Donnerstag, 2. Mai 2013

Walter Benjamin und die Kritik am Fortschrittsoptimismus


Paul Klee (1879 - 1940)
Das Bild „Angelus Novus“ von Paul Klee entstand im Jahr 1920. Es befindet sich seit 1989 im Israel-Museum in Jerusalem, hat aber eine äußerst bewegte Geschichte erfahren.

Das Bild war im 1920 in der Paul Klee Werkschau in der Galerie Hans Goltz in München ausgestellt. Walter Benjamin erwarb es Mitte 1921 für 1000 Reichsmark und stellte es zunächst bei seinem Freund Gershom Scholem unter. Im November 1921 schickte Scholem die Zeichnung nach Berlin, wo sich Benjamin eine neue Wohnung einrichtete.

Im September 1933 ging Benjamin auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ins Exil nach Paris und ließ das Bild zurück. Seine Freunde konnten es ihm aber schon 1935 nachbringen. Als Benjamin Paris vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1940 verlassen musste, blieb das Bild wiederum zurück. Der französische Schriftsteller Georges Bataille versteckte es schließlich in der Bibliothèque Nationale de France

Benjamin nahm sich 1940 das Leben. Gegen Ende des Krieges gelangte die Zeichnung mit weiteren Unterlagen an Theodor W. Adorno in New York, der sie später an Gershom Scholem weitergab. Benjamin hatte dies in seinem Testament aus dem Jahr 1932 ausdrücklich so gewünscht. Der Angelus Novus hing bis zu Scholems Tod in dessen Wohnung in Rehavia, Jerusalem, dann wurde es dem Israel-Museum geschenkt.

Der Angelus Novus gehört zu der von Klee geschaffenen Motivgruppe von Engeln, die etwa fünfzig, zwischen 1915 und 1940 entstandene Werke umfasst. Auffällig an der gezeichneten Gestalt sind der übergroße Kopf, die emporgestreckten Arme, die nur leicht ein Paar Flügel andeuten, und die rudimentären Beine mit an Vogelfüße erinnernden drei Zehen. 

Ausgestaltet sind Augen, Nase, der geöffnete Mund mit sichtbaren Zähnen, Ohren und der Hals. Die Haare sind durch parallele Strichführung geordnet und wirken zugleich „vom Sturm zerzaust.“ Der Blick der Figur geht aus dem Bildraum heraus und am Betrachter vorbei.


Paul Klee: Angelus Novus (1920)



Paul Klees Werk hatte bereits früh starken Eindruck auf Walter Benjamin ausgeübt. Er nutzte den Angelus Novus zu vielschichtigen Reflexionen und Denkbildern. Eine besondere Rolle übernahm das Bild in Benjamins geschichtsphilosophischen Thesen, die in dem Werk „Über den Begriff der Geschichte“ 1955 postum erschienen sind.

Im Gegensatz zu den meisten Marxisten vertrat Benjamin eine pessimistische Geschichtsauffassung, in der aber auch der religiöse Gedanke einer Erlösung vom menschlichen Leiden begegnet.

Walter Benjamin
In der 9. seiner 18 geschichtsphiloso-phischen Thesen illustriert Benjamin sein Geschichtsverständnis anhand des Bildes von Paul Klee.

„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt.

Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.

Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“


Literatur: Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 1, hg. v. Rolf Tidemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1974, S. 697-698. -  Ingrid Riedel: Engel der Wandlung: Die Engelbilder Paul Klees, Freiburg im Breisgau, 2000 (Herder)



2 Kommentare:

  1. Ich schreibe gerade eine Hausarbeit, in der ich andine und abendländische Zeitkonzepte vergleiche. Bei ersteren verläuft die Zeit zirkulär. Die Zukunft ist ein Wieder-Holen der Vergangenheit. Sie liegt im Rücken, die Augen schauen die Vergangenheit. Benjamins Sicht passt da gut dazu. Haben zufällig auch die Seitenangabe zu dem angegebenen Zitat?

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  2. Lieber MR,
    Das Zitat finden Sie bei Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 1, hg. v. Rolf Tidemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1974, auf den S. 697-698. Viel Spaß bei der Hausarbeit!
    Paideia

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