Donnerstag, 6. Juni 2013

Karl Marx und die Arbeit


Die philosophischen Überlegungen von Karl Marx entstanden einerseits aus der Analyse der Industriegesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und andererseits aus seiner Kritik an der idealistischen Philosophie Hegels.

Marx und Engels
Die Philosophie selbst war für Marx eine revolutionäre Kraft, denn es kam eben weniger darauf an, wie die Philosophen bisher, „die Welt einfach nur zu interpretieren“, sondern vielmehr „sie zu verändern.“ Folglich versteht sich der Marxismus nicht nur als philosophische Gesellschafts- und Geschichtstheorie, sondern auch als politische Bewegung. Marx nahm zusammen mit seinem Freund Friedrich Engels aktiven Anteil an der Entstehung einer organisierten Arbeiterbewegung.

Für Marx sind vor allem die materiellen Bedingungen des Lebens, vor allem aber die Arbeits- und Produktionsbedingungen, nicht nur die Grundlage sämtlicher Kulturentwicklung, sondern auch der Schlüssel zum Verständnis des Menschen.

Marx ist der erste Philosoph, der die materielle Arbeit in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellt. Für ihn liegt in der schöpferischen Arbeit der Keim zur Selbstverwirklichung des Menschen, also zur selbstbestimmten individuellen Ausschöpfung aller in ihm steckenden Möglichkeiten. Die Lohnarbeit jedoch der kapitalistischen Wirtschaft ist für Marx dagegen die „entfremdete“ Form der Arbeit.

Daher war nach Marx der Arbeiterklasse, dem Proletariat, die historische Aufgabe zugedacht, diese Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, aber letztlich von sich selbst, zu überwinden und die Bedingungen für eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen, die Marx im Kommunismus verwirklicht sah.

Eine ausführliche Analyse der kapitalistischen Ordnung legte Marx in seinem dreibändigen Hauptwerk „Das Kapital“ (1867, 1885, 1894) vor.

Dort definiert Marx zunächst den Begriff der Arbeit: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch einen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber.“

Dadurch, dass sich der Mensch mittels seiner „leiblichen“ Werkzeugen (Kopf, Arme, Hände, Beine) in Bewegung setzt, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbare Form anzueignen, verändert er zugleich seine eigene Natur, denn: „Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit.“

Das Ergebnis der instinktiven Form der Arbeit

Marx spricht also von einer Form der Arbeit, die allein beim Menschen zu finden ist. Für ihn gibt es hier einen qualitativen Unterschied zu den instinktartigen Formen der Arbeit bei Tieren: „Eine Biene beschämt zwar durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, vor er sie in Wachs baut.“

Es ist also das Resultat des Arbeitsprozesses, das bereits beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters „ideell vorhanden“ war, das menschliche Arbeit von dem Instinktverhalten der Tiere unterscheidet.

Das Ergebnis ideeller Arbeit beim Menschen: Die Junkernschänke in Göttingen

So lässt sich der gesamte Arbeitsprozess auch als „zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bindung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens“ verstehen.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen betrachtet Marx nun den Arbeitsprozess in einem kapitalistischen System, der seiner Meinung nach „zwei eigentümliche Phänomene“ zeigt:

Zunächst arbeitet der Arbeiter „unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist passt auf, dass die Arbeit ordentlich vonstattengeht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d.h. nur so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernötigt.“

Nun aber bleibt das Ergebnis der Arbeit, das Produkt, das Eigentum des Kapitalisten und nicht des unmittelbaren Produzenten, also des Arbeiters: „Der Kapitalist zahlt z.B. den Tageswert der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Ware, z.B. eines Pferdes, das er für einen Tag gemietet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Ware gehört der Gebrauch der Ware, und der Besitzer der Arbeitskraft gibt in der Tat nur den von ihm verkauften Gebrauchswert, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten.“

Hier sieht Marx den Kern der „Entfremdung“, denn durch den kapitalistischen Produktionsprozess einschließlich der industriellen Arbeitsteilung wird der Arbeiter zu einer Sache erniedrigt. Das Produkt seiner Arbeit wird ihm entzogen und ihm wird nur ein Teil des Gegenwertes seiner Arbeit als Lohn ausbezahlt. Der übrige Teil, der „Mehrwert“, fließt dem Unternehmer zu.

Eisenwalzwerk (Adolf von Menzel, 1875)

Weil diese Produktionsweise zur Entstehung von Klassen führt und zur Ausbeutung der einen Klasse durch die andere, ist Arbeit im Kapitalismus letztlich entfremdete und nicht schöpferische Arbeit.

Die schöpferische Freiheit sieht Marx im Kommunismus verwirklicht, den er mit dem „Reich der Freiheit“ gleichsetzt: „Das Reich der Freiheit beginnt … in der Tat erst da, wo das Arbeit, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.“ Für Marx ist klar, dass Freiheit erst dann bestehen kann, wenn der „vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, und unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden.“

Es war Hannah Arendt, die in ihrem Werk „Vita activa oder vom tätigen Leben“ die radikale Aufwertung der Arbeit, wie sie beispielsweise bei Marx zutage tritt, wieder revidierte. Arendt unterscheidet bekanntlich zwischen Arbeit, Herstellen und Handeln und wirft der neuzeitlichen Philosophie vor, diese drei Tätigkeiten unzulässig miteinander vermischt zu haben.

Zwar definiert Arendt - ähnlich wie Marx  - die Arbeit als „biologischen Prozess des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen nährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als die Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen“, aber damit endet schon die Bedeutsamkeit der Arbeit als Tätigkeit des Menschen.

Über der „Arbeit“ steht das „Herstellen“, eine schöpferische Tätigkeit des Menschen, durch die er Dinge schafft, die von Dauer sind. Aber erst im Handeln erreicht der Mensch die Stufe der eigentlichen Selbstverwirklichung. Dies geschieht in der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, deren höchste Form das politische Handeln ist – eine Vorstellung, die Arendt der antiken griechischen Philosophie entnahm.

So dürfe man gerade nicht – wie Marx es eben tut – von der Arbeit als der Quelle aller Produktivität sprechen und sie zum Ausdruck der Menschlichkeit des Menschen selbst überhöhen.

Auch bei Marx selbst bleibt - trotz der Hochschätzung der Arbeit – ihre Bedeutung Arendt zufolge immer zweideutig. Obwohl für Marx die Arbeit die menschliche und produktivste aller Tätigkeiten ist, „hat die Revolution doch nach Marx nicht etwa die Aufgabe, die arbeitende Klasse zu emanzipieren, sondern die Menschen von der Arbeit zu befreien. Denn das `Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört´“ (Arendt, 123).

So bestünde einer der  - vielen - eklatanten Widersprüche in der Theorie von Marx darin, dass Marx immer davon ausgeht, „den Menschen als ein Animal laborans zu definieren, um dann dies arbeitende Lebewesen in eine ideale Gesellschaftsordnung zu führen, in der gerade sein größtes und menschlichstes Vermögen brachliegen würde“ (ebd.).

Für Hannah Arendt dagegen ist die Arbeit gerade kein Symptom für ein gestörtes Verhältnis zwischen Mensch und Natur bzw. zwischen Mensch und Welt, sondern in der Arbeit zeigt sich „die Art und Weise, in welcher das Leben selbst mitsamt der Notwendigkeit, an die es gebunden ist, sich kundgibt“ (141).
  
Zitate aus: Karl Marx: Das Kapital, Frankfurt a.M. 1968 (EVA), Bd.1., 192ff – Bd. 3., 828  -  Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 2010 (piper)


5 Kommentare:

  1. schöne Zusammenfassung.

    liebe Grüße

    Student aus Kassel

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  2. tolle zusammenfassung. danke für die rettung meines pibf-vortrages ;)

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  3. Ich sehe da keinen Widerspruch. Marx will ja nur, dass eine bestimmte Form der Arbeit überwunden wird, nämlich die durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmte.
    Ich bin kein Experte aber ich könnte mir vorstellen, dass für Marx das Arbeiten in einer klassenlosen, paradiesischen Gesellschaft, in der der Mensch als 'Gattungswesen' leben kann, nicht mehr entfremdet wäre, da er nicht mehr aus Not arbeitet und er über das Produkt seiner Tätigkeit verfügen kann (vielleicht in irgendeiner Form der gesellschaftlichen Mitbestimmung?)

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  4. Danke, du hast meine Hausarbeit gerettet:)

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  5. Seh schön, danke. Aber: Zu viel anteilig Arendt-Kritik. Wenn schon kritische Perspektive dann auch die von Hegel miteinbeziehen, der untersucht Arbeit nämlich auch sehr detailliert und ist zusammen mit Marx auch Teil des Arbeits-Verständnis von Arendt. Dann ist eben Herstellen der Teil der "absichtlichen Tätigkeit" bei Hegel die der Wille zwischen Zwecksetzung und Zweckverwirklichung vermittelt. Kannte Marx die Jenaer Schriften von Hegel zu Arbeit? Die sind nur im Detail nicht kompatibel zueinander. Marx ignoriert nur nicht den elenden Zustand der Welt wo die Not trotz dem allen bekannten Potentialen der Menschheit nicht beseitigt ist. Arendt macht es sich (oft) etwas zu leicht.

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