Der 1952 in Chicago geborene
Politikwissenschaftler Francis Fukuyama galt in den 80er und 90er Jahren als
einer der intellektuellen Vordenker der us-amerikanischen Außenpolitik. Auf
einen Schlag bekannt wurde er durch seine These vom Ende der Geschichte - das
er mit dem Sieg der westlichen liberalen Demokratie gleichsetzt -, die er 1989 zunächst
in einem Aufsatz in der renommierten Europäischen Rundschau vorgestellte und
dann in dem gleichnamigen Buch (1992) ausarbeitete.
Francis Fukuyama |
Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die
Beobachtung einer langen Reihe ideologischer Konflikte, „als es der
Liberalismus zunächst mit den Resten des Absolutismus zu tun hatte, dann mit
dem Bolschewismus und dem Faschismus, und schließlich mit einem erneuerten
Marxismus, der der Apokalypse eines nuklearen Kriegs zuzusteuern drohte.“ Nun
jedoch würde das 20. Jahrhundert wieder zu seinen Anfängen zurückkehren, d.h. „zu
einem klaren Triumph des wirtschaftlichen und politischen Liberalismus“, der
sich vor allem „in der völligen Erschöpfung aller Alternativen“ zeigt.
In dieser Entwicklung sieht nicht einfach nur
den Abschluss einer historischen Epoche, etwa der Nachkriegsgeschichte, sondern
das Ende der Geschichte schlechthin: „das heißt, das Ende der ideologischen Entwicklung
der Menschheit, so wie der allgemeinen Einführung der westlichen liberalen
Demokratie als finaler Regierungsform.“
Fukuyamas Aufsatz erschien im Sommer 1989, also noch vor dem Fall der Berliner Mauer. Die nachfolgende politische Entwicklung gab Fukuyama eindeutig Recht: Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Überführung der Staates des Warschauer Paktes in Demokratien, aber auch die blutige Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens, all dies passte perfekt in die Theorie Fukuyamas.
Der Anfang vom Ende der Geschichte: Der Fall der Berliner Mauer ... |
Selbstverständlich bedeute das Ende der Geschichte nicht, dass
es keine weiteren Entwicklungen mehr geben werde, „denn der Sieg des
Liberalismus erfolgte vor allem im Bereich der Ideen oder des Bewusstseins“,
aber sein Triumph sei in der realen und materiellen Welt natürlich noch
unvollständig. Dennoch ist der am Ende der Geschichte erscheinende
Staat notwendig liberal, weil nur er „auf dem Weg des Gesetzes das allgemeine
Menschenrecht der Freiheit anerkennt und schützt, und indem er nur durch den
Konsens der Regierten besteht.“
Totalitäre Systeme, wie Kommunismus und der Faschismus,
haben nicht nur jegliche Anziehungskraft verloren, sondern sind auch inhärent zum
Scheitern verurteilt, weil sie den Grundgedanken des Liberalismus widersprechen:
Grundrechte gleichermaßen als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und als
Schutz- und Teilhaberechte, Rechtsstaatsprinzip und freie Marktwirtschaft.
Fukuyama gibt unumwunden zu, dass es auch in
den liberalen Demokratien materielle Unterschiede gibt, die sich in den letzten
Jahren teilweise sogar verbreitert hätten. Andererseits behauptet er, dass „die
eigentlichen Ursachen der wirtschaftlichen Ungleichheit nichts mit der ihnen
zugrunde liegenden rechtlichen und gesellschaftlichen Struktur unserer Gesellschaft
zu tun haben, sondern vielmehr mit den kulturellen und gesellschaftlichen
Besonderheiten der Gruppen, aus denen sie zusammengesetzt ist, die ihrerseits
ein historisches Erbe früherer Verhältnisse darstellen.“
Die Armut der schwarzen Bevölkerung in den
Vereinigten Staaten sei also kein Ergebnis des Liberalismus, sondern vielmehr
das Erbe der Sklaverei und des Rassismus, die der Liberalismus zwar auf der
ideellen Ebene überwunden habe, dessen materiellen Auswirkungen gleichwohl noch
fortdauerten.
Hochinteressant ist schließlich, dass Fukuyama
schon frühzeitig ideologische Konkurrenten des Liberalismus ausmachte, deren Gefährdungen
für die demokratische Gesellschaft mittlerweile von einer großen Mehrheit so
gesehen werden. Zu diesen Konkurrenten zählt Fukuyama den islamistischen
Fundamentalismus.
Konkurrent Islamischer Fundamentalismus (?) |
So könnte man meinen, „dass die
Wiederbelebung des Religiösen irgendwie eine breite Unzufriedenheit mit der Unpersönlichkeit
und der geistigen Leere der liberalen Konsumgesellschaft verrät. Aber während
die Leer im Kern des Liberalismus sicherlich einen ideologischen Defekt
darstellt – in der Tat einen Mangel, den man auch ohne den religiösen
Blickwinkel erkennen kann -, so ist doch keineswegs erkennbar, dass dem auf dem
Weg der Politik abgeholfen werden könnte“, wie in der unheilvollen Verbindung
von Staat und Religion im Iran deutlich werde.
Die These vom theokratischen Staat als politische
Alternative zum Liberalismus wirke jedoch auf Nichtmoslems kaum anziehend, so
dass es nicht vorstellbar sei, „dass diese Bewegung universale Bedeutung
bekommen könnte“, denn schließlich sei das gerade der Vorteil des Liberalismus,
dass er individuelle religiöse Bedürfnisse innerhalb der Gesellschaft innerhalb
der zulässigen Lebensformen auch befriedigen könne.
Trotz aller berechtigten Kritik an Fukuyamas
Standpunkt ist die Lektüre von „Das Ende der Geschichte“ nachwievor lohnend,
auch wenn man ein gesundes Misstrauen gegenüber hermetischen geschichtsphilosophischen Theorien hegt.
Letztlich muss sich jeder
gesellschaftspolitische Vorschlag daran messen lassen, ob es ihm gelingt, die
Bedürfnisse der Menschen hinreichend abzudecken und zugleich bei ihnen ein
Gefühl von Anerkennung und Selbstwertgefühl entstehen zu lassen, das sie ihr
Leben so führen lässt, wie sie es selbst für richtig halten.
Zitate
aus: Francis Fukuyama: „Das Ende der Geschichte?“, in: Europäische Rundschau,
Jg. 17, H. 4, Wien 1989 - Weitere Literatur: Martin Riesebrodt: Die
Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“, München
2001 (beck´sche Reihe)
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