Donnerstag, 3. Januar 2013

Jean-Jacques Rousseau und die Arbeit

Nehmen wir an, Sie haben so viel Geld geerbt, dass Sie nie wieder arbeiten müssen! Würden Sie dennoch arbeiten?

Diese Frage ist ein guter Ausgangspunkt, um über das Thema Arbeit nachzudenken. Auch in der Philosophie schaut man auf das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Gefragt wird vor allem nach der Rolle, die die Arbeit im menschlichen Leben spielt bzw. spielen sollte. Gehört Arbeit zum Wesen des Menschen (homo laborans)? Ist Arbeit eine Pflicht, ein notwendiges Übel oder ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen? Hilft sie uns bei unserer Selbstverwirklichung oder hält sie davon ab? Welche Form hat die Arbeit in unserer Gesellschaft angenommen? Was bedeutet Arbeitslosigkeit für den, der davon betroffen ist?


Jean-Jacques Rousseau
Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) ist einer der wichtigsten Philosophen des 18. Jahrhunderts. In seinen Büchern kritisiert er zum einen die schlechten Sitten und Gewohnheiten seiner Zeit, zum anderen die schädlichen Folgen der Zivilisation. Seine Forderung lautet daher: „Zurück zur Natur!“ In seinem berühmten Erziehungsroman „Emile“ widmet sich Jean-Jacques Rousseau auch dem Thema Arbeit.

Rousseau beschreibt hier das Beispiel einer idealen Erziehung unter natürlichen Bedingungen: Emile, ein gesunder, durchschnittlich begabter Junge aus reichem Hause, soll als erwachsener Mensch in der Lage sein, in der Gesellschaft seinen Platz zu finden, ohne an seiner Person Schaden zu nehmen. Als Glied einer Gemeinschaft hat er zwar das Recht auf Freiheit, aber er muss zugleich bereit sein, seine Pflichten als Bürger zu erfüllen. Innerhalb der Erziehung spielt auch die Einstellung zur Arbeit eine wichtige Rolle.


„Denken wir uns zehn Menschen, von denen jeder zehn Bedürfnisse hat. Jeder muss also zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zehn verschiedenen Beschäftigungen widmen. Da aber jeder verschieden begabt und geschickt ist, so wird einer das, der andere jenes schlechter machen. Jeder kann alles und macht alles und ist dennoch schlecht bedient.

Nun bilden wir aus den zehn Menschen eine Gesellschaft und jeder widmet sich für sich und für die neun anderen derjenigen Beschäftigung, die ihm am besten liegt. Dann zieht jeder aus den Talenten aller anderen den gleichen Nutzen, als ob er alle selbst hätte. Jeder vervollkommnet sein Talent durch dauernde Übung, und so kommt es dahin, dass nicht nur alle zehn vollkommen versorgt sind, sondern auch noch Überschuss für andere haben. Das ist das offensichtliche Prinzip aller unserer Einrichtungen.“

Für Rousseau ist klar, dass ein Mensch, der sich als isoliertes Wesen betrachtet, der sich niemandem anschließt und allein sich selbst genügen will, nicht überlebensfähig wäre, letztlich auch deshalb, weil die Welt nun einmal „in Mein und Dein aufgeteilt“ sei.

Könnte der Mensch außerhalb der Gesellschaft leben, dann würde er niemandem etwas schulden. Er hätte dann das Recht, so zu leben, wie es ihm gefiele. „In einer Gesellschaft dagegen lebt der Mensch notwendigerweise auf Kosten der anderen: Er schuldet ihnen Arbeit als Preis für seinen Unterhalt.“

Bekanntes Graffiti mit zwei sehr unterschiedlichen Haltungen zum Thema Arbeit

Dies gelte ohne Ausnahme, wie Rousseau am Beispiel eines Erben erläutert: „`Aber mein Vater hat doch, als er seinen Reichtum erwarb, der Gesellschaft gedient´ …Mag sein. Er hat seine Schuld bezahlt, aber nicht deine. Du schuldest den anderen mehr, als wenn du arm geboren wärest, und es ist nicht gerecht, dass das, was ein Mensch für die Gesellschaft getan hat, einen anderen von seinen Schulden entbindet.“

So müsse jeder seinen Beitrag leisten und kein Vater könne seinen Kindern das Recht vererben, „ein unnützes Glied der Gesellschaft zu werden. Wer im Müßiggang verzehrt, was er nicht verdient hat, stiehlt es.“

Selbst der Rentner, den der Staat für sein Nichtstun bezahlt, unterscheidet sich in den Augen Rousseaus nicht von einem Straßenräuber, der auf Kosten der Reisenden lebt.

So habe die Gesellschaft einen Anspruch darauf, dass jeder Einzelne seinen Beitrag durch seine Arbeit leistet: „Arbeiten ist also eine unerlässliche Pflicht des Menschen innerhalb der Gesellschaft. Arm oder reich, mächtig oder schwach, jeder müßige Bürger ist ein Schmarotzer.“

Alle Zitate aus: Jean-Jacques Rousseau: Emile oder Über die Erziehung, Paderborn 1971, S. 191ff  -  Zum Hören: Das Philosophische Radio (WDR 5) mit Manfred Koch und Jürgen Wiebicke zum Thema "Faulheit"

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