Kaum
jemand wird öffentlich bestreiten wollen, dass Freiheit, Gleichheit und
Gerechtigkeit die wichtigsten politischen Grundwerte sind, deren Verwirklichung zu den wesentlichen Aufgaben
des Staates gehört. Dennoch ist zugleich die Annahme mehr als umstritten, dass Freiheit
und Gleichheit miteinander verträglich sind und die gemeinsame Grundlage für
Gerechtigkeit bilden.
Im Jahre 1944 erschien ein Buch, dass in dieser
Frage eindeutig Partei ergriff zugunsten der individuellen Freiheit und damit vor allen
Formen des Kollektivismus und totalitären Tendenzen in der Politik warnte. Die
Rede ist von „Der Weg zur Knechtschaft“ von Friedrich August von Hayek. Das Buch, gewidmet "den Sozialisten in allen Parteien", wurde zum Bestseller und machte Hayek, der seit 1931 an der London School of
Economics lehrte, mit einem Schlag berühmt.
Ausgangspunkt
von Hayeks Überlegungen ist der Begriff des „Individualismus“, der wesentlich durch
die Achtung vor dem Individuum als Menschen gekennzeichnet ist, auf keinen Fall
aber mit Eigennutz und Selbstsucht verwechselt werden dürfe. „Dies ist gleichbedeutend mit der Anerkennung seiner Ansichten und seines Geschmackes als der
letzten Instanz in seiner eigenen, wenn auch noch so begrenzten Sphäre und mit
dem Glauben, dass die Entwicklung der individuellen Begabungen und Neigungen des
Menschen wünschenswert ist.“ (33)
Die
Argumentation von Hayek läuft letztlich darauf hinaus, dass die Kreativität und
Innovation des Einzelnen nicht nur notwendig sind für gesellschaftlichen
Fortschritt und wirtschaftlichen Wohlstand, sondern dass sie sich nur dann
entfalten können, wenn der Staat möglichst wenig in die Freiheit des
Individuums eingreift.
Diese individuelle
Freiheit kann daher nur in einem Rechtsstaat garantiert werden, weil nur hier, „die
Regierung in allen ihren Handlungen an Normen gebunden ist, die im Voraus
festgelegt und bekannt gegeben sind – Normen, nach denen man mit ziemlicher Sicherheit
voraussehen kann, in welcher Weise die Obrigkeit unter bestimmten Umständen von
ihrer Macht Gebrauch machen wird und die es dem Individuum erlauben, sein
persönliches Verhalten danach einzurichten.“ (101)
Der
Spielraum der Exekutive ist nun so klein wie möglich zu halten. So wie jedes
Gesetz die Freiheit des Individuums bis zu einem gewissen Grad begrenzt, haben
die Gesetze im Rechtsstaat die Funktion, die Regierung in ihrer Macht dahingehend
einzuschränken, die Pläne der Individuen zu behindern.
„Innerhalb der bestehenden Spielregeln kann das
Individuum seine persönlichen Ziele und Wünsche verfolgen, ohne fürchten zu
müssen, dass die Regierung ihre Macht dazu benutzt, seine Pläne absichtlich zu
vereiteln.“ (102)
So ist
allein der Rechtsstaat in der Lage, jene Gleichheit vor dem Gesetz zu
garantieren, die das Gegenteil von Willkürherrschaft ist. Rechtsstaatliche
Verhältnisse beruhen auf der Ausübung des formalen Rechts durch Gesetze, die
eben keine Privilegien oder Vorrechte für einzelne – von der Regierung
ausgewählte – Personen festschreiben.
Die
Konsequenz aus diesen Überlegungen ist, dass Gleichheit notwendig als Rechtsgleichheit
und eben nicht als materielle Gleichheit interpretiert werden muss.
„Eine
notwendige und nur scheinbar paradoxe Schlussfolgerung … ist, dass die formale Gleichheit
vor dem Gesetz sich im Widerstreit befindet, ja unvereinbar ist mit einer
Politik, die bewusst die materielle und substantielle Gleichheit verschiedener
Individuen anstrebt und dass irgendeine Politik, die sich direkt das
substantielle Ideal der Verteilungsgerechtigkeit zum Ziel setzt, zur Zerstörung
des Rechtsstaates führen muss.“ (109)
Die im ersten Moment vielleicht überraschende These
beruht auf einer einfachen Logik: Wenn man versucht, die in einer Gesellschaft
lebenden verschiedenen Individuen in die gleiche materielle Lage bringen will,
so führt dies dazu, dass man sie notwendigerweise verschieden behandeln muss.
Das aber ist eben mit dem Gleichheitsgrundsatz des Rechtsstaates nicht
vereinbar.
Die formale Gleichheit dagegen ermöglicht ja gerade
jedem Individuum, innerhalb der geltenden Gesetze sein eigenes individuelles Glück
zu suchen. Ein Rechtssystem, welches nicht auf formaler Gleichheit beruht, muss
notwendig festlegen, welchen Lebensstandard die Menschen haben sollen – und
dies ist wiederum nicht anders möglich als im Rahmen einer diktatorischen Politik.
Natürlich leugnet Hayek nicht, dass es in einem
Rechtsstaat auch wirtschaftliche Ungleichheit geben kann. Hayeks Vorstellungen,
die er in seinem späteren Werk „Die Verfassung der Freiheit“ (1960)
konkretisiert, schließen nicht aus, dass die Wirtschaftstätigkeit reguliert
werden muss, solange die Regulierung nach allgemeinen Regeln erfolgt. Hayek weist
also die Idee des Laissez-faire deutlich zurück.
Trotz seiner provokanten Thesen
ist der "Weg zur Knechtschaft" ein erstaunlich "höfliches
Buch", wie Joseph Schumpeter einmal bemerkte. Hayek wirft seinen Gegnern
nichts anderes als "intellektuellen Irrtum" vor. In gewisser Weise teilt
er sogar ihre letzten Ziele, unter anderem die Beseitigung von Armut - nur
zeigt er die fatalen und ungewollten ökonomischen und politischen Folgen des
Kollektivismus auf. Im Zweifelsfall ist eben die individuelle Freiheit stets das
höhere Gut, das es zu verteidigen gilt.
Zitate aus: Friedrich August Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München 2007 (Olzog)
Weitere Literatur: Friedrich August Hayek: Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 2005 (Mohr Siebeck) -- Hans Jörg Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000 (Verlag Wirtschaft und Finanzen)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen