“Der Tod Julius Caesars” ist eines der bekanntesten Bilder des römischen Malers Vincenzo Camuccini (1771 – 1844). Für sein Bild wählte er genau den Moment, als Caesar, von den 23 Stichen der Verschwörer tödlich getroffen, im Senatssaal niedersinkt, bezeichnenderweise vor der Statue seines Feindes und ehemaligen Konsuls Pompeius. Im Mittelpunkt des Bildes steht jedoch nicht Caesar, sondern – die Lichtgestaltung hebt dies hervor - die Verschwörer mit ihren gezückten Waffen.
Der Tod Julius Caesars von Vincenzo Camuccini (1818) |
Nach dem Ende der Diktatur Sullas im Jahre 79 v. Chr. wurde Rom wieder eine Republik. Die politische Macht lag wie vorher auch in den Händen des Senats, zwei Konsuln bildeten die Doppelspitze der Republik.
Ein paar Jahrzehente später, im Jahre 46, wurde Caesar auf zehn Jahre zum Diktator ernannt, ein Amt, das eigentlich nur in Ausnahmefällen und immer auf höchstens ein Jahr befristet zur Behebung von allgemeinen Notständen verliehen wurde. Als Caesar dann ein Jahr später den Titel des Diktators auf Lebenszeit annahm, beschloss eine Gruppe von Verschwörern, Caesar zu ermorden und auf diese Weise die Republik zu retten. Das Attentat wurde bekanntlich am 15. März (die Iden des März) 44 v. Chr. vollstreckt.
Die Ermordung Caesars ist ein klassisches Beispiel für das philosophische Problem des Tyrannenmordes. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Ermordung eines Menschen zu rechtfertigen sei, wenn dadurch ein größeres Unheil verhindert wird.
Während die Vertreter der Gesinnungsethik einen Mord grundsätzlich ablehnen, stehen Befürworter der Verantwortungsethik des Utilitarismus der Frage grundsätzlich offen gegenüber.
Für die Utilitaristen ist das Allgemeinwohl der letzte Zweck moralischer Handlungen. Der Begriff Utilitarismus leitet sich von lateinisch utile (= nützlich) ab. Nützlich ist das, was dem Interesse der Gemeinschaft dient, die als Summe der Einzelinteressen aufgefasst wird.
Der Begründer des Utilitarismus, Jeremy Bentham (1748 – 1832), drückt dies mit folgenden Worten aus: „Man kann also von einer Handlung sagen, sie entspreche dem Prinzip der Nützlichkeit …, wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück einer Gemeinschaft zu vermehren, größer ist, als irgendeine andere ihr innewohnende Tendenz, es zu vermindern.“
Das höchste moralische Gut besteht nach John Stuart Mill (1806 – 1873), dem zweiten großen Vertreter des Utilitarismus, in dem „größtmöglichen Glück für die größtmögliche Zahl“ von Menschen. Dieses Glück bemisst sich nun nach der Quantität der Freude, die es enthält. Dazu noch einmal Bentham: „Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die es dazu neigt, Gewinn, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück hervorzubringen (dies alles läuft im vorliegenden Fall auf das Gleiche hinaus).“
Es sind also drei Teilprinzipien, nach denen der Utilitarist die rationale Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen trifft: das Folgen- und Nutzenprinzip, das eudaimonistische Prinzip und das Allgemeinwohlprinzip. Zusammengefasst lässt sich das moralische Prinzip des Utilitarismus also wie folgt formulieren: Eine Handlung ist dann moralisch richtig, wenn ihre Folgen nützlich sind für das Glück aller Betroffenen.
Für den Utilitarismus setzt eine moralische Bewertung einer Handlung also eine vernünftige Nutzenabwägung von Vor- und Nachteilen bei allen Beteiligten und Betroffenen voraus.
Diese Nutzenabwägung geschieht bei Bentham mit Hilfe des „hedonistischen Kalküls“, mit dem er den moralischen Wert einer Handlung anhand von sieben Kriterien mathematisch berechnen will. Zu diesen Kriterien gehören u.a. die Intensität, die Dauer, die Nähe bzw. Ferne, aber auch die Reinheit und die Gewissheit einer Freude.
Wenn die Glücksbilanz positiv ausfällt, d.h. die Menge der durch die Handlung hervorgebrachten Freude größer ist als die Menge des hervorgebrachten Leides, dann gilt die Handlung als moralisch richtig.
Einschränkend fügt Bentham hinzu: „Es kann nicht erwartet werden, dass dieses Verfahren vor jedem moralischen Urteil und vor jeder gesetzgebenden oder richterlichen Tätigkeit streng durchgeführt werden sollte. Es mag jedoch immer im Blick sein, und je mehr sich das bei solchen Anlässen tatsächlich durchgeführte Verfahren diesem annähert, desto mehr wird sich ein solches Verfahren dem Rang eines exakten Verfahrens annähern.“
Vor dem Hintergrund der beginnenden Industrialisierung im 18. Jahrhundert ist die utilitaristische Theorie auch der Versuch, die gesamte Bevölkerung gleichmäßig und gerecht am erwirtschafteten Wohlstand zu beteiligen, deshalb fordert Bentham, dass „dieses Verfahren vor jedem moralischen Urteil und vor jeder gesetzgebenden oder richterlichen Tätigkeit streng durchgeführt werden sollte.“
An dieser Stelle wird deutlich, dass der Utilitarismus für Bentham nicht nur eine ethische, sondern auch eine politische Theorie ist. Der Utilitarismus steht zwar philosophiegeschichtlich in der Tradition des antiken Eudaimonismus, er überträgt aber dessen Glücksbegriff aus dem individuellen Lebensbereich in den Bereich von Politik und Gesellschaft.
Utilitaristische Erwägungen lassen sich auch im Falle der Ermordung Julius Caesars finden. Für die Verschwörer jedenfalls stand fest, dass die Tötung eines Alleinherrschers mehr als gerechtfertigt ist, weil die Freude aller Beteiligten über die Rettung der Republik größer sein wird.
Zitate aus: Jeremy Bentham: Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung (1798), abgedruckt in: Ottfried Höffe (Hg.): Einführung in die utilitaristische Ethik, München 1975 (C.H. Beck), S. 35-37
Weitere Literatur: Jörg Peters und Bernd Rolf: Ethik im Bild, Bamberg 2003 (C.C: Buchner) - Auch empfehlenswert "Das Philosophische Radio" (WDR 5): Mit Bernward Gesang über den Utilitarismus (24.08.2012)
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