Sonntag, 12. Februar 2012

Bernhard Bueb und die Disziplin

Im Jahre 2006 veröffentlichte der langjährige Leiter der Eliteschule Schloss Salem, Bernhard Bueb, seine Streitschrift  „Lob der Disziplin.“ Seine provokanten Thesen stießen nicht nur auf Zustimmung. Einige führende Vertreter der Erziehungswissenschaft brandmarkten Buebs Methoden als Schwarze Pädagogik oder sahen gar Übereinstimmungen mit rechtsextremen Bildungsidealen.

Bernhard Bueb (Foto: ddp)
Dabei geht es in Buebs Buch lediglich um einige der wichtigsten und damit notwendigerweise umstrittensten Aspekte der Pädagogik: „Führen und Wachsenlassen, Gerechtigkeit und Güte, Disziplin und Liebe, Konsequenz und Fürsorge, Kontrolle und Vertrauen“ (18).

Bueb unterscheidet grundsätzlich zwei Erziehungsstile, den des „Töpfers“ und den des „Gärtners“: „Der Erzieher, der das Bild des Töpfers zu seiner Leitidee erkoren hat, will den jungen Menschen formen, er greift ein, steuert, fordert heraus, diszipliniert, schafft Freiräume, um ihn auf die Selbstständigkeit vorzubereiten, ja er wird ihn in die Selbstständigkeit und Freiheit zwingen. 

Wer sich am Bild des Gärtners orientiert, wird eher darauf achten, dass der junge Mensch gute Beziehungen des Aufwachsens vorfindet, er wird ihn mehr fördern als fordern, weniger eingreifen, aber darauf vertrauen, dass er sich selbst diszipliniert, also wenig Zwang und Autorität braucht (…) Aber auch er greift ein, beschneidet die Pflanzen, bindet sie an Stangen und bewahrt sie vor Befall und Fehlentwicklung, wenn er ein guter Gärtner sein will“ (16).

In beiden Erziehungsideen, die ihre Extreme in autoritärer Erziehung bzw. in Nicht-Erziehung haben, ist die Frage der Disziplin von zentraler Bedeutung. Das Problem ist nun, dass Disziplin im öffentlichen Bewusstsein "alles verkörpert, was Menschen verabscheuen: Zwang, Unterordnung, verordneten Verzicht, Triebunterdrückung, Einschränkung des eigenen Willens“ (17f).

Dennoch plädiert Bueb für eine Erziehung, die sich an der Disziplin, "dem ungeliebten Kind der Pädagogik“, orientiert. Die geforderte fundamentale Rolle der Disziplin in der Pädagogik leitet er aus folgenden Prämissen ab: „Disziplin beginnt immer fremdbestimmt und sollte selbstbestimmt enden, aus Disziplin soll immer Selbstdisziplin werden. Disziplin in der Erziehung legitimiert sich nur durch Liebe zu Kindern und Jugendlichen“ (18)

Dabei ist „Disziplin“ für Bueb niemals Selbstzweck, sondern wird immer (!) in Abhängigkeit von der Idee der Freiheit betrachtet. Irrtümlicherweise wird Freiheit zumeist mit Unabhängigkeit gleichgesetzt, obwohl Freiheit deutlich mehr ist. Freiheit bezeichne vielmehr „den Willen und die Fähigkeit, sich selbst ein Ziel zu setzen, dieses Ziel an moralischen Werten auszurichten, mit dem eigenen Leben in Übereinstimmung zu bringen und konsequent verfolgen zu können“ (33).

Freiheit zielt somit auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung aber ist eben kein angeborener Zustand, sondern „die späte Frucht einer langen Entwicklung, die man allein durch unendliche Stadien der Selbstüberwindung, des Wandels von Disziplin zur Selbstdisziplin“ (34) erwirbt. Freiheit als eine Tugend und Selbstbestimmung sind also ohne Disziplin und Selbstdisziplin unmöglich.

Disziplin und Selbstdisziplin sind darüber hinaus auch notwendige Voraussetzung für persönliche Glückserlebnisse, denn Glück spürt man vorrangig nach einer gelungenen schöpferischen und durch Disziplin erreichten Leistung: „Viele kennen das Glücksgefühl, das einen durchströmt, wenn man den Gipfel eines Berges erobert hat. Ein Jugendlicher übt monatelang, um bei einem öffentlichen Vorspiel seiner Klavierklasse auftreten zu können. Die Disziplin zum Üben bringt er auf, weil ihm ein einzigartiges Glücksgefühl nach dem letzten Ton seines Vorspiels winkt“ (40).

Disziplin ersetzt also das Lustprinzips durch das Leistungsprinzip. Dies gilt letztlich auch für die Pädagogik: „Die Erziehung eines Menschen vollendet sich durch Bildung. Bildung heißt, sich das Wissen der Vorfahren aneignen, mithilfe dieses Wissens sein Leben deuten und daraus Impulse für sein Handeln gewinnen können" (25). Die Aneignung von theoretischem Wissen, von Deutungen und von handlungsrelevanten Kompetenzen ist aber ohne Anstrengung überhaupt nicht möglich.

Lukian aus Samosata
Letztlich zielen Erziehung und Bildung darauf, „einen Menschen instand zu setzen, sich selbst und die Welt zu erkennen und in ihr mutig zu handeln“ (25). Mit diesen Aussagen steht Bueb, bei aller Polemik, in der guten Tradition der antiken Paideia, wie sie beispielsweise Lukian aus Samosata im 2. Jh. in seiner Erzählung „Lukians Traum“ beschrieben hat.

Es ist Buebs Verdienst, die Frage erneut aufgeworfen zu haben, was Kinder und Jugendliche brauchen, um in einer sich ständig ändernden Welt verantwortungs- und selbstbewusst ihr Leben meistern können. Disziplin gehört ebenso wie Freiheit ganz sicher dazu.

Zitate aus: Bernhard Bueb: Lob der Disziplin. Eine Streitschrift, Berlin 2006 (List Verlag)
Weitere Literatur: Micha Brumlik (Hg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb. Weinheim 2007 (Beltz)

4 Kommentare:

  1. 2012 gab die „Stiftung Johannes Schulen“ in St. Gallen unter dem Titel „Disziplin des Lobens“ eine Entgegnung auf Bueb heraus. Darin wird der Begriff „Disciplina“ als Fach bedacht und eine pädagogisch umgekehrte Verfahrensweise vorgeschlagen, in welcher die gemeinsame Hinwendung von Lehrer und Schüler zum Lernstoff eine Disziplin erwirkt, die nicht in erster Linie - wie bei Bueb - zwischenmenschlich-psychologisch eingefordert, sondern primär vom Objekt des Lernens gestiftet wird. Die Begriffe „Macht“ und „Selbstüberwindung“ werden in der „Disziplin des Lobens“ als etwas der Erziehung Wesensfremdes kritisiert, denn „man kann nicht direkt auf sich selbst einwirken, ebensowenig wie man direkt erziehen kann. Auch Erziehung vollzieht sich über Inhalte, über disciplinae ... Der Gegensatz von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung bricht erst dort auf, wo die Inhalte verschwinden, die uns miteinander verbinden“ (Robert Spaemann). Dies setzt voraus, dass der Lernstoff, den sich Kinder und Jugendliche einverleiben sollen, eine echte Disciplina von klassischer Größe ist und grundsätzlich als etwas Schönes erfahren werden kann. [www.johannesschulen.org]

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  2. Durch Zufall bin ich auf diesen älteren Beitrag gestoßen und habe ihn wieder mit Genuss gelesen. Was Bueb als Quintessenz seiner pädagogischen Tätigkeit erkannt hat, konnte jetzt in einer der aufsehenerregendsten und außergewöhnlichsten soziologischen Studien, die jemals durchgeführt wurden, bestätigt werden:

    http://www.spektrum.de/alias/soziologie/ein-besseres-leben-dank-frueher-selbstbeherrschung/1314683

    In der Dunedin-Längsschnittstudie wurde der Einfluss von Selbstdisziplin auf Lebensglück, -erfolg, Zufriedenheit, Gesundheit und vieles andere untersucht - und festgestellt, dass ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Selbstkontrolle den wichtigsten Faktor für alle diese Parameter, vor allem aber Lebenserfolg und -zufriedenheit, darstellt. Und zwar deutlich ausgeprägter als soziale Herkunft, Intelligenz etc. Und das Beste daran ist: Selbstdisziplin und -kontrolle lässt sich lernen, nicht nur im Kindesalter, sondern auch noch später im Jugend- und Adoleszentenalter, wo diese Fähigkeit aufgrund der anstehenden Lebensentscheidungen von besonderer Wichtigkeit ist.

    Ich kann diesen Artikel wirklich sehr ans Herz legen - vielleicht wäre er sogar einen eigenen Beitrag wert (gerne lasse ich Ihnen den Artikel zukommen!).

    Mit den besten Grüßen!

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  3. Vielen Dank für den Hinweis! Ich werde den Artikel mit der gebührenden Aufmerksamkeit lesen ... und vielleicht wird ja dann wirklich ein Artikel draus. Vielen Dank für die positive Kritik und vor allem ein Frohes Neues Jahr. Paideia

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  4. Mattias Schäfer8. Januar 2015 um 11:28

    Ich habe zu danken! Ihr Blog ist eine der feinsten Adressen im Netz und ich hoffe, dass Sie noch lange Muße und Material haben, ihn fortzusetzen.
    Ich bin ja ein Freund der Aufklärung und wo ein Licht leuchtet, fühlt man sich wohl!
    Ihnen also auch ein Frohes Neues Jahr!

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