Wie so häufig bei selbsternannten Propheten zu beobachten ist, versucht auch David Graeber in seinem Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“, alle vergangenen und gegenwärtigen Prozesse der Weltgeschichte auf einige wenige Grundprinzipien
zu reduzieren.
So seien Graeber zufolge Schuld, Schulden und
Schuldverhältnisse letztlich die treibende Kraft in der Geschichte, die nicht
nur für die Genese von Gewalt- und Machtstrukturen politischer und religiöser
Art verantwortlich sind, sondern die letzte Ursache gleichermaßen für
Institutionen, Kolonisationen und Revolutionen sind. Das Problem ist, das solch allzu
plausibler Blick der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nicht gerecht werden
kann.
Zudem ist ein roter Faden, der den Leser durch
die Lektüre des Buches führt, nicht erkennbar, weil Graeber sich oft in - zugegeben vielen und teilweise skurrilen - Details verzettelt. Sein Stil ist langatmig und das Lesen eher anstrengend und ermüdend.
Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) |
Gleichwohl sind einige Hinweise Graebers durchaus
von Interesse, so beispielsweise die überraschende Zeugenschaft Nietzsches im
Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Geldes, die Nietzsche gewissermaßen
en passent in seiner „Genealogie der Moral“ (1887) beschreibt.
So habe, Nietzsche zufolge, das Gefühl der
Schuld und der persönlichen Verpflichtung, „seinen Ursprung in dem ältesten und
ursprünglichsten Personen-Verhältnis, das es gibt, gehabt, in dem Verhältnis
zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner: hier trat zuerst Person
gegen Person, hier maß sich zuerst Person an Person.“
So habe man keinen noch so niederen Grad von Zivilisation
aufgefunden, in dem nicht schon diese Verhältnisse bemerkbar würden: „Preise
machen, Werte abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen – das hat in einem
solchen Maße das allererste Denken des Menschen präokkupiert, dass es in einem
gewissen Sinne das Denken ist.“
Nietzsche sieht hier den Ursprung
menschlichen Scharfsinn und ebenfalls den ersten Ansatz menschlichen Stolzes, das
sein Gefühl des Vorrangs gegenüber anderen Lebewesen begründete: „Vielleicht
drückt noch unser Wort »Mensch« (manas) gerade etwas von diesem Selbstgefühl
aus: der Mensch bezeichnete sich als das Wesen, welches Werte misst, wertet und
misst, als das `abschätzende Tier an sich´.“
Für Nietzsche sind Kauf und Verkauf einschließlich
„ihrem psychologischen Zubehör“ eindeutig älter als selbst die Anfänge der gesellschaftlichen
Zusammenhänge und Verbände. Vielmehr habe sich „aus der rudimentärsten Form des
Personen-Rechts … das keimende Gefühl von Tausch, Vertrag, Schuld, Recht,
Verpflichtung, Ausgleich erst auf die gröbsten und anfänglichsten
Gemeinschafts-Komplexe (in deren Verhältnis zu ähnlichen Komplexen) übertragen,
zugleich mit der Gewohnheit, Macht an Macht zu vergleichen, zu messen, zu
berechnen.“
Aber Nietzsche ging noch weiter, denn er war
überzeugt, dass auch die menschliche Moral
im Zusammenhang des Verhältnisses Gläubiger-Schuldner entstanden sei. Dazu wies
er auf die doppelte Bedeutung des Wortes Schuld hin, denn „Schulden haben“
meint ebenso „schuldig sein“ und in beiden Fällen ist „Strafe“ bzw. „Sühne“ eine
notwendige Konsequenz.
"Schuldknechtschaft" in einer Bilderhandschrift des Sachsenspiegels |
Als die Menschen schließlich begannen, Gemeinschaften
zu bilden, so Nietzsche weiter, begannen sie wie selbstverständlich, das
Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft in den Begriffen „Schuld“ und „Schulden“
zu formulieren. Dabei folgt Nietzsche mehr oder weniger der sogenannten Theorie
von den Urschulden:
„Innerhalb der ursprünglichen
Geschlechtsgenossenschaft – wir reden von Urzeiten – erkennt jedes Mal die lebende
Generation gegen die frühere und in Sonderheit gegen die früheste,
geschlecht-begründende eine juristische Verpflichtung an (und keineswegs eine bloße
Gefühls-Verbindlichkeit. … Hier herrscht die Überzeugung, dass das Geschlecht
durchaus nur durch die Opfer und Leistungen der Vorfahren besteht, – und
dass man ihnen diese durch Opfer und Leistungen zurückzuzahlen hat: man
erkennt somit eine Schuld an, die dadurch noch beständig anwächst, dass
diese Ahnen in ihrer Fortexistenz als mächtige Geister nicht aufhören, dem
Geschlechte neue Vorteile und Vorschüsse seitens ihrer Kraft zu gewähren.
Umsonst etwa? Aber es gibt kein `Umsonst´ für jene rohen und `seelenarmen´
Zeitalter. Was kann man ihnen zurückgeben? Opfer (anfänglich zur Nahrung, im
gröblichsten Verstande), Feste, Kapellen, Ehrenbezeigungen, vor Allem Gehorsam
– denn alle Bräuche sind, als Werke der Vorfahren, auch deren Satzungen und
Befehle –: gibt man ihnen je genug? Dieser Verdacht bleibt übrig und wächst.“
Die Argumentation ist klar und einfach
erkennbar: Die Gemeinschaft garantiert dem Menschen Frieden und Sicherheit.
Deshalb steht jeder Einzelne in ihrer Schuld. Um `seine Schuld gegenüber der
Gesellschaft zu begleichen´, muss man ein `Opfer erbringen´, das beispielsweise
darin besteht, den Normen und Gesetzen der Gemeinschaft zu gehorchen.
Das Problem aber sei, dass das Gefühl bleibt,
wir könnten den Vorfahren oder der jetzigen Gemeinschaft niemals die Schuld
zurückzahlen und kein noch so großes Opfer in der Lage wäre, uns jemals zu
erlösen, so dass schließlich „mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die
Unlösbarkeit der Buße, der Gedanke ihrer Unabzahlbarkeit (der `ewigen Strafe´)
konzipert ist.
Das Problem der Unabzahlbarkeit der Schuld führt zur Notwendigkeit der Erlösung ... |
An dieser Stelle zieht Nietzsche nun den
Bogen zu „jenem Geniestreich des Christentums“, nach dem „Gott selbst sich für
die Schuld des Menschen opfernd, Gott selbst sich an sich selbst bezahlt
machend, Gott als der Einzige, der vom Menschen ablösen kann, was für den
Menschen selbst unablösbar geworden ist – der Gläubiger sich für seinen
Schuldner opfernd, aus Liebe (sollte man's glauben? –), aus Liebe zu
seinem Schuldner!…“
Wie schon anfangs gesagt: Eigentlich geht es
Nietzsche nicht so sehr um die Entstehungsgeschichte des Geldes, um Kredit und
Schulden, sondern sein Ziel ist vielmehr die Entstehung der Moral und hier
insbesondere den Begriff der `Erlösung´ zu begreifen, wie also das nagende
Gefühl von Schuld umschlägt in eine Sehnsucht nach Erlösung.
Schließlich habe `Erlösung´ nichts mehr mit
Rückkauf zu tun, sondern eher mit der
vollständigen Vernichtung der Buchführung.
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