Im
Jahre 1849 erschien unter dem Titel „Die Kunst und die Revolution“ eine der Hauptschriften Richard Wagners. In ihr stellt er die von ihm idealisierte Kultur der antiken griechischen Polis den kulturellen
Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert gegenüber.
Richard Wagner (1813-1883) |
In der Welt der Griechen erblickt Wagner das Ideal einer wahren Kultur, denn in
der griechischen Polis seien Gesellschaft und Individuum,
öffentliches und privates Interesse noch miteinander verbunden gewesen. Kunst sei immer auch eine öffentliche Angelegenheit gewesen, ein Ereignis,
durch das sich das Volk den Sinn und die Prinzipien seines gemeinschaftlichen Lebens in festlichem, sakralem Rahmen vor Augen führte:
„Dieses
Volk strömte von der Staatsversammlung, vom Gerichtsmarkte, vom Lande, von den
Schiffen, aus dem Kriegslager, aus fernsten Gegenden, zusammen, erfüllte zu
Dreißigtausend das Amphitheater, um die tiefsinnigste aller Tragödien, den
Prometheus, aufführen zu sehen, um sich vor dem gewaltigsten Kunstwerke zu
sammeln, sich selbst zu erfassen, seine eigene Tätigkeit zu begreifen, mit
seinem Wesen, seiner Genossenschaft, seinem Gotte sich in innigste Einheit zu verschmelzen und so in edelster, tiefster Ruhe das wieder zu sein, was es vor
wenigen Stunden in rastlosester Aufregung und gesondertster Individualität
ebenfalls gewesen war.“
Für
Wagner ist die griechische deshalb die wahre und ursprüngliche Kunst, weil sie nicht
nur der Ausdruck absoluter Freiheit ist, sondern auch „die höchste Tätigkeit eines
im Einklang mit sich und der Natur befindlichen Menschen“ darstellt.
In
der modernen Kunst gäbe es diese Öffentlichkeit nicht mehr. Kunst sei zu einer
Industrie geworden und damit unter die Zwänge der Kommerzialisierung und
Privatisierung geraten: „Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr
moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung
der Gelangweilten.“
Auch
der Künstler sei zum Produzenten geworden - für Wagner ein skandalöser Vorgang,
da Kunst doch als Ausdruck menschlicher Schöpferkraft eine Würde an sich
besitzt.
Notwendig
sei daher eine Revolution der Kunst. Die neue Verbindung von Gesellschaft und Individuum
kann die alte Kultur der Griechen allerdings nicht mehr leisten. In seinen
Gedanken lässt sich Wagner leiten von der Religionskritik Ludwig Feuerbachs,
dessen Abhandlung „Das Wesen des Christentums“ (1841) er zuvor gelesen hatte.
Mit
Feuerbach sieht er in den Göttern Projektionen der freien Schöpferkraft des Menschen
und aus diesem Grund muss die Idee des freien Menschen die Stelle der Religion
einnehmen. Für Wagner ist die Gestalt Siegfrieds eine solche künstlerisch
brauchbare Verkörperung der Freiheit. Hier lässt sich ein Mensch erkennen, der
sich von der Gewalt der Götter freimacht. In der Antike hatte Wagner die
Gestalt des Prometheus verherrlicht, Siegfried ist für ihn ein neuer Prometheus.
Wagners Steckbrief |
Revolution
und Kunst haben ein gemeinsames Ziel: „Dieses Ziel ist der starke und schöne
Mensch: die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die Schönheit!“ Das
Kunstwerk Wagners, das diese Aufgabe erfüllen soll, ist das Nibelungendrama, an
dem Wagner fast ein Vierteljahrhundert arbeiten wird.
Im
Augenblick jedoch ist Wagner auf der Flucht und hält sich – in Deutschland steckbrieflich
gesucht – in Zürich auf. Er hatte im Frühjahr 1849 zusammen mit Bakunin an den
Vorbereitungen eines bewaffneten Aufstandes gegen den sächsischen König teilgenommen.
Die Dresdener Revolte wird im Mai 1849 jedoch niedergeschlagen, die
Rädelsführer verhaftet. Wagner kann – mit Hilfe Franz Liszts – sich in die
Schweiz retten. Dort entsteht schließlich „Die Kunst und die Revolution“.
Literatur:
Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution, Leipzig 1849 (Verlag Otto Wiegand) -- Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt a.M. 2010 (Fischer Tb)
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