Sonntag, 5. Februar 2012

Boethius und die Fortuna


Im Jahre 1937 wurde die „Carmina Burana“ in der Frankfurter Oper uraufgeführt. Die Texte für diese szenische Kantate entnahm Carl Orff der Benediktbeurer Handschrift, einer Sammlung von Lied- und Dramentexten, entstanden zwischen dem 11. und 13. Jh..

Das Schicksalsrad (aus dem Codex Buranus, 13. Jh)
Das Werk beginnt und endet mit einem mächtigen Chor zu Ehren der Schicksalsgöttin Fortuna, der „Imperatrix Mundi“. Schicksal und Glück sind es, die sich ständig verändern („statu variabilis”) und das Leben der Menschen durcheinanderbringen („vita detestabilis“). Ihnen bleibt angesichts des rollenden Glücksrades („rota tu volubilis“) nur Angst und Ungewissheit („sors immanis et inanis“). Den einzigen Trost findet man allein darin, dass auch der Mächtige irgendwann stürzen wird („corde pulsum tangite; quod per sortem sternit fortem“).

Ähnliche Gedanken über die Unstetigkeit des Schicksals hatten schon einige Jahrhunderte vorher Anicius Manlius Severinus Boethius (*ca. 483 n. Chr.) bewegt. Boethius gehörte zu den engsten Vertrauten des Kaisers Theoderich. Aus bis heute ungeklärten Umständen fiel Boethius in Ungnade und wurde wegen Hochverrats zum Tod verurteilt. Etwa ein Jahr vor seiner Hinrichtung im Jahr 524 n. Chr. verfasst Boethius im Gefängnis seine Consolatio Philosophiae. Dort zeichnet er das Bild eines vom Tod bedrohten und von allen Freunden verlassenen zugleich aber unschuldigen und gerechten Menschen, der in der Philosophie den wahren Arzt für seine kranke Seele gefunden hat.

Im 2. Buch seiner Trostrede stehen der Begriff und die Gestalt der Fortuna im Mittelpunkt. Fortuna wird als eine Person beschrieben, die mit ihrer Gunst kommt und geht, wie es ihr Spaß macht. Boethius appelliert an den Menschen, sich über dieses Wesen des Glücks klar zu werden:

„Du meinst, das Glück habe sich dir gegenüber gewandelt: du irrst! Dies sind immer seine Sitten, dies ist seine Natur. Es hat vielmehr gerade in seiner Veränderlichkeit dir gegenüber seine ihm eigentümliche Beständigkeit bewahrt (…) Warum versuchst du, den Schwung des rollenden Rades aufzuhalten?“ (1p)

Boethius erinnert den Menschen daran, dass alles, was er besitzt, ihm nur zeitweilig geliehen ist. Dies gilt auch für ihn selbst: Er war glücklich, jetzt ist er unglücklich, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass das Glück noch einmal zurückkehrt.

Boethius (Holzschnitt aus dem 15. Jh.)
Grundsätzlich stellt Boethius fest, dass das wahre Glück nicht in äußeren Gütern wie Reichtum, Ehre, Macht und Ruhm zu finden ist, sondern allein im Menschen selbst liegt:

„Was also, ihr Sterblichen, sucht ihr draußen das Glück, das in euch liegt … Wenn du deiner selbst mächtig wirst, wirst du auch besitzen, was du weder jemals verlieren wirst noch das Glück dir rauben kann.“ (4p)

Es sei schlicht absurd, die inneren Güter zu vernachlässigen und sich stattdessen mit äußeren Dingen zu schmücken. Dieser Gedanke führt Boethius schließlich zur delphischen Weisheit des „Erkenne dich selbst“:

„Das ist ja die Grundbedingung der menschlichen Natur: so hoch sie über alle Dinge emporragt, wenn sie sich selbst erkennt, so tief sinkt sie noch unter die Tiere, wenn sie aufhört, sich zu erkennen.“ (5p)

Wer sich also von allen äußeren Dingen und Leidenschaften befreit, der ist letztlich unbesiegbar und weder Naturgewalten noch Tyrannen können ihm schaden.

„Du musst dein Haus bescheiden
Fest auf Felsen erbauen.
Dann mögen Stürme brausen,
Trümmer mischen die Fluten,
In Ruhe fest gegründet
Schützt ein kraftvoller Wall dich,
Du führst ein heiteres Leben,
Lachst des Zornes der Winde.“
(2. Buch, 4c)



Zitate aus:
Boethius: Trost der Philosophie, Düsseldorf, 2004 (Artemis und Winkler)

1975 wurde die Carmina Burana im Stile eines szenischen Liedes unter der musikalischen Leitung von Kurt Eichhorn für das Zweite Deutsche Fernsehen aufgenommen. In Youtube kann man sich Ausschnitte der Aufnahme ansehen, u.a. auch den Eingangschor „Fortuna Imperatrix Mundi“




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