Miguel de Unamuno (1864 - 1936) |
Miguel de Unamuno gehört zu den bedeutendsten
spanischen Philosophen und Schriftstellern des frühen 20. Jahrhunderts. Er ist
von der zu dieser Zeit einflussreichen Lebensphilosophie bzw.
Existenzphilosophie geprägt. So lernte er beispielsweise Deutsch, um
Schopenhauer im Original lesen zu können.
Unamuno betont in seinen Werken oftmals die
Bedeutung der irrationalen Kräfte im menschlichen Leben wie Triebe,
Leidenschaften, aber auch die schöpferischen Fähigkeiten des einzelnen.
In seinem Essay „Plädoyer des Müßiggangs“
setzt Unamuno sich kritisch mit der Ansicht auseinander, nach der die Arbeit
die Grundlage der menschlichen Kultur sei.
Ausgangspunkt von Unamunos Überlegungen zum
Thema Arbeit ist eine scheinbar belanglose Episode während eines Aufenthalts in
Portugal:
„Zur heißesten Jahreszeit, als sich die Trägheit
meines Körpers und meiner Seele bemächtigte, vertrieb ich mir die Zeit damit,
aufs Bett hingestreckt langsam Lord Byron zu lesen. Von Zeit zu Zeit ließ ich
das Buch sinken, um … nachzudenken?, nein, um mir allerhand Luftschlösser
zusammen zu phantasieren.
Zuweilen raffte ich mich auf, an den Balkon
zu treten, um einen Augenblick lang das Meer zu betrachten, das da träge am Strand
ausgestreckt lag. Und das Gluckern des Ozeans, vermischt mit den Echos Lord
Byrons, der diesen so sehr geliebt hatte, half mir, weiterhin Dinge ohne festen
Umriss und Substanz zusammen zu phantasieren.
In meinem Geist herrschte eine poetische, das
heißt aber schöpferische Situation, welche die Trägheit hervorruft. Denn der
Dichter ist zuallererst ein Faulenzer, ein Nichtstuer, und das sage ich zum Lob
des Poeten.“
"Wer keine Muße kennt, lebt nicht." - Sprichwort aus Sizilien |
Natürlich will Unamuno hier kein Lob auf die
Faulheit anstimmen. Aber er möchte „zumindest teilweise ein Loblied aufs
Nichtstun singen; ich will euch sagen, dass der Müßiggänger einer der aktivsten
Menschen ist.“
Unamuno verteidigt hier die These, dass wir
die Zivilisation letztlich den Müßiggängern verdanken. Seiner Ansicht nach
setzt die Zivilisation ein, als ein Mensch den anderen der Versklavung
unterwarf, ihn dazu zwang, für beide zu arbeiten, und nun, der Notwendigkeit
enthoben, sich selbst anstrengen zu müssen, um sich das tägliche Brot verdienen
zu müssen, auf einmal zu den Sternen aufblicken konnte, um sich zu fragen,
warum diese wohl dergestalt kreisen mögen.
Die Versklavung anderer Menschen kann zwar
heute nicht mehr als zivilisatorische Glanzleistung beschrieben werden, aber Unamuno
glaubt beobachten zu können, dass „der Umstand, dass in den arbeitsameren
Völkern gewisse Hochformen der Kultur, in der Kunst, in der Wissenschaft, in
der Literatur, hervorgebracht werden, nicht darauf zurückzuführen ist, dass sie
fleißiger wären, sondern dass es in ihnen mehr Unbeschäftigte, mehr Müßiggänger
gibt.“
Das Verständnis der schöpferischen Muße, so
wie sie Unamuno hier als Gegensatz zur Arbeit beschreibt, hat ihren Ursprung
tatsächlich in der Antike. Der Begriff σχολή enthält ein Bedeutungsspektrum,
das von Muße, Ruhe über Studium und Schule (!) bis hin zu Verzögerung und Langsamkeit reicht. In der römischen Tradition prägte dann Cicero den Begriff des otium cum dignitate, der mit
wissenschaftlicher und philosophischer Betätigung verbrachten „würdevollen
Muße“ in Zurückgezogenheit (De Oratore I,1f).
Ein bekanntes Beispiel für otium cum dignitate, die "würdevolle Muße" |
Während also die Menschen der Antike die Muße
vor allem mit ihren charakterbildenden und kreativen Möglichkeiten für wertvoll
hielten – der Lebenskünstler war das Gegenstück
zu Handarbeiter und natürlich zum Sklaven
–, galt im Mittelalter im europäischen Mönchtum
die Trägheit als eine der sieben Hauptlaster. Später hat auch der Protestantismus sich gegen
jede Form des Müßiggangs gewandt („Müßiggang ist aller Laster Anfang“) und
dagegen hat Beruf und Arbeit als menschliche Ziele hoch eingeschätzt.
Gegen diese „protestantische Ethik der Arbeit“
(Max Weber) hat es aber immer auch die Gegenposition gegeben, nach der eben
Muße und nicht die Arbeit das eigentliche Ziel des Menschen sei.
So auch Unamuno: „Immer hat mich, wie viele
andere auch, die berühmte Fabel von der Grille und der Ameise empört. Dabei sind
doch der Egoismus und die Unmenschlichkeit der letzteren nur zu offensichtlich.
Denn es steht fest, und das habe ich genau recherchiert, dass sie sich während
der Arbeit am Gesang der Grille erfreute.“
Zitate
aus: Miguel de Unamuno: Plädoyer des Müßiggangs, Wien 1986 (Literaturverlag
Droschl) - Zum Hören: Das Philosophische Radio (WDR 5) mit Manfred Koch und Jürgen Wiebicke zum Thema "Faulheit"
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