Im Jahre 1937 wurde die „Carmina Burana“ in
der Frankfurter Oper uraufgeführt. Die Texte für diese szenische Kantate entnahm Carl Orff der Benediktbeurer Handschrift, einer Sammlung von Lied- und Dramentexten,
entstanden zwischen dem 11. und 13. Jh..
Das Schicksalsrad (aus dem Codex Buranus, 13. Jh) |
Das Werk beginnt und endet mit einem mächtigen Chor zu Ehren
der Schicksalsgöttin Fortuna, der „Imperatrix Mundi“. Schicksal und Glück sind
es, die sich ständig verändern („statu variabilis”) und das Leben der Menschen
durcheinanderbringen („vita detestabilis“). Ihnen bleibt angesichts des
rollenden Glücksrades („rota tu volubilis“) nur Angst und Ungewissheit („sors
immanis et inanis“). Den einzigen Trost findet man allein darin, dass auch der
Mächtige irgendwann stürzen wird („corde pulsum tangite; quod per sortem
sternit fortem“).
Ähnliche Gedanken über die Unstetigkeit des Schicksals
hatten schon einige Jahrhunderte vorher Anicius
Manlius Severinus Boethius (*ca. 483 n. Chr.) bewegt. Boethius
gehörte zu den engsten Vertrauten des Kaisers Theoderich. Aus bis
heute ungeklärten Umständen fiel Boethius in Ungnade und wurde wegen
Hochverrats zum Tod verurteilt. Etwa ein Jahr
vor seiner Hinrichtung im Jahr 524 n. Chr. verfasst Boethius im Gefängnis seine
Consolatio Philosophiae. Dort
zeichnet er das Bild eines vom Tod bedrohten und von allen Freunden verlassenen
zugleich aber unschuldigen und gerechten Menschen, der in der Philosophie den
wahren Arzt für seine kranke Seele gefunden hat.
Im 2. Buch seiner Trostrede stehen der Begriff und die
Gestalt der Fortuna im Mittelpunkt. Fortuna wird als eine Person beschrieben,
die mit ihrer Gunst kommt und geht, wie es ihr Spaß macht. Boethius appelliert
an den Menschen, sich über dieses Wesen des Glücks klar zu werden:
„Du meinst, das Glück habe sich dir gegenüber gewandelt: du
irrst! Dies sind immer seine Sitten, dies ist seine Natur. Es hat vielmehr
gerade in seiner Veränderlichkeit dir gegenüber seine ihm eigentümliche
Beständigkeit bewahrt (…) Warum versuchst du, den Schwung des rollenden Rades
aufzuhalten?“ (1p)
Boethius erinnert den Menschen daran, dass alles, was er
besitzt, ihm nur zeitweilig geliehen ist. Dies gilt auch für ihn selbst: Er war
glücklich, jetzt ist er unglücklich, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass das
Glück noch einmal zurückkehrt.
Boethius (Holzschnitt aus dem 15. Jh.) |
Grundsätzlich stellt Boethius fest, dass das wahre Glück
nicht in äußeren Gütern wie Reichtum, Ehre, Macht und Ruhm zu finden ist,
sondern allein im Menschen selbst liegt:
„Was also, ihr Sterblichen, sucht ihr draußen das Glück, das
in euch liegt … Wenn du deiner selbst mächtig wirst, wirst du auch besitzen,
was du weder jemals verlieren wirst noch das Glück dir rauben kann.“ (4p)
Es sei schlicht absurd, die inneren Güter zu vernachlässigen
und sich stattdessen mit äußeren Dingen zu schmücken. Dieser Gedanke führt
Boethius schließlich zur delphischen Weisheit des „Erkenne dich selbst“:
„Das ist ja die Grundbedingung der menschlichen Natur: so
hoch sie über alle Dinge emporragt, wenn sie sich selbst erkennt, so tief sinkt
sie noch unter die Tiere, wenn sie aufhört, sich zu erkennen.“ (5p)
Wer sich also von allen äußeren Dingen und Leidenschaften
befreit, der ist letztlich unbesiegbar und weder Naturgewalten noch Tyrannen
können ihm schaden.
„Du musst dein Haus bescheiden
Fest auf Felsen erbauen.
Dann mögen Stürme brausen,
Trümmer mischen die Fluten,
In Ruhe fest gegründet
Schützt ein kraftvoller Wall dich,
Du führst ein heiteres Leben,
Lachst des Zornes der Winde.“
(2. Buch, 4c)
Zitate aus:
Boethius:
Trost der Philosophie, Düsseldorf, 2004 (Artemis und Winkler)
1975 wurde die Carmina Burana im
Stile eines szenischen Liedes unter der musikalischen Leitung von Kurt Eichhorn
für das Zweite Deutsche Fernsehen aufgenommen. In Youtube kann man sich
Ausschnitte der Aufnahme ansehen, u.a. auch den Eingangschor „Fortuna Imperatrix Mundi“
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