Im Jahre 2006 veröffentlichte der langjährige Leiter der
Eliteschule Schloss Salem, Bernhard Bueb, seine Streitschrift „Lob der Disziplin.“ Seine provokanten Thesen
stießen nicht nur auf Zustimmung. Einige führende Vertreter der
Erziehungswissenschaft brandmarkten Buebs Methoden als Schwarze Pädagogik oder
sahen gar Übereinstimmungen mit rechtsextremen Bildungsidealen.
Bernhard Bueb (Foto: ddp) |
Bueb unterscheidet grundsätzlich zwei Erziehungsstile, den
des „Töpfers“ und den des „Gärtners“: „Der Erzieher, der das Bild des Töpfers
zu seiner Leitidee erkoren hat, will den jungen Menschen formen, er greift ein,
steuert, fordert heraus, diszipliniert, schafft Freiräume, um ihn auf die
Selbstständigkeit vorzubereiten, ja er wird ihn in die Selbstständigkeit und
Freiheit zwingen.
Wer sich am Bild des Gärtners orientiert, wird eher darauf achten, dass der junge Mensch gute Beziehungen des Aufwachsens vorfindet, er wird ihn mehr fördern als fordern, weniger eingreifen, aber darauf vertrauen, dass er sich selbst diszipliniert, also wenig Zwang und Autorität braucht (…) Aber auch er greift ein, beschneidet die Pflanzen, bindet sie an Stangen und bewahrt sie vor Befall und Fehlentwicklung, wenn er ein guter Gärtner sein will“ (16).
Wer sich am Bild des Gärtners orientiert, wird eher darauf achten, dass der junge Mensch gute Beziehungen des Aufwachsens vorfindet, er wird ihn mehr fördern als fordern, weniger eingreifen, aber darauf vertrauen, dass er sich selbst diszipliniert, also wenig Zwang und Autorität braucht (…) Aber auch er greift ein, beschneidet die Pflanzen, bindet sie an Stangen und bewahrt sie vor Befall und Fehlentwicklung, wenn er ein guter Gärtner sein will“ (16).
In beiden Erziehungsideen, die ihre Extreme in autoritärer
Erziehung bzw. in Nicht-Erziehung haben, ist die Frage der Disziplin von zentraler Bedeutung. Das Problem ist nun, dass Disziplin im öffentlichen Bewusstsein "alles verkörpert, was Menschen verabscheuen: Zwang, Unterordnung, verordneten
Verzicht, Triebunterdrückung, Einschränkung des eigenen Willens“ (17f).
Dennoch plädiert Bueb für eine Erziehung, die sich an der Disziplin, "dem ungeliebten Kind der Pädagogik“, orientiert. Die geforderte fundamentale Rolle der Disziplin in der Pädagogik leitet er aus
folgenden Prämissen ab: „Disziplin beginnt immer fremdbestimmt und sollte
selbstbestimmt enden, aus Disziplin soll immer Selbstdisziplin werden.
Disziplin in der Erziehung legitimiert sich nur durch Liebe zu Kindern und
Jugendlichen“ (18)
Dabei ist „Disziplin“ für Bueb niemals Selbstzweck, sondern
wird immer (!) in Abhängigkeit von der Idee der Freiheit betrachtet. Irrtümlicherweise
wird Freiheit zumeist mit Unabhängigkeit gleichgesetzt, obwohl Freiheit deutlich
mehr ist. Freiheit bezeichne vielmehr „den Willen und die Fähigkeit, sich
selbst ein Ziel zu setzen, dieses Ziel an moralischen Werten auszurichten, mit
dem eigenen Leben in Übereinstimmung zu bringen und konsequent verfolgen zu
können“ (33).
Freiheit zielt somit auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung aber
ist eben kein angeborener Zustand, sondern „die späte Frucht einer langen
Entwicklung, die man allein durch unendliche Stadien der Selbstüberwindung, des
Wandels von Disziplin zur Selbstdisziplin“ (34) erwirbt. Freiheit als eine Tugend
und Selbstbestimmung sind also ohne Disziplin und Selbstdisziplin unmöglich.
Disziplin und Selbstdisziplin sind darüber hinaus auch notwendige
Voraussetzung für persönliche Glückserlebnisse, denn Glück spürt man vorrangig
nach einer gelungenen schöpferischen und durch Disziplin erreichten Leistung: „Viele
kennen das Glücksgefühl, das einen durchströmt, wenn man den Gipfel eines
Berges erobert hat. Ein Jugendlicher übt monatelang, um bei einem öffentlichen Vorspiel
seiner Klavierklasse auftreten zu können. Die Disziplin zum Üben bringt er auf,
weil ihm ein einzigartiges Glücksgefühl nach dem letzten Ton seines Vorspiels
winkt“ (40).
Disziplin ersetzt also das Lustprinzips durch das Leistungsprinzip. Dies gilt letztlich auch für die Pädagogik: „Die Erziehung
eines Menschen vollendet sich durch Bildung. Bildung heißt, sich das Wissen der
Vorfahren aneignen, mithilfe dieses Wissens sein Leben deuten und daraus
Impulse für sein Handeln gewinnen können" (25). Die Aneignung von theoretischem Wissen,
von Deutungen und von handlungsrelevanten Kompetenzen ist aber ohne Anstrengung
überhaupt nicht möglich.
Lukian aus Samosata |
Es ist Buebs Verdienst, die Frage erneut aufgeworfen zu
haben, was Kinder und Jugendliche brauchen, um in einer sich ständig ändernden
Welt verantwortungs- und selbstbewusst ihr Leben meistern können. Disziplin
gehört ebenso wie Freiheit ganz sicher dazu.
Zitate
aus: Bernhard Bueb: Lob der Disziplin. Eine Streitschrift, Berlin 2006 (List
Verlag)
Weitere
Literatur: Micha Brumlik (Hg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der
Wissenschaft auf Bernhard Bueb. Weinheim 2007 (Beltz)
2012 gab die „Stiftung Johannes Schulen“ in St. Gallen unter dem Titel „Disziplin des Lobens“ eine Entgegnung auf Bueb heraus. Darin wird der Begriff „Disciplina“ als Fach bedacht und eine pädagogisch umgekehrte Verfahrensweise vorgeschlagen, in welcher die gemeinsame Hinwendung von Lehrer und Schüler zum Lernstoff eine Disziplin erwirkt, die nicht in erster Linie - wie bei Bueb - zwischenmenschlich-psychologisch eingefordert, sondern primär vom Objekt des Lernens gestiftet wird. Die Begriffe „Macht“ und „Selbstüberwindung“ werden in der „Disziplin des Lobens“ als etwas der Erziehung Wesensfremdes kritisiert, denn „man kann nicht direkt auf sich selbst einwirken, ebensowenig wie man direkt erziehen kann. Auch Erziehung vollzieht sich über Inhalte, über disciplinae ... Der Gegensatz von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung bricht erst dort auf, wo die Inhalte verschwinden, die uns miteinander verbinden“ (Robert Spaemann). Dies setzt voraus, dass der Lernstoff, den sich Kinder und Jugendliche einverleiben sollen, eine echte Disciplina von klassischer Größe ist und grundsätzlich als etwas Schönes erfahren werden kann. [www.johannesschulen.org]
AntwortenLöschenDurch Zufall bin ich auf diesen älteren Beitrag gestoßen und habe ihn wieder mit Genuss gelesen. Was Bueb als Quintessenz seiner pädagogischen Tätigkeit erkannt hat, konnte jetzt in einer der aufsehenerregendsten und außergewöhnlichsten soziologischen Studien, die jemals durchgeführt wurden, bestätigt werden:
AntwortenLöschenhttp://www.spektrum.de/alias/soziologie/ein-besseres-leben-dank-frueher-selbstbeherrschung/1314683
In der Dunedin-Längsschnittstudie wurde der Einfluss von Selbstdisziplin auf Lebensglück, -erfolg, Zufriedenheit, Gesundheit und vieles andere untersucht - und festgestellt, dass ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Selbstkontrolle den wichtigsten Faktor für alle diese Parameter, vor allem aber Lebenserfolg und -zufriedenheit, darstellt. Und zwar deutlich ausgeprägter als soziale Herkunft, Intelligenz etc. Und das Beste daran ist: Selbstdisziplin und -kontrolle lässt sich lernen, nicht nur im Kindesalter, sondern auch noch später im Jugend- und Adoleszentenalter, wo diese Fähigkeit aufgrund der anstehenden Lebensentscheidungen von besonderer Wichtigkeit ist.
Ich kann diesen Artikel wirklich sehr ans Herz legen - vielleicht wäre er sogar einen eigenen Beitrag wert (gerne lasse ich Ihnen den Artikel zukommen!).
Mit den besten Grüßen!
Vielen Dank für den Hinweis! Ich werde den Artikel mit der gebührenden Aufmerksamkeit lesen ... und vielleicht wird ja dann wirklich ein Artikel draus. Vielen Dank für die positive Kritik und vor allem ein Frohes Neues Jahr. Paideia
AntwortenLöschenIch habe zu danken! Ihr Blog ist eine der feinsten Adressen im Netz und ich hoffe, dass Sie noch lange Muße und Material haben, ihn fortzusetzen.
AntwortenLöschenIch bin ja ein Freund der Aufklärung und wo ein Licht leuchtet, fühlt man sich wohl!
Ihnen also auch ein Frohes Neues Jahr!