Donnerstag, 30. Mai 2013

Francis Fukuyama und das Ende der Geschichte


Der 1952 in Chicago geborene Politikwissenschaftler Francis Fukuyama galt in den 80er und 90er Jahren als einer der intellektuellen Vordenker der us-amerikanischen Außenpolitik. Auf einen Schlag bekannt wurde er durch seine These vom Ende der Geschichte - das er mit dem Sieg der westlichen liberalen Demokratie gleichsetzt -, die er 1989 zunächst in einem Aufsatz in der renommierten Europäischen Rundschau vorgestellte und dann in dem gleichnamigen Buch (1992) ausarbeitete.

Francis Fukuyama
Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Beobachtung einer langen Reihe ideologischer Konflikte, „als es der Liberalismus zunächst mit den Resten des Absolutismus zu tun hatte, dann mit dem Bolschewismus und dem Faschismus, und schließlich mit einem erneuerten Marxismus, der der Apokalypse eines nuklearen Kriegs zuzusteuern drohte.“ Nun jedoch würde das 20. Jahrhundert wieder zu seinen Anfängen zurückkehren, d.h. „zu einem klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus“, der sich vor allem „in der völligen Erschöpfung aller Alternativen“ zeigt.

In dieser Entwicklung sieht nicht einfach nur den Abschluss einer historischen Epoche, etwa der Nachkriegsgeschichte, sondern das Ende der Geschichte schlechthin: „das heißt, das Ende der ideologischen Entwicklung der Menschheit, so wie der allgemeinen Einführung der westlichen liberalen Demokratie als finaler Regierungsform.“

Fukuyamas Aufsatz erschien im Sommer 1989, also noch vor dem Fall der Berliner Mauer. Die nachfolgende politische Entwicklung gab Fukuyama eindeutig Recht: Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Überführung der Staates des Warschauer Paktes in Demokratien, aber auch die blutige Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens, all dies passte perfekt in die Theorie Fukuyamas.

Der Anfang vom Ende der Geschichte: Der Fall der Berliner Mauer ...
Selbstverständlich bedeute das Ende der Geschichte nicht, dass es keine weiteren Entwicklungen mehr geben werde, „denn der Sieg des Liberalismus erfolgte vor allem im Bereich der Ideen oder des Bewusstseins“, aber sein Triumph sei in der realen und materiellen Welt natürlich noch unvollständig. Dennoch ist der am Ende der Geschichte erscheinende Staat notwendig liberal, weil nur er „auf dem Weg des Gesetzes das allgemeine Menschenrecht der Freiheit anerkennt und schützt, und indem er nur durch den Konsens der Regierten besteht.“

Totalitäre Systeme, wie Kommunismus und der Faschismus, haben nicht nur jegliche Anziehungskraft verloren, sondern sind auch inhärent zum Scheitern verurteilt, weil sie den Grundgedanken des Liberalismus widersprechen: Grundrechte gleichermaßen als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und als Schutz- und Teilhaberechte, Rechtsstaatsprinzip und freie Marktwirtschaft.

Fukuyama gibt unumwunden zu, dass es auch in den liberalen Demokratien materielle Unterschiede gibt, die sich in den letzten Jahren teilweise sogar verbreitert hätten. Andererseits behauptet er, dass „die eigentlichen Ursachen der wirtschaftlichen Ungleichheit nichts mit der ihnen zugrunde liegenden rechtlichen und gesellschaftlichen Struktur unserer Gesellschaft zu tun haben, sondern vielmehr mit den kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten der Gruppen, aus denen sie zusammengesetzt ist, die ihrerseits ein historisches Erbe früherer Verhältnisse darstellen.“

Die Armut der schwarzen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten sei also kein Ergebnis des Liberalismus, sondern vielmehr das Erbe der Sklaverei und des Rassismus, die der Liberalismus zwar auf der ideellen Ebene überwunden habe, dessen materiellen Auswirkungen gleichwohl noch fortdauerten.

Hochinteressant ist schließlich, dass Fukuyama schon frühzeitig ideologische Konkurrenten des Liberalismus ausmachte, deren Gefährdungen für die demokratische Gesellschaft mittlerweile von einer großen Mehrheit so gesehen werden. Zu diesen Konkurrenten zählt Fukuyama den islamistischen Fundamentalismus.

Konkurrent Islamischer Fundamentalismus (?)
So könnte man meinen, „dass die Wiederbelebung des Religiösen irgendwie eine breite Unzufriedenheit mit der Unpersönlichkeit und der geistigen Leere der liberalen Konsumgesellschaft verrät. Aber während die Leer im Kern des Liberalismus sicherlich einen ideologischen Defekt darstellt – in der Tat einen Mangel, den man auch ohne den religiösen Blickwinkel erkennen kann -, so ist doch keineswegs erkennbar, dass dem auf dem Weg der Politik abgeholfen werden könnte“, wie in der unheilvollen Verbindung von Staat und Religion im Iran deutlich werde.

Die These vom theokratischen Staat als politische Alternative zum Liberalismus wirke jedoch auf Nichtmoslems kaum anziehend, so dass es nicht vorstellbar sei, „dass diese Bewegung universale Bedeutung bekommen könnte“, denn schließlich sei das gerade der Vorteil des Liberalismus, dass er individuelle religiöse Bedürfnisse innerhalb der Gesellschaft innerhalb der zulässigen Lebensformen auch befriedigen könne.

Trotz aller berechtigten Kritik an Fukuyamas Standpunkt ist die Lektüre von „Das Ende der Geschichte“ nachwievor lohnend, auch wenn man ein gesundes Misstrauen gegenüber hermetischen geschichtsphilosophischen Theorien hegt.  

Letztlich muss sich jeder gesellschaftspolitische Vorschlag daran messen lassen, ob es ihm gelingt, die Bedürfnisse der Menschen hinreichend abzudecken und zugleich bei ihnen ein Gefühl von Anerkennung und Selbstwertgefühl entstehen zu lassen, das sie ihr Leben so führen lässt, wie sie es selbst für richtig halten.

Zitate aus: Francis Fukuyama: „Das Ende der Geschichte?“, in: Europäische Rundschau, Jg. 17, H. 4, Wien 1989  -  Weitere Literatur: Martin Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“, München 2001 (beck´sche Reihe)

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