Für die Römer war Bildung das, was den Menschen „aus dem rohen Zustand herausbringt“, lateinisch eruditio.
In der Zeit der Republik wurden die Kinder der reichen Familien privat unterrichtet, vorzugsweise von griechischen Hauslehrern. Der Bildungskanon umfasste neben dem Studium der Literatur, vor allem die Kunst der Rhetorik. Dazu kamen Lehrfächer wie Rechnen, Geometrie, Astronomie, Musik, Gymnastik und – typisch für Rom – das Recht.
Bildung war zunächst Charakterbildung, ihr Erziehungsziel war der tüchtige und redegewandte Mann, der vir bonus dicendi peritus – wie der ältere Cato das formulierte (Demandt, 196).
Mark Aurel (Glyptothek München) |
Zum anderen war das
Ziel der Erziehung eine praktisch-politische Lebenstüchtigkeit, wie Vergil in der Aeneis ausführt: „Andere werden eherne Bilder wohl glatter erschaffen, werden - ich glaube es gern - dem Marmor lebendigere Züge entlocken, besser das Recht verfechten und mit dem Zirkel die Bahnen am Himmel berechnen, auch den Aufgang der Sterne sicher bestimmen. Du aber, Römer, gedenke den Völkern mit Macht zu gebieten. Das sei dein Beruf, Gesittung und Frieden zu schaffen, Unterworfene zu schonen und niederzuringen die Stolzen“ (VI. Gesang, 847 ff).
Auch während der Kaiserherrschaft genoss Bildung weiterhin einen
hohen Stellenwert, einige Kaiser wie Claudius und Hadrian waren ausgewiesene
Gelehrte. Es galt als vornehm, gebildet, ja gelehrt zu sein. Aber unter allen Kaisern war wohl keiner so auf Bildung und
Bücher versessen wie Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.).
Nach dem Tode Hadrians im Juli 138 zog der siebzehnjährige
Mark Aurel zu Antoninus Pius, seinem Adoptivvater und neuem Kaiser.
139 wurde Mark
Aurel von Antoninus zum Caesar erhoben und damit formell zum Thronfolger designiert. Damit begann eine dreiundzwanzigjährige Epoche eines
allgemeinen Wohlstandes und weitgehender innerer und äußerer Stabilität. Zwei
Philosophen herrschten gemeinsam im Staat und in enger Freundschaft verbunden.
Mit dem Tode des Antoninus Pius ging das Kaisertum 161 auf
Mark Aurel über. So friedlich wie die erste Hälfte seiner Regentschaft war, so
stürmisch gestaltete sich die zweite Hälfte: Hungersnöte und Pest, Aufstände
und Kriege vor allem gegen verschiedene Germanenstämme führten dazu, dass Marc
Aurel sein letztes Lebensjahrzehnt vorwiegend im Feldlager verbrachte. Hier setzte er seine philosophische Studien fort und verfasste auf
griechisch seine Selbstbetrachtungen (Τὰ εἰς ἑαυτόν), die ihn der Nachwelt als Philosophenkaiser
bekannt gemacht haben.
Selbstbetrachtungen, Ausgabe von 1727 (Foto: Gerd Thiele) |
Mit 25 Jahren hatte sich Marc Aurel, beeinflusst durch die
Schriften des Stoikers Ariston (ca 250 v. Chr.) von der klassischen römischen
Bildung ab- und der Philosophie zugewandt. Das verstieß gegen die Sitte, denn
schon Ennius schrieb, man dürfe aus der Philosophie nur Kostproben genießen,
sich aber nicht von ihr verschlingen lassen: Degustandum ex philosophia, non in eam ingurgitandum. Man
fürchtete, die Philosophie mache gedankenreich, aber tatenarm (Demandt, 207f).
In seinen Selbstbetrachtungen
vertritt Marc Aurel einen undogmatischen Stoizismus (Demandt, 208). Weisheit
ist für ihn mit der bereits erwähnten praktisch-politischen Lebenskunst
identisch.
In kurzen und klaren Formulierungen beschreibt Marc Aurel
seine aufrichtige Liebe für alles Vernünftige und Tüchtige. Dem Kaiser
kommt es nicht darauf an, möglichst viel Wissen anzuhäufen, sondern sich mit
dem Göttlichen in der eigenen Seele zu verständigen.
Die Aufgabe der Philosophie bestehe in der Bildung
des Charakters und der Beruhigung der Seele. Dazu muss der Weise die drei
wichtigsten Lehren des stoischen Systems beachten: Die Vorstellung vom steten
Wandel aller Dinge, das Bewusstsein der Hinfälligkeit des Daseins und die
Erkenntnis, dass Werden und Vergehen einen Kreislauf bilden, in dem ein
Einzelnes keinen Bestand hat.
So kann Philosophie trotz des ständigen Wandels der
Ereignisse, von Glück und Unglück, vergänglichen Sorgen und vergänglichen Freuden
einen festen Halt bieten.
Darüber hinaus besteht für Marc Aurel der Sinn des Lebens in
der Arbeit für die Gemeinschaft - im Geiste einer kosmopolitischen
Philanthropie und eingebettet in die Harmonie der Natur.
Nachdrücklich
hält Marc Aurel an den Pflichten des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft fest.
Er fühlt sich einem Staatsverständnis verpflichtet, „in welchem alle Bürger
gleich sind vor dem Gesetz, und einer Regierung, die nichts so hochhält wie die
bürgerliche Freiheit“ (Selbstbetrachtungen, Buch I, 14).
Seine philosophischen Überzeugungen schützten ihn vor absolutistischem
Machtmissbrauch. „Nimm dich in acht davor, ein Tyrann zu werden! Bewahre deine Einfalt, Tugend, Reinheit, Würde, deine Natürlichkeit, deine Gottesfurcht, deine Gerechtigkeitsliebe, deine Liebe und Güte und deinen Eifer in Erfüllung der Pflicht. Ringe danach, dass du bleibst, wie dich die Philosophie haben will“ (Selbstbetrachtungen, Buch VI, 30).
Stets war sich Mark Aurel der Grenzen seiner
politischen Gestaltungsmöglichkeiten und der Hinfälligkeit utopischer
Gesellschaftsmodelle bewusst. „Auch bilde dir den platonischen Staat nicht ein, sondern sei zufrieden, wenn es auch
nur ein klein wenig vorwärts geht, und halte solchen kleinen
Fortschritt nicht für gering. Denn wer wird die Gesinnung der Leute
ändern? Ohne eine solche Änderung der Gesinnung aber, was würde anderes daraus entstehen als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein Gehorsam solcher, die sich stellen, als wären sie überzeugt“ (Selbstbetrachtungen
Buch IX, 29).
Entscheidend im Leben ist
letztlich die Einstellung zum Leben. Darin gipfelt die gesamte Lehre der Stoa und
dies sei auch die einzig richtige Haltung eines Weisen: „Doch gehe durchs
Leben wie jemand, der alles, was er hat, von ganzem Herzen den Göttern weiht,
niemandes Tyrann und
niemandes Knecht.“ (Selbstbetrachtungen IV, 31)
Literatur: Alexander Demandt: Das
Privatleben der römischen Kaiser, München 2007 (C.H. Beck) -- Marc Aurel:
Selbstbetrachtungen, Essen 2004 (Magnus) -- P. Vergilius Maro: Aeneis, Düsseldorf 2009 (Albatros)
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