aus dem Alten Testament – der Prophet Amos – das Vorbild eines guten Kritikers ist. Der Kritiker Amos hat – und das stellt Walzer heraus - sein Volk nicht verlassen. Anders als andere Kritiker ist Amos jemand, der „die Grundwerte der Männer und Frauen kennt, die er kritisiert“. Er ist „einer von ihnen“, während andere Propheten nur Botschafter von außen sind, solche, die kommen und wieder gehen. Amos aber versteht seine Rolle als Kritiker moralisch, wenn er einen völkerübergreifenden Minimalkodex einklagt - „eine Art von religiösem Völkerrecht“, wie Max Weber es genannt hatte.  (1991, 93). 

Vor allem aber gilt die Sorge des Amos diesem, seinem Volk. Amos bleibt nur „wenige Zentimeter“ von seiner Nation und ihrer Geschichte entfernt, er kennt sie und es ist diese Kenntnis, die seine Kritik so reich, so radikal, so konkret macht.


Zitate aus: Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Band 4: Das 20. Jahrhundert. Teilband 2: Von der Kritischen Theorie bis zur Globalisierung, J.B. Metzler (Stuttgart 2012)

Donnerstag, 14. Januar 2021

Frederic Burrhus Skinner und die Unmenschlichkeit der behavioristischen Utopie


Im Jahr 1948, also zum Zeitpunkt, zu dem George Orwell seine Dystopie „1984“ schreibt, erscheint Skinners seine Wissenschaftsutopie „Walden Two“.

Skinner entwickelte Experimente, die das Verhalten von Tieren auf eine neue Weise erforschten. Hatten die berühmten Vorgänger wie Pawlow noch die Abhängigkeit des Verhaltens vom erfolgten Reiz untersucht, so wandte Skinner seine Aufmerksamkeit den Konsequenzen des Verhaltens zu. Skinner ging es dabei um die Frage, wie ein Tier sein Verhalten verändert, wenn es durch Futter belohnt wird, bzw. welchen Einfluß eine ausbleibende Belohnung auf das Verhalten hat? 

Skinner und die Skinner-Box

Skinner nannte die Beeinflussung durch Verhaltenskonsequenzen „Konditionie-rung“. Ihn interessierte, wie diese Konditionierung(en) das zukünftige Verhalten formen. Die Grundannahme ist relativ simpel: „Ein Verhalten, auf das ein verstärkender Reiz folgt, wird in der Zukunft wahrscheinlicher; ein Verhalten, das keine Verstärkung erhält, wird weniger wahrscheinlich sein. Die alte Kette von Stimulus und Response (S ~ R) erweitert sich zu Stimulus, Response, Consequences (S ~ R ~ C).

Der Erfolg seiner Tierexperimente verleitete Skinner dazu, seine Erkenntnisse auch auf den Menschen anzuwenden. Zu den Anwendungsversuchen seiner Verhaltens-lehre gehört beispielsweise die sogenannte Programmierte Unterweisung, also die Zerlegung von Lerneinheiten in kleine Schritte, wobei die richtige Antwort jeweils verstärkt wird. Sprachlabore beispielsweise arbeiten nach diesem Prinzip. Mit Hilfe der Skinner´schen Psychologie lassen sich gewisse Phobien ebenso ab- wie kooperatives Verhalten antrainieren, z.B. wird soziales Verhalten mit Chips oder Spielgeld belohnt, das man später gegen Vergünstigungen eintauschen kann.

Den Titel seiner Wissenschaftsutopie „Walden Two“ entnimmt Skinner dem Titel des Buches „Walden“ von Henry David Thoreau (1817-62). Es war ein Bericht von seinem Leben am Walden Pont, einem See in der Nähe von Concord (Massachusetts). „Zwei Jahre hatte Thoreau in den Wäldern ein asketisches Einsiedler-leben geführt. Thoreau war ein Exponent des amerikanischen Individualismus. Jedem einzelnen schrieb er die Aufgabe zu, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen." 

Skinner setzt in seiner auf Wissenschaft gestützten Utopie seinen Behaviorismus in Sozialtechnik um: „Menschen sollen durch Konditionierung und Verhaltens-steuerung aggressionsfrei und tolerant gemacht werden. Die Umwelt soll so gestaltet werden, daß sich ein sozial erwünschtes Verhalten quasi automatisch einstellt.“

In der Geschichte machen sich sechs Besucher sich auf, die utopische Gemein-schaft zu erkunden. Es sind der Jurist Roger und sein Freund Steve, beide begleitet von ihren Freundinnen; ferner der Erzähler, der Psychologe Dr. Burris, und schließlich ein gewisser Augustine Castle, dessen Name andeutet, daß er für ältere Vorstellungen von Gemeinschaften steht. Castle spielt die Rolle des Kritikers, der den Gründer von Walden Two, einen gewissen Frazier, immer wieder zur Rede stellt.

Auch wenn durch Walden Two ein Hauch von Puritanismus weht, so ist die Sittenstrenge letztlich ein Ausdruck einer Gemeinschaft von Wissenschafts-gläubigen, die ihr Leben auf eine und nur eine Wissenschaft, die Verhaltenslehre, stellen wollen. 

Das Ergebnis von Verhaltenspsychologie: "Gesundheit" - "Wirtschaft" - "Weisheit"


„Die utopische Gemeinschaft formt bereits Babies im Sinne der Verhaltenstheorie. Temperatur, Kleidung, das Fernhalten negativer Reize - das alles wird wie in einem Labor kontrolliert. Die Schule wird zu einer Wohlfühlanstalt, in der es keine Noten, sondern nur positive Verstärkungen gibt. Die Ehe ist weiterhin monogam. Männer und Frauen sind gleichgestellt. Geheiratet und Nachwuchs gezeugt wird bereits mit 16 Jahren. Gearbeitet wird ca. 4 Stunden am Tag. Die Arbeit wird mit credits bewertet. Je schwerer sie ist, umso mehr credits erhält man. Der Bedarf wird von Spezialisten ermittelt. Unnötiger Besitz ist verpönt. Es herrscht Gemeineigentum. Jeder behält jedoch auch ein gewisses Privateigentum, Kleidung oder Bücher beispielsweise. Auch steht jedem ein unantastbarer Privatraum zur Verfügung. Arbeitslosigkeit ist unbekannt. Nikotin und Alkohol werden gemieden. Die politische Leitung liegt bei einem „board of planners“, drei Männer, drei Frauen. Sie lei- ten die Kommune für maximal zehn Jahre.

Jede identitär definierte Gemeinschaft beruht auf einem Gründungsmythos, der den Anfang der Gemeinschaft verklärt. Bei Skinner aber bleibt die Gründung im Dunkeln. Dies verwundert nicht, denn würde die Gründungsgeschichte erzählt, würde sichtbar, welches Ausmaß an Manipulation hier am Werk ist. 

Zwar kommt jedermann freiwillig nach Waiden, aber: Einmal angekommen, werden die Menschen jedoch geformt nach einem Bilde. Sie geraten in die Hand eines „Schöpfers“, der sie, gemäß den Erkenntnissen der Verhaltensforschung, zu formen gedenkt. „Sie werden sogar auf solche Weise geformt, daß ihnen Kritik und Protest irgendwann einmal nicht mehr möglich sind. Aus Menschen werden Versuchskaninchen. Zwar haben sie den Versuchskaninchen voraus, daß sie freiwillig in die Gemeinschaft eintreten. Nach dem Eintritt sind sie jedoch „Material“, so wie es Meerschweinchen oder Ratten im Laborexperiment sind.“ 

„Die utopische Gemeinschaft ist also nichts anderes „ein vergrößertes Labor, in dem die Reichweite der Verhaltenslehre getestet wird.“ Nach außen hin fungiert das Experiment als ein „Beispiel dafür, dass es möglich ist, auf diese Weise zu leben.

Von Thoreaus Walden ist Skinners Walden Two weit entfernt. „Thoreau pries den Individualismus, die Selbstbestimmung, den zivilen Ungehorsam. Skinner will ein tendenziell kommunistisches, gegen die traditionelle Idee von Freiheit gerichtetes Utopia errichten. Castle, der Kritiker, nennt den Gründer Frazier einen „stummen Despoten“. Sein Einwand gegen das Experiment lautet: `Wenn der Mensch frei ist, ist eine Technik des Verhaltens unmöglich´. Frazier dagegen hält Freiheit für eine Illusion. Der Mensch werde von der Umwelt gelenkt, ob er dies sehen wolle oder nicht.“

Thoreaus "Walden" als individualistischer Gegenentwurf zu Skinner

Walden Two ist keine Demokratie. Dies wird von Frazier offen ausgesprochen. „Die Demokratie sei nur ein `frommer Betrug´. Die einzelne Stimme habe bei den Wahlen kein Gewicht. Die Wahlprogramme der Parteien sähen einander zum Verwechseln ähnlich. Die Verhaltensforschung dürfe man nicht `Ungelernten überlassen´. Das Volk sei nicht in der Lage, Experten zu beurteilen.“ 

Skinner läuft offenen Auges in die „Expertokratie-Falle“, denn politische Entscheidungen sind gerade keine Sache allein von Experten. Letztlich müssen die Bürger entscheiden, welchen Experten und welchen Ratschlägen sie folgen wollen. Das ist sicher keine leichte Aufgabe, da die Experten heutzutage unter sich selbst zerstritten sind und niemand den Bürgern ihre politische Verantwortung abnehmen kann. Skinners Verwerfung von Demokratie und Freiheit ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Skinner versuche, den „Philosophenkönig“ zu spielen, dazu setze er Gehirnwäsche und Kollektivismus ein. Walden Two führe zur Diktatur, aus dem Traum werde ein Alptraum. 

Skinner wolle Gott oder Prometheus spielen, schalte aber lediglich den Wettbewerb aus, denn schon zweite Generation in Skinners Utopia wäre nichts anderes mehr als ein „Produkt des Konditionierungsprozesses“. Frazier wäre somit der letzte Mensch der noch zwischen Gut und Böse unterscheiden könnte.

Skinners Utopie ist ein gutes Beispiel für eine μετάβασις εἰς ἄλλο γένος (Aristoteles), für den „Wechsel in eine andere Gattung“, also für einen unzulässigen Sprung in der Argumentation, bei dem man versucht, die Bedeutung eines Begriffes (oder die Gültigkeit eines Beweises) trotz eines Wechsels in eine andere Gattung bzw. in einen anderen Kontext beizubehalten. Skinners Utopie verwechselt also Wissenschaft (Psychologie) und Politik.“ Dies ist vom logischen Standpunkt aus nichts anderes als die Erschleichung eines Beweises bzw. ein schlichter Kategorienfehler.

Für Skinners Utopie gilt dasselbe wie für seine Psychologie. Es eine „Seelenlehre ohne Seele. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich.“ Das Innenleben eines Menschen - Gefühle, Gedanken, Leidenschaften - wird komplett ausgeblendet. Für Skinner sind nur Reize, Reaktionen und Konsequenzen des Verhaltens relevant. Eine Therapie im Skinner´schen Sinn mag zwar bestimmte Verhaltensänderungen bewirken, die seelische Wurzel einer Erkrankung wird damit jedoch nicht erreicht. Letztlich ist „Konditionierung“ nichts anderes als Training bzw. Dressur. Nur: Lässt sich menschliches Verhalten überhaupt so steuern, wie man einen Hund dressiert oder liegt das Interesse des Menschen an Freiheit und Selbstbestimmung nicht auf einer ganz anderen Ebene?

„Wenn ein Mensch nicht wählen kann, hört er auf, Mensch zu sein.“
(Clockwork Orange)

Skinner macht letztlich genau das zur Grundlage seiner idealen Ordnung, was andere befürchten, nämlich die totalitären Konsequenzen des Behaviorismus. In A Clockwork Orange (1962) entlarvt Anthony Burgess, die Unmenschlichkeit der behavioristischen Konditionierung auf. Sein „Held“ Alex, dem seine Gewalttätigkeit wegkonditioniert wird, ist nach der Behandlung kein Mensch mehr. An ihm bewahrheitet sich der Satz, den ihm der Gefängnisgeistliche sagt: „Wenn ein Mensch nicht wählen kann, hört er auf, Mensch zu sein.“

Zitate aus: Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Band 4: Das 20. Jahrhundert. Teilband 2: Von der Kritischen Theorie bis zur Globalisierung, J.B. Metzler (Stuttgart 2012)


Donnerstag, 7. Januar 2021

Marco Wehr und die Moralapostel


Scheinheiligkeit ist keine Erfindung unserer Zeit, gleichwohl sind scheinheilige Doppelbödigkeit im Denken und Handeln auch in angeblich so modernen und fort-schrittlichen Gesellschaften eine „diskursive Konstante." 

Das Phänomen des selbsternannten Moralapostels ist vermutlich genauso alt wie die Moral selbst. Menschen, die meinen, sie haben die Wahrheit und die richtige Moral gepachtet, gab es zu allen Zeiten und die mit ihnen unweigerlich verknüpfte Scheinheiligkeit wohl auch – wie Marco Wehr, Gründer des philosophischen Labors in Tübingen, in seinem Vortrag „Wer fühlt, hat Recht“ hervorragend darstellt.

Marco Wehr

Ein von Marco Wehr dargestelltes Beispiel für scheinheilige Doppelmoral ist die Kolumnistin der Berliner tageszeitung, Hengameh Yaghoobifarah, „die in einem ihrer Artikel darüber nachdenkt, was man mit den 250 000 Polizisten machen sollte, falls die Polizei abgeschafft würde. Bekanntlich plädierte sie dafür, Polizistinnen und Polizisten auf der Müllhalde zu entsorgen. Dort wären sie nur von Abfall umgeben. Das wäre perfekt, da sie sich unter ihresgleichen am wohlsten fühlen würden.“

An anderer Stelle rät Yaghoobifarah, „Polizisten und Polizistinnen von Baumärkten, Tankstellen oder Kfz-Werkstätten fernzuhalten. Dort könnten sie Bomben und Brandsätze bauen. Die Botschaft dieser Zeilen ist klar: Alle Polizisten sind für Yaghoobifarah potenzielle Attentäter.“

Yaghoobifarah schüttet Hass und Häme aber nicht nur über der Polizei aus, auch Deutsche werden von ihr nur“Kartoffeln“ bezeichnet und in dem Artikel “Deutsche, schafft Euch ab!“ spricht sie von der “deutschen Dreckskultur“.

Die doppelbödige Scheinheiligkeit, um die es Marco Wehr im Fall von Yaghoobifarah geht, betrifft zunächst die taz selbst. „Man wundert sich, dass die Autorin in der taz eine Plattform bekommt. Die ihr zugestandene Toleranz gewährt die Zeitung nämlich nicht jedem. 2017 vergriff sich der AfD-Politiker Alexander Gauland im Ton. Er hoffte, die SPD-Politikerin Aydan Özuguz, die bezweifelt hatte, dass es eine deutsche Leitkultur gibt, in Anatolien “entsorgen“ zu können. Die taz kritisierte darauf die entmenschlichende Sprache Gaulands und zieht die Schlussfolgerung, dass AfD-Spitzenpolitikern die verbalen Grenzen zum Faschismus schnuppe sind. Die eine will Menschen auf dem Müll entsorgen, der andere eine Frau in Anatolien. Beides darf man als niveaulos bezeichnen. Beides sollte man auch in gleicher Weise unterbinden.“

Es dürfte kaum verwundern, dass die geschmacklosen Aussagen von Hengameh Yaghoobifarah zu extremer öffentlicher Empörung. Nun aber wurde die eigene „Inkonsistenz von Reden und Handeln“ überdeutlich, als die von ihre so herab-gewürdigte Polizei von ihr selbst um Personenschutz gebeten wurde. „Die kleinlaut gewordene Journalistin fühlte sich dem gewaltigen Shitstorm, den sie mit ihrem Artikel ausgelöst hatte, nicht mehr gewachsen.“

Natürlich sei eine solche Form abstoßender Doppelmoral keine exklusive Eigenschaft des linken oder linksradikalen Milieus. „Man findet sie mit der gleichen Selbstverständlichkeit in allen Teilen der Gesellschaft.“

Wie aber kommt es zur „Verengung des Wahrnehmungsfeldes“? Marco Wehr verweist auf ein bei YouTube aufgezeichnetes Gespräch mit Yaghoobifarah, in der sie gesteht, „dass sie nur noch in ihren `Bubbles´ lebt, wenn die Schwermut an sie herankriecht.“ Diese `Filterblasen´ im Internet „sind hermetisch geschlossene Resonanzräume, in denen man die Welt aussperrt und sich nur noch mit Gleich-gesinnten austauscht. Dieses Kommunikationsverhalten verengt die Perspektive und zementiert die eigenen Vorurteile. Neu ist dieses Verhalten nicht. Früher sprach man vom Stammtischgerede. Nur hat der Stammtisch jetzt eine virtuelle Dimension.“

Hengameh Yaghoobifarah und die taz - Scheinheiligkeit auf höchstem "Niveau"

„Um die mit der Scheinheiligkeit verbundene Wirklichkeitsverweigerung zu entlarven, müsse man die Perspektive gleichwohl weiten.“ Deshalb wäre es für Yaghoobifarah eine Überlegung wert, ob die von ihr geschmähte “Dreckskultur“ nicht auch ihr einen persönlichen Schutzraum gewährt. Eine freiheitliche Grund-ordnung und eine Exekutive, die für deren Einhaltung sorgt, machen nämlich das Ausleben ihrer öffentlich inszenierten Individualität erst möglich. 

Yaghoobifarah macht kein Geheimnis aus ihrer nicht-binärer Geschlechtsidentität. Das ist in Deutschland weder moralisch noch rechtlich ein Problem. Doch in anderen Ländern liefe sie Gefahr, je nach sexueller Vorliebe, gehängt, gesteinigt oder zumindest ausgepeitscht zu werden. Das gilt auch für das Heimatland ihrer Eltern, die aus dem Iran stammen.“

„Pars pro toto sieht man sich in der Auseinandersetzung mit dieser Autorin also mit einem Paradoxon konfrontiert: Sie ruft medienwirksam zur Zerstörung des Systems auf, das sie als Publizistin in ihrer extravaganten Individualität erst möglich macht. 

Und schaut man genauer hin, gibt es eine weitere Doppelbödigkeit: Es ist ein nicht nur von ihr praktiziertes Geschäftsmodell, mit einer wütenden Kapitalismuskritik Kapital anzuhäufen, das in die eigene Tasche wandert. Auf dieser Klaviatur spielen auch apodiktische Zeitgeistphilosophen wie Richard David Precht oder Byung-Chul Han, die wortgewandt das Elend dieser Welt dem Kapitalismus in die Schuhe schieben, aber nicht glaubwürdig erklären, was an dessen Stelle treten sollte. Egal. Unterm Strich bleibt ein gediegen-großbürgerlicher Lebensstil, der nicht als Wider-spruch zum proklamierten Denken und Handeln empfunden wird.“

Egal nun, ob Yagoohbifarah die Deutschen abschaffen will oder völkische Gruppen die Gastarbeiter, derart krude Aussagen brauchen einen Resonanzboden. Deshalb sind Yagoohbifarahs Artikel ohne applaudierende linke Claqueure undenkbar. Dasselbe gilt für rechte Entgleisungen. Immer dürfen sich die selbsternannten und provokant daherkommenden Moralapostel des Beifalls der Gesinnungsgenossen sicher sein.

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, wie sich trotz scheinbar unvereinbarer politischer Standpunkte, „die rhetorische Phrasologie der verfeindeten Apologeten“ auf dem linken und rechten Spektrum gleicht. Stets wähnen die Moralisten die Menschlichkeit allein im eigenen Lager. 

Vielleicht sind es gerade die klischeehaft-reduzierten Geschichten, die radikale Stand-punkte in unserer schwierigen Welt so verführerisch machen. „Um wieviel bequemer ist es, sich in ein eingängiges Narrativ zu flüchten, das als verführerisches Schmankerl noch die Illusion der moralischen Selbsterhöhung birgt, als quälendes Unwissen und verstörende Unsicherheiten auszuhalten, die zwangsläufig auftauchen, wenn man sich über schwierige Probleme den Kopf zerbricht? Herz schlägt Hirn.“

Doch trivialisierend-eingängigen Weltsichten müssen mit Vorsicht genossen werden, wie das Memetik-Konzept des britischen Wissenschaftlers Richard Dawkins nahelegt: „Meme sind in diesem Zusammenhang Gedanken, die von Menschen kommuniziert werden. Das können elegante Theorien sein, aber auch irrationale Hirngespinste. Entscheidend für ihre Verbreitung ist nicht ihre Sinnhaftigkeit, sondern einzig ihr Replikationserfolg. Und gefährlich werden sie dadurch, dass spleenige Fiktionen Fakten schaffen können.“


Richard Dawkins

Opportuner Moralismus ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal radikaler Gruppierungen. „Man findet ihn auch im gemäßigten politischen Milieu. Davon zeugt zum Beispiel die heutige Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen in ihrer früheren Funktion als Verteidigungsministerin. Es ist bekannt, dass sich die deutsche Bundeswehr momentan in einem maladen Zustand befindet.“

Nach Ansicht von Marco Wehr schickte sich Frau von der Leyen jedoch an, „diese ohnehin schon kritische Situation zu verschlimmern. Sie kämpfte, brav am gesellschaftlichen Commen-Sense orientiert, in der Bundeswehr für mehr `Gleich-heit und Gerechtigkeit´. Es war ihr Bestreben, die Einstellungs- und Ausbildungs-anforderungen soweit zu senken, dass von der Armee fast niemand mehr ausgeschlossen wird. Alle sollten mitmachen dürfen, egal ob die Bewerber übergewichtig waren oder wegen ihrer schwächlichen Konstitution keinen Rucksack tragen konnten. Von der Leyens verquere Logik war in diesem Zusammenhang nur für sie selbst schlüssig: Wenn die gefürchteten Gewaltmärsche mit schwerem Gepäck, die reale Einsatzbedingungen simulieren sollen, von vielen jungen Menschen in schlechter körperlicher Verfassung nicht mehr bewältigt werden können, dann sorgt man nicht dafür, dass die Überforderten belastbarer werden, man schafft einfach die Märsche ab.“

Eine solche Logik wird in unseren Zeiten immer salonfähiger: „Wenn die Berliner Schüler als Opfer eines völlig aus den Gleisen gesprungenen Bildungssystems schlechte Noten schreiben, dann wird einfach weniger hart zensiert und schon sind die Berliner so gut wie Bayern und Sachsen. Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

„Nur ist eine solche Form der Pippi Langstrumpf-Philosophie im Falle der Rekrutenausbildung kein Spiel. Die sich dem Zeitgeist anbiedernde Einstellung kann für Soldaten im wirklichen Einsatz tödliche Konsequenzen haben. Wie sieht es mit dem Segen der Gleichmacherei aus, wenn den müden Kriegern auf der Flucht im Gebirge beim ersten Anstieg die Puste ausgeht und sie von zähen Taliban verfolgt werden, die in den Bergen groß geworden sind (…)? Dann wird das Motto “Dabei sein ist alles“ zum lebensgefährlichen Zynismus.“

Für Marco Wehr steht fest: „In einer medialen Selbstvermarktungsgesellschaft scheint moralisierende Wirklichkeitsverweigerung gesellschaftsfähig zu sein (…) Wird moralischer Druck ausgeübt, der auf der Gefühlsebene punkten will, sich aber um die komplexe Faktenlage nicht schert, stehen wichtige Teile unserer Gesellschaft zur Disposition.

Wollen wir tatsächlich einen Staat, bei dem die Gewaltenteilung im Grundgesetz steht, der aber auf die Polizei verzichtet? Wollen wir ein völkisch-bierseliges Deutschland? Wollen wir eine politisch korrekte Bundeswehr, die aber ihrem Verteidigungsauftrag nicht mehr gerecht werden kann? Und wollen wir auf eine effiziente medizinische Forschung verzichten? Vermutlich nicht.


Pippi Langstrumpf-Philosophie: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!

Deshalb muss moralisierende Scheinheiligkeit demaskiert werden. Man darf ihr nicht nachgeben, auch wenn es bequem ist, mit dem Rudel zu heulen. Stattdessen müssen die Konsequenzen reduzierter Weltbilder von einer höheren Warte durchdacht, gewertet und artikuliert werden, um dann die Moralprediger mit diesen in aller Deutlichkeit zu konfrontieren. Und im nächsten Schritt muss die Frage erlaubt sein, ob sie persönlich bereit wären, die Risiken, die sich aus ihren Anschauungen ergeben, zu tragen.“


Zitate aus: Marco Wehr - „Wer fühlt, hat Recht“ – Wie sich Moralapostel der Wirklichkeit verweigern, SWR2 Wissen: Aula, Sendung vom 15. November 2020, SWR 2020




Samstag, 2. Januar 2021

Louis Guisan und die individuelle Freiheit

 
Louis Guisan (1911–1998), von Beruf Rechtsanwalt, ist das geradezu perfekte Beispiel eines Liberalen mit starken Überzeugungen, eng vertraut mit der geistigen Tradition und dem Wesen des Liberalismus. Giusan war Regierungsrat des Kantons Waadt, Nationalrat, Ständerat, Präsident der Liberalen Partei der Schweiz und Direktor der ehemaligen, urliberalen Gazette de Lausanne (gegründet 1798). Sein Engagement in der Politik hinderte ihn gleichwohl nicht daran, seine grundlegende liberale Skepsis gegenüber der politischen Macht auszudrücken. Er sprach sich kompromisslos für die individuelle Freiheit und gegen Gleichmacherei aus.

Louis Guisan

Innenpolitisch liegt die Herausforderung für den liberalen Politiker bekanntlich darin, die Gesetzgebung auf deren einzigen Daseinsgrund zu beschränken, nämlich den Schutz der individuellen Freiheit: „Der Zweck der Gesetze besteht darin, den Ge-brauch der Freiheit sicherzustellen und `einen komfortablen Rahmen anzubieten, in dem der Bürger Herr über seine Handlungen bleibt´ und `nicht vor irgendeinem Vorhaben jemanden um Erlaubnis fragen muss´. Dies gilt für alle gleich. 

Damit der Gebrauch der Freiheit ohne irgendwelche Vorrechte garantiert ist, liegt `das wesentliche politische Gut´ in der Gleichheit vor dem Recht, von der selbst die staatliche Autorität abhängt, denn Willkür entzöge dem Staat jede Legitimität. „Ein Liberaler wird sich daher unablässig dafür einsetzen, die Gesetzgebung zu vereinfachen, sie schlüssig zu machen und möglichst klein zu halten, indem er jede Einengung der individuellen Freiheit in Frage stellt.“

Die gleichmässige Anwendung des Rechts hängt vor allem davon ab, wie der Staat die individuellen Eigentumsrechte definiert und schützt: „Das Eigentum `schafft eine Schutzschicht um jedes Individuum´. Dieser Grundsatz, angefangen beim Eigentum am eigenen Leib, den eigenen Fähigkeiten und den Früchten seiner Arbeit ist das geeignete Mittel, um die Freiheit eines jeden in einer freien Gesellschaft zu garantieren. Die Gerechtigkeit der Politik bemisst sich somit an der Höhe des Eigentumsschutzes, nicht an der Regulierungsdichte. Der Schutz des Lebens und der Freiheit aller geht allein aus dem Eigentum hervor. Die Politik dient diesem Ziel.“

Wer also verhindern möchte, „dass der Rechtsstaat seine Befugnisse übertritt und das individuelle Eigentum antastet, muss sich gegen die Intensität und das Tempo der Gesetzgebung zur Wehr setzen und Zurückhaltung fordern.“

Die Gefahr der Überregulierung für die Freiheit

Der Mensch kann nur frei sein und bleiben, wenn er den gesetzlichen Rahmen kennt, in dem er sich bewegt. „Sollte er eines Tages nicht mehr wissen, was gut und böse und was gesetzeskonform ist, weil die Gesetze zu zahlreich oder zu kompliziert sind, dann fällt er der Macht des Staates anheim, der allein das Recht kennt und über alles entscheidet. Dann füllt eine inflationäre Gesetzgebung die Gesetzesbücher und höhlt die persönliche Freiheit aus. Das Fortschreiten der Gesetze führt zum Niedergang des Rechts.“

Diese Dissonanz zwischen freiheitsbedrohenden Gesetzen einerseits und dem Recht auf Eigentum zur Erhaltung der Freiheit anderseits führt dazu, dass das Recht seine natürliche Berechtigung verliert, wenn es von einer grenzenlosen und willkürlichen Gesetzgebung in Beschlag genommen wird und am Ende nicht mehr die Freiheit schützt und das Eigentum garantiert, sondern zu deren Bedrohung geworden ist.

Die Degeneration des Rechts durch die Gesetzgebung ist nicht die Frucht eines Zufalls oder einer finsteren Macht, sondern die einer interventionistischen Politik, die sich von der Politik bis zur Verwaltung erstreckt und von Sonderinteressen genährt wird, die Bevorzugung und Schutz vor der Freiheit der anderen und vor dem wirtschaftlichen Wettbewerb suchen. „Die Parlamentarier werden nicht müde, Anfragen, Postulate und Motionen einzureichen. In der Verwaltung treiben die Beamten ihre Dienste zu immer größerer Perfektion. Jeder möchte für sich ein Gesetz: die Getreide- und die Weinproduzenten, die Eisenbahn- und die Straßentransporteure, die See- und die Flussfischer, die Primar-, die Sekundar- und die Hochschullehrer. Und sie möchten nicht nur Gesetze, sondern auch Verordnungen, Reglemente und Vorschriften.“

Aus der Maßlosigkeit der Gesetze und der Reglemente ergibt sich eine Reihe von Folgen: Der Interventionismus, der Subventionismus, der Dirigismus und der Protektionismus im Verbund mit der Erhebung von unbegrenzten Steuern schaden nicht nur der Wirtschaftsfreiheit und damit dem Wohlstand, sondern sie verstärken auch das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. 

„Die Staatsmacht wird bald alle gegen sich haben: die Acker- und die Weinbauern, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, die Beamten und die Freischaffenden, die Importeure und die Exporteure, die alle nach Hilfe und Unterstützung rufen und sich dadurch selbst zu Knechten machen.“

Die Lösung ist einfach: Verzicht auf Gesetzgebung. „Im Allgemeinen ist es besser, kein Gesetz zu machen, denn ein jedes schränkt die Freiheit ein.“ Guisan veranschaulicht die Unbeweglichkeit, die sich aus der krankhaften Reglementierung ergibt, anhand eines praktischen Beispiels: „Nehmen wir an, es gäbe eine perfekte Baugesetzgebung, die alles vorschreibt: die Höhen- und Breitenmasse, die Materialien und die Farben, die Kosten und die Höhe der Mieten – gäbe es dann noch jemanden, der bauen möchte?“ In diesem Fall wäre der Bürger nicht mehr wirklich Bürger, sondern Untertan, denn er wäre nicht mehr frei. Er würde zu einem einfachen Objekt der Verwaltung: jemandem, der nur noch Gesetze und Reglemente befolgt.

Grenzenloser politischer Aktivismus der Politiker = Desillusion der Bürger!

Das Paradox des grenzenlosen politischen Aktivismus besteht darin, „dass der Staat, wenn er sich überall einmischt, nicht in der Lage ist, die Bevölkerung zu- friedenzustellen. Er wird vielmehr zum allseitig verhassten Feind, da er Verdruss und enttäuschte Erwartungen anhäuft. Daraus folgt, dass sich die Bürger von den öffentlichen Angelegenheiten abwenden.“ Dies erkläre nicht zuletzt auch die stets anwachsende Zahl der Desillusionierten und der Nichtwähler.

Da eine einzige Stimme in der Politik im Allgemeinen nichts bewirkt, kümmern sich die Leute vernünftigerweise vor allem um das, was sie direkt betrifft, und was sie tatsächlich kontrollieren können, wie etwa die Gründung einer Familie, den Kauf eines Autos oder eines Hauses sowie ihr berufliches Vorwärtskommen: „Die Bürger kümmern sich um ihre Privatangelegenheiten und erwarten nicht viel vom Staat, außer, dass dieser sich ihnen gegenüber sehr zurückhält. Initiativen der Staatsgewalt wecken ihr Mistrauen. Sie verlangen von ihr eher die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als deren Veränderung zu ihrem angeblichen Vorteil. Die Stimmenthaltung liegt dann so hoch, dass man sagen kann, dass selbst die verführerischsten gesellschaftlichen Neuerungen immer nur von einer kleinen Minderheit im Volk gewollt werden.“ Dies relativiere auch das kollektivistische Märchen eines `Volkswillens´, der einer Reihe politischer Vorhaben zweifelhafte Legitimität verleiht. 

Die politische Mehrheitsregel sollte sich auf einige große Fragen beschränken, die eine kollektive Entscheidung verdienen; der Rest gehört in die Privatsphäre. „In einem allgegenwärtigen Staat, in dem persönliche Fragen kollektiviert worden sind, hält sich die Mehrheit bei Wahlen und Abstimmungen oft zurück, insofern dass die Auswahl oft gar keine echte Wahl ist. Kommt hinzu, dass es bei politischen Kompromissen oft nicht möglich ist, mit ja oder nein zu antworten, da das geringere Übel nicht immer überzeugt.“

Das Fehlen von Nuancen im politischen Entscheidungsprozess und sein Eingriff ins Privatleben führt deshalb ein Stück weit zur Tyrannei des Status Quo beziehungsweise zur Abhängigkeit von den organisierten Interessen.


„Die Lösung besteht darin, sich zuerst von der Illusion zu befreien, dass alles, was `von oben´ organisiert wird, am besten, am effizientesten und am vernünftigsten herauskommt; dann, ein System von unten nach oben zu bauen, beginnend bei den Anwendern und Eigentümern, über die Gemeinden und Kantone bis schließlich zur Eidgenossenschaft, und den übergeordneten Stufen nur anzuvertrauen, wozu die unteren Stufen zu lösen nicht berufen sind. Nur so wird die Politik in Zukunft die Entscheidungen so nah wie möglich bei den Menschen fällen.“

Zitate aus: Pierre Bessard, Erst denken, dann handeln. Liberale in der Politik,  LI-Essay, Liberales Institut, Zürich 2017