„Lukians Traum“ gehört ohne Zweifel zu den schönsten Erzählungen des
Altertums. Sie wurde von Lukian aus Samosata im 2. Jh. verfasst und trägt
eindeutig autobiographische Züge.
Lukians Traum (Druck Valentin Curio, Basel 1522) |
Lukian erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der als
Lehrling in eine Bildhauerwerkstatt eintritt, aber schon am ersten Tag eine
Steinplatte zerbricht und dafür furchtbar verprügelt wird.
In der folgenden Nacht hat er einen Traum, in dem ihm zwei
göttlich anmutende Frauen erscheinen: Die eine der beiden, die Bildhauerkunst,
verspricht dem jungen Mann ein Leben häuslicher Redlichkeit, das zu einem guten
Auskommen und Verehrung durch die Menschen führe. Die andere Frau, die Bildung
(Paideia), lockt den Mann mit folgenden Worten:
„Ich, mein Sohn, bin die Bildung. (…) Folgst du mir, so
werde ich dich vor allen Dingen mit allem, was die edelsten Menschen der
Vorwelt Bewundernswürdiges gesprochen, getan und geschrieben haben, und
überhaupt mit allem, was wissenswert ist, bekannt machen.
Dein edelstes Teil, dein Herz, werde ich mit Mäßigung,
Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Sanftmut, Billigkeit, Klugheit und Standhaftigkeit,
mit der Liebe zum Schönen und mit dem Streben nach jeder Vollkommenheit zieren;
denn diese Tugenden sind der Seele wahrer, unvergänglicher Schmuck. (…) mit
einem Worte, ich will dich in allen göttlichen und menschlichen Dingen, und
zwar in kurzer Zeit, vollständig unterrichten.“ (19)
„Lukians Traum“ ist der berühmten Erzählung „Herkules am
Scheideweg“ des Sophisten Prodikos von Keos (5. Jh. v. Chr.) nachgebildet, die
Xenophon in seinen „Erinnerung an Sokrates“ überliefert hat. Während Herkules jedoch zwischen der Tugend und der Lust wählen muss, steht der junge Mann hier vor der
Entscheidung, sein weiteres Leben einem ehrlichen Handwerk oder der Bildung zu
widmen.
Nur: Worin besteht diese Bildung, von der Lukian hier
spricht?
Zum einen handelt es sich ein Wissen, das durch Lektüre und
Studium der literarischen Werke der „Vergangenheit“ erworben wird. Dieser
rhetorische Unterricht gehörte in der Antike zur ganz normalen schulischen
Grundausbildung.
Zum anderen zielt Paideia auf eine ethische Bildung, auf die
Aneignung eines an Werten orientierten Denkens und Handelns. Dies geschah meist
unter der Anleitung eines Philosophielehrers, der nicht nur Wissen vermitteln,
sondern auch durch seine Persönlichkeit und Autorität, durch Glaubwürdigkeit
und Charisma auf seinen Schüler und dessen Lebensführung einwirken sollte.
Paideia beruht also gleichermaßen auf theoretischem Studium
wie auf praktischer Übung und Aneignung - und sie ist niemals nur Mittel zum
Zweck. Sie ist weder eine Rolle, die man je nach Bedarf spielt, noch eine
Maske, die man zu bestimmten Gelegenheiten aufsetzen kann.
Paideia ist vor allem gelungenes Leben, sie ist das Ideal
einer Bildung, die den gesamten Menschen und seinen Charakter durchdringt wie
eine zweite Natur. Die Hingabe an dieses Ideal aber erfordert eigene
Urteilskraft ebenso wie die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen.
An diesem Grundgedanken der Bildung hat sich bis heute nicht
viel verändert.
P.S. Der junge Mann entschied sich natürlich ebenso wie Lukian für die Paideia.
P.S. Der junge Mann entschied sich natürlich ebenso wie Lukian für die Paideia.
Zitate aus: Lukian: Der Lügenfreund und andere phantastische
Erzählungen. Bibliothek der Antike, München 1990 (dtv)
Weitere Literatur: Lukian: Gegen den ungebildeten
Büchernarren. Ausgewählte Werke, Bibliothek der Alten Welt, Düsseldorf 2006
(Artemis und Winkler) --- Xenophon: Erinnerungen an Sokrates. Düsseldorf 2003
(Artemis und Winkler)
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