Donnerstag, 27. Februar 2014

Karl Raimund Popper und der kritisch-rationale Mensch

Karl Raimund Popper
Poppers Menschenbild gründet auf der evolutionstheoretischen These, dass „alles Leben Problemlösen“ bedeutet. Insofern kann er auch behaupten: „Zwischen der Amöbe und Einstein ist in dieser Hinsicht kein prinzipieller Unterschied: Alle Organismen sind Problemlöser!“

Weil aber die Geschichte der Evolution nun nicht als ein abgeschlossener Prozess zu betrachten ist, müssen wir davon ausgehen, dass auch die Fähigkeit des Menschen, die vorhandenen Probleme zu lösen, ebenfalls noch nicht perfekter Form ausgebildet ist. Vielmehr kommt Popper zur Einsicht, dass das menschliche Erkenntnisvermögen prinzipiell fehlbar und irrtumsanfällig ist.

So ist jede Erkenntnis für Popper letztlich „ein hypothetisches Vermutungswissen, das es stets von neuem zu prüfen und zu verbessern gilt. (…) Es gibt kein absolut sicheres Fundament und keine letzte Begründungs- oder Rechtfertigungsinstanz, von der aus man Erkenntnisse absolut rechtfertigen und ein für allem als wahr erweisen könnte.“ Jede Dogmatisierung von Wissen ist somit nicht möglich.

In besonderem Maße wird diese Dogmatisierung des Wissens bei einem Blick in die Geschichte offenbar. Politische Weltanschauungen und Ideologien, die auf der Idee einer absolut gesicherten Welterkenntnis aufbauen, münden meist in autoritären und diktatorischen Systemen, die elitäre und undemokratische Erkenntnisansprüche vertreten.

So viel wir auch denken, wir machen Fehler!
Solche Gesellschaften bezeichnet Popper als „geschlossene Gesellschaften“, in denen der „Kollektivgeist des Stammes“ dominiert, in denen es keine individuelle Freiheit gibt, in denen Sitten und Gebräuche als von Natur aus gegeben gelten, in denen es also keine Trennung zwischen natürlichen und normativen Gesetzen gibt.

Gegen die geschlossene Gesellschaft setzt Popper die Idee einer „offenen Gesellschaft“. Damit sind bei Popper eine Reihe von moralisch-politischen Werthaltungen verbunden, von denen die wichtigste die liberale Idee ist, die größtmögliche Freiheit des einzelnen Individuums zu fördern und durch Institutionen abzusichern. Daraus abgeleitet ist selbstverständlich die Einschränkung, dass die Freiheit der einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft nicht die individuelle Freiheit anderer beeinträchtigen darf. Dies zu garantieren ist die Aufgabe des Staates.

Auch wenn Popper das Konzept einer negativen Freiheit – als Freiheit von Unterdrückung und Zwang – vertritt, darf man Popper keinen schrankenlosen Laissez-faire-Liberalismus oder ungehemmten Neoliberalismus unterstellen. Auch hier liegt die Aufgabe des Staates darin, die Freiheit des Einzelnen und zugleich das Gemeinwohl durch eine begrenzte und immer wieder kritisch zu hinterfragende Intervention zu sichern.

Das wichtigste Merkmal einer offenen Gesellschaft aber ist eine institutionalisierte öffentliche Kritik. In einer Gesellschaft muss es notwendigerweise eine politisch-weltanschauliche Pluralität geben. Gesellschaftliche Konflikte, politische Diskussionen und Entscheidungsfragen sollten daher möglichst in der Öffentlichkeit durch transparente, kritisch-rationale Diskussionen ausgetragen werden.

Transparente und kritisch-rationale Diskussion

Auch hier gilt, dass es keine „Totalansichten“ in gesellschaftliche Entwicklungen gibt. Auch hier zeigt sich die Begrenztheit und Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis. Gegen einen auf utopischen Idealen gegründeten revolutionären Umsturz der setzt Popper die Idee einer schrittweisen Lösung von konkreten Einzelproblemen und damit vorsichtigen Umbau der Gesellschaft.

Popper will mit der Zielvorstellung einer offenen Gesellschaft keinesfalls ein Heilsversprechen verbinden. „Auch in einer offenen Gesellschaft vermag sich der Mensch von der Last der Zivilisation, dem damit verbundenen bedrückenden Bewusstsein seiner Mängel und Grenzen … nie endgültig zu befreien.“

Erst wenn die Menschen bereit sind – ganz im Sinne des sokratischen „ich weiß, dass ich nichts weiß“ -, der menschlichen Unvollkommenheit und Beschränktheit bewusst ins Auge zu sehen, können sie mit der Planung von humanitären Institutionen beginnen und so zumindest graduelle Fortschritte bei der Abschaffung vermeidbaren Leids und Elends erzielen.

Diese „gradualistische Idee der Weltverbesserung, die durch Aufklärungsoptimismus und das Vertrauen in die kritische Vernunftfähigkeit des Menschen fundiert ist, bildet den Kernpunkt der offenen Gesellschaft und von Poppers Menschenbild. Dieses Menschenbild gründet auf kritische Rationalität und eine Reihe von moralischen Prinzipien.“

Zu diesen moralischen Prinzipien gehört die Tugend der intellektuellen Bescheidenheit, die nicht die „Allmacht der Vernunft“ propagiert und damit zu einem fanatischen Vernunftglauben, einem „Terror des Rationalismus“ führt. „Die Leitwerte seiner humanitären Ethik sind das Toleranzprinzip und das Prinzip des negativen Utilitarismus, welche anstelle der Forderung nach Glücksmaximierung die Forderung nach Leidminimierung in den Mittelpunkt des praktischen Denkens und Handelns stellt. Eng damit verknüpft ist ein Verantwortungsprinzip, das die individuell zurechenbare Verantwortung im Gegensatz zu anonymisierten Verantwortlichkeit eines Kollektivsubjekts betont.“

Popper ist schlicht der Auffassung, dass es einen Prozess der „Selbstbefreiung durch das Wissen“ gibt, ohne deswegen gleich zu behaupten, Wissen allein führe schon zu richten Wertentscheidungen.
 
Was wir brauchen ist Problemlösungswissen!
Für Popper ist schon ausreichend, „wenn das behauptete als hypothetisches, oder `konjekturales Wissen´ (Vermutungswissen) aller bisherigen Kritik standgehalten hat. Dieses Wissen gilt es im praktischen Lebensprozess zur Lösung von Problemen einzusetzen, jedoch stets im Bewusstsein, dass es jederzeit revidiert und verbessert werden kann.“

So ist nicht das Begehen von Fehlern ein schwerwiegender Defekt, sondern die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, aus einmal gemachten Fehlern zu lernen, um sie nicht wieder zu begehen.



Zitate aus: Kurt Salamun: Wie soll der Mensch sein? Philosophische Ideale vom `wahren´ Menschen von Karl Marx bis Karl Popper, Tübingen 2012 (Mohr Siebeck)

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